Die Berliner Antigone

Der König und die Königin von Theben, Laios und Iokaste, haben laut griechischer Mythologie eine erschreckende Weissagung bekommen: Ihr Sohn werde seinen Vater umbringen und seine Mutter heiraten. Als sie tatsächlich einen Sohn bekommen, wollen sie der Erfüllung dieses Schicksals um jeden Preis aus dem Weg gehen. Sie setzen das Kind aus und zerstechen ihm zur Sicherheit zuvor die Füße. Dies leitet die Vorgeschichte des Dramas "Antigone" von Sophokles ein.  

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    Die Berliner Antigone, Inhaltswarnung Thematisierung von Suizid, Gewalt, Rassismus und andere Formen von Diskriminierung, StudySmarter

    Der Sohn wird von dem König von Korinth gefunden und Ödipus (Deutsch: Schwellfuß) genannt. Auf einer Straße begegnet er eines Tages Laios, ohne zu wissen, dass er sein Vater ist, und erschlägt ihn. Er kommt nach Theben, wo er die verwitwete Iokaste, seine leibliche Mutter, heiratet. Mit ihr zeugt er vier Kinder. Als Iokaste und Ödipus eines Tages die Wahrheit über ihre Ehe erfahren, begehen beide Selbstmord. Ihre Söhne teilen sich zuerst die Königswürde, bringen sich aber gegenseitig in einem Duell um, woraufhin Iokastes Bruder Kreon Herrscher von Theben wird.

    Antigone ist eine der Töchter des Mutter-Sohn-Paares. Eines der berühmtesten Stücke der griechischen Antike handelt von ihrem Schicksal. Rolf Hochhuth hat das Drama von Sophokles in seiner Novelle "Die Berliner Antigone" in die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland versetzt. Das Werk ist 1963 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und 1964 in Buchform erschienen und wurde vier Jahre später verfilmt.

    "Die Berliner Antigone" – Zusammenfassung

    Auch wenn "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth eine Novelle ist, und somit einer anderen Gattung angehört als Sophokles Drama "Antigone", orientiert sich das Werk an dem Aufbau des griechischen Klassikers. Die Handlung spielt in Berlin während des Zweiten Weltkrieges, im Jahr 1943. Die Hauptfigur ist die junge Frau Anne, die zum Tode verurteilt wird, weil sie ihren Bruder unerlaubt bestattet hat.

    Die Ausgangslage

    Annes Bruder kehrt als Verletzter von der Schlacht in Stalingrad zurück und sagt, dass die deutsche Regierung schuld sei am Scheitern an der Ostfront. Wegen dieser Aussage wird er wegen Hochverrates hingerichtet.

    Stalingrad war ein Industriestandort der Sowjetunion, der das nationalsozialistische Deutschland 1941 den Krieg erklärt hatte. Die Schlacht von Stalingrad gilt als eine der berühmtesten Schlachten des Zweiten Weltkrieges und als Wendepunkt, der zu der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands führte. Im Winter 1942/43 wurde die 6. deutsche Armee in dieser Schlacht fast vollständig vernichtet.

    Da Hochverrätern in dem diktatorischen Staat keine Bestattung erlaubt ist, wird seine Leiche an die Universität gespendet. Dort soll sie Studierenden für Experimente zur Verfügung stehen. Die Mutter der beiden Geschwister begeht nach der Hinrichtung ihres Sohnes Selbstmord.

    Hochverrat ist ein als "schweres Verbrechen" deklariertes Vergehen in vielen Ländern. Dabei handelt es sich um Taten, die dem eigenen Staat aktiv schaden sollen. Ein Beispiel hierfür ist, wenn sich jemand an Kampfhandlungen einer feindlichen Armee beteiligt.

