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Abiturprüfung Baden-Württemberg 2023 Aufgabe 3: materialgestütztes Verfassen eines argumentierenden Textes
Ihr Kommentar sollte etwa 1 000 Wörter umfassen.
M1: Dreieck der Rhetorik (2013)
M2: Rhetorik: Die unsichtbare Unterkonstruktion jedes Textes (2020)
Die Rhetorik ist in der Antike entstanden. Damals tüftelte man erstmals an einem Instrumentarium für das Erstellen und Ausführen erfolgreicher Reden. Das Modell war das Gericht. Wie begründet man eine Anklage? Und wie eine Verteidigung? Es fiel
auf, wie wichtig der Umgang mit Argumenten war: sowohl im Sinne ihrer Erfindung und Anordnung als auch in der sprachlichen Ausgestaltung mit gewissen Glanzpunkten, zum Beispiel mit kühnen Metaphern.
Dies wurde rasch auf die Politik übertragen. Man wusste: Wie vor Gericht setzt sich die Wahrheit oder das Richtige nicht von selbst durch. Die Probleme sind oft zu verwickelt, die Zuhörer leicht ablenkbar oder haben vorgefasste Meinungen. Da gilt es, Aufmerksamkeit für das Thema zu erzielen, Emotionen zu wecken, die die eigene These annehmbar machen. Die Griechen und nach ihnen die Römer haben dafür einen entsprechenden Unterricht organisiert und das Wichtigste in Lehrbüchern (Rhetoriken) zusammengetragen.
Seit der Antike ist das Interesse an Rhetorik und rhetorischer Rede in Europa nie mehr erlahmt, auch wenn sich die Umstände änderten. […] Die Erben der rhetorisch geprägten Schriftkultur sind die Kommentatoren und Essayisten in den Medien. Man lernt hier immer noch, wie man Argumente sachlich und sprachlich am besten vertritt, um Aufmerksamkeit und Zustimmung zu erzielen. Viel ist dabei von den alten „Tricks“ vorhanden, die in den Rhetoriken seit der Antike vermittelt worden sind.
Eines sollte man bei alldem jedoch im Auge behalten: Ein rhetorisch guter Text muss noch lange kein „richtiger“ Text sein. Die argumentative und stilistische Kunstfertigkeit ist sozusagen wahrheitsneutral. Man kann durchaus Rhetoriker für ihr rhetorisches Talent bewundern, auch wenn sie das Gegenteil der eigenen Meinung vertreten. Es gibt sogar gute Rhetorik in Verbindung mit Verbrechen – wie bei den Nationalsozialisten. […]
M3: Andreas Sentker – Einfach überzeugen (2016)
[…] Hier kommt alles zusammen, was eine historische Rede ausmacht: die Glaubwürdigkeit des Redners, die Tragkraft seiner Argumente und die Gefühle, die er beim Publikum hervorzurufen vermag. Die drei Säulen der Rhetorik – Ethos, Logos und
Pathos – beschreibt schon der griechische Philosoph Aristoteles im allerersten Lehrbuch der Rhetorik. Für ihn ist Rhetorik die Kunst der Überzeugung, nicht der Überredung. Und daher ist das Argument das entscheidende rhetorische Mittel.
Aber Aristoteles weiß auch um die Macht der Gefühle und rät dem Redner, „nicht nur darauf zu sehen, dass die Rede beweisend und überzeugend sei“, sondern auch dafür zu sorgen, „sich selbst und den Beurteiler in eine bestimmte Verfassung zu versetzen“. Dreihundert Jahre später im politischen Machtzentrum Roms setzt der erfahrene Politiker und Rhetoriker Marcus Tullius Cicero deutlich unverblümter auf das Pathos: „Nichts ist in der Beredsamkeit wichtiger, als dass der Zuhörer dem Redner geneigt sei und selbst so erschüttert werde, dass er sich mehr durch einen Drang des Gemütes und durch Leidenschaft als durch Urteil und Überlegung leiten lasse.“
Die antike Rhetoriklehre, sie wirkt bis heute fort: Ihre Regeln sind aktuell, ihre Rezepte nach wie vor alltagstauglich. Die Natur des Menschen hat sich in den Jahrtausenden offenbar nicht geändert. Dass sich gerade die politische Redekultur der Vereinigten
Staaten so offensichtlich aus dem Fundus der antiken Lehrmeister bedient, hat historische Gründe. Die Rhetorik wurzelt in der Demokratie. Nur ein mündiges Publikum kann und muss vom Redner überzeugt werden. Und die Amerikaner haben eine deutlich längere demokratische Tradition als etwa die Deutschen.
