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"Heilsarmee" nennt sich die protestantische Freikirche, die heute in 127 Ländern ihre Präsenz hat und sich im Bereich Wohltätigkeit engagiert. Gegründet wurde sie von dem Londoner William Booth, um Armen zu helfen. Im Drama "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" hat die Organisation eine ähnliche Funktion.
Das epische Theater
Das epische Theater ist eine Theaterform, in der die Handlung sowohl erzählt als auch, wie in einem Drama, von Figuren dargestellt wird. Diese Theaterform vereinigt also die Gattungen Dramatik und Epik miteinander. Sie hat außerdem das Ziel, größere gesellschaftliche Ereignisse, wie u. a. Kriege, Revolutionen und andere Katastrophen, darzustellen. Soziale Gerechtigkeit spielt ebenso häufig eine zentrale Rolle.
Entwickelt wurde das epische Theater von den deutschen Dramatikern Bertolt Brecht und Erwin Piscator.
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"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Inhaltsangabe
Im Unterschied zu anderen Dramen gibt es weder Akte noch Szenen in "Die heilige Johanna der Schlachthöfe", dafür aber Bilder, die die Ereignisse praktisch "ausmalen" sollen. Die Handlung spielt im Chicago der 1930-er Jahre. Eine Inhaltsangabe von "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" lautet wie folgt:
Bild 1 – 3
Pierpont Mauler will als einer der größten Fleischfabrikaten Chicagos seine Fleischfabriken verkaufen, als er die Prognose eines allzu tief sinkenden Preises von Fleischprodukten erhält. Der Interessent Cridle, bei dem Mauler als Grund für seinen überraschenden Rückzug aus dem Markt Mitleid mit den Tieren angibt, kann die Fabriken Maulers nur der Bedingung übernehmen, dass Mauler dessen Erzkonkurrenten Lennox beseitigt.
Als wegen unerträglicher Arbeitsbedingungen und zu niedriger Lohntarife die Mitarbeitenden etlicher Fabriken protestieren, droht diesen Fleischfabriken der Kollaps. Auch Lennox muss seine Fabriken schließen, da er der mächtigen Konkurrenz Maulers kaum standhalten kann.
Mit der Mission, dem durch die Schließung zahlreicher Fabriken Chicagos entstandene Elend der Mitarbeitenden entgegenzuwirken, ergreift die Leutnantin der Heilsarmee "Schwarze Strohhütte" Johanna Dark folgende Maßnahmen: Zusammen mit ihren Genossinnen verteilt sie Essen und predigt vor den Arbeitenden Mäßigung oder gar Aufgabe ihrer Wünsche. Trotzt allem wird die Not der Mitarbeitenden nicht weniger, sie verschärft sich sogar weiter, als nun auch die Fabriken Maulers, also des größten Fleischfabrikaten selbst, und Cridles geschlossen werden.
Mit einer naiven Hoffnung auf eine Lösung macht sich Johanna auf den Weg zu Mauler, um ein Gespräch mit ihm zu suchen. Nach der gescheiterten Verhandlung zwischen Cridle und Mauler zur Übernahme der Fleischfabriken Maulers kommt es zur Begegnung zwischen Johanna und Mauler. Nicht nur erzählt er ihr die Lüge weiter, dass er die Fabriken aus Mitleid mit den Tieren schließe, sondern beauftragt seinen Makler Sullivan Slift, Johanna auszuspionieren.
Bild 4 – 6
Um Johanna ihr Mitleid mit den Armen zu nehmen und im Gegenteil Solidarität mit den Fleischfabrikaten zu erwecken, soll Sullivan sie im Auftrag Maulers von der vermeintlichen Morallosigkeit der Arbeitenden überzeugen. Dazu zeigt er ihr das Beispiel eines Arbeiters, der sich die Kleidung eines gestorbenen Kollegen anzieht. Auf Johanna hat diese Propaganda aber kaum eine Wirkung, da sie überzeugt ist, Armut und Elend seien die Ursachen für die Unmoral unter den Arbeitenden.
