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Auch heute sind nur rund zwei Prozent der deutschen Bevölkerung rothaarig. Die Wissenschaft zeigte später auf, dass die natürliche Rotfärbung der Haare keiner Hexerei zugrunde liegt, sondern durch das sogenannte MC1R-Gen hervorgerufen wird. Trotzdem hielten sich die Vorurteile gegenüber Rothaarigen hartnäckig.
Diesen Umstand hielt Johann Nestroy in seinem 1840 uraufgeführten Drama "Der Talisman" fest, welches auf der literarischen Vorlage "Bonaventure" von Charles Désiré Dupeut beruht. Im Zentrum der Handlung steht Titus Feuerfuchs, der aufgrund seiner naturroten Haare von seinen Mitmenschen ausgegrenzt wird und durch verschiedene Perücken in der Gesellschaft aufsteigt.
"Der Talisman" – Inhalt
Das im 19. Jahrhundert spielende Stück ist in drei Akte mit Gesangseinlagen unterteilt. Hauptschauplatz der Geschehnisse ist das Schloss der Frau Cypressenburg.
"Der Talisman" – Zusammenfassung: Akt Eins
Das Drama beginnt mit dem umherziehenden Titus Feuerfuchs, der sich einsam fühlt und kein Geld verdient. Er beschwert sich über die dumme Menschheit, weil sie Rothaarige grundlos verurteilen. Titus trifft im weiteren Verlauf auf Gänsehüterin Salome Pockerl. Sie lebt in einer Bauernsiedlung und wird genauso wie Titus aufgrund ihrer roten Haare schikaniert und ausgegrenzt. Titus berichtet von seinem Onkel, dem wohlhabenden Bierhändler Spund, der Titus wegen seiner roten Haare verstößt.
Als ein wild gewordenes Pferd sich und seinen Kutscher in Richtung eines Flusses navigiert, sieht sich Titus in der Lage, es aufzuhalten. Nach der geglückten Rettungsaktion stellt sich der Kutscher als Friseur Marquis vor. Zum Dank für Titus Einsatz schenkt er ihm eine schwarze Perücke, die Titus als glücksbringender Talisman dienen soll.
Weil die schwarze Perücke Titus echtes Haar versteckt, kann er Interesse bei der verwitweten Gärtnerin Flora Baumscheer wecken. Sie verschafft Titus eine Stelle als Gärtner am Schloss Cypressenburg und vermacht Titus die alten Klamotten ihres verstorbenen Gärtner-Gatten. Unter diesen befindet sich eine graue Perücke, die Titus vorerst aufbewahrt. Flora plant Titus zu heiraten, doch auch Constantia, die verwitwete Kammerzofe der Frau Cypressenburg, wird auf Titus aufmerksam.
"Der Talisman" – Zusammenfassung: Akt Zwei
Constantia möchte Titus dazu bewegen, die Tätigkeit als Jäger des Schlosses zu übernehmen, die einst ihr verstorbener Mann ausübte. In diesem Moment erscheint Salome, die nach Titus sucht. Sie erkennt ihn, aber verrät nicht, dass er nur eine Perücke trägt.
Friseur Marquis ist zu Besuch auf Schloss Cypressendorf. Als er Titus mit seiner langjährigen Geliebten Constantia sieht, wird er eifersüchtig und plant, Titus durch seine roten Haare bloßzustellen. Dazu entfernt er in der Nacht die Perücke von Titus Kopf. Titus wird wach und bemerkt den Perücken-Diebstahl. Er vermutet Marquis als Täter und durchwühlt die Sachen des Friseurs. Als er eine Perücke zu greifen bekommt, erkennt Titus in der Dunkelheit nicht, dass diese blond und nicht schwarz ist.
Mit seiner – nun blonden – Haarpracht erscheint Titus vor Frau Cypressenburg und bezirzt sie mit eindrucksvollen Reden. Auf die Frage hin, weshalb Constantia und Flora von einem schwarzhaarigen Titus erzählten, streitet er den Kontakt zu ihnen ab. Daraufhin sieht sich Frau Cypressenburg verpflichtet, die beiden zu entlassen.
Beim Abendessen der feinen Gesellschaft entlarvt Marquis Titus als Rothaarigen, in dem er ihm seine Perücke abnimmt. Schockiert schickt Frau Cypressenburg Titus aus dem Schloss.