    Anne beschließt, ihrem Bruder ein Begräbnis zu verschaffen und ihn selbst zu begraben. Ihr ist zwar bewusst, dass sie sich damit selbst in große Gefahr begibt, aber bei einem Bombenangriff auf Berlin ergreift sie trotzdem ihre Chance. Da in der Stadt allgemeines Chaos herrscht, schafft sie es, die Leiche ihres Bruders aus der Universität zu entwenden und heimlich zu vergraben.

    Als sie ihren Bruder in einem Handwagen transportiert, wird sie von einer anderen Studentin beobachtet. Diese verrät sie, weswegen Anne für ihre Tat vor Gericht gestellt wird. Ihr droht für das Vergehen die Todesstrafe.

    Der Gerichtsprozess

    Der Verlobte Annes, Bodo, ist der Sohn des Richters, der in dem Prozess gegen Anne eingesetzt ist. Wegen seines Sohnes will er zu Annes Vorteil urteilen, obwohl sie schon zu Beginn ein Geständnis abgegeben hatte. Er erklärt, dass er nicht glaube, dass Anne die Leiche ihres Bruders allein zum Invalidenfriedhof hätte transportieren können. Anne bleibt aber bei ihrem Geständnis, dass sie die Tat begangen habe.

    Als Invaliden werden durch den Krieg verletzte Soldatinnen und Soldaten bezeichnet. Der Invalidenfriedhof ist heute eine Gedenkstätte im Berliner Stadtteil Mitte. Dort wurden während des Zweiten Weltkrieges Invaliden bestattet.

    Um trotzdem die Verlobte seines Sohnes vor einer drohenden Todesstrafe zu beschützen, stützt sich der Richter auf eine neue Argumentation. Er erklärt, dass bei der Bestattung des Bruders nicht zwangsläufig staatsfeindliche Beweggründe ausschlaggebend sein müssten. Außerdem hätte sich Anne wegen des Suizides ihrer Mutter bereits in einer psychischen Ausnahmesituation befunden.

    Die Staatsanwaltschaft und der Beisitzer vor Gericht wissen nichts von der Verbindung zwischen der Angeklagten und dem Richter. Sie sind zwar misstrauisch wegen der Milde, die der Generalrichter gegenüber Anne walten lässt, ergreifen aber keine Konsequenzen aufgrund seiner hohen Machtstellung.

    Anne wird eine Entscheidung angeboten, für die sie sich 24 Stunden Zeit nehmen darf. Der Richter bietet ihr an, die Todesstrafe in eine Zuchthausstrafe umzuwandeln, wenn sie bereit ist, die Leiche ihres Bruders wieder aus dem Grab zu holen. Dies solle dann unter Bewachung passieren. Bei der Verkündung dieser richterlichen Entscheidung bricht Anne zusammen. Sie hat Angst vor der ihr drohenden Todesstrafe.

    Die Entscheidung

    Anne wird zurück in ihre Zelle gebracht, wo sie die Entscheidung über das Verbleiben der Leiche ihres Bruders treffen soll. Sie schreibt dort auch einen Brief an Bodo, in dem sie ihm mitteilt, dass die Todesstrafe für sie verhängt wurde. Der Gefängniswärter bietet an, den Brief hinauszuschmuggeln und zu Bodo zu bringen. Anne schreibt in dem Brief auch, wo der genaue Standort ist, an dem sie ihren Bruder vergraben hat.

    Daraufhin erinnert sich Anne an die Nacht, in der sie die Leiche entwendet und begraben hat. Berlin stand wegen der Bombenangriffe in Flammen, als Anne ihren Bruder auf den Friedhof gebracht hat. Sie beschreibt, dass sie sich dort vor dem Feuer sicher gefühlt habe. Sie schnitt ein Loch in das Moos und ihr Werkzeug warf sie in die Flammen. Den Handwagen, den sie für den Transport benötigt hatte, schenkte sie daraufhin zwei jungen Männern aus der Hitlerjugend.