Die übermäßige Lieferung von Fleischprodukten an den Markt durch Mauler führt zur dramatischen Preissenkung von Fleischprodukten, was wiederum zum massiven Stellenabbau führt. Von der Unzahl der entlassenen Arbeiterinnen und Arbeiter schockiert, kauft Mauler doch einige Mengen an Fleischprodukten zurück.
Hinter der Entscheidung Maulers, den Markt durch den Ankauf von Fleischprodukten wieder stabilisieren zu lassen, steckt in Wahrheit eine hinterhältige Marktstrategie Maulers: So will er durch sein Verhalten künstlich Nachfrage und Preise regeln. Die naive Johanna durchschaut dies nicht und glaubt, Mauler sei ein vorbildlicher Mensch, da er von den armen Viehzüchtenden Fleisch gekauft und dadurch ihre Not vermindert habe.
Bild 7 – 9
Inzwischen hat sich die finanzielle Krise so sehr verschärft, dass sich selbst die Organisation Johannas keine Mieten mehr leisten kann. Anstatt Hilfe der Fleischfabrikanten anzunehmen, ärgert sich Johanna über die ineffektiven Ankäufe Maulers. Denn die Viehzüchtenden können trotz dieser Ankäufe nicht mehr Geld erwirtschaften. Daraufhin wird Johanna von der Schwarzen Strohhütte entlassen.
Unter der Bedingung, dass Johanna die Praktiken der künstlichen An- und Verkäufe von Fleischprodukten als eine notwendige Handlung zum Überleben auf dem Markt anerkennt, kann Mauler für Johanna die Mieten ihrer Organisation finanzieren. Johanna lehnt dies jedoch ab und ihr Verhandlungen mit Mauler scheitern.
Einerseits wird Mauler dank eines neuen Zollgesetzes immer reicher und mächtiger: Er kann dank des Gesetzes den Fleischmarkt nach eigenem Gutdünken kontrollieren. Andererseits wird der Unmut gegen ihn unter seinen Mitarbeitenden immer größer. Sie planen sogar einen Generalstreik. Sie überreichen Johanna einen Brief zur Mitteilung des Streiks, den sie zu einem Arbeiterführer bringen soll.
Als Mauler von diesen Unruhen erfährt, hört er mit seiner Preismanipulation vorübergehend auf und senkt sogar Preise auf seine Fleischprodukte. Das fassen die Arbeitenden aber irrtümlicherweise als einen positiven Einfluss Johannas auf Mauler auf, sodass sie nun wie eine Heldin zelebriert wird.
Auch Johanna glaubt, dass Mauler den inzwischen wegen mangelnder Verstärkung erheblich geschwächten Streik nicht gewaltsam unterdrücken lassen würde. Daher versäumt sie es, den Brief mit dem Aufruf zum großen Generalstreik zum Arbeiterführer zu bringen. In der Zwischenzeit hat Mauler den Streik militärisch niederwalzen lassen; die Fleischfabriken hält er weiterhin geschlossen. Johanna sieht nun ein, dass der Generalstreik an ihrem Versäumnis gescheitert ist.
Bild 10 – 12
Als Mauler einen Brief von den Börsenspekulanten mit dem Rat erhält, Stellen abzubauen und seine Fabriken zusammenzulegen, setzt er diesen um. Der Schwarzen Strohhütte will er weiterhin helfen, weil er sich so das Entscheidende erhofft: Sie sollen ihn wie einen wohltätigen Helden darstellen und so für seinen guten Ruf in der Welt sorgen.
Die Nachricht über den unwirksamen Streik und die Reue über ihr Versäumnis treiben Johanna zur äußersten Verzweiflung. Sie sieht ein: Ihr Wohlwollen gegenüber den Arbeitenden hat ihnen eher geschadet, als ihrem Elend eine Abhilfe zu schaffen. Währenddessen findet ein Teil der Arbeitendentruppe eine Leiche im Schnee, die sie zunächst für Johannas hält, über ihr Missverständnis aber bald aufgeklärt wird.
