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Der Roman "Deutschstunde" handelt von Siggis Kindheit, die von seinem übermäßig pflichtbewussten Vater geprägt ist. Zudem handelt der Roman von der zunehmenden Distanzierung von Siggis Vater zu dessen Umfeld.
"Deutschstunde" – Inhaltsangabe des Romans
Im Folgenden findest Du eine Zusammenfassung der Handlung des Romans "Deutschstunde". Der Roman besteht aus 20 Kapiteln. Für eine bessere Übersichtlichkeit wird der Inhalt von jeweils vier Kapiteln unter einer thematisch passenden Überschrift zusammengefasst.
Kapitel 1 bis 4: Siggis Deutschstunde und Erinnerungen an einen Maler
Wegen seiner vermeintlichen Aufmüpfigkeit wohnt der zwanzigjährige Siggi Jepsen in einer Besserungsanstalt für schwierige Jugendliche und muss eines Tages in der Deutschstunde einen Aufsatz über das Thema "Die Freuden der Pflicht" schreiben. Siggi scheitert an dieser Aufgabe, da er sich an seinen fanatisch pflichtbewussten Vater Jens Ole Jepsen erinnert. Als Strafe für sein Scheitern wird Siggi in eine Zelle eingesperrt, und zwar so lange, bis sein Aufsatz fertig ist. In der Zelle verfasst Siggi den geforderten Aufsatz nicht. Stattdessen nutzt er die Zeit in der Zelle, um die Erinnerungen an seine Kindheit im Dorf Rugbüll in Schleswig-Holstein aufzuschreiben.
Das Dorf Rugbüll ist ein rein fiktiver Ort.
Damals lebte Siggi bei seinem Vater, der während des Nationalsozialismus Polizist war. Siggi erinnert sich an den Tag, an dem sein Vater dem Maler Max Ludwig Nansen eine schlechte Nachricht überbringt. Jens und Max sind alte Freunde. Nun teilt Jens dem Künstler mit, dass dieser ein Malverbot erhält. Der Grund dafür ist, dass die Nationalsozialisten der Meinung sind, Max Gemälde seinen "entartet". Jens soll außerdem überwachen, ob Max das Verbot einhält.
Der Nationalsozialismus war eine politische Strömung, die in Deutschland 1918 nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstand. Im Rahmen des Nationalsozialismus etablierte sich 1933 unter Adolf Hitler eine Diktatur in Deutschland. Vertreter und Vertreterinnen dieser politischen Strömung wurden als Nationalsozialisten bezeichnet.
Die Ziele der Nationalsozialisten waren es, die "deutsche Rasse" zu bewahren, indem Hass gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen, insbesondere den Juden und Minderheiten geschürt wurde. Zudem expandierte das Deutsche Reich, indem die Wehrmacht benachbarte Länder besetzte. Zur Erreichung ihrer Ziele verübten die Nationalsozialisten Verbrechen an Minderheiten. Dazu zählt speziell der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung, der auch als Holocaust bezeichnet wird. In Verlauf dieser Deportation verloren schätzungsweise 6 Millionen Juden ihr Leben.
Entartete Kunst – So nannten die Nationalsozialisten alle Kunstwerke, die nicht in ihre Vorstellung von Kunst und Kultur passte. Dazu gehörten von vornherein alle Kunstwerke jüdischer Künstler und Künstlerinnen sowie u. a. Werke von kommunistisch gesinnten Menschen. "Entartete Kunst" war zudem der Titel einer Ausstellung in München, bei der alle Werke, die in den Augen der Nationalsozialisten als "entartet" galten, gezeigt wurden. Heute gilt der Begriff als abwertend und wird nur in Verbindung mit der Kunstvorstellung der Nationalsozialisten gebracht.
Statt sich selbst um die Überwachung von Max zu kümmern, setzt Jens seinen zu diesem Zeitpunkt zehnjährigen Sohn Siggi darauf an: Da Siggi den Maler häufig in seinem Atelier besucht, soll er diesen für Jens bespitzeln. Siggi aber hat Gewissensbisse, da er dadurch einen Verrat an Max begehen würde.