"Der Talisman" – Zusammenfassung: Akt Drei
Onkel Spund ist Titus nachgereist und möchte ihm aus Sorge um den Ruf seiner Familie zur Sesshaftigkeit verhelfen. Er begegnet Salome und fragt sie nach dem Aufenthaltsort von Titus, woraufhin sie auf Schloss Cypressenburg verweist. Dort spricht sich die baldige Ankunft des Bierhändlers herum. Weil Flora und Constantia erwarten, dass Titus von seinem Onkel viel Geld bekommt, möchten sie über Titus Haarfarbe hinwegsehen und schwärmen erneut für ihn.
Titus wird wieder auf das Schloss Cypressenburg bestellt. Um sich vor den Beleidigungen der anderen zu schützen, verdeckt er sein Haar mit der grauen Perücke, die er von Flora bekommen hat. Onkel Spund wundert sich über Titus neue Haarfarbe. Titus erklärt, er sei frühzeitig ergraut, weil sich Spund nie um ihn gekümmert habe. Daraufhin will Spund ihn als Universalerben einsetzen. Frau Cypressenburg möchte Spunds Vorhaben schriftlich festhalten, weil sie sich an Titus Erbe bereichern will. Als Salome das Geschehen betritt, verlangt sie im Namen von Flora die graue Perücke zurück – und entlarvt Titus unbeabsichtigt als Rothaarigen.
Ein Universalerbe ist der alleinige Erbe des gesamten Nachlasses einer oder mehrerer Personen.
Frau Cypressenburg drängt Spund dazu, Titus trotz seiner Haarfarbe zum Universalerben zu ernennen, was Titus allerdings ablehnt. Er bittet lediglich um die Gelegenheit, ein eigenes Geschäft zu eröffnen, was Spund ihm ermöglicht. Anschließend gesteht Titus Salome seine Liebe und verkündet, dass er mit ihr so viele Kinder zeugen will, dass Rothaarige keine Minderheit mehr darstellen würden.
"Der Talisman" – Charaktere
Johann Nestroy stellt in seinem Drama Figuren vor, die sich nicht nur aufgrund ihrer Haarfarbe unterscheiden, sondern auch ihrer gesellschaftlichen Stellung.
Titus Feuerfuchs
- ist der Protagonist des Dramas
- hat rote Haare und wird deswegen verspottet und ausgegrenzt
- hat einen wohlhabenden Onkel, der ihn aber zunächst verstößt
- rettet Friseur Marquis das Leben
- schwankt zwischen Moral und dem Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg
- wird durch Witz und Charme – und seine schwarze Perücke – zum Frauenschwarm
- bekommt am Ende von seinem Onkel ein Geschäft
- verliebt sich in Salome
Salome Pockerl
- hat auch rote Haare und findet sie schön
- wird wegen ihrer Haarfarbe ausgegrenzt
- ist Gänsehüterin
- verliebt sich in Titus, weil er sie nicht wegen ihrer Haarfarbe verurteilt
- ist fair und ehrlich
- entlarvt Titus unbeabsichtigt vor seinem Onkel als Lügner
- kommt am Ende mit Titus zusammen
Constantia
- ist die Kammerzofe der Frau Cypressenburg
- ist verwitwet und war mit dem Schlossjäger vermählt
- hat Interesse, Titus zum Mann zu nehmen
- bietet Titus die Stelle als Jäger an
- ist eigentlich die Geliebte des Friseur Marquis
- denkt oberflächlich und verurteilt Titus für seine Haarfarbe
- möchte Titus dennoch zum Mann nehmen, weil sie sich Geld von seinem Onkel Spund erhofft
Onkel Spund
- ist Bierhändler
- ist der Onkel von Titus
- verabscheut Titus wegen seiner Haarfarbe
- ist oberflächlich und gierig
- möchte den Ruf der Familie retten und sucht Titus auf
- lässt sich von Frau Cypressenburg täuschen und will Titus als Universalerben einsetzen
"Der Talisman" – Analyse
In "Der Talisman" verbindet Johann Nestroy gehobene Sprache mit der des einfachen Volkes und greift bei der Darstellung der Gefühle der einzelnen Figuren auf humoristische Lieder zurück.
Aufbau
Johann Nestroy Stück ist in drei Akte eingeteilt, die sich wiederum in mehrere kurze Szenen gliedern. In der folgenden Tabelle kannst Du Dir eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse anschauen:
Akt Eins | Akt Zwei | Akt Drei |
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Das Drama "Der Talisman" gehört zu den Possen.
