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Das Morgenblatt für gebildete Stände, vom Verleger Johann Friedrich Cotta (1764-1832) war eins der herrschenden Zeitungsformate in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es erschien von 1807 bis 1865 in Stuttgart und Tübingen.
Heinrich von Kleist kam im Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder, als erster Sohn der märkischen Adelsfamilie von Kleist zur Welt. Im Alter von 15 Jahren beendet er die Schule, um dem Potsdamer Garderegiment beizutreten. Hier diente er sieben Jahre lang, bis er das Regiment mit 21 Jahren wieder verließ, um erneut Unterricht zu nehmen. In seiner Heimatstadt begann er daraufhin ein Mathematik,- und Physikstudium, das er jedoch nach anderthalb Jahren wieder abbrach.
Daraufhin ging Heinrich von Kleist nach Berlin, um sich mit der Philosophie der Aufklärung zu beschäftigen. Durch die Beschäftigung mit der Lehre von Kant (1724 –1802) gerät Kleist daraufhin in die sogenannte Kant-Krise, womit die Zerrüttung seines eigenen Weltbildes gemeint ist.
1802 begann er, nach einer gescheiterten Verlobung, mit dem Schreiben seiner literarischen Werke. Diese erlangten jedoch erst ihren Ruhm und ihren Bekanntheitsgrad, nachdem Heinrich von Kleist gestorben war. Zu seinen bekanntesten Werken zählen neben "Das Erdbeben in Chili" auch die Erzählungen "Die Marquise von O...", "Das Kärchen von Heilbronn" und "Der zerbrochene Krug".
Heinrich von Kleists Novelle erzählt die Geschichte eines jungen Liebespaares namens Jeronimo und Josephe. Das allübergreifende Thema, dass die Handlung begleitet, ist dabei das Problem der Theodizee. Hierbei handelt es sich um die Frage, wieso Menschen böses widerfährt und Gott nichts dagegen tut.
Der Begriff der Theodizee wurde vom Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) geprägt. Er stammt aus dem altgriechischen und bedeutet so viel wie "Rechtfertigung Gottes" oder "Gerechtigkeit Gottes". Das Problem der Theodizee befasst sich mit der Frage, warum Gott nicht eingreift, wenn Menschen böses widerfährt, obwohl Gott sowohl allmächtig, allwissend und vor allem auch gut sein soll. Gott wird vorgeworfen, dass er das Leiden nicht verhindert.
"Das Erdbeben in Chili" – Inhaltsangabe
Die Novelle "Das Erdbeben in Chili" spielt in St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, im Jahr 1647 und handelt von einem jungen Liebespaar namens Jeronimo und Josephe. Hier werden die beiden aufgrund ihrer unehelichen und nicht standesgemäßen Beziehung inhaftiert und Josephe wird schlussendlich sogar zum Tode verurteilt. Als ein Erdbeben ausbricht, finden die beiden jedoch wieder zueinander. Sie leben glücklich, bis eine wütende Menschenmasse ihnen die Schuld an der Naturkatastrophe gibt und sie vor lauter Groll umbringt.
Die verbotene Beziehung
Jeronimo Rugera unterrichtet im Haus der reichen Familie Asteron. Zuerst ist er nur der Lehrer von Donna Josephe Asteron. Im Zuge des Unterrichts fangen die beiden jedoch eine Beziehung miteinander an. Da Jeronimo nicht adelig ist und die Bindung somit gegen die Standesregeln verstößt, muss diese geheim bleiben. Doch Josephes Bruder erwischt die beiden und verrät sie daraufhin bei ihrem Vater Don Henrico Asteron. Als dieser davon erfährt, ist er aufgrund des Regelbruchs, gegen die Beziehung. Als Konsequenz entlässt er Jeronimo und schickt seine Tochter in ein Kloster.