    Die Hitlerjugend (HJ) war eine Vereinigung der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei). Innerhalb der HJ wurde der politische Nachwuchs militärisch und vor allem ideologisch geformt.

    Anne entscheidet sich zunächst trotz ihrer Angst für die Todesstrafe. Sie glaubt an die Richtigkeit ihrer Tat und kann es nicht übers Herz bringen, diese rückgängig zu machen. Kurz darauf wird das Gebäude, in dem sich das Gericht befindet, durch eine Luftmine zerstört. Dadurch wird Annes Entscheidungszeit auf elf Tage verlängert.

    In dieser Zeit spricht sie mit dem Pfarrer Ohm und ihrem Verteidiger. Beide raten ihr dazu, die Leiche ihres Bruders zu exhumieren. Der Verteidiger weiß mittlerweile von ihrer Verlobung mit Bodo und rät ihr deshalb dazu, die Milde des Richters zu nutzen. Der Pfarrer Ohm erklärt ihr, dass der Seelenfrieden ihres Bruders wegen einer fehlenden Bestattung nicht in Gefahr sei.

    Eine Exhumierung ist das Ausgraben einer Leiche und die Entwendung der menschlichen Überreste aus der Ruhestätte.

    Anne beginnt auch wegen ihrer Zellennachbarin an ihrer Entscheidung zu zweifeln. Die junge Frau, mit der sich Anne eine Zelle teilt, ist zum Tode verurteilt, weil sie Brot gestohlen hat. Diese Tat führte zu ihrer Hinrichtung. Anne denkt darüber nach, dass sie einer Todesstrafe aus dem Weg gehen kann und beschließt, das Angebot des Richters anzunehmen.

    Das Scheitern des Angebotes

    Nur kurze Zeit, nachdem Anne diese Entscheidung getroffen hat, kommt Pfarrer Ohm zu ihr. Er teilt ihr mit, dass sich Bodo erschossen habe. Dieser habe den Brief erhalten, den Anne zu Beginn ihrer Haft geschrieben hatte, und glaubte, dass sie bereits hingerichtet worden sei.

    Weil sein Sohn nun tot ist, sieht der Richter keinen Grund mehr, Anne vor einer Hinrichtung zu bewahren. Auch wenn er sein zuvor getätigtes Angebot nicht widerruft, geht er nicht mehr darauf ein. Anne wird nicht mehr nach einer Entscheidung gefragt und erhält somit die unumgängliche Todesstrafe. Sie wird am 5. August 1943 in einem Schuppen enthauptet.

    Der Erzähler der Novelle erklärt am Ende, dass Anne vom selben Henker getötet wurde, der auch die Mitglieder der "Operation Walküre" hingerichtet hat. Diese waren kurz darauf bei dem Versuch, ein Attentat auf Adolf Hitler zu verüben, gescheitert.

    "Die Berliner Antigone" – Personen

    Die Personen in der Novelle "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth sind teilweise an echte Menschen angelehnt, wie auch an die Figuren aus der Tragödie "Antigone" von Sophokles. Dabei spielt die Novelle von Hochhuth in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, was die Handlungen der Figuren stark beeinflusst.

    "Die Berliner Antigone" – Charakterisierungen

    Die Figuren in der Novelle "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth können anhand ihres Verhältnisses gegenüber dem Naziregime eingeordnet werden. Annes Bruder wurde wegen seiner Position gegenüber der Schlacht bei Stalingrad hingerichtet und ihm wird deshalb auch ein Begräbnis verweigert. Anne kann dies nicht hinnehmen und nimmt deshalb große Gefahren auf sich. Der Richter und der Staatsanwalt können als ausführende Instanzen der Diktatur verstanden werden, obwohl der Richter bereit ist, Anne wegen seines Sohnes zu helfen.