Schon vor 200 Jahren durfte dort der freie Bürger das Wort ergreifen, während der deutsche Untertan schwieg und gehorchte. […]
In Europa hingegen war das Ansehen der Rhetorik durch die NS-Zeit endgültig beschädigt, nachdem sie schon im 18. Jahrhundert an Bedeutung verloren hatte. Die Nazis hatten sie zur Propaganda missbraucht, mit den Mitteln der Rede war nicht das Gute, sondern das Böse durchgesetzt worden. Das erschütterte das Ansehen des Faches im Fundament. Schon im alten Griechenland hatte die Rhetorik ihrer Ambivalenz halber prominente Gegner gehabt. So kritisierte der Philosoph Platon die machtbewusste Rhetorik als Schmeichelei und warnte vor der Gefahr durch Demagogie.
Sein rhetorischer Gegenentwurf setzt auf die Erkenntnis der Wahrheit, seine Kritik ist vor allem eine an der unzureichenden Moral manchen Redners. Zur Rhetorik gehört von Beginn an die Angst vor ihrer Janusköpfigkeit. Der erfahrene und selbstbewusste Redner Otto von Bismarck weist jede Nähe zur Rhetorik von sich: „Ich bin Minister, Diplomat und Staatsmann und würde mich für gekränkt halten, wenn man mich einen Redner nennte.“ Ablehnung der Rhetorik auch beim Philosophen Immanuel Kant: Er hält sie für eine „hinterlistige Kunst“. Johann Wolfgang von Goethe schimpft über „verdammte Rednerkünste, die alles bemänteln, über alles hinweggleiten wollen, ohne das Rechte und Wahre auszusprechen“. Seinen Faust lässt er ausrufen: „Es trägt Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vor.“ Dabei erzieht die Rhetorik bis weit ins 18. Jahrhundert die europäischen Eliten zum guten Reden – und gehört bei der Gründung erster Universitäten zum Kerngeschäft der Akademiker. […]
In Deutschland hatte die nationalsozialistische Propaganda alle Rhetorik diskreditiert. Hitler und Goebbels haben mit ihren sprachlich primitiven, aber bis ins Detail inszenierten Brüllreden jeden Einsatz rhetorischer Mittel für die Zukunft unmöglich gemacht. Als Schulstoff bleiben allenfalls die rhetorischen Figuren übrig […].
Im Übrigen ist die Rhetorik in Deutschland ein Synonym für Manipulation, Überredung, Entfesselung und Verführung der Massen. Walter Jens tritt 1967 in Tübingen an, die Rhetorik vom Fluch zu befreien. Ihm und seinen Nachfolgern gelingt es nach und nach tatsächlich, das Instrumentarium der Rhetorik zu reinigen und zu schärfen. „Seelenführung im Horizonte der Vernunft“ nennt Jens seine rhetorische Praxis. Und der heutige Lehrstuhlinhaber Dietmar Till weiß, warum die antiken Rhetoriklehren bis heute nichts von ihrem Reiz eingebüßt haben: „Nie zuvor und vermutlich später nie wieder hat man so intensiv über die Kunst der Rede nachgedacht wie damals.“
Dem Propagandaverdacht begegnet Till offen. Mit seinen Studenten erarbeitet er in der Vorlesung regelmäßig eine Tabelle: Was will Propaganda? Was die Rhetorik? Schnell füllen sich die Spalten: Propaganda strebt nach Totalität, möchte Meinung dominieren. Sie stellt Mediensysteme in ihren Dienst. Sie geht emotional vor. Die Rhetorik hingegen stellt das Argument in den Mittelpunkt. Aber die Studenten sehen auch: Zwischen den Tabellen liegt ein Graubereich. „Hier spielt sich der größte Teil unserer alltäglichen Kommunikation ab“, sagt Till, „irgendwo zwischen Überredung und Überzeugung.“ […]
Aristoteles: Der griechische Philosoph (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) gilt als einer der einflussreichsten Denker in der Geschichte der Philosophie.
Marcus Tullius Cicero: Der römische Anwalt, Politiker, Schriftsteller und Philosoph (106 v. Chr. bis 43 v. Chr.) übte 63 v. Chr. als einer der beiden Konsuln das höchste Amt der römischen Republik aus.