Johanna wird von zwei Polizisten in das Missionshaus der Schwarzen Strohhütte getragen. Niemand will auf sie hören, als sie ihnen eine Wahrheit über die Wirtschaft mitteilen will: Die mächtigen Fleischbosse leben von der Not der Arbeitenden und der Ausweg aus diesem Elend kann nur gewaltsam erfolgen.
Das Stück endet mit einem ausgesprochen schlauen Vorgehen der Fleischbosse gegen die ihr Leben erschwerende Johanna: Sie lassen sie heiligsprechen und zu einer Märtyrerin werden. So machen sie jegliche weitere Gewaltaktion seitens Johanna unmöglich, denn als Heiliggesprochene darf sie erwartungsgemäß nie Gewalt als Methode anwenden.
Eine Märtyrerin ist eine Person, die für ihren Glauben z. B. schwerste Strapazen auf sich nehmen kann.
"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Charakterisierung
Vom Charakter her sind die Figuren in "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" recht verschieden. Das trifft noch mehr auf die Hauptfiguren Johanna und den Fabrikanten Mauler zu. Im Folgenden erfährst Du mehr über die Charaktere und erhältst eine Charakterisierung der Figuren aus "Die heilige Johanna der Schlachthöfe".
"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Personen
Die Handlung im Drama wird hauptsächlich von drei Personen weitergetrieben: von Johanna Dark, Pierpont Mauler und den Arbeitenden der Fleischfabriken. Daher werden diese im Folgenden charakterisiert.
Johanna
- ist die 25-jährige Leutnantin einer militärischen christlichen Organisation
- trägt den Nachnamen Dark, was zusammen mit dem Vornamen an eine französische Märtyrerin namens Jeanne d’Arc erinnern soll
- glaubt anfangs naiv, ihr Handeln würde die Verminderung des herrschenden Elends bewirken
- Ihr Glaube an eine moralische Besserung der Menschen erweist sich als einfältig.
- handelt unbewusst so, dass das entgegen ihrer Absicht den Reichen hilft
- ist am Ende von der Gewalt als Methode zur Gleichheit zwischen Armen und Reichen überzeugt
- scheitert an allem, was sie gegen die Reichen unternehmen will
Pierpont Mauler
- ist der Besitzer etlicher Fleischfabriken in den USA
- wird wegen der Marktbeherrschung seiner Fleischfirma als "Fleischkönig" genannt
- betreibt skrupellos Manipulation der Produktvorräte, um immer mehr Profit zu erzielen
- lässt sich als Menschenfreund darstellen, ohne seine wirtschaftliche Dominanz aufgeben zu wollen
- nutzt die Religion für seine wirtschaftlichen Zwecke aus, agiert insofern strategisch
Arbeitende der Fleischfabriken
- sind äußerst arm und hilflos der Willkür ihrer Chefs ausgeliefert
- müssen Tag und Nacht schuften
- sehen es nicht als eine effektive Hilfestellung an, dass Johanna mit ihnen immer nur Mitleid hat
- verlieren am Ende ihren Kampf gegen ihre Chefs und werden teilweise entlassen
"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Analyse
Während Brecht den Aufbau seines Dramas gerade im Widerspruch zum aristotelischen Drama gestaltet hat, hat er in sprachlicher Hinsicht mit viel Spott und Satire gearbeitet. Im Folgenden siehst Du eine Analyse von "Die heilige Johanna der Schlachthöfe".
Das Aristotelische Drama ist ein Dramenkonzept aus der griechischen Antike, nach der ein Drama u. a. die Einheit des Handlungsorts und der Handlungszeit sowie unbedingt ein geschlossenes Ende hat. Das Konzept geht auf den griechischen Philosophen Aristoteles zurück.
Analyse der Sprache
Die sprachliche Kreativität ist vielleicht das auffälligste Merkmal der textuellen Gestaltung in "Die heilige Johanna der Schlachthöfe". So sind die Figurennamen im Stück zu einem bestimmten Zweck gewählt, der Einsatz von Stilmitteln zielt auf einen für das epische Drama typischen Verfremdungseffekt ab. Selbst den sprachlichen Bezug zur Bibel hat Brecht für seine Zwecke umfunktioniert, da er die biblische Geschichte sinnvoll in den Kontext seines Dramas einbaut.