Trotz des Verbotes und der räumlichen Trennung durch das Kloster, schaffen es die beiden sich weiterhin heimlich zu treffen. Kurz darauf wird Josephe schwanger. Als sie aufgrund von Wehen auf den Stufen einer Kathedrale zusammenbricht, fliegt ihre Schwangerschaft auf.
Die Verurteilung
Daraufhin werden Josephe und Jeronimo verhaftet, da sie, aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft, nicht nur gegen die Standesregeln verstoßen haben, sondern auch gegen die damalige Konvention, dass Sex vor der Ehe verboten ist.
Unter Konventionen werden Umgangs- und Verhaltensregeln verstanden. Man zieht zu bestimmten Gelegenheiten einen Schlips oder ein Kleid an, im Restaurant verhält man sich leise. Wenn man gegen diese Regeln verstößt, ist das natürlich nicht strafbar. Es wird höchstens geschimpft, wenn sich ein anderer in der Schlange vordrängelt und damit eine Konvention nicht beachtet.
Kurz nach der Geburt ihres Sohnes Phillip wird Josephe aufgrund des Befehls des Erzbischofs für die Regelverstöße vor Gericht gestellt und sogar zu Tode verurteilt. Weder der Einsatz durch eine Äbtissin des Klosters noch die Bitten ihrer reichen Familie können dieses Urteil verhindern. Sie erreichen bloß, dass die Hinrichtung nicht auf einem Scheiterhaufen, sondern als Enthauptung stattfinden soll.
Eine Äbtissin ist die Vorsteherin und geistliche Leiterin einer Nonnengemeinschaft bzw. eines Frauenklosters.
Josephes Fall erregt so großes Aufsehen, dass die ganze Stadt darüber Bescheid weiß und sich über den Vorfall echauffiert. Am Tag ihrer Hinrichtung beabsichtigen alle Bewohnenden mitzuerleben, wie die Sünderin bestraft wird.
Die Rettung durch das Erdbeben
Als Jeronimo erfährt, dass Josephe erhängt werden soll, versucht er aus dem Gefängnis auszubrechen, indem er die Gitterstäbe des Fensters anfeilt. Das schafft er jedoch nicht, da er bei dem Versuch erwischt und daraufhin in eine noch sichere Zelle gebracht wird. Als der Tag der Hinrichtung bevor steht, hat er all seine Hoffnung verloren und beschließt, voller Verzweiflung, sich das Leben zu nehmen, indem er sich erhängt.
Genau in dem Moment als Jeronimo den Strick befestigen will, wird die Stadt St. Jago von einem Erdbeben erfasst. Als Folge dessen brechen die Gefängnismauern auf und er kann durch ein Loch in seiner Wand fliehen. Daraufhin läuft er durch die zertrümmerten Straßen der Stadt, bis er zu einem Hügel kommt, der außerhalb gelegen ist. Vor Ort dankt er zuallererst Gott für seine Rettung. Dieser Dank hält jedoch nur kurz an, da er sich daraufhin fragt, wie Gott zulassen könne, dass seine geliebte Josephe enthauptet werden soll.
Die Wiedervereinigung
Obwohl Jeronimo mitgeteilt wird, dass Josephes Hinrichtung schon stattgefunden hat, gibt er die Hoffnung nicht auf und begibt sich auf die Suche nach ihr. Er findet sie schließlich, ihren Sohn im Arm, in einem kleinen Tal. Wie sich herausstellt, konnte auch Josephe durch das Erdbeben fliehen. Anstatt jedoch sofort die Stadt zu verlassen, rettete sie noch ihr neugeborenes Baby aus dem bereits brennenden Kloster und machte sich danach auch auf die Suche nach Jeronimo. Dieser kann zum ersten Mal seinen eigenen Sohn in den Armen halten.
Das harmonische Zusammenleben
Im Tal herrscht großer Kummer und Verzweiflung über die Situation und den Verlust, den die Bevölkerung erlitten hat. Zeitgleich finden Menschen aus den unterschiedlichsten Ständen aufgrund des Unglücks zueinander, unterstützen sich und sind füreinander da. Niemand schenkt dem Fakt, dass Josephe am selben Tag noch erhängt werden sollte, Beachtung.