Platon: Der griechische Philosoph (428 v. Chr. bis 347 v. Chr.) war Lehrer von Aristoteles.
Janusköpfigkeit: Von Janus, dem zweigesichtigen römischen Gott des Anfangs und des Endes abgeleitete Bezeichnung für eine Zwiespältigkeit und insbesondere etwas, was positiv und negativ zugleich sein kann.
Otto von Bismarck: Der preußische Politiker (1815 –1898) war Wegbereiter und erster Kanzler des Deutschen Reiches.
Goebbels: Joseph Goebbels (1897–1945) war 1933–1945 Leiter des „Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda“. In seiner bekanntesten Rede im Berliner Sportpalast 1943 rief er vor jubelnden parteinahen Zuhörern zum „Totalen Krieg“ auf.
Nachfolger: Gemeint sind hier die Professorinnen und Professoren, die nach Walter Jens den „Lehrstuhl für Rhetorik“ an der Universität Tübingen innehatten.
M4: Gert Ueding – Ars est artem celare – Die Lüge als rhetorische Kunst betrachtet (2014)
[…] [D]ie Rhetorik hat es mit Meinungen zu tun, nicht mit Wissen, das ist schon in der Definition enthalten, […] in der Aristoteles hervorhob, dass nämlich von rhetorischem Belang „nur solche Dinge [sind,] welche sich allem Anschein nach auf zweierlei Weise verhalten können“. Ohne dass er es nach Philosophenweise ausdrücklich hervorhebt, vernehmen wir im Hintergrund Protagoras, der das nicht anders gesehen und kaum anders formuliert hatte, dass sich nämlich die Rhetorik mit Themen beschäftige, über die man mit gleichem Rechte nach beiden Seiten (also in einander entgegengesetztem Sinne) disputieren könne. […]
Dazu ist freilich eine Voraussetzung nötig, über die schon in der Antike viel diskutiert wurde. Meinung und Gegenmeinung (um den Pluralismus der Meinungen modellhaft zu vereinfachen) müssen sich nämlich in einem Verhältnis zueinander befinden, das das Konkurrieren überhaupt fruchtbar macht und einen Fortschritt in der Lösung eines, sagen wir juristischen oder politischen Problems bringt. Sie müssen sich, um es mit einer uns geläufigen Metapher zu sagen, auf Augenhöhe begegnen, und das ist oftmals nicht von vornherein gegeben. So befindet sich nicht nur der Redner im Nachteil, der eine sehr viel schwächere Meinung vertritt als sein Gegner, weil er z. B. die herrschende Gesetzesauslegung gegen sich hat oder der im Publikum herrschenden Meinung entgegentreten muss.
Auch die Problemlösung selber gerät in Gefahr, nicht zum optimalen Ergebnis zu finden. Protagoras, der darüber nachgedacht hatte, verlangte daher vom Redner eine eigene Kunstfertigkeit, nämlich „die schwächere Sache zur stärkeren“ machen zu können. […]
Dass in der Rhetorik-Geschichte bis heute das monologische Verständnis von Rede als Gegenstand der Theorie und Unterweisung vorherrschen sollte, hat seine Gründe auch in der politischen Geschichte Europas. Öffentliche Rede verwirklichte sich in der Predigt, im Herrscherlob oder in der Kriegsrede, drei Gattungen, die keinen beratenden, sondern apodiktischen, auch propagandistischen Charakter haben: in ihnen konnte jede Lüge unwidersprochen bleiben, sie produzierte nichts als sich selber. Das Gespräch blieb dem lehrhaften, akademischen Dialog vorbehalten, der zwar für die Tradierung des Konzepts und seiner Techniken sorgte, aber praktisch folgenlos bleiben musste. Womit ich zum Abschluss noch auf ein historisch besonders radikales Exempel monologischer Rhetorik-Theorie und -Praxis hinweisen möchte […].
