Gendrift – Definition & Ursachen
Bei Naturkatastrophen, wie Vulkanausbrüchen oder Überschwemmungen, kommt es in Populationen oft zu einer Gendrift.
Als Gendrift (oder auch genetische Drift) bezeichnet man die zufällige Veränderung der Häufigkeit eines bestimmten Allels (= Genvariante) innerhalb des Genpools einer Population.
Ein Gendrift bewirkt also die zufällige Verminderung oder Steigerung bestimmter Allele in einem Genpool.
Der Genpool bildet die Gesamtheit der genetischen Information einer bestimmten Population. Dabei kommt jedes Gen in verschiedenen Varianten, also Allelen (z. B. Augenfarbe, Fellfarbe) unterschiedlich häufig vor. Dies wird als Allelhäufigkeit oder Allelfrequenz bezeichnet.
Die Gendrift hat besonders große Auswirkungen auf kleine Populationen. Bestimmte Allele können hier viel schneller aus dem Genpool verschwinden.
Der Flaschenhalseffekt
Der Flaschenhalseffekt ist eine Sonderform der Gendrift. Hierbei kommt es zu einer plötzlichen und drastischen Verkleinerung einer bestimmten Population. Die Ursachen hierfür sind Katastrophen, wie z. B. Seuchen, Vulkanausbrüche, Dürren, Überschwemmungen oder auch vom Menschen verursachte Luft- und Umweltverschmutzungen.
Ablauf des Flaschenhalseffektes – Einfach erklärt
Wenn eine solche Katastrophe eintritt, überlebt zufällig nur ein winziger Teil der Ausgangspopulation. Das Verschwinden vieler Individuen einer Population wirkt sich besonders stark auf den Genpool aus. Wenn zuvor noch viele verschiedene Allele (z. B. Augenfarben: Blau, Braun, Gelb, Grün) vorhanden waren, so ist die Allelvielfalt (und damit auch die genetische Variabilität) nach einer Katastrophe deutlich verringert (z. B. Augenfarben: Braun, selten Grün).
Abbildung 1: Veranschaulichung des FlaschenhalseffektesQuelle: cleverpedia.de
Bestimmte Allele bleiben also zufällig erhalten, während andere (wegen der Auslöschung der Individuen, die dieses Allel trugen) kaum noch auftreten oder sogar ganz aus dem Genpool verschwinden. Allele, die bereits im Genpool der Ausgangspopulation nur selten vorkamen, haben dabei eine höhere Wahrscheinlichkeit, gänzlich aus dem Genpool zu verschwinden. Insgesamt verändert sich die Allelhäufigkeit durch die Gendrift sehr stark. Die Gendrift führt somit zu einer starken Verringerung der genetischen Variabilität, auch bezeichnet als genetischer Flaschenhals.
Flaschenhalseffekt Folgen
Bei einem verkleinerten Genpool können einige Probleme auftreten. In stark minimierten Population erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Inzucht.
Inzucht bezeichnet die Verpaarung zweier Individuen, die relativ nahe Blutsverwandte sind.
Dabei ist der für den Nachwuchs zur Verfügung stehende Genpool noch weiter eingeschränkt und ungünstige oder krankheitsauslösende genetische Anlagen können nicht oder nur bedingt mit “gesunden” Allelen ausgeglichen werden. Es ist außerdem möglich, dass die Population nun deutlich anfälliger für bestimmte Krankheiten ist und eine geringere Resistenz aufweist. Dies liegt daran, dass Allele, die zuvor vorteilhaft waren und die Individuen schützten, durch die Katastrophe verloren gegangen sein könnten oder nur noch eine sehr geringe Allelhäufigkeit aufweisen.
Besonders gefährlich ist der Gendrift in Form des Flaschenhalseffektes bei bedrohten Tier- und Pflanzenarten – Ein Gendrift kann schnell das Aussterben dieser Art bedeuten.
Um dir die Auswirkungen des Flaschenhalseffektes besser vor Augen zu führen, kannst Du Dir folgendes Beispiel anschauen.