    Anne

    • Anne ist die Protagonistin der Novelle und bestattet ihren Bruder illegaler Weise.
    • Sie ist überzeugt von der Richtigkeit ihrer Tat, obwohl sie weiß, dass deswegen schwere Strafen auf sie zukommen können.
    • Auch als ihr angeboten wird, keine Todesstrafe zu verhängen, wenn sie ihren Bruder exhumieren sollte, bleibt sie überzeugt. Das Richtige zu tun ist Anne wichtiger als ihr eigener Vorteil.
    • Während der verlängerten Entscheidungszeit täuscht sie die Entschlossenheit weiterhin nach Außen vor, bekommt aber immer mehr Angst vor dem Tod.
    • Die Bitte um Gnade am Ende kommt aber zu spät – wird mit anderen Frauen hingerichtet

    Generalrichter

    • Ist der Richter in dem Prozess gegen Anne und der Vater von Bodo, Annes Verlobten.
    • Er hat eine sehr hohe Stellung innerhalb des Naziregimes und ist auch überzeugt von der Ideologie.
    • Er ist bereit, Anne zu helfen, weil sie mit seinem Sohn verlobt ist.
    • Nachdem sich sein Sohn umgebracht hat, erhält er ein Kriegsverdienstkreuz von Adolf Hitler persönlich überreicht.
    • Er ist nach Bodos Suizid nicht mehr interessiert an Annes Schicksal, ignoriert ihr Gnadengesuch und lässt sie somit hinrichten

    Bodo

    • Verlobter von Anne und Sohn des Generalrichters
    • Seine Einstellung dem Naziregime gegenüber ist nicht klar
    • begeht Suizid, weil er glaubt, dass Anne bereits hingerichtet wurde, weil er nicht ohne sie leben will

    Pfarrer Ohm

    • Pfarrer im Gefängnis, in dem Anne sitzt
    • Beeinflusst Anne in ihrer Entscheidung
    • Rät ihr, auf das Angebot des Generalrichters einzugehen, weil er glaubt, dass auch unbestattete Menschen Ruhe finden können
    • Ist Übermittler der Nachricht, dass Bodo sich umgebracht hat

    "Die Berliner Antigone" – Analyse von Aufbau und Sprache

    "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth ist eine Novelle, die auf der Handlung der Tragödie "Antigone" von Sophokles beruht. Dadurch ist der Aufbau des Textes dem eines griechischen Dramas nachempfunden. Die nüchterne Sprache der Novelle erinnert an einen Bericht.

    Aufbau

    Der Aufbau der Novelle "Die Berliner Antigone" ist dem eines klassischen Dramas mit fünf Akten nachempfunden. Dieser Aufbau geht auf griechische Tragödien zurück.

    Als Exposition wird die Ausgangslage einer Handlung bezeichnet. Im Fall von "Die Berliner Antigone" ist die Ausgangslage der Geschichte die Hinrichtung von Annes Bruder. Weil er für das Naziregime als Verräter gilt, bekommt er kein Begräbnis.

    Das erregende Moment, oder auch die steigende Handlung, bezeichnet den zentralen Konflikt der Geschichte. Weil Anne das fehlende Begräbnis ihres Bruders nicht einfach hinnehmen kann, stiehlt sie seine Leiche aus der Universität und begräbt ihn heimlich. Anne begeht dadurch aus Überzeugung und aus Liebe zu ihrem Bruder selbst ein Verbrechen.

    Als Höhepunkt wird der Moment der Handlung, in dem die Spannung am höchsten ist, bezeichnet. Bei "Die Berliner Antigone" ist dieser Moment der Gerichtsprozess gegen Anne. Einerseits droht ihr die Todesstrafe, andererseits bietet der Richter ihr an diese umzuwandeln, sollte sie ihren Bruder exhumieren. Anne steht dadurch in einem Gewissenskonflikt. Einerseits hält sie ihre Tat für richtig, andererseits muss sie sterben, wenn sie das Angebot nicht annimmt.