Einige Zeit später erhält Jens einen weiteren Auftrag von den Nationalsozialisten: Er soll alle Werke von Max in Beschlag nehmen. Selbst der Gedanke daran, dass Max ihm einmal das Leben gerettet hatte, hindert Jens nicht an der Ausführung des von den Nationalsozialisten erteilten Befehls.
Kapitel 5 bis 8: Jens älterer Sohn und die Flucht vor dem Krieg
Jens älterer Sohn Klaas verstümmelt sich absichtlich, um den Kriegsdienst nicht leisten zu müssen. In den Augen seiner Eltern stellt dies eine Schande dar, da sie in der Verstümmelung Feigheit erkennen. Klaas wird von seinen Eltern geächtet und außerdem in ein Lazarett eingewiesen. Als Klaas aus dem Lazarett flüchtet und drei Männer versuchen ihn zu fangen, nimmt der Maler Max den Verstümmelten bei sich auf und versteckt ihn.
Unter dem Begriff Lazarett wird seit dem 19. Jahrhundert ein Militärkrankenhaus verstanden. Dort werden Soldaten behandelt, die im Krieg verletzt werden oder erkranken.
Als Jens Max besucht, findet der Polizist bei diesem ein Gemälde, auf dem Klaas zu sehen ist. Jens vermutet, dass der Maler seinen Sohn bei sich versteckt hält. Eine Durchsuchung verläuft ergebnislos. Aus Wut darüber, dass Max gegen das Malverbot verstoßen hat, fordert Jens von Nansen die Abgabe des Bilds.
Kapitel 9 bis 12: Luftangriff und das Pochen auf Freiheit
Klaas, der sich bei der Durchsuchung in die Nähe eines Moors begeben hatte, wird bei einem Luftangriff verletzt. Aus Furcht, sein Bruder würde für die Flucht aus dem Lazarett bestraft werden, rät Siggi seinen Vater von einer erneuten Einweisung in das Lazarett ab. Doch Jens schickt Klaas wieder ins Lazarett.
Da der Maler sich nicht an das Malverbot durch die Behörden hält, wird er eines Tages von der Gestapo zum Verhör abgeholt. Nach seiner Rückkehr ist der Künstler wie ausgewechselt, da er mit niemandem mehr spricht und sich sozial zurückzieht. Als seine Frau stirbt, malt er ein Bild von ihr und lädt die Dorfgemeinschaft zum Anschauen des Bildes ein: Er möchte Jens damit zeigen, dass er sich weiterhin nicht an das Malverbot hält. Max und Jens sind längst verfeindet.
"Gestapo" war die Abkürzung für die Geheime Staatspolizei im nationalsozialistischen Deutschland. Bespitzelung verdächtiger Menschen und ihr Verhör waren u. a. Aufgaben dieser Behörde.
Kapitel 13 bis 16: Das Ende des Krieges
Bei der Verteidigung des Dorfs gegen die vorrückende englische Armee, zu der sich der Polizist Jens Nansen verpflichtet hat, kommt Jens in Kriegsgefangenschaft. Nach Kriegsende kehrt der körperlich und psychisch schwer verletzte Klaas bei Nansen ein, um sich dort zu erholen.
Selbst das Kriegsende ist kein Anlass für den pflichtbewussten Polizisten Jens, sich mit seinem älteren Sohn Klaas und dem Maler Nansen auszusöhnen: Denn beide haben in seinen Augen ihre jeweiligen Pflichten verletzt. Sein Groll gegen Nansen tritt zutage, als Nansen, der nun wieder malen darf, für seine Werke geehrt werden soll. Der eingeladene Polizist schleicht sich kurz vor der Veranstaltung in das Haus des Malers ein, um dessen Werke zu zerstören. Dabei kommt der Eingeschlichene aber nicht ungeschoren davon, da er dabei von Siggi erwischt wird.