Jeromino und Josephe freuen sich über ihr wiedergefundenes Liebesglück und philosophieren heimlich darüber, wie sie nach Spanien fliehen können, um dadurch der Verurteilung zu entgehen. Sie wundern sich, dass es für die Erfüllung ihres eigenen Glücks, ein solch großes Unglück wie das Erdbeben benötigte.
Am Morgen treffen Jeronimo und Josephe auf Don Fernando, den Sohn des Kommandanten der Stadt. Dieser bittet Josephe um Hilfe, da seine Frau Donna Elvire zu verletzt ist, um ihr Kind Juan zu stillen. Josephe wundert sich im ersten Moment darüber, dass seine Familie so freundlich ihr gegenüber ist und fragt sich, ob sie sich darüber bewusst sind, wer sie ist. Josephe versteht es jedoch als Selbstverständlichkeit, Menschen in Not zu unterstützen. Daraufhin lädt Don Fernando das junge Paar dazu ein, sich zu seiner Familie zu gesellen.
Im Laufe des Gespräches, als unter anderem Donna Elvire Josephe fragt, wie es Josephe am Tag der Hinrichtung erging, wird deutlich, dass Don Fernando, seine Frau und seine Schwägerinnen darüber Bescheid wissen, wer das junge Paar ist. Sie scheinen die beiden jedoch nicht für ihre Entscheidungen zu verurteilen bzw. die Hinrichtung zu unterstützen.
Obwohl Jeronimo und Josephe am Abend zuvor noch über Fluchtpläne gesprochen haben, sind sie begeistert von der herrschenden Harmonie, Solidarität und positiven Stimmung, die im Tal herrscht. Sie beschließen, um Begnadigung zu bitten und darauf zu hoffen, dass der Vizekönig und Josephes Vater ihnen ihren Fehler verzeihen.
Die Hinrichtung in der Dominikanerkirche
Nachdem Josephe erfährt, dass ein Gottesdienst in der einzigen noch heil gebliebenen Kirche der Stadt stattfindet, möchte sie daran teilnehmen. Daraufhin brechen Josephe, Jeronimo, Don Fernando, seine Schwägerin Donna Constanze und die beiden Kinder Phillip und Juan gemeinsam zur Dominikanerkirche auf. Die Kirche ist außerordentlich voll. Vor Ort hält ein Chorherr eine Predigt darüber, dass das Erdbeben ein Zeichen dafür sei, dass Gott die Sünden der Menschen bestrafen wollte. Mit dieser Anspielung sind Josephe und Jeronimo gemeint. Er bezeichnet es als gottlos, dass die beiden Schuldigen straflos davongekommen sind und wünscht sich, dass sie in die Hölle kommen.
Die wutentbrannte Masse
Schließlich wird Josephe in der Kirche erkannt. Daraufhin bricht großes Chaos und Unruhe aus. Ein Schuhflicker namens Meister Pedrillo, der Josephe noch von früher kennt, da er für ihre Familie gearbeitet hat, hetzt die Leute gegen sie auf. Die junge Mutter wird beschimpft und an den Haaren gerissen. Bevor sie sich ansatzweise verteidigen kann, stürzt sich die Menschenmasse auf sie und Jeronimo. Grund dafür ist, dass die Bewohner nach der Predigt des Chorherrn und die Zustimmung von Meister Pedrillo das junge Paar bzw. deren Sünden verantwortlich für das Erdbeben und ihre damit einhergehenden Verluste machen.