    Das retardierende Moment kommt nach dem Höhepunkt und beschreibt einen Wendepunkt in der Handlung. Annes Bedenkzeit in der Haft verlängert sich wegen eines Bombenanschlags auf das Gerichtsgebäude. In dieser Zeit realisiert sie, dass sie nicht sterben möchte. Sie beginnt, an ihrer Entscheidung, das Angebot des Richters auszuschlagen, zu zweifeln.

    Am Ende einer klassischen Tragödie steht immer die Katastrophe. In Hochhuths "Die Berliner Antigone" besteht die Katastrophe darin, dass sich Bodo umbringt, weil er glaubt, dass Anne bereits hingerichtet wurde. Deshalb wird Annes Gnadengesuch nicht mehr beachtet, da sie nur wegen ihrer Verlobung mit Bodo gerettet worden wäre. Sie wird schließlich hingerichtet.

    Die Erzählperspektive von "Die Berliner Antigone" ist ein auktorialer Erzähler. Das bedeutet, dass der Erzähler nicht an eine der Figuren gebunden ist und die Gefühle und Gedanken aller handelnder Figuren kennt.

    Sprache

    "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth ist in einer nüchternen Sprache verfasst, die häufig auch an das Vokabular des Naziregimes angepasst ist. Diese Darstellung steht oft im Gegensatz zu der sehr emotionalen Handlung der Novelle. Durch die vom Nationalsozialismus geprägte Sprache wird den Lesenden die menschenverachtende Ideologie dieser Zeit vor Augen geführt.

    Besonders in Textstellen, in denen es um den Generalrichter geht, wird die Kälte dieses sprachlichen Ausdrucks deutlich. Die Beschreibungen, die aus seiner Perspektive gemacht werden, sind oft gefühlskalt und zynisch, wie in dem folgenden Zitat deutlich wird:

    Der Generalrichter hörte kaum dem steifschneidigen Staatsanwalt zu. Bodo schien kein Gefühl dafür zu haben, auch seine Mutter nicht, was es ihn kostete, diese Tragödie zur Farce – und dem Führer das Wort im Mund umzudrehen, nur damit dieses aufsässige Frauenzimmer vor dem Beil bewahrt blieb.1

    Der Generalrichter sieht in diesem Textausschnitt nur seine eigenen Probleme, die er mit der Bestrafung Annes bekommt. Er nimmt nicht wahr, aus welchen Gründen Anne so gehandelt hat, oder dass eine Todesstrafe vollkommen unangemessen wäre. Die Bezeichnung "aufsässiges Frauenzimmer" zeigt, dass der Generalrichter eher genervt davon´ist, dass Bodo seine Verlobte vor der Todesstrafe bewahren will.

    Ein Motiv, das sich durch die gesamte Novelle hindurch zieht, ist eine Hitlerbüste. Diese ist in dem Gerichtssaal, in dem Annes Schicksal verhandelt wird, immer präsent. Diese Büste aus Bronze wird immer wieder eingängig beschrieben und geht auch nach der Bombardierung des Gerichts nicht kaputt.

    Der Generalrichter [...] sah sich fest an einem Wasserfleck, der jetzt wie ein überlebensgroßer Fingerabdruck die Wand über der Büste des Führers durchdrang. Die kolossale Bronze war unerschütterlich auf ihrem Sockel geblieben, obgleich der Luftdruck des nächtlichen Bombardements selbst Rohre im Gerichtshof aus der Wand gerissen hatte.1

    Die Büste kann als Symbol für die Allgegenwärtigkeit des Führers Adolf Hitler gesehen werden. Sie steht im Gerichtssaal und scheint den Prozess genau zu überwachen. Ebenso wurde dem Generalrichter die Todesstrafe für Anne von Hitler persönlich aufgetragen.

    "Berliner Antigone" Vergleich – Sophokles und Hochhuth

    "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth ist an das antike Drama "Antigone" von Sophokles angelehnt. Dabei sind einige Motive und Merkmale der beiden Werke ähnlich oder gar gleich. In vielen Punkten unterscheiden sich die beiden Werke aber auch voneinander.