Vielsagende Namen
Brechts spielerischer Umgang mit der Sprache äußert sich am ehesten in einigen Namen der Figuren, die eine Parodie der historischen Persönlichkeiten darstellen.
Eine satirische, oft auf eine Kritik abzielende Nachahmung eines Werks, einer Handlung oder auch eines Namen stellt eine Parodie dar.
So spielt der Name "Johanna Dark" auf eine historische Persönlichkeit namens Jeanne d' Arc an. Diese gilt als Retterin Frankreichs, die im 15. Jahrhundert an etlichen Kriegen gegen England teilnahm und am Ende gefangen genommen und verbrannt wurde. Zwar handeln beide, also Jeanne und Johanna, im Namen Gottes, Johannas Nachnahme "Dark" soll jedoch auf die ewig hoffnungslose Lage anspielen, in der sie sich im Gegensatz zur beachtlich erfolgreichen Lebensgeschichte Jeanne d’Arcs befindet.
Auch der Name "Mauler" leitet sich vom englischen Verb "to maul" (dt. zerstückeln bzw. zerfleischen) ab und soll so seine geldgierige und alle Moral zersetzende Mentalität als Fleischfabrikanten unterstreichen.
Stilmittel
Unter den Stilmitteln wäre insbesondere die Metapher zu nennen, die Brechts Figuren oft verwenden. So ist selbst die Bezeichnung "Arbeiterchöre" eine auf die Dramen der griechischen Antike anspielende Metapher. Denn eigentlich sollte es "Arbeiterschaft" oder "Arbeiterkolonne" heißen, Brecht will aber mit der Anspielung auf seine eigene elende Gegenwart anspielen, in der es historisch nicht besonders viele Singchöre mehr gab, dafür aber Arbeitende in Massen.
Auch der metaphorische Satz Maulers spielt auf die griechische Mythologie an:
Gleich einem Atlas stolpere ich, auf den Schultern / Die Zentnerlast von Blechbüchsen geradewegs unter die Brückenbögen. […]1
Damit will der Fleischfabrikant sagen, dass er als Unternehmer nicht ganz frei von der lästigen Arbeit ist. In der griechischen Mythologie muss eine Figur namens Atlas als Fluch Gottes die Welt schultern. Im Kontext des Chicagoer Fleischfabrikaten aber wirkt diese Metapher wie eine Parodie, da Brecht damit die Situation eher verspotten will, als sie erhaben wie in der griechischen Mythologie erscheinen zu lassen.
Mehr Information über das Stilmittel Metapher findest Du in der Erklärung "Metapher" auf StudySmarter.
Spottreiche Anspielungen auf die Bibel
Brecht verwendet oft Sprüche, die die Lesenden bzw. Zuschauenden stark an die Bibel erinnern. Die siebte Szene etwa trägt den Titel "Austreibung der Händler aus dem Tempel" und inhaltlich geht es um die Vertreibung der geldgierigen Fleischfabrikanten aus dem Haus durch Johanna. Damit zieht Brecht die Szene in der Bibel, in der Jesus die Händler aus dem Tempel verbannt, ins Lächerliche, da er etwas so Ernsthaftes in den banalen Kontext der wirtschaftlichen Welt stellt.
Komik durch derbe Sprache
Nicht selten legt Brecht seinen Figuren eine derbe Sprache in den Mund, um so einen komischen Effekt zu erzielen. So wird an einer Stelle über den machthungrigen Fleischfabrikanten Mauler geredet:
‘s ist eine Sau da, die da alles aufkauft1
Gemeint ist damit Maulers Taktik, durch künstliche An- und Verkäufe die Preise zu manipulieren. "Sau" steht hier für einen hinterhältigen Menschen ohne Skrupel.
