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Abiturprüfung Bayern 2023 Aufgabe 1: Interpretieren eines literarischen Textes
ca. 70%
b) Zeigen Sie ausgehend von Ihren Ergebnissen vergleichend auf, wie die Wirkung eines verfallenden Gebäudes auf den Betrachter in Annette von Droste-Hülshoffs Gedicht und im Gedicht von Rainer Maria Rilke gestaltet wird! Berücksichtigen Sie dabei inhaltliche sowie sprachliche und formale Aspekte!
ca. 30%
M1: Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) – Das alte Schloß
(entstanden 1841/42; Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechend der Textquelle)
Auf der Burg haus' ich am Berge, Unter mir der blaue See, Höre nächtlich Koboldzwerge, Täglich Adler aus der Höh', 5 Und die grauen Ahnenbilder Sind mir Stubenkameraden, Wappentruh' und Eisenschilder Sofa mir und Kleiderladen.
Schreit' ich über die Terrasse 10 Wie ein Geist am Runenstein, Sehe unter mir die blasse Alte Stadt im Mondenschein, Und am Walle' pfeift es weidlich, — Sind es Käuze oder Knaben? — 15 Ist mir selber oft nicht deutlich, Ob ich lebend, ob begraben.
Mir genüber gähnt die Halle, Grauen Tores, hohl und lang, Drin mit wunderlichem Schalle20 Langsam dröhnt ein schwerer Gang; Mir zur Seite Riegelzüge, Ha, ich öffne, laß die Lampe Scheinen auf der Wendelstiege' Lose modergrüne Rampe,
25 Die mich lockt wie ein Verhängnis, Zu dem unbekannten Grund; Ob ein Brunnen? ob Gefängnis? Keinem Lebenden ist's kund; Denn zerfallen sind die Stufen,30 Und der Steinwurf hat nicht Bahn, Doch als ich hinab gerufen, Donnert's fort wie ein Orkan.
Ja, wird mir nicht baldigst fade Dieses Schlosses Romantik,35 In den Trümmern ohne Gnade
Brech' ich Glieder und Genick; Denn, wie trotzig sich die Düne Mag am flachen Strande heben, Fühl' ich stark mich wie ein Hüne',40 Von Zerfallendem umgeben.
Runenstein: Aufrecht stehende und mit Runenzeichen versehene Steine in Nordeuropa. Sie dienen als Gedenksteine für Gefallene oder Verstorbene sowie als Denkmäler für eigene Leistungen.
am Walle: am Burgwall, an der Burgmauer
weidlich: ausgiebig, kräftig, reichlich
genüber: Abkürzung für gegenüber
Riegelzug: Vorrichtung, um Türriegel zu bewegen
Wendelstiege: Wendeltreppe; Treppe, die schraubenförmig nach oben bzw. unten verläuft
Bahn: Flugbahn. Ein Stein kann wegen der Wendeltreppe nicht gerade in die Tiefe fallen.
Hüne: übermenschlich großes und starkes Wesen, Riese
M2: Rainer Maria Rilke (1875-1926) – Ist ein Schloß...
(entstanden in letzter Fassung 1909; Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechend der Textquelle; Gedicht in der ursprünglichen Form ohne Titel)
Ist ein Schloß. Das vergehende Wappen über dem Tor. Wipfel wachsen wie flehende Hände höher davor.
5 In das langsam versinkende Fenster stieg eine blinkende blaue Blume zur Schau.
Keine weinende Frau — sie ist die letzte Winkende 10 in dem gebrochenen Bau.
Bayern: Lösungsweg Teilaufgabe 1 von 2: Interpretieren eines Gedichts
Einleitung: Interpretation
Das Gedicht "Das alte Schloß" von Annette von Droste-Hülshoff stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist der Epoche der Romantik zuzuordnen. Die Epoche der Romantik zeichnet sich durch ihre Betonung von Gefühlen, Naturverbundenheit und Sehnsucht nach dem Unerreichbaren aus. Diese Merkmale spiegeln sich auch im vorliegenden Gedicht wider. Der Blick auf ein verfallendes Gebäude, das Schloss auf dem Berg, ruft eine Vielzahl von Emotionen hervor und wirft existenzielle Fragen auf. In diesem Gedicht wird das Motiv des verfallenden Gebäudes genutzt, um tiefgründige Gedanken über die menschliche Existenz und Vergänglichkeit zu vermitteln.