Die Wut der Menschen richtet sich vorwiegend gegen Josephe. Das muss auch Donna Constanze am eigenen Körper erfahren, da sie für einen kurzen Moment mit Josephe verwechselt und daraufhin erschlagen wird. Josephe erkennt, dass es sich um eine ausweglose Situation handelt und übergibt deshalb Don Fernando die beiden Kinder Phillip und Juan, damit er die Jungen in Sicherheit bringen kann. Don Fernando möchte seine Freunde jedoch nicht im Stich lassen und gibt sein Bestes alle Beteiligten zu schützen.
Kurz darauf wird Jeronimo von seinem eigenen Vater mit einer Keule erschlagen. Um dem ganzen ein Ende zu bereiten, stürzt auch Josephe sich in die Menge und wird auf dieselbe Art getötet.
Der Tod des jungen Paares ist jedoch nicht genug. Meister Pedrillo reißt voller Wut Don Fernando auch noch seinen eigenen Sohn Juan aus den Armen und schmettert ihn gegen die Kirchenpfeiler.
Die Adoption von Phillip
Nach diesem Vorfall löst sich die Menschenmasse auf. Don Fernando kehrt mit Phillip zu seiner Frau Donna Elvire zurück, die zu geschwächt war, um die Gruppe zur Kirche zu begleiten. Nachdem sie um ihr eigenes Kind trauern, beschließen die beiden Phillip bei sich aufzunehmen und ihn wie ihren eigenen Sohn großzuziehen.
"Das Erdbeben in Chili" – Personenbeschreibung
Die Hauptfiguren des Stückes "Das Erdbeben in Chili" sind Josephe und Jeronimo. Im Verlaufe der Novelle treffen sie unter anderem auf die Nebenfiguren Don Fernando, Donna Elvire sowie Meister Pedrillo und den Chorherrn.
Im Folgenden findest Du diese Figuren zusammenfassend charakterisiert.
Donna Josephe Asteron
- ist die Tochter von Don Henrico Asteron und gehört somit Adelsfamilie Asteron an,
- verliebt sich in ihren Hauslehrerer Jeronimo Rugera, anstatt auf Standesregeln zu hören,
- trifft sich weiterhin mit Jeronimo, nachdem ihr Vater ihnen die Beziehung verbietet und Josephe sogar in ein Kloster schickt,
- verstößt gegen Standesregeln und die damals herrschenden gesellschaftlichen Konventionen, dass Sex vor der Ehe verboten ist,
- wird aufgrund dessen zum Tode verurteilt,
- ihre Entscheidungen können sowohl mutig und rebellisch, als auch als kindliche Naivität und Leichtsinnigkeit abgetan werden,
- handelt selbstlos und fürsorglich,
- zeigt, wie stark ihre Muttergefühle sind, als sie als Erstes an ihren neugeborenen Sohn Phillip denkt und sich in eine brennende Kirche begibt, um ihn zu retten und sich im letzten Teil sogar für ihn opfert.
Jeronimo Rugera
- arbeitet als Lehrer bei den reichen Asterons,
- verliebt sich, während er diese Tätigkeit ausführt, in seine Schülerin Josephe,
- lässt sich auf heimliche Beziehung zu Josephe ein,
- will sich das Leben nehmen, als er von Josephes Hinrichtung erfährt,
- als er vom Erdbeben überrascht wird, handelt er in erster Linie spontan und denkt zuerst an sich selbst,
- wird in der Kirche von seinem eigenen Vater erschlagen.
Don Fernando
- Sohn des Kommandanten der Stadt,
- hat mit seiner Frau Donna Elvira einen neugeborenen Sohn namens Juan,
- ist Josephe und Jeronimo gegenüber beim ersten Treffen freundlich und lädt das junge Paar zu seiner Familie ein,
- freundet sich schnell mit Jeronimo und Josephe an,
- versucht die beiden in der Kirche sogar mit seinem eigenen Leben zu schützen,
- handelt loyal und ehrenhaft,
- verliert seinen Sohn im Kampf in der Kirche.