    Merkmal"Antigone" von Sophokles"Berliner Antigone" von Hochhuth
    Gattungklassische TragödieNovelle
    Erscheinungsjahrca. 445 v. Chr. 1963/1965 n. Chr.
    Ort der Handlung ThebenBerlin
    Konflikt der ProtagonistinAntigone bestattet ihren Bruder gegen den Willen des Königs Kreon. Anne bestattet ihren Bruder entgegen der Gesetze des Naziregimes.
    Grund für die Bestattung Antigone hat nach dem Gesetz der Götter gehandelt.Kein Gottesglaube, aber Glaube an eine Zusammenführung von Familien nach dem Tod.
    Verurteilung TodesstrafeTodesstrafe (mit Angebot, diese in eine Zuchthausstrafe umzuwandeln).
    Überzeugung Sie ist überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Ist überzeugt, richtig gehandelt zu haben.
    ZweifelZweifelt nicht daran, dass sie für die richtige Sache sterben würde.Zweifelt später in Haft daran, ob sie wirklich die Todesstrafe annehmen soll.
    Nachgeben der MachthaberKreon gibt am Ende der Tragödie den Gesetzen der Götter nach, als es aber bereits zu spät ist.Das Regime gibt gegenüber Anne nicht nach und auch der Generalrichter ignoriert nach dem Tod seines Sohnes ihr Gnadengesuch.
    Partner der Protagonistinnen Antigone ist mit Haimon, Kreons Sohn, verlobt.Anne ist mit Bodo, dem Sohn des Generalrichters, verlobt.
    Tod Antigone erhängt sich im Kerker, bevor sie befreit werden kann. Annes Gnadengesuch wird ignoriert und sie wird hingerichtet.
    Tod der PartnerHaimon begeht Selbstmord, nachdem Antigone gestorben ist.Bodo begeht Selbstmord, weil er glaubt, dass Anne bereits hingerichtet wurde.

    "Die Berliner Antigone" – Interpretation

    "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth ist ein Werk, das sich mit der nationalsozialistischen Diktatur und ihren Folgen für die Menschen auseinandersetzt. Dafür verwendet der Autor die Geschichte von Antigone, die für ihre Überzeugungen gestorben ist. Ebenso wie Antigone, bestattet Anne ihren Bruder illegaler Weise und wird mit dem Tod bestraft.

    Die Nazidiktatur

    Annes Bruder wird hingerichtet, weil er öffentlich behauptet hat, dass Deutschland selbst schuld an der Niederlage in Stalingrad sei. Damit lehnte er sich gegen die Propaganda des Regimes auf, die in einer Diktatur eines der wichtigsten Elemente ist. Somit gilt er als Hochverräter und seine Leiche darf nicht bestattet werden.

    Als Propaganda wird die Verbreitung von ideologischen und weltanschaulichen Inhalten bezeichnet, die das Ziel hat, die allgemeine Meinung innerhalb der Bevölkerung zugunsten eines Regimes oder einer Partei zu beeinflussen.

    Anne ist, wie Antigone, eine gläubige Person. Sie glaubt, dass Familien nach dem Tod wieder vereint werden. Dafür müssen laut ihres Glaubens die Leichen der Toten aber bestattet werden, weshalb sie den Leichnam ihres Bruders aus der Universität entwendet. Sie weiß, dass sie sich damit in große Gefahr begibt, weswegen sie die Bestattung während einer Bombardierung vornimmt.

    Es zeigt sich an beiden Figuren, dass ihre moralischen Überzeugungen grundsätzlich dem Regime widersprechen. Das Naziregime ist gegen jegliche Moral ausgerichtet, weswegen Handlungen, die aus moralischen Beweggründen entstehen, streng bestraft werden. Beide wissen das und handeln trotzdem aus Überzeugung.