Die große Ausgangspopulation besteht aus einer Vogelart mit den fünf Federfarben: Braun, Blau, Orange, Rosa und Grün. Dabei hat Braun eine besonders hohe und Grün eine besonders niedrige Allelhäufigkeit innerhalb des Genpools.
Aufgrund eines Vulkanausbruchs und den damit verbundenen Luftverschmutzungen sterben viele der Vögel und es überlebt nur ein geringer Teil der Population.
Abbildung 2: Flaschenhalseffekt am Beispiel der Vögel
Durch die Katastrophe haben einige Vögel mit brauner Federfarbe und nur sehr wenige mit blauer, oranger und rosa Federfarbe überlebt. Da Braun zuvor bereits die häufigste Farbe war, kommt sie nun in der kleinen Population erneut am meisten vor. Dabei handelt es sich jedoch um Zufall, denn auch Braun hätte kaum bis gar nicht mehr vorkommen können – es war lediglich wahrscheinlicher, dass Braun trotz der Gendrifts bestehen bleibt, da es im Genpool der Ausgangspopulation eine hohe Allelfrequenz hatte.
In der neuen Population kommt die Farbe Grün nicht mehr vor. Bei dem Vulkanausbruch sind also alle Individuen, die das entsprechende Allel trugen, ausgestorben. Da Grün im Genpool der Ursprungspopulation bereits eine nur sehr niedrige Allelfrequenz hatte, war es wahrscheinlich, dass es im Falle einer Katastrophe verloren gehen würde.
Die durch den Vulkanausbruch verursachte Gendrift bewirkte eine starke Verkleinerung der Vogelpopulation und verringerte deren genetische Variabilität: Ein Großteil der Population hat braune Federn, während nur wenige blaue, orange oder rosa Federn haben. Die grüne Federfarbe ist vollständig verloren gegangen.
Der Gründereffekt
Der Gründereffekt ist eine weitere Sonderform der Gendrift. Die Ausgangssituation des Gründereffekts ist ähnlich der des Flaschenhalseffektes, jedoch gibt es keine drastische Verkleinerung der Ausgangspopulation. Der Gendrift entsteht hierbei durch die Isolation weniger Individuen von der Population, weil sie neuen Lebensraum besiedeln – Sie gründen eine neue Population.
Ablauf Gründereffekt – Einfach erklärt
Die Trennung weniger Individuen von einer größeren Population kann sich auf verschiedenen Wegen zutragen. Einige Beispiele sind:
- Die Verschiebung von tektonischen Platten teilt eine Population.
- Meerestiere werden durch Strömungen in andere Lebensräume gebracht.
- Über Schiffe werden Tiere auf andere Kontinente gebracht, auf denen sie zuvor noch nicht vorkamen.
- Vögel werden durch einen Sturm auf eine unbesiedelte Insel geweht (Beispiel: Darwinfinken).
Durch die Isolation weniger Individuen entsteht eine neue, kleinere Population: die Gründerpopulation. Dabei ist es Zufall, welche Individuen mit welchen Allelen isoliert werden und danach den Genpool der neuen Population bilden.
Abbildung 3: Veranschaulichung des Gründereffekts
Der Genpool ist somit deutlich kleiner und oft auch weniger vielfältig als der Genpool der Ausgangspopulation, da nicht jeweils ein Individuum pro unterschiedlichem Allel für die Gründerpopulation “ausgewählt” wird. Dabei kann es vorkommen, dass einige Allele, die in der Ausgangspopulation vertreten sind, in der Gründerpopulation nicht mehr zu finden sind.
Folgen des Gründereffekts
Die Gendrift in Form des Gründereffekts bewirkt somit einen winzigen Genpool in der Gründerpopulation. Im Gegensatz zur Ursprungspopulation besteht eine deutlich geringere genetische Variabilität. Auch in dieser Situation bestehen Probleme wie Inzucht und geringe Krankheitsresistenz.