Donna Elvire
- Don Fernandos Frau,
- wird während des Erdbebens so verletzt, dass sie den gemeinsamen Sohn Juan nicht stillen kann,
- ist die Einzige, die Josephe fragt, wie es ihr am Tag der Hinrichtung ergangen ist,
- ist mitfühlend und gutherzig,
- verliert ihren Sohn durch die wutentbrannte Masse,
- nimmt Josephes Sohn Philipp bei sich auf.
Meister Pedrillo
- von Beruf aus Schuhflicker,
- kennt Josephe, da er früher als Schuhflicker für ihre Familie tätig war,
- sucht Sündenböcke, die er für das Erdbeben und die damit einhergehenden Verluste verantwortlich machen kann,
- bringt die Menschenmasse gegen Josephe und Jeronimo auf,
- schleudert am Schluss den kleinen Juan gegen die Kirchenpfeiler.
Ein Schuhflicker war die damalige Bezeichnung für einen Schuster, dessen Aufgabe darin bestand individuelles Schuhwerk wie Sandalen, Pantinen, Schuhe, Stiefel und Gamaschen aus Leder anzufertigen.
Chorherr
- verstärkt das Denken des Meister Pedrillos während einer Predigt, die er im Gottesdienst der Dominikanerkirche hält,
- stellt dabei die Behauptung auf, dass Gott mit dem Erdbeben versucht hat, die Sünden der Menschen zu bestrafen,
- erinnert im Zuge dessen an Straftat von Josephe und Jeronimo und löst Gewalt gegenüber der beiden und ihrem Kind aus,
- zerstört dadurch die Harmonie, die nach dem Erdbeben im Tal geherrscht hat,
- sucht Schuldige, um die Taten Gottes zu rechtfertigen bzw. zu verteidigen,
- ist davon überzeugt, dass Gott ein Grund für das Auslösen der Katastrophe gehabt haben muss.
"Das Erdbeben in Chili" – Analyse von Aufbau und Sprache
Die Handlung von "Das Erdbeben in Chili" spielt in der Hauptstadt St. Jago und in einem Tal außerhalb der Stadt, im Jahr 1647. Die Erzählung umfasst zwei Tage und eine Nacht.
Aufbau
Die Novelle "Das Erdbeben in Chili" lässt sich in drei Teile aufteilen:
- Die Vorgeschichte des Paares, das Erdbeben und die damit einhergehende Flucht
- Die neu-gewonnene Solidarität der Menschen auf dem Land
- Die Rückkehr des Paares in die Stadt und ihre Hinrichtung
Ein großer Teil der Erzählung spielt dabei in der Stadt St. Jago, in der die Naturkatastrophe und die folgende Handlung, die zum Tod von Josephe und Jeronimo führt, stattfindet. Der zweite Teil hingegen findet außerhalb der Stadt in einem Tal statt.
Dabei wird die Handlung vorwiegend chronologisch erzählt. Ausnahmen bilden nur die Schilderung der Vorgeschichte von Josephe und Jeronimo, die ganz am Anfang des ersten Teils folgt und ungefähr eine Zeitspanne von einem Jahr umfasst und im zweiten Teil die Rückblende, die Josephes Flucht beschreibt.
Merkmale einer Novelle
Eine Novelle ist ein kurzer bis mittellanger Prosatext aus der Gattung der Epik und behandelt stets ein oder einige wenige außergewöhnliche Ereignisse, die aber trotzdem realistisch sind. Sie zeichnet sich durch einen strikten Aufbau, geradlinigen Handlungsverlauf, ihre Kürze, einen objektiven Berichtstil und einen Wendepunkt im Geschehen aus.
Wenn Du noch mehr über die Merkmale einer Novelle erfahren möchtest, dann schau doch mal in die Erklärung zur "Novelle" rein.