Verfremdungseffekt
Den Verfremdungseffekt, also eine ungewohnte, oft überraschende Darstellungsweise von Ereignissen, erreicht Brecht in seinem Stück u. a. mit der jeweils verschiedenen Sprache, die er jeden Figuren in den Mund legt. So wirkt die Metapher über den Atlas, die Brecht dem schlauen und unmoralischen Fleischfabrikanten Mauler zuschreibt, verfremdend. Denn damit wird eine Metapher aus dem einen Kontext, hier der griechischen Mythologie, herausgegriffen und in einen vollkommen anderen, mit dem ersteren nur wenig verwandten Kontext eingeführt. Aber auch die Gestaltung des Nebentexts wirkt verfremdend. So werden die Szenen erst gar nicht als solche bezeichnet, sondern heißen einfach Bilder.
Dieser Effekt stellt zugleich das besondere stilistische Merkmal des epischen Theaters dar, das diese Theaterform von den klassischen Dramen unterscheidet.
Zum Nebentext gehören u. a. die Regieanweisungen, Überschriften und Namen der Personen.
Analyse des Aufbaus
Aufgebaut ist Brechts Stück in zwölf Bildern, jedes davon entspricht einer Szene. Jedes dieser Bilder trägt eine den Inhalt kurz wiedergebende Überschrift. Damit weicht der Aufbau des Dramas strukturell vom Dramenmodell nach Aristoteles ab, nach dem ein Drama in fünf Akte gegliedert ist. Auch weist "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" keine Einheit des Orts, der Zeit und der Handlung auf, was ein weiterer Widerspruch zum aritotelischen Drama ist.
Ebenso wenig lässt Brecht die Handlung von "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" nach dem Schema eines klassischen Dramas aus Exposition, erregendes Moment, Höhe- bzw. Wendepunkt, retardierendes Moment, Katastrophe" verlaufen. Mit all diesen Abweichungen vom Dramenmodell nach Aristoteles stellt Brechts Drama ein offenes Drama dar.
Ein offenes Drama ist eine Dramenform, die nicht den Regeln des aristotelischen (geschlossenen) Dramas folgt. Häufig gibt es ein offenes Ende.
"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Interpretation
Die nächsten Abschnitte handeln von der Interpretation von "Die heilige Johanna der Schlachthöfe". Das Motiv "Armut gegen Reichtum" spiegelt sich vom Anfang bis zum Ende in "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" wider. Daher wird dieses Motiv auch in allen drei folgenden Interpretationsansätzen berücksichtigt.
Scheinmoral der Fleischfabrikanten und ihre Entlarvung
Brechts Stück kannst Du als eine literarische Darstellung der herrschenden Scheinmoral unter den Fleischfabrikanten auffassen. Als Johanna für das Wohl der ausgebeuteten Mitarbeitenden mit dem Fleischfabrikaten Mauler verhandelt, tut dieser so, als würde ihm das Wohl seiner Mitarbeitenden am Herzen liegen. Eigentlich geht ihm aber ausschließlich um den Profit. Daher will er Johanna glauben machen, dass die bestehende, nur den Reichen günstige Wirtschaftsordnung naturgegebenen, und keineswegs menschengemacht sei. Dieser Konflikt zwischen der Scheinmoral und der Wahrheit ist eines der zentralen Motive im Stück.
Naivität ist der List unterlegen
Das gesamte Stück kannst Du als ein Aufeinanderprallen zwischen höchst naiven Figuren wie u. a. Johanna und ihren Genossinnen einerseits und gewieften und schlau agierenden Figuren wie Mauler und anderen Fleischfabrikanten andererseits auffassen. Bis Johanna einsieht, dass Gewalt die einzige Möglichkeit zur Befreiung der Mitarbeitenden und Armen aus dem ausbeuterischen Würgegriff der Fleischfabrikanten ist, ist es bereits zu spät: Mauler hat nämlich bereits alle Streiks der Arbeitenden vereiteln lassen und so über die Arbeiterschaft gesiegt.
Das erreicht er unter Anwendung zahlreicher listiger Strategien. Die naive Johanna versteht allerdings nicht, dass Religion und ihre Predigten darüber kaum etwas gegen die ausgeklügelte Wirtschaftslogik der Fleischfabrikanten ausrichten können. Damit liegt die Deutung nahe, dass für Brecht Naivität der List und Tücke unterlegen ist.