Ich meine die nationalsozialistische Rhetorik, lange vorbereitet durch Rhetoriker wie Carl Schmitt, Ewald Geissler oder Maximilian Weller, die die Rhetorik total auf das Orator-Prinzip gründeten. „Das Endziel aber, dem der Redner über alle Widerstände hinweg zudrängt, ist: dass die Hörer so werden, wie er sie haben will. So denken, so fühlen, so wollen, so handeln.“ Derart werden „die Hörer der Stoff des Redners“, er selber zum „Kampfredner“. Das alles sind Maximen Geisslers. […] Erfolgreichster Schüler solcher
Lehren war Adolf Hitler, in Mein Kampf kann man ihre Spuren zum Teil wörtlich nachlesen. Ich zitiere ein Beispiel: „Die Macht aber, die die großen historischen Lawinen religiöser und politischer Art ins Rollen brachte, war seit urewig nur die Zauberkraft des gesprochenen Worts.“ Vom Eingehen auf den Zuhörer, der Vertrautheit mit ihm, spricht auch Hitler, doch ist kein Dialog damit gemeint. Die andere Meinung kennen bedeutet allein, den Schlachtplan eines Gegners kennen, den es zu schlagen gilt, mit Hitlers Worten: „Ich habe […] gelernt, […] dem Feinde die Waffe seiner Entgegnung gleich selber aus der Hand zu schlagen.“ Die wenigen Belege mögen genügen,
um die nationalsozialistische Rhetorik als den Exzess einer auf dem Orator-Prinzip fußenden Rede-Theorie zu decouvrieren. […]
Ars est artem celare: lat. „Die Kunst ist, Kunst zu verbergen.“ Im Mittelalter wurde die Rhetorik als „ars celare artem“ („Kunst, die Kunst zu verbergen“) bezeichnet. Grundlage ist eine bereits aus der Antike stammende Strategie der Rhetorik. Danach sollte die kunstvolle Inszenierung einer Rede verborgen bleiben, sodass sie spontan wirkt, was die Glaubwürdigkeit erhöht.
Protagoras: Der griechische Philosoph und Staatsmann Protagoras von Abdera (485 v. Chr. bis 415 v. Chr.) war einer der bedeutendsten Denker der Antike, zu dessen Überzeugungen gehörte, dass es keine absolute Wahrheit, sondern nur subjektive Wahrheiten gibt.
Ewald Geissler: Der in Halle lehrende Germanist und Sprachpfleger (1880–1946) war ebenso wie der Sprachwissenschaftler Maximilian Weller und der Staatsrechtler Carl Schmitt ein begeisterter Anhänger des Nationalsozialismus.
Orator-Prinzip: Ueding verweist hier auf die im Römischen Reich entstandene Praxis, den Redner auf eine Bühne zu stellen, um eine größere Reichweite zu erzielen. Das stehe im Gegensatz zur griechischen Praxis, in der ein „Redner […] Mitzuhörer [ist] und der Zuhörer Mitredner“.
Mein Kampf: die von Adolf Hitler verfasste zentrale Programmschrift der nationalsozialistischen Weltanschauung
decouvrieren: (frz. decouvrir) etwas auf- oder entdecken
M5: Walter Jens – Über demokratische Beredsamkeit oder: Politik muß für Wahrheiten Worte finden (1989)
Blood, toil, tears and sweat, Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß: mehr habe er der Regierung, dem Parlament und dem Volk nicht zu bieten, erklärte Winston Churchill am Pfingstmontag, dem 13. Mai 1940, unmittelbar nach seiner Ernennung zum Premierminister im Unterhaus und stellte damit, formelprägend, jene beiden Hauptcharakteristika eines demokratischen Politikers unter Beweis, deren Namen Wahrheitsliebe und Prägnanz, Ehrlichkeit und sentenziöse Bannkraft sind.
Während der Diktator in Berlin seinem Volk in hochtrabender, klischeebestimmter Rede ein goldenes Zeitalter versprach und noch in den finstersten Stunden die aufgehende Sonne beschwor, sprach Churchill von Elend, Bitternis und Not … und dies in einer Sentenz,
deren Struktur verrät, wie lange der Redner an ihr gearbeitet hatte: vier einsilbige Wörter, die beiden Binnenbegriffe durch den Stabreim verbunden, toils and tears, die Außenglieder in einer scheinbar simplen, in Wahrheit von Raffinement und Kalkül bestimmten Technik aufeinander bezogen.
Blood and sweat, derart zusammengefügt, daß hinter den Nomina das Verbum to sweat blood hindurchschien: Blut und Wasser
schwitzen, sich abrackern bis zur Erschöpfung. Pathos verbindet sich mit Prägnanz; die Formel bringt die Wahrheit durch das Stakkato jener blitzartig erhellenden Zuordnungen auf den Begriff, die Eleganz und Überzeugungskraft klassischer Parlamentsberedsamkeit definiert.