"Das Erdbeben in Chili" bildet formal und auch inhaltlich ein klassisches Beispiel für eine Novelle:
Es stellt eine außerordentliche und unerhörte Begebenheit dar, die darin besteht, dass das Unglück der gesamten Stadt zeitgleich die Rettung für Jeronimo und Josephe bedeutet. Ebenso empörend ist die Beziehung von Josephe und Jeronimo, da die beiden aus verschiedenen Ständen kommen und somit gegen die Standesregeln und zudem noch gegen die religiösen und kirchlichen Regeln verstoßen.
Die Novelle besitzt den Anspruch auf Realismus. Das, was passierte, wäre tatsächlich möglich – im Gegensatz zu beispielsweise Märchen, Mythen oder Sagen. Heinrich von Kleists Erzählung wirkt sogar noch realistischer, da er sich auf ein historisches Ereignis bezieht.
Auf dieses Ereignis wird im Kapitel "Historischer Hintergrund von Das Erdbeben in Chili" noch genauer eingegangen.
Außerdem konzentriert sich "Das Erdbeben in Chili" auf ein bestimmtes Ereignis und fängt keine weiteren Handlungsstränge an. Die Handlung des Textes setzt sich grundsätzlich mit den beiden Hauptfiguren Jeronimo und Josephe auseinander. Sie beginnt mit der Rettung der beiden und endet auch schnell kurz nach ihrem Tod. Den Fokus bildet das Schicksal der beiden.
Hinzukommen zwei klare Wendepunkte in der Geschichte. Der erste Wendepunkt ist das Erdbeben. Hierdurch wird die gesellschaftliche Ordnung durcheinandergebracht und Jeronimo und Josephe werden gerettet. Der zweite Wendepunkt ist der Moment in der Kirche, als Josephe und Jeronimo erkannt werden und sich die Stimmung von da an sofort ändert.
Der sachliche Stil einer Novelle wird eingehalten. Der Erzähler bezieht zum Beispiel keine Stellung. Außerdem werden ethische Probleme behandelt, indem die geltende Moral und Norm hinterfragt wird.
Erzählperspektive
Kleist setzt einen allwissenden Erzähler ein. Dieser beschreibt und fasst die Handlungen zusammen und dient zeitgleich als Berichterstatter. Dabei wird offen gelassen, wie der Erzähler selbst zu den Ereignissen steht. Durch gewisse Formulierungen wie "unsere beiden Unglücklichen" 1 wird jedoch der Eindruck erweckt, dass der Erzähler auf der Seite von Josephe und Jeronimo steht.
Um mehr über die verschiedenen Erzählformen zu erfahren, lies Dir doch die Erklärung zum "Erzähler" durch.
Der Erzähler ist jedoch auch nicht immer zuverlässig, da er den Lesenden oftmals wertvolle Informationen vorenthält: Er erklärt z. B. nicht, wieso Josephe sich dazu entscheidet, ihre Behutsamkeit aufzugeben und für den Gottesdienst doch nach St. Jago zurückzukehren.
Diese Unzuverlässigkeit wird unter anderem durch die Verwendung von "Als-ob"-Konstruktionen verstärkt, da der Erzähler dadurch von einem Schein berichtet und nicht von dem Sachverhalt, um den es sich tatsächlich handelt:
als ob es das Tal von Eden gewesen wäre. 1
Bei dieser Beschreibung des paradiesähnlichen Tals erweckt der Erzähler mit seiner Formulierung z. B. den Anschein einer Täuschung, wodurch die Lesenden der Erzählung nicht komplett vertrauen können und hinterfragen müssen, was richtig ist.
Außerdem werden der erste und der dritte Teil in einem zügigen Erzähltempo beschrieben, während der zweite Teil von einer langsamen und ländlichen Paradiesstimmung und Ruhe geprägt ist.
Sprache
"Das Erdbeben in Chili" zeichnet sich durch anspruchsvolle Sprache aus. Heinrich von Kleist schreibt in vielen langen Sätzen und verwendet komplizierte Satzstrukturen. Dabei wechselt Kleist zwischen einer schnell zusammenfassenden Berichterstattung und ausführlichen, detailreichen Beschreibungen von Ereignissen.