Bild 17 bis 20: Siggi wird zum "Kunstdieb aus Not"
Siggi versteckt einige Werke Nansens in einer Mühle, da er befürchtet, dass sein Vater diese sonst beschlagnahmen würde. Eines Tages brennt die Mühle und Siggi will die Werke vor dem Feuer retten. Er setzt den Maler darüber in Kenntnis. Inzwischen hat sich sein Bedürfnis, Nansens Kunstprodukte vor der Vernichtungswut seines Vaters zu wahren, zu einem regelrechten Wahn gesteigert: Siggi fängt nämlich an, die Werke Nansens sogar zu stehlen, wobei er einmal erwischt und als Strafe in eine Besserungsanstalt eingeliefert wird.
All diese Ereignisse aus seiner Kindheit und frühen Jugend bilden die Grundlage für seinen Aufsatz "Die Freuden der Pflicht", den Siggi abgibt und sich so seine Entlassung aus der Besserungsanstalt verdient.
"Deutschstunde" – Charakterisierung der wichtigsten Figuren
Bedeutend für die Handlung des Werks "Deutschstunde" sind die vier Figuren Siggi, Klaas und Jens Jepsen sowie Max Ludwig Nansen.
Jens Ole Jepsen
- ist ein Polizist.
- hat zwei Söhne und ist verheiratet.
- wird fanatisch bis krankhaft von seiner Dienstpflicht angetrieben.
- ist nachtragend und rachebedürftig.
- priorisiert die Dienstpflicht vor seiner Familie und Freundschaften.
- handelt manchmal hinterhältig.
Siggi Jepsen
- ist der jüngere Sohn von Jens Jepsen.
- leidet unter der Strenge seines Vaters.
- kann Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen.
- ist hilfsbereit und wohlwollend.
- priorisiert seine Familie und Freunde.
- wird später in eine Besserungsanstalt eingeliefert.
Klaas Jepsen
- ist der ältere Sohn von Ole Jepsen.
- entgeht dem Kriegsdienst durch Selbstverstümmelung und wird deshalb aus der Familie ausgeschlossen.
- wird bei einem Luftangriff schwer verletzt.
Max Ludwig Nansen
- ist Maler und künstlerisch begabt.
- ist zunächst ein Freund von Jens.
- erhält ein Malverbot durch Jens.
- hat ein ausgeprägtes Bewusstsein von Freiheit und Selbstbestimmung.
- widersetzt sich mehrmals dem Malverbot.
- ist immer hilfsbereit und nimmt Klaas bei sich auf.
"Deutschstunde" – Aufbau und Sprache
Sowohl die Struktur als auch die Sprache des Romans "Deutschstunde" weisen besondere Merkmale und Auffälligkeiten auf.
Aufbau und Erzählperspektive
"Deutschstunde" besteht aus zwanzig Kapiteln, jedes davon ist dem jeweiligen Inhalt entsprechend benannt. So lautet die Überschrift des ersten Kapitels "Die Strafarbeit" – genau darum geht es auch in diesem Kapitel: Die Figur Siggi muss als Strafe in einer Zelle einen versäumten Aufsatz nachschreiben.
Erzähltechnisch verfügt der Roman über eine Rahmenhandlung und eine Binnenhandlung. In der Rahmenhandlung schreibt der erwachsene Siggi über seine Kindheit. Die aufgeschriebene Geschichte stellt wiederum die Binnenhandlung dar.
Bei einer Rahmenhandlung handelt es sich um eine Handlung, die die Binnenhandlung, also die eigentliche Handlung einer Geschichte, umfasst. Die Binnenhandlung ist in die Rahmenhandlung eingebettet.