Als Posse wird ein Bühnenstück bezeichnet, welches sich durch Komik, witzige Zufälle und unwahrscheinliche Begebenheiten auszeichnet.
Typisch für diese Art des Dramas ist die Einbindung von Gesang, der auch in "Der Talisman" als Ventil für die Gefühle der einzelnen Personen verwendet wird.
Titus singt etwa ganz am Anfang des Dramas darüber, dass die Menschheit dumm sei, weil sie ihn wegen seiner Haarfarbe ausgrenze. Auch Salome drückt in einem Lied ihren Kummer darüber aus, dass sie geärgert werde und dass sie ihre Haare eigentlich als schön empfinde.
Zusätzlich gibt es einen Chor, der immer dann auftritt, wenn dem Publikum eine Botschaft vermittelt werden soll. So singt der Chor nach der Enthüllung Titus wahrer Haarfarbe durch Marquis ein "Lied der Gesellschaft", welches die Zuschauenden auf die Oberflächlichkeit der Menschen hinweist.
Sprache
Sprachlich orientiert sich Nestroy in "Der Talisman" an mehreren Formen: darunter die Umgangssprache, das Hochdeutsch und der Wiener Dialekt. Zudem werden teilweise sogar französische Wörter aufgegriffen, wie zum Beispiel Millefleur, was mit "Streublumen" übersetzt werden kann.
Ein weiteres Merkmal Nestroys ist das Spiel mit der Sprache. In "Der Talisman" schöpft Nestroy eigene Wörter, wie etwa Blumasch', das für einen "Blumenstrauß" steht. Außerdem verwendet Nestroy Reime, um Schlüsselzitate hervorzuheben:
Glück und Verstand gehen selten Hand in Hand.1
Auch charakteristisch für die Sprache der Figuren in "Der Talisman" sind die zahlreichen Wortkürzungen und -vermischungen, die am folgenden Zitat erkannt werden können:
Drum auf d’ Haar muß man geh’n [...] Ja die Männer hab’ns gut, hab’ns gut, hab’ns gut!1
Anzumerken sind auch die Namen der Figuren, die schon einen gewissen Hinweis auf deren Tätigkeit oder Erscheinungsbild geben. So heißt die Schlossgärtnerin Flora Baumscheer und der rothaarige Protagonist Titus Feuerfuchs.
Stil
Weil "Der Talisman" eine Posse ist, greift Nestroy auf komische Elemente zurück, um die Geschichte des Titus zu erzählen. Darunter zählen ironische Wendungen, wie der Moment, als Titus seine schwarze Perücke zurück stehlen will und im Dunkeln nach blonden Haaren greift. Oder aber als Salome Titus unbeabsichtigt vor seinem Onkel als Rothaarigen entblößt, obwohl sie am eigenen Leib erfährt, wie hinderlich ihre Haarfarbe sein kann.
"Der Talisman" – Interpretation
Keinem der höfischen Figuren ist bewusst, wie oberflächlich sie handeln: Erst wollen beispielsweise Constantia und Flora Titus zum Mann nehmen, weil sie denken, sie seien in ihn verliebt. Doch als sie die Haarfarbe ihres Schwarms erkennen, verschwinden die Gefühle für ihn und werden von Abneigung abgelöst. Später, als Onkel Spund anreist und Titus Gerüchten zufolge viel Geld von ihm erhalten soll, tauchen die Damen wieder auf und sind an einer Vermählung interessiert.
Dieses Verhalten wird nur durch den Chor und Titus durchschaut. Letzterer fasst seine Täuschungsaktion und die Reaktionen seiner Mitmenschen mit dem folgenden Zitat zusammen:
Wirklichkeit is immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit.1
In dieser Bekundung äußert Nestroy seine Kritik an der Ausgrenzung der Rothaarigen, aber auch anderer Menschen, die aufgrund von Äußerlichkeiten ausgeschlossen werden, für die sie nichts können: In dem Titus durch seine Perücken die Wirklichkeit verändert, zeigt sich die Möglichkeit auf, dass er als gleichwertiger Mensch akzeptiert werden kann.