Um eine Einleitung möglichst spannend zu gestalten, sollten die zentralen Textinformationen (Autor, Erscheinungsjahr, Textgattung und Titel) passend zum Kontext eingebettet werden. Wenn Du über Kenntnisse zur Epoche verfügst, kannst Du sie in Deiner Einleitung unterbringen.
Achtung: Es sollten keine voreiligen Schlüsse über die Intention des Autors oder die Deutung des Gedichts aufgrund der epochalen Einordnung gezogen werden, weil Du diese erst im Laufe der Interpretation erarbeitest.
Hauptteil: Thema und Aufbau
Das Gedicht "Das alte Schloß" von Annette von Droste-Hülshoff zeichnet sich durch seine fein strukturierte Gliederung und seine thematischen Umschwünge aus, die das Verhältnis des lyrischen Ichs zu dem verfallenden Schloss und zur eigenen Existenz subtil beleuchten.
Die erste Strophe etabliert den Schauplatz: Die Burg am Berge, umgeben von einem blauen See, wird als ein Ort der Einsamkeit und Mysterien vorgestellt. Das lyrische Ich berichtet von nächtlichen Begegnungen mit Koboldzwergen und täglichen Sichtungen von Adlern. Diese mystischen Elemente spiegeln die romantische Vorstellung einer Welt voller Geheimnisse und Übersinnlichem wider. Zugleich fungieren die grauen Ahnenbilder als unheimliche Stubenkameraden des lyrischen Ichs, was die ambivalente Atmosphäre verstärkt. Die Burg selbst wird als multifunktionaler Raum dargestellt: Wappentruh', Eisenschilder, Sofa und Kleiderladen zeigen, wie die Vergangenheit und das Alltägliche auf ungewöhnliche Weise in diesem verfallenden Schloss miteinander verknüpft sind.
Mit dem Übergang zur zweiten Strophe erleben wir einen thematischen Umschwung. Das lyrische Ich tritt auf die Terrasse und wird zu einem "Geist am Runenstein". Dieser Vers signalisiert eine Verschiebung von der beschreibenden Darstellung hin zur persönlichen Erfahrung des lyrischen Ichs. Der Blick auf die Stadt im Mondenschein erzeugt eine melancholische Stimmung, da die Stadt als blass und verlassen beschrieben wird. Die Unsicherheit, ob das Ich "lebend oder begraben" ist, verweist auf die existenzielle Verwirrung und die Suche nach Identität.
Die dritte Strophe führt uns weiter in das Innere der Burg. Das lyrische Ich öffnet die Halle, die als graues Tor beschrieben wird, und der Klang des schweren Gangs erfüllt den Raum. Hier findet ein thematischer Kontrast statt: Die Ruhe und Ordnung der ersten Strophe weichen einer unheimlichen und ungewissen Atmosphäre. Die Riegelzüge und die Wendelstiege, die das lyrische Ich betritt, symbolisieren den Übergang in eine unbekannte Welt, in der es sich verloren fühlt. Die Wendelstiege als "lose modergrüne Rampe" vermittelt die Vorstellung eines Abstiegs in die Vergangenheit oder das Unbewusste.
Der letzte Abschnitt des Gedichts betont die Stärke des lyrischen Ichs inmitten des Verfalls. Die Naturmetapher der trotzig sich erhebenden Düne am flachen Strande verleiht dem Ich eine gewisse Entschlossenheit. Es fühlt sich stark und groß ("stark mich wie ein Hüne'"), obwohl es von Zerfall und Unsicherheit umgeben ist.
Wenn Du die Handlung des Gedichts wiedergibst, solltest Du vor allem eine inhaltliche Gliederung vornehmen, in denen Du thematische Zusammenhänge erkennst und sie differenzierst. Indizien für solche Sinnabschnitte sind zum Beispiel Gedankengänge, Satzzeichen, Zeitformen und gedankengliedernde Worte.