Die Handlung wird aus der Ich-Perspektive von Siggi erzählt:
Sie haben mir eine Strafarbeit gegeben. Joswig selbst hat mich in mein festes Zimmer gebracht, hat die Gitter vor dem Fenster beklopft, den Strohsack massiert, hat sodann, unser Lieblingswärter, meinen metallenen Schrank durchforscht und mein altes Versteck hinter dem Spiegel.1
Im gesamten Roman ist Siggi der Ich-Erzähler, d. h. die Person, durch die die Lesenden von der Handlung erfahren. Die Lesenden erhalten alle Informationen aus Siggis subjektiver Perspektive. Manchmal vermutet Siggi, dass andere Personen aus bestimmten Beweggründen handeln oder aber bestimmte Gedanken haben, wie im folgenden Beispiel:
Wahrscheinlich dachte er daran, das gestempelte und unterschriebene Verbot wortlos zu überreichen, allenfalls mit der Bemerkung: Da ist was für dich aus Berlin, und gewiss hoffte er darauf, dass ihm unnötige Fragen erspart blieben, wenn er den Maler zunächst mal selbst lesen ließ.1
Sprache
Die Sprache im Roman ist reich an detaillierten Beschreibungen. Das Beispiel aus dem zweiten Kapitel zeigt, wie Lenz mitunter ganze Absätze nutzt, um das Verhalten von Jens zu beschreiben:
Ein Rauchschleier schwebte in der Küche. Ein nach Torf duftender, zuckender Rauschschleier schwebte im Wohnzimmer. Der Wind saß im Ofen und paffte uns das Haus voll, während mein Vater hin und her ging und offenbar nach Gründen suchte, um seinen Aufbruch zu verzögern, hier etwas ablegte, dort etwas aufnahm, die Gemaschen im Büro anlegte, das Dienstbuch am Eßtisch in der Küche aufschlug und immer noch etwas fand, was seine Pflicht hinausschob, bis er mit ärgerlichem Erstaunen feststellen musste, daß etwas Neues aus ihm entstanden war, [...].1
Die obige Szene spielt sich kurz vor Jens Aufbruch zum Maler Nansen ab. So eine gründliche Beschreibung hat die Wirkung, dass die Lesenden detaillierte Informationen über das Verhalten der Figuren erhalten. Am Beispiel wird deutlich, dass Jens sich in einem aufgeregten Zustand befindet, weil er einerseits zum Maler muss, andererseits aber durch ein Unwetter daran gehindert wird.
Auch die Beschreibung von Naturereignissen, wie etwa die Beschreibung eines Unwetters im zweiten Kapitel, nehmen zum Teil ganze Absätze ein:
Es ging nicht nur Wind: dieser Nordwest belagerte in geräuschvollen Anläufen die Höfe, die Knicks und Baumreihen, erprobte mit Tumulten und Überfällen die Standhaftigkeit und forme sich eine Landschaft, eine schwarze Windlandschaft, krumm, zerzaust und voll unfaßbarer Bedeutung.1
Lenz beschreibt das Unwetter durch einen stark wehenden Nordwind. Die Funktion von so intensiven Naturbeschreibungen liegt darin, auf den Ort der Handlung näher einzugehen. Außerdem lässt sich an dem Beispiel erkennen, dass der Autor oft in langen, verschachtelten Sätzen schreibt. Dennoch ist die Sprache im Roman generell leicht verständlich, was auch am Fehlen schwieriger Begriffe oder Fremdwörter liegt.
"Deutschstunde" – Historischer Hintergrund und Epoche
"Deutschstunde" erschien im Jahr 1968 und damit in einer Zeit, in der viele deutschsprachige Denker und Denkerinnen die deutsche Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) auf- und verarbeiteten. So war es üblich, Antworten auf Fragen wie "Wer soll an den Verbrechen der Nationalsozialisten die Schuld tragen?" oder "Welche Folgen hatte die nationalsozialistische Schreckensherrschaft auf die allgemeine Mentalität der deutschen Bevölkerung?" zu suchen.
Auch der Roman "Deutschstunde" von Siegfried Lenz thematisiert diese Fragen. Daher, aber auch wegen seines Erscheinungsdatums, wird der Roman der Epoche der Nachkriegsliteratur zugeordnet.
Als Nachkriegsliteratur wird eine deutsche Literaturepoche bezeichnet, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat. Sie begann nach Kriegsende im Jahr 1945. Ihr Ende hingegen ist etwas schwieriger zu bestimmen, wird jedoch in der Literaturwissenschaft zwischen 1967 und 1990 verortet. Inhaltlich befassten sich die Autoren und Autorinnen vor allem mit den oben genannten Fragen.