    Die menschenverachtende Ideologie der Nazis wird in der Novelle einerseits in der Figur des Generalrichters, aber auch durch Hitler persönlich deutlich gemacht. Dieser befiehlt die Hinrichtung von Anne mit der Begründung, dass die entwendete Leiche ersetzt werden müsse. Damit verweist er darauf, dass Menschenleben in der Ideologie der Nazis keinen Wert hatten.

    Auch der Erzähler der Novelle verweist immer wieder auf die Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Dadurch kann auch die deutliche Verbindung zu Hochhuths persönlicher Verachtung des Regimes gezogen werden. Im Gegensatz zu Kreon in "Antigone" von Sophokles kann Annes Tod kein Umdenken bei den Herrschenden bewirken. Das Regime ist von Beginn bis zum Ende der Novelle vollkommen unverändert in seiner Brutalität.

    Familiäre Hintergründe von Rolf Hochhuth

    Die Erzählung "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth ist seiner ersten Ehefrau Marianne gewidmet. Damit verweist er nicht nur auf seine Beziehung zu ihr, sondern auch auf ihre Familiengeschichte, die sich in der Novelle spiegelt.

    Mariannes Mutter war Rose Schlösinger, die von 1907 bis 1943 gelebt hat. Sie war während der Zeit des Nationalsozialismus Mitglied einer antifaschistischen Widerstandsgruppe namens "Rote Kapelle". Rose Schlösinger wurde 1943 zusammen mit anderen Frauen aus dem Widerstand in Berlin hingerichtet. Die Leichen der Getöteten wurden der Universität zu Verfügung gestellt.

    Die Hinrichtung aufgrund einer Widerstandshandlung, der Ort der Handlung und die Übergabe der Leichen an die Universität wurden von Hochhuth in seiner Novelle übernommen. Es ist zu vermuten, dass er das Schicksal der Mutter seiner Frau als eine Vorlage für die Handlung in "Die Berliner Antigone" verwendet hat.

    Die Theodizee-Frage

    Als Theodizee wird ein theologisches Problem beschrieben, das sich mit dem Leid, das in der Welt existiert, auseinandersetzt. Die Frage, die dabei gestellt wird, geht von der Annahme aus, dass ein allmächtiger und gütiger Gott solch großes Leid nicht zulassen würde. Da das Leid aber unhinterfragbar existiert, stellt sich innerhalb des Theodizee-Problems die Frage, ob Gott dann existieren könne.

    Mit dieser Frage beschäftigt sich auch Anne in ihrer Haft. Sie wird über den Zeitraum ihrer Haft hinweg immer unsicherer über die Existenz Gottes. Ihre Zweifel werden von dem Erzähler mit einer Bibelstelle kommentiert, in der der Apostel Petrus vor dem Hohen Rat in Jerusalem sagt, dass man Gott mehr gehorchen müsse als Menschen.

    Diese Textstelle aus der Apostelgeschichte spiegelt Annes innere Zerrissenheit wider. Sie ist sich zwar sicher, dass sie moralisch richtig gehandelt hat, weiß aber nicht, ob sie dafür sterben sollte.

    Über den Autor Rolf Hochhuth

    Rolf Hochhuth wurde 1931 in Eschwege geboren und verstarb 2020 in Berlin. Er war ein deutscher Dramatiker, der sich besonders oft mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat und häufig durch moralische Anliegen in die Öffentlichkeit trat.

    Rolf Hochhuth wuchs als Sohn eines Schuhfabrikanten in Eschwege auf und vollendete seine schulische Laufbahn 1948 mit dem Abitur. Seine Kindheit und Jugend waren durch das Naziregime und den Zweiten Weltkrieg geprägt. Als besonders einschneidend erlebte er laut eigenen Aussagen den Einmarsch der US-amerikanischen Truppen in Eschwege, die das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