Das ist auch an dem Gedankengut der heiratswilligen Frauen zu erkennen, die nach der Enthüllung Titus als Rothaariger empört reagieren und ihn, also die Wirklichkeit, anders bewerten. Die Wirklichkeit fungiert hier als Zeugnis, welches Titus "bescheinigt", dass nur seine Haarfarbe und die damit verbundene Oberflächlichkeit der Leute der Grund für Titus Lage sind.
Derselbe Effekt tritt auf, als sich die Damen trotz ihrer Abneigung gegenüber roten Haaren mit Titus vermählen wollen, weil sie mit dem Geld von Spund rechnen. Hier zeigt die Wirklichkeit die Möglichkeit für Flora und Constantia auf, einen vermögenden Mann zu heiraten und ein Leben im Luxus zu führen. Doch diese Möglichkeit tritt nie in Kraft, weil Titus das Geld seines Onkels ablehnt und mit Salome eine Familie gründen möchte.
"Der Talisman" – Epoche des Biedermeier
"Der Talisman" ist mit seinem Erscheinungsjahr von 1840 in den Biedermeier einzuordnen. Die Literaturepoche des Biedermeier erstreckt sich von 1815 bis 1848 und steht für das Zurückziehen der Autorinnen und Autoren in den Kreis ihrer Familie und das bürgerliche Leben.
Dramen waren entweder übermäßig melancholisch und griffen die Missstände der Zeit auf, wie zum Beispiel die Zerstörung der zuvor erkämpften Rechte des Volkes durch den Wiener Kongress 1815. Oder aber Dramen dienten dazu, den Menschen die Flucht in eine überschwänglich witzige Welt zu ermöglichen, in der sie die politischen Probleme verdrängen konnten, wie es auch in "Der Talisman" der Fall ist. Dieses Flüchten vor der Wirklichkeit begründet sich vor allem in der Angst des Volkes vor der Industrialisierung und dem Wandel der Zeit.
Johann Nestroy – "Der Talisman"
Johann Nepomuk Nestroy lebte von 1801 bis 1862 und war ein österreichischer Literat und Schauspieler. Mit seiner Arbeit am Alt-Wiener Volkstheater entstanden zahlreiche seiner bedeutendsten Werke, zu diesen zählen unter anderem "Der Talisman" (1840), "Der Erbschleicher" (1840) und "Höllenangst" (1849). Die humoristische Weise, auf die Nestroy mit den Inhalten seiner Werke umging, ist das charakteristischste Merkmal seines Schaffens, welches auch in seiner Schauspielerei zum Einsatz kam.
Der Talisman – Das Wichtigste
- "Der Talisman" ist eine 1840 uraufgeführte Posse von Johann Nestroy.
- Das Drama ist in drei Akte eingeteilt, die durch Chorgesang begleitet werden.
- Im Zentrum der Posse steht Titus Feuerfuchs, der wegen seiner roten Haare ausgegrenzt wird. Durch verschiedene Perücken gelingt es ihm, die hohe Gesellschaft für sich zu begeistern. Am Ende entflieht er dieser Gesellschaft allerdings, weil er sich in Salome verliebt.
- Sprachlich ist "Der Talisman" von Wortspielen und der Vermischung von gehobener Sprache mit Hochdeutsch und dem Wiener Dialekt geprägt.
- Stilistisch für Nestroys Bühnenstück sind die zahlreichen humoristischen Elemente, die sich durch ironische Wendungen und witzige Begebenheiten äußern.
- Nestroy kritisiert mit seinem Werk die Oberflächlichkeit der Leute, die ihre Wirklichkeit unehrlich und geblendet durch zweitrangigen Faktoren gestalten.
- Epochal ist "Der Talisman" in den Biedermeier einzuordnen, der von 1815 bis 1848 datiert wird und für die Flucht der Menschen in das bürgerliche Leben steht.
Nachweise
- Johann Nestroy (1840). Der Talisman. Reclam Verlag.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Der Talisman
Wer hat "Der Talisman" geschrieben?
Johann Nestroy.
In welcher Epoche spielt "Der Talisman"?
"Der Talisman" wurde 1840 veröffentlicht, weshalb er epochal in den Biedermeier eingeordnet werden kann.
Wann spielt "Der Talisman"?
Im 19. Jahrhundert.
Wieso lehnt Titus das Erbe seines Onkels ab?
Weil er kein Geld von jemandem erhalten will, der ihn aufgrund seiner Haarfarbe verabscheut.
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