Das Stück als Brechts Rückgriff auf die Wirtschaftslehre von Marx
Brecht war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" 1932 ein überzeugter Anhänger der marxistischen Wirtschaftslehre.
Die marxistische Wirtschaftslehre
Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Überproduktion, Krise und Stagnation. Die Unsicherheit und Unstetigkeit, denen der Maschinenbetrieb und die Beschäftigung und damit die Lebenslage des Arbeiters unterliegen, werden mit diesem Periodenwechsel des industriellen Zyklus normal.1
Prosperität heißt Wohlstand, während mit dem Ausdruck "Stagnation" eher der Stillstand in der Produktion von Waren gemeint ist.
Im Stück selbst findest Du diesen Zyklus abgebildet. So stellen die Bilder 1 bis 4 das Ende des Wohlstands, die Bilder 5 bis 8 die Überproduktion von Fleisch, danach das Bild 9 die Wirtschaftskrise in der Fleischindustrie und schließlich die Szenen 10 bis 12 die stockende, aber dennoch sich neu keimende Entwicklung dar.
Insgesamt kann das Stück also als ein abschreckendes Beispiel für die Marktmanipulationen der Fleischfabrikanten interpretiert werden. Insofern greift es auf das alte Motiv des Konflikts zwischen der Arbeiterschicht und der Schicht der Produzenten und Händler auf.
Bertolt Brecht – "Die heilige Johanna der Schlachthöfe"
Bertolt Brecht (* 10. Februar 1898 in Augsburg; † 14. August 1956 in Ost-Berlin) zählt zu den wichtigsten Dramatikern und Schriftstellern Deutschlands. Außerdem ist er für die Entwicklung des epischen Theaters, aber auch für zahlreiche weltberühmte Gedichte und Dramen bekannt. Einige davon sind:
- "Trommeln in der Nacht" (1922)
- "Baal" (1923)
- "Die Dreigroschenoper" (1928)
- "Mutter Courage und ihre Kinder" (1941)
- "Der kaukasische Kreidekreis" (1944)
Ab 1928 kann Brechts Interesse am Marxismus belegt werden. Als die Nationalsozialisten im Jahr 1933 die Macht in Deutschland ergriffen, musste Brecht aufgrund seiner politischen Gesinnung ins Exil flüchten. Als Anhänger des Marxismus, einer politischen Lehre des deutschen Philosophen Karl Marx, wurde er im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt.
Der Marxismus zielt auf die ökonomische und soziale Gleichheit der Menschen ab.
Zunächst hielt sich Brecht in Prag, dann in Wien, Zürich, Paris und Dänemark auf. Nachdem aber das nationalsozialistische Deutschland sich ab 1941 immer weiter in Europa ausgebreitet hatte, musste Brecht in die USA fliehen und kehrte erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg im Jahr 1945 nach Europa zurück.
Für die Entstehung des Dramas "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" dienten Brecht zwei Vorlagen. Erstens ließ er sich von der realen Organisation "Heilsarmee" inspirieren, die schon zu seiner Zeit für das Wohl der Armen engagiert war. Seine zweite Inspiration für die Figur Johanna Dark war Jeanne d’Arc, eine historische Persönlichkeit aus dem Frankreich des 15. Jahrhunderts. Anstatt sich aber unkritisch von den beiden Vorlagen inspirieren zu lassen, entschied er sich für eine Parodie der beiden. Denn Brecht selbst war skeptisch darüber, dass gesellschaftliche Probleme von Einzelnen gelöst werden können.
"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Epoche
Zwar erschien "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" erst 1932, die Arbeit daran hatte aber Brecht schon einige Jahre davor begonnen. Diese Jahre waren von Weltwirtschaftskrise geprägt, die u. a. durch Börsenspekulation verursacht worden war. Infolge dieser Krise verloren sehr viele Menschen ihre Jobs; Arbeitslosigkeit, Armut und Radikalismus waren dann die weiteren Folgen.