Generell ist die Novelle in einer nüchternen und emotionslosen Sprache verfasst. Auch die schrecklichsten Ereignisse innerhalb der Handlung werden in einem sachlichen und dadurch scheinbar emotionslosen Tonfall beschrieben. Dadurch kommt ein Stil zustande, der das Ganze es wie eine Berichterstattung wirken lässt:
In St. Jago, der Hauptstadt des Königsreichs Chili, stand gerade in dem Augenblicke der großen Erschütterung vom Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, Namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des Gefängnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken. 1
In diesem Zitat werden z. B. direkt alle Informationen über den Ort und die Zeit wiedergegeben, während zeitgleich auch noch in das Geschehen des Erdbebens eingeführt wird und auch die Hauptfiguren vorgestellt werden.
"Das Erdbeben in Chili" – Interpretation
In der Novelle "Das Erdbeben in Chili" wird die Debatte über die Theodizee anhand des Erdbebens aufgenommen. Die Menschen versuchen innerhalb der Handlung einen Sinn für die Entscheidung Gottes, dieses Erdbeben über sie ergehen zu lassen, zu finden. Für Heinrich von Kleist ist dieser Glauben an Gott und sein Wirken jedoch nur der Versuch der Menschen etwas Ordnung in ihr zufalle-regiertes Leben zu bringen.
Kleist übt mit seiner Novelle scharfe Kritik am Christentum und der vom Staat gestützten Institution der katholischen Kirche aus, indem er ihre moralischen Vorstellungen hinterfragt und die Lesenden ratlos, mit einem verstörenden Ende zurücklässt. Er macht die religiöse Moral, an der die Menschen festhalten, für den Tod von Jeronimo und Josephe verantwortlich.
Ebenso weißt er auf die Sinnlosigkeit hinter Rousseaus Vorstellung hin, dass Menschen von Natur aus gut seien. Heinrich von Kleist entwirft in seiner Novelle eine Art Paradies, wo die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Ständen aufgehoben werden und alle Menschen einander helfen. Dieser Entwurf für eine bessere Welt scheitert jedoch, nachdem die Menschen in der Krisenzeit erst Mitgefühl und Hilfsbereitschaft aufbringen, nur um ihre Emotionen plötzlich in Hass, Wut und Aggressionen überschlagen zu lassen.
Ein Funke Hoffnung für die menschliche Moralität wird den Lesenden jedoch trotzdem überlassen, als Don Fernando und seine Frau Donna Elvira Phillip adoptieren.
Generell kann festgehalten werden, dass die Menschen aus Kleists Sicht nicht von Natur aus gut oder böse sind. Erst die Beeinflussung eines religiösen Führers bzw. des Chorherrn weckt das Böse in ihnen und bringt sie dazu, schlimme Taten auszuführen.
"Das Erdbeben in Chili" – Historischer Hintergrund
Die Novelle "Das Erdbeben in Chili" selbst wurde ungefähr im Jahre 1806 von Heinrich von Kleist verfasst und im Jahre 1807 unter dem Namen "Jeronimo und Josephe" erstveröffentlicht. Die Handlung selbst spielt jedoch im Jahr 1647 in der Hauptstadt St. Jago des Königreichs Chili.
Den geschichtlichen Hintergrund für diese Novelle bietet das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755. Bei diesem Erdbeben, das am 1. November 1755 stattfand, wurde die portugiesische Hauptstadt Lissabon fast komplett zerstört. Es gab 30.000 bis 100.000 Opfer, wodurch das Erdbeben als eine der tragischsten Naturkatastrophen von Europa in die Geschichte einging.