Wahrheitsliebe, gepaart mit Spiritualität: So nimmt sich das Ideal jener demokratischen Beredsamkeit aus, wie sie, mit der ihm eigenen pathetischen Kargheit, Winston Churchill und, in ganz anderer Weise, Franklin Delano Roosevelt praktizierten – Roosevelt, der am Tag der Invasion, statt der Diktatoren eigenen martialischen Rhetorik, ein Gebet sprach, in dessen Zentrum die Überlegung stand, mit welchen Opfern der bevorstehende Kampf gegen das Deutschland Hitlers verknüpft sei. Viele, so Roosevelt, würden nicht mehr nach Hause zurückkehren, am Ende des Krieges – Gott möge ihnen gnädig sein. Mochte der eine, Churchill, das Parlament zu (übrigens genau und kühl vorausberechneten) Ovationen hinreißen und der andere, Roosevelt, im You-and-I-Plauderstil der Kaminansprachen den Mann auf der Straße zu überzeugen suchen: Beide, so fremd sie einander am Ende gegenüberstanden, hatten eins gemeinsam – die Überzeugung, daß die drei Worte Demokratie, Wahrhaftigkeit und Redekunst zusammengehörten.
Während Diktatoren die Wahrheit schminken und Beredsamkeit durch eine Agitation ersetzen, die, statt Argumente vorzutragen, auf die Macht, die Pistole, die Garrotte verweist, zeigt demokratische Beredsamkeit die Ambivalenz der Probleme, verdeutlicht das Dunkel, das neben dem Licht ist, und verweist auf die Kosten der Siege: Viele werden sterben, und in unzähligen Familien wird geweint werden, am Tag, da die Kirchenglocken zum Siegesfest läuten. […]
Die Wahrheit also – und zwar ungeschminkt – zu benennen, ist erste Pflicht der parlamentarischen Redner. Die zweite Aufgabe aber heißt: Für die Wahrheit Worte zu finden, klare Benennungen, präzise, aber gleichwohl phantasiebestimmte Formeln, individuelle Antworten, eigenständige Sentenzen, witzige Allegorien, geistreiche Aphorismen, Maximen, Lyrismen, Sentenzen … was immer: wenn nur endlich Schluß mit jenem basic German ist, dem lumpigen Verschnitt, der dazu herhalten muß, die Provokationen vonseiten der Außenwelt zu nivellieren. […]
Winston Churchill: Der bedeutende britische Staatsmann (1874–1965) war zweimal Premierminister (1940 –1945 und 1951–1955) und führte Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg.
Stakkato: Die Bezeichnung für einen musikalischen Vortrag, bei dem die Töne kurz und abgesetzt voneinander gespielt werden, wird hier übertragen gebraucht.
Franklin Delano Roosevelt (1882 –1945): von 1933 bis 1945 der 32. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
Invasion: Landung alliierter Truppen in der Normandie am 6. Juni 1944
Garrotte: Folter- und Hinrichtungsinstrument
nivellieren: Unterschiede durch Ausgleichung aufheben
Lösung Aufgabe 3: materialgestütztes Verfassen eines argumentierenden Textes
Überschrift: Politische Rhetorik – Ein Mittel zur Manipulation oder zur Überzeugung?
In der heutigen Zeit, in der politische Debatten und Kommunikation allgegenwärtig sind, spielt die Rhetorik eine zentrale Rolle. Der Einsatz von Sprache zur Beeinflussung von Meinungen und zur Gestaltung der öffentlichen Wahrnehmung ist von großer Bedeutung. Die Frage, ob politische Rhetorik lediglich ein Mittel zur Manipulation ist oder auch zur Überzeugung dienen kann, ist daher äußerst relevant.
Die Ursprünge der Rhetorik
Blicken wir auf die Geschichte, so finden wir die Anfänge der Rhetorik in der Antike, insbesondere im Bereich der Gerichtsverhandlungen. Hier wurde erstmals erkannt, wie wichtig der geschickte Umgang mit Argumenten und Sprache ist, um eine Anklage oder Verteidigung erfolgreich durchzuführen. Die Bedeutung von Aufmerksamkeit, Emotionalität und überzeugender Argumentation wurde schnell erkannt und fand auch in der politischen Kommunikation Anwendung.
Die griechischen und römischen Kulturen entwickelten Lehrbücher zur Rhetorik, die bis heute Einfluss auf die Kunst der Überzeugung haben. Die Regeln und Techniken, die in der Antike entstanden sind, sind nach wie vor relevant und werden in der modernen politischen Kommunikation genutzt.
Die Macht der Rhetorik
Aristoteles formulierte die drei Säulen der Rhetorik: Ethos, Logos und Pathos. Ethos bezieht sich auf die Glaubwürdigkeit des Redners, Logos auf die Stärke seiner Argumente und Pathos auf die Fähigkeit, Emotionen beim Publikum zu wecken. Rhetorik galt als die Kunst der Überzeugung, nicht der Überredung. Es wurde erkannt, dass die Macht der Gefühle eine ebenso wichtige Rolle spielt wie die Logik der Argumente.
Die Kunst der Rhetorik ist bis heute relevant und wird von politischen Rednern genutzt, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu gewinnen und ihre Meinungen zu beeinflussen. Doch hier stellt sich die Frage: Ist diese Macht der Rhetorik nur ein Werkzeug zur Manipulation?
Die Ambivalenz der Rhetorik
Die Geschichte zeigt, dass Rhetorik nicht nur für noble Zwecke genutzt wurde. Während die antiken Griechen und Römer die Kunst der Überzeugung in einer demokratischen Gesellschaft kultivierten, missbrauchten die Nationalsozialisten sie für ihre Propaganda. Die Rhetorik wurde zur Waffe, um Menschen zu manipulieren und zu täuschen.
Diese Ambivalenz der Rhetorik war schon in der Antike bekannt. Platon kritisierte die machtbewusste Rhetorik als Schmeichelei und warnte vor der Gefahr der Demagogie. Die Fähigkeit, die Wahrheit zu verschönern und die Masse zu beeinflussen, wurde als gefährlich erkannt.
Selbstbewusste Redner wie Otto von Bismarck und Immanuel Kant lehnten die Rhetorik ab. Sie sahen sie als eine "hinterlistige Kunst", die dazu dient, die Wahrheit zu verschleiern und die Massen zu verführen. Doch die Rhetorik blieb trotz solcher Kritik ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung von Eliten und fand auch in der politischen Praxis Anwendung.
Die Reinigung der Rhetorik
Die nationalsozialistische Propaganda in Deutschland diskreditierte die Rhetorik und machte sie zum Synonym für Manipulation und Verführung der Massen. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde versucht, die Rhetorik von diesem Makel zu befreien. Akademiker wie Walter Jens und Dietmar Till arbeiteten daran, die Rhetorik zu reinigen und ihre ethische Anwendung zu fördern.
Dietmar Till betont den Unterschied zwischen Propaganda und Rhetorik. Während Propaganda nach Totalität strebt und Meinungen dominieren möchte, stellt die Rhetorik das Argument in den Mittelpunkt. Dennoch gibt es einen Graubereich zwischen Überredung und Überzeugung, in dem sich die meisten alltäglichen Kommunikationen abspielen.
Die Verantwortung der politischen Redner
In der politischen Kommunikation ist es entscheidend, die Wahrheit klar und ungeschminkt zu benennen. Politische Redner sollten sich nicht auf Manipulation und Täuschung stützen, sondern auf die Kraft der Argumente und die Überzeugungskraft der Rhetorik. Die Kunst besteht darin, für die Wahrheit geeignete Worte zu finden, die das Publikum ansprechen und überzeugen.
Politische Rhetorik kann sowohl zur Manipulation als auch zur Überzeugung dienen. Es liegt an den Rednern, welche Seite sie wählen. Die Geschichte zeigt, dass die Macht der Rhetorik für noble Zwecke genutzt werden kann, um die Wahrheit zu fördern und die Demokratie zu stärken. Doch sie kann auch missbraucht werden, um die Massen zu täuschen und die Freiheit zu gefährden.
In einer demokratischen Gesellschaft sollten politische Redner die Verantwortung tragen, die Wahrheit zu verteidigen und für sie zu sprechen. Die Kunst der Rhetorik sollte dazu genutzt werden, die Überzeugungskraft der Argumente zu steigern, anstatt die Manipulation der Massen zu fördern. Politische Rhetorik ist ein mächtiges Werkzeug, und es liegt an uns, wie wir es einsetzen.
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