In "Das alte Schloß" von Annette von Droste-Hülshoff wird das Motiv des verfallenden Gebäudes genutzt, um die existenzielle Verwirrung und die Suche nach Identität des lyrischen Ichs zu vermitteln. Die Gliederung des Gedichts in Strophen spiegelt die narrative Struktur wider und unterstreicht die thematischen Umschwünge von der äußeren Beschreibung der Burg zur inneren Konfrontation des Ichs mit seiner Existenz.
Die Kontraste zwischen Mystik und Alltäglichkeit, Ruhe und Unruhe, sowie Vergangenheit und Gegenwart, betonen die Komplexität der menschlichen Psyche und des Lebens selbst. Die poetische Sprache mit ihren metaphorischen Elementen und der starken Naturverbundenheit unterstreicht die Romantik als Epoche der Sehnsucht nach dem Unerreichbaren und dem Mysteriösen.
In diesem Gedicht spiegelt sich eine zutiefst romantische Auseinandersetzung mit der Welt wider, die durch die Vielschichtigkeit der Motive, die subtile Struktur und die poetische Sprache zum Ausdruck kommt. Das Gedicht eröffnet Raum für verschiedene Interpretationen und lädt dazu ein, über die eigene Existenz und die Vergänglichkeit nachzudenken.
Wenn Du das Gedicht bereits auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene untersucht hast, kannst Du Dich nun dem eigentlichen Interpretieren widmen. Da das Hauptaugenmerk auf diesem Teil der Arbeit liegen soll, ist es erforderlich, mehrere Deutungsansätze aspektorientiert zu erläutern. Die poetische Sprache ist beispielsweise ein solcher Aspekt, der im Zusammenhang mit der Interpretation betrachtet werden kann.
Schluss: Interpretationsergebnisse
In der vorliegenden Interpretation von Annette von Droste-Hülshoffs Gedicht "Das alte Schloß" wird deutlich, wie geschickt die Autorin die Romantik als Epoche der Gefühle, Naturverbundenheit und Sehnsucht nach dem Unerreichbaren nutzt, um die Wirkung eines verfallenden Gebäudes auf den Betrachter darzustellen.
Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung einer mystischen Burglandschaft, die von Koboldzwergen und Adlern bevölkert ist, und endet mit der starken Präsenz des lyrischen Ichs inmitten des Verfalls. Dieser Weg führt von der äußeren Welt in die innere Welt des Ichs und spiegelt die romantisches Sehnsucht nach einer tiefen, persönlichen Verbindung zur Umgebung wider.
Die Gliederung des Gedichts, die thematischen Umschwünge und Kontraste sowie die poetische Sprache sind effektive Mittel, um die komplexe menschliche Psyche und die Suche nach Identität und Sinn darzustellen. Die Beschreibung der Burg als Ort der Vergangenheit und der Mysterien vermittelt die Idee, dass die menschliche Existenz von Fragen und Unsicherheiten geprägt ist.
Zusammenfassend zeigt "Das alte Schloß" von Annette von Droste-Hülshoff, wie ein verfallendes Gebäude nicht nur äußerliche Veränderungen symbolisiert, sondern auch eine innere Reise des Betrachters auslösen kann. Dieses Gedicht bleibt ein eindrucksvolles Beispiel für die romantische Poesie und ihre Fähigkeit, tiefgründige Reflexionen über die menschliche Existenz anzuregen.
Zum Schluss der Arbeit solltest Du Deine Erkenntnisse kurz und knapp darstellen. Achtung: Es dürfen keine neuen Informationen oder Interpretationsansätze eingebracht werden. Auch Deine eigene Meinung sollte hier nicht thematisiert werden, weil es die Aufgabenstellung nicht konkret verlangt.
Bayern: Lösungsweg Teilaufgabe 2 von 2: Interpretieren eines Gedichts
Einleitung: Überleitung
Die beiden Gedichte "Das alte Schloß" von Annette von Droste-Hülshoff und "Ist ein Schloß" von Rainer Maria Rilke aus dem Jahr 1909 thematisieren auf unterschiedliche Weisen die Wirkung eines verfallenden Gebäudes auf den Betrachter. Während Annette von Droste-Hülshoff die Innensicht des lyrischen Ichs betont und die emotionale Bindung des Betrachters an das Gebäude hervorhebt, fokussiert sich Rilke auf die äußere Erscheinung des Verfalls und die Suche nach Schönheit inmitten der Zerstörung. In dieser vergleichenden Analyse werden inhaltliche, sprachliche und formale Aspekte beider Gedichte beleuchtet.