Dieses Erdbeben erschütterte das optimistische Weltbild der Epoche der Aufklärung, das im 18. Jahrhundert in Europa vorherrschte. Philosophinnen und Philosophen wie Voltaire (1694-1778), Rousseau (1712-1778) und Kant (1724-1804) fingen an über das Problem der Theodizee zu diskutierten und fragten sich, wie Gott ein solches Elend und Unrecht zulassen könnte.
Das Erdbeben in Chili - Das Wichtigste
- "Das Erdbeben in Chili" ist eine Novelle, die erstmals 1807 unter dem Titel "Jeronimo und Josephe" von Heinrich von Kleist veröffentlicht wurde.
- Die Novelle spielt in St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili im Jahr 1647 und handelt einerseits von einem jungen Liebespaar namens Jeronimo und Josephe und andererseits von einem Erdbeben, das die Stadt ergreift.
- Neben den Hauptfiguren Josephe und Jeronimo spielen ebenso die Nebenfiguren Don Fernando, Donna Elvire, Meister Pedrillo und der Chorherr entscheidende Rollen im Stück.
Die Handlung lässt sich in 3 Teile aufteilen:
die Vorgeschichte des Paares, das Erdbeben und die damit einhergehende Flucht
- die neu-gewonnene Solidarität der Menschen auf dem Land
die Rückkehr des Paares in die Stadt und ihre Hinrichtung
Die Erzählung findet vorwiegend chronologisch statt.
Der Erzähler ist allwissend, aber zeitgleich unzuverlässig.
Heinrich von Kleist verwendet eine nüchterne, emotionslose und anspruchsvolle Sprache mit vielen langen Sätzen und komplizierten Satzstrukturen.
- Inhaltlich und formal ist "Das Erdbeben in Chili" ein klassisches Beispiel für eine Novelle: Es stellt eine außerordentliche Begebenheit dar, besitzt den Anspruch auf Realismus, konzentriert sich auf ein bestimmtes Ereignis, besitzt zwei klare Wendepunkte, hält einen sachlichen Stil ein und behandelt ethische Probleme.
- Kleist übt mit seiner Novelle Kritik am Christentum und der Institution der katholischen Kirche, indem er ihre moralischen Vorstellungen hinterfragt. Außerdem weißt er auf die Sinnlosigkeit hinter Rousseaus Vorstellung hin, dass Menschen von Natur aus gut seien.
- Den geschichtlichen Hintergrund der Novelle bildet das Erdbeben von Lissabon, das am 01. November 1755 stattfand: Es löste die erneute Diskussion über das Problem der Theodizee aus. Hierbei geht es um die Frage, wieso Menschen böses widerfährt, obwohl Gott angeblich allmächtig, allwissend und gut sein soll.
Nachweise
- Heinrich von Kleist (2020). Das Erdbeben in Chili. Hamburger Lesehefte
- getabstract.com: Das Erdbeben in Chili. (10.07.2022)
- heinrich-von-kleist.org: Über Heinrich von Kleist. (12.07.2022)
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Das Erdbeben in Chili
Wer schrieb "Das Erbeben in Chili"?
"Das Erdbeben in Chili" ist eine Novelle vom Schriftsteller Heinrich von Kleist.
Warum ist "Das Erdbeben in Chili" eine Novelle?
"Das Erdbeben in Chili" ist eine Novelle, da es viele formale sowie inhaltliche Aspekte dieser erfüllt: Es stellt eine außerordentliche und unerhörte Begebenheit dar, es besitzt den Anspruch auf Realismus, konzentriert sich auf ein bestimmtes Ereignis, hat zwei klare Wendepunkte, hält ebenso den sachlichen Stil einer Novelle ein und setzt sich mit ethischen Problemen auseinander.
Wo spielt "Das Erdbeben in Chili"?
"Das Erdbeben in Chili" spielt in der Hauptstadt des Königreichs Chili St. Jago und außerhalb der Stadt auf dem Land in einem Tal.
Wann spielt "Das Erbeben von Chili"?
"Das Erdbeben in Chili" spielt im Jahr 1647.
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