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"Deutschstunde" – Entstehungsgeschichte
Als Inspiration für die Figur des Malers Max Ludwig Nansen diente Lenz der Maler Emil Nolde (1867–1956), der von den Nazis ebenfalls ein Malverbot erhielt. Seine Werke waren Teil der Ausstellung "Entartete Kunst" in München. Wie Nansen umging Nolde das Malverbot, indem er im Privaten weitermalte. Insofern weist die Figur des Nansen Parallelen zum Maler Emil Nolde im nationalsozialistischen Deutschland auf.
Interessanterweise steckt hinter dem Namen Max Ludwig Nansen noch mehr, als er zunächst den Anschein macht: Die Vornamen Max und Ludwig spielen eigentlich auf Max Beckmann (1884–1950) und Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) an. Bei den beiden handelt es sich um berühmte Maler, deren Werke im Nationalsozialismus ebenfalls als "entartet" galten.
Noch aufschlussreicher ist aber der Name Siggi, also eine Abkürzung des Namens Siegfried, der sich mit dem Vornamen des Autors Siegfried Lenz deckt. Zwar ist die Geschichte Siggis im Roman fiktional, es gibt dennoch biografische Parallelen zwischen der Romanfigur Siggi und dem Autor Siegfried Lenz: Beide erlebten das nationalsozialistische Deutschland am eigenen Leib und beide sind Beamtensöhne. Als solche sind sie Zeitzeugen des Erziehungsideals des nationalsozialistischen Deutschlands.
Über den Autor Siegfried Lenz
Siegfried Lenz wurde am 17. März 1926 als Sohn eines Zollbeamten geboren. Lenz kämpfte im Zweiten Weltkrieg, kurz vor 1945 geriet er in die englische Kriegsgefangenschaft. Nachdem er sein Studium der Philosophie, Anglistik und Literaturwissenschaft abgebrochen hatte, gelang ihm der Einstieg in den Journalismus und schließlich der Durchbruch als freier Schriftsteller.
Die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit beschäftigte ihn. Einige seiner Romane behandeln diese Thematik und werden daher in die Epoche der Nachkriegsliteratur eingeordnet. Neben dem Roman "Deutschstunde" zählen folgende zu seinen bekanntesten Werken:
- "Suleyken" (1955)
- "Heimatmuseum" (1978)
- "Exerzierplatz" (1985)Interpretation von "Deutschstunde" und zentrale Motive
Durch den gesamten Roman zieht sich das zentrale Motiv der Pflicht. Doch auch einige Bezüge zu realen Ereignissen in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland lassen weitere Interpretationsansätze zu.
Pflicht als Hauptmotiv der Handlung
Die Vorstellung von Pflicht, die die Figur des Jens Jepsen hat, ist entscheidend für die Gesamthandlung des Romans. Die Figur des Jens handelt vorwiegend aus einem fanatischen bis mitunter krankhaften Pflichtbewusstsein. So ist die langjährige Freundschaft mit dem Maler Max Nansen irrelevant, als Jens ihm ein Malverbot erteilen muss:
Das Malverbot is in Berlin beschlossen, das hab ich mir nich [sic] ausgedacht, und auch die Beschlagnahme der Bilder is in Berlin verfügt worden. Ich hab für alles meine Anweisungen, und darüber bin ich nich [sic] hinausgegangen.1
In diesem Zitat wird Jens Besessenheit von der Dienstpflicht deutlich und diese bringt sein unmittelbares Umfeld zunehmend in Bedrängnis: Der Maler wird durch das Verbot jeglicher Möglichkeiten beraubt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Auch Jens älterer Sohn Klaas wird von seiner Familie geächtet, da er durch seine Selbstverstümmelung und Kriegsdienstverweigerung den Pflichtbegriff seines Vaters geradezu herausfordert. Für den Vater bedeutet eine Flucht vor dem Kriegsdienst eine Missachtung von Pflichten gegenüber dem Land. Klaas wird nicht nur aus der Familie ausgeschlossen, sondern ist zunächst obdachlos, bis er von dem Maler Nansen aufgenommen wird.
Selbst nach dem Kriegsende, womit das Malverbot für Nansen entfällt, kann Jens den Maler nicht loslassen: Nun will Jens die Werke von Nansen vernichten. Jens ist nämlich überzeugt davon, dass Nansen die Bilder unter Missachtung des Malverbots angefertigt hat. Dementsprechend verdienen die Gemälde in den Augen von Jens keine Würdigung.