Ein Unterschied hingegen ist, dass durch einen Gendrift in Form des Gründereffekts keine Tier- oder Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Da die Gründerpopulation sich unabhängig zur restlichen Ursprungspopulation entwickeln kann (weil kein Genaustausch/Genfluss mehr zwischen den beiden Populationen besteht), ist es möglich, dass sie sich mit der Zeit stark voneinander unterscheiden, bis eine neue Art entsteht.
Gründereffekt Beispiele
Ein Beispiel für die Artbildung durch den Gründereffekt sind die Darwinfinken auf den Galapagosinseln.
Bei den Darwinfinken handelt es sich um eine große Population von Finken, die aus einer kleinen Gründerpopulation entstand. Vor etwa 3 Mio. Jahren sind einige Bodenfinken aus Ecuador von ihrer Ausgangspopulation getrennt worden und durch einen Sturm auf die unbesiedelten Galapagosinseln gelangt. Dort stellten sie die Gründerpopulation dar. Der Genpool der Finken auf der Insel war deutlich kleiner, als bei den auf Ecuador lebenden Finken.
Mit der Zeit entwickelten sich verschiedene Merkmale zwischen den Vögeln, da sie unterschiedliche ökologische Nischen belegten. Sie gruppierten sich in Teilpopulationen und entwickelten sich unabhängig von ihrer Ausgangspopulation in Ecuador. Diese Entwicklung schritt so lange fort, bis aus den Teilpopulationen verschiedene Arten entstanden sind.
Abbildung 4: Darwinfinkenarten auf den Galapagos-InselnQuelle: hoffmeister.it
So ist aus der Gründerpopulation, bestehend aus nur einer Finkenart, eine 14 Finkenarten umfassende Population entstanden. Die Gendrift hat hier bei der Artentstehung und Artenvielfalt mitgewirkt.
Bedeutung Gendrift für Evolution
Häufig bewirkt die Gendrift eine Verkleinerung des Genpools. Im Falle des Flaschenhalseffektes und des Gründereffekts verkleinert sich der Genpool drastisch, wodurch die betroffene Population einen deutlichen Selektionsnachteil hat. Es ist bei schwankenden Umweltbedingungen unwahrscheinlicher, dass passende Allele auftreten, die günstig für die neuen Bedingungen sind, weil es zu wenige Individuen im Genpool gibt. Dennoch kann auch eine Verminderung der genetischen Variabilität zur Artbildung beitragen.
Eine Gendrift bedeutet aber nicht immer eine Verringerung genetischer Vielfalt. Der Genpool kann auch größer werden, wenn z. B. zwei Populationen einer Art zusammentreffen und sich untereinander fortpflanzen können. Dadurch vergrößert sich der Genpool und es kommt zu einer höheren genetischen Variabilität. Das verschafft der Population einen Selektionsvorteil gegenüber anderen Arten bzw. Populationen, denn sie hat einen großen Genpool und somit viele verschiedene Allele, die passend für mögliche Umweltveränderungen sein können. Ein großer und vielfältiger Genpool bedeutet eine große Überlebenschance für die Art.
Gendrift – Das Wichtigste
- Gendrift beschreibt die zufällige Veränderung der Genhäufigkeit eines bestimmten Allels innerhalb des Genpools einer Population.
- Eine Gendrift bewirkt also eine Verminderung oder Vermehrung bestimmter Allele im Genpool.
- Die Gendrift gibt es unter anderem in zwei Formen: Flaschenhalseffekt und Gründereffekt.
- Beim Flaschenhalseffekt kommt es zu einer drastischen Reduktion der Populationsdichte durch Naturkatastrophen.
- Beim Gründereffekt entsteht zufällig eine kleine Gründerpopulation durch Auswanderung oder Isolation.
- Ein Gendrift kann Verkleinerungen und Vergrößerungen des Genpools hervorrufen.
- Dabei stellt eine Vergrößerung oft einen Selektionsvorteil dar.
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