Brecht erlebte das alles auch in der Weimarer Republik, wo viele Menschen infolge dieser Krise von den oben genannten Problemen betroffen waren. Daher spiegelt sich seine Auseinandersetzung mit diesen Problemen auch im Stück selbst wider: Die Börsenspekulanten und Fleischfabrikanten handeln so, dass ihre Profite immer größer, die Arbeitenden in den Fabriken dagegen immer weiter ausgebeutet werden. Auch zu Entlassungen kommt es im Stück, ein Phänomen, das typisch für die Zeit der Weltwirtschaftskrise war.
Die Weimarer Republik ist die Bezeichnung für den ersten demokratischen deutschen Staat zwischen 1918, also dem Ende des Ersten Weltkrieges, und 1933, also der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Deutschland. Genannt wird sie so wegen des ersten Tagungsorts, also der Stadt Weimar.
Wegen der ungeschönten Darstellung dieser realen Ereignisse und des Entstehungsdatums wird das Werk in die Epoche "Neue Sachlichkeit" eingeordnet. Die Neue Sachlichkeit war eine Literaturepoche des 20. Jahrhunderts, die sich einer sachlichen Erzählung zu- und von gefühlsbetonten Texten abwandte. Sie nahm ihren Anfang circa mit dem Beginn der Weimarer Republik im Jahr 1918 und endete mit ihrem Zusammenbruch im Jahr 1933.
Auch die leicht verständliche Sprache ist ein für die Neue Sachlichkeit typisches Merkmal. Dass manche der Figuren wie z. B. Mauler beim Handeln kaum Gefühle zeigen, kann ebenfalls als eines der Merkmale dieser Epoche betrachtet werden. Maulers Ausdrucksweise ist oft sachlich, was mit dem sprachlichen Merkmal der Neuen Sachlichkeit vereinbar ist.
Mehr Information über diese Epoche findest Du in der Erklärung "Neue Sachlichkeit" auf StudySmarter.
Die heilige Johanna der Schlachthöfe – Das Wichtigste
- "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Inhaltsangabe: Bertolt Brechts 1932 erschienenes episches Theaterstück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" handelt vom Missverhältnis zwischen den armen Schlachthofarbeitern einerseits und den sich auf ihren Kosten bereichernden Besitzern dieser Schlachthöfe andererseits.
- Es erzählt außerdem auch vom gescheiterten Bemühen der titelgebenden Heilsarmistin Johanna, den sozialen Missständen ein Ende zu bereiten.
- Anders als die meisten Dramen gibt es in diesem Drama "Bilder", die die Szenen und Akte ersetzen.
"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Analyse: Sprachlich zeichnet sich das Drama durch vielfältige Stilmittel, Anspielungen auf historische Persönlichkeiten und Ereignisse, aber auch den Sarkasmus aus.
- "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" – Interpretation (3 Ansätze):
- Die Fleischfabrikanten Chicagos handelt vorwiegend aus Eigennutz, nicht aber aus ihrem angeblichen Wohlwollen.
- List und Tücke dieser Fleischfabrikanten siegen über die Naivität der christlichen Organisation.
- Der Handlungsverlauf im Stück ist eine Widerspiegelung der ökonomischen Lehre Karl Marx, nach der die Wirtschaft in einem kapitalistischen System in bestimmten Schritten abläuft.
Nachweise
- Bertolt Brecht: Die Heilige Johanna der Schlachthöfe. Bühnenfassung, Fragmente, Varianten. Kritisch editiert von Gisela E. Bahr. Edition Suhrkamp.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Die heilige Johanna der Schlachthöfe
Wann spielt "Die heilige Johanna der Schlachthöfe"?
Das Stück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" spielt im Jahr 1929 während der Weltwirtschaftskrise.
Wann wurde die "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" veröffentlicht?
Veröffentlicht wurde das Stück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" im Jahr 1932.
Ist "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" ein Drama?
"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" ist ein episches Drama.
Wer sind die "Schwarzen Strohhüte"?
Die "Schwarzen Strohhüte" sind Angehörige der Heilsarmee, einer christlichen Organisation, die den Armen helfen will.
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