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
Der Roman kann als eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands betrachtet werden. Die Darstellungen der Figuren und Ereignisse zeigen, welche Folgen der Nationalsozialismus u. a. für die Kunstschaffenden und für Kinder hatte. Der Maler Nansen darf beispielsweise nicht mehr malen, der zehnjährige Siggi Jepsen wird vom eigenen Vater streng gedrillt, der ältere Sohn Klaas Jepsen wird aus der eigenen Familie verstoßen, weil er am Krieg der Nationalsozialisten nicht teilnehmen will.
Insofern gewinnt der Roman eine Relevanz selbst für eine historisch kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, zumal die im Roman dargestellten Ereignisse Parallelen zu den reelen, während der NS-Zeit stattgefundenen, Ereignissen aufweisen: Die Nazis verboten alles, was nicht zu ihrer Ideologie passte, sie nahmen den Menschen außerdem die Freiheit zur Meinungsäußerung und Selbstentfaltung.
Außerdem spielt das Werk darauf an, dass sich die Mentalität vieler Menschen selbst einige Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus in Deutschland wenig geändert hat. Das spiegelt sich eindeutig in der Besessenheit der Figur des Jens Jepsen wider. Dieser will selbst nach dem Kriegsende die Werke des Malers Nansen vernichten, weil Nansen seine Werke trotz Malverbot geschaffen hatte.
Deutschstunde - Das Wichtigste
- "Deutschstunde" ist ein Roman des deutschen Schriftstellers Siegfried Lenz aus dem Jahr 1968, der in die Epoche der Nachkriegsliteratur eingeordnet wird.
- Im Roman berichtet die Figur Siggi Jepsen über seine Kindheit unter dem fanatisch pflichtbewussten Vater Jens Jepsen. Auch das Leiden des Umfelds unter Jens, einem Polizisten im nationalsozialistischen Deutschland, wird thematisiert.
- Der Roman besteht aus zwanzig Kapiteln, jedes davon ist nach seinem Inhalt betitelt.
- Erzähltechnisch besteht die Erzählung aus einer Rahmen- und einer Binnenhandlung, wobei die Binnenhandlung den meisten Platz im Roman einnimmt.
- Der Roman wird in der Ich-Perspektive von Siggi erzählt.
- Die Sprache im Roman ist reich an ausführlichen Beschreibungen vom Verhalten der Figuren und Naturereignissen.
- Das zentrale Motiv in "Deutschstunde" ist das übertriebene Pflichtbewusstsein des Polizisten Jens Jepsen, das immer wieder zum Konflikt zwischen ihm und seinem Umfeld führt.
- Lenz Roman kann auch als eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit interpretiert werden.
Nachweise
- Siegfried Lenz (1926). Deutschstunde. Deutscher Taschenbuch Verlag
- Irene Charlotte Streul. Westdeutsche Literatur in der DDR. Böll, Grass, Walser und andere in der offiziellen Rezeption 1949–1983. Metzler Verlag.
- Jörg Magenau. Schmidt – Lenz. Geschichte einer Freundschaft. Hoffmann und Campe Verlag.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Deutschstunde
Wo spielt die Handlung in "Deutschstunde"?
Die Handlung in "Deutschstunde" spielt an zwei Orten, in einer Jugendstrafanstalt in Hamburg und in einem Dorf in Schleswig-Holstein.
Wer hat den Roman "Deutschstunde" geschrieben?
Der deutsche Autor Siegfried Lenz hat den Roman "Deutschstunde" geschrieben.
Wann spielt "Deutschstunde"?
Die Rahmenhandlung von "Deutschstunde" spielt in den 1950er-Jahren, die Binnenhandlung in der Zeit von 1943 bis 1946.
Wo lebte Siegfried Lenz?
Lenz wuchs in den Masuren auf. Als er gegen Ende des Zweiten Weltkriegs desertierte, geriet er in britische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung zog Lenz nach Hamburg.
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