Wenn Dir ein konkreter Vergleichsaspekt, wie in diesem Fall die Gestaltung der Trauer, gegeben wird, kannst Du ihn auch als überleitenden Inhalt verwenden. Achte unbedingt darauf, alle wichtigen Textinformationen in den Überleitungssatz einzubetten (Titel, Autor, Textgattung und Erscheinungsjahr).
Hauptteil: Vergleich der beiden Gedichte
Das Gedicht "Das alte Schloß" von Annette von Droste-Hülshoff präsentiert die Wirkung des verfallenden Schlosses durch die Augen des lyrischen Ichs. Die Burg wird als ein Ort voller Mysterien und Vergangenheit dargestellt, der eine emotionale Bindung und Ambivalenz beim Betrachter auslöst. Die Themen der Einsamkeit, der Suche nach Identität und der existenziellen Unsicherheit stehen im Vordergrund. Die Innenperspektive des Ichs betont die subjektive Erfahrung und die emotionale Tiefe.
Rainer Maria Rilkes Gedicht "Ist ein Schloß" hingegen fokussiert sich auf die äußere Erscheinung des verfallenden Schlosses. Der Betrachter wird mit einem Bild des vergehenden Wappens und eines gebrochenen Baus konfrontiert. Das Gedicht zeichnet sich durch eine visuelle Darstellung des Verfalls aus. Die Beschreibung des versinkenden Fensters und der blauen Blume betont die Suche nach Schönheit inmitten der Zerstörung.
In Droste-Hülshoffs Gedicht werden poetische Mittel wie Metaphern und Personifikationen eingesetzt, um die Burg lebendig erscheinen zu lassen. Die Verwendung von Begriffen wie "Koboldzwerge" und "Adler" verleiht der Burg eine mystische Aura. Die poetische Sprache spiegelt die Romantik als Epoche der Gefühle und Naturverbundenheit wider.
In Rilkes Gedicht liegt der Fokus auf bildhafter Sprache, die visuelle Eindrücke hervorruft. Die "blaue Blume" und das "versinkende Fenster" sind starke Bilder, die die äußere Wahrnehmung betonen. Die Sprache ist nüchterner und objektiver, was die Betonung der äußeren Erscheinung des Gebäudes unterstreicht.
"Das alte Schloß" von Droste-Hülshoff ist in vierzeiligen Strophen verfasst und hat ein regelmäßiges Versmaß. Diese Struktur vermittelt eine gewisse Ordnung und Harmonie, die im Kontrast zur inneren Unruhe des lyrischen Ichs steht. Die narrative Struktur führt den Leser von der äußeren Beschreibung der Burg zur inneren Reflexion des Ichs.
"Ist ein Schloß" von Rilke ist in zwei Strophen unterteilt. Die klare Struktur und der kraftvolle Gebrauch von Metaphern vermitteln eine visuelle und ästhetische Erfahrung. Die Konzentration auf die äußere Darstellung des Verfalls steht im Gegensatz zur inneren Reflexion des lyrischen Ichs in Droste-Hülshoffs Gedicht.
Wenn Dir in den Vergleichswerken gleiche Verhaltensweisen auffallen, die für jeweils unterschiedliche Emotionen stehen, kannst Du diese miteinander vergleichen. Solche Besonderheiten können dabei helfen, den Inhalt besser zu verstehen und weitere Reize für Vergleichsaspekte zu liefern.
Schluss: Zusammenfassung des Vergleichs
Zusammenfassend verdeutlichen die Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff und Rainer Maria Rilke auf unterschiedliche Weisen die Wirkung eines verfallenden Gebäudes auf den Betrachter. Droste-Hülshoffs Gedicht betont die emotionale Bindung und die innere Reise des Ichs, während Rilkes Gedicht die äußere Erscheinung des Verfalls und die Suche nach ästhetischer Schönheit betont. Beide Gedichte sind Meisterwerke der jeweiligen Dichter und illustrieren auf eindrucksvolle Weise die Vielfalt und Tiefe der poetischen Ausdrucksmöglichkeiten in der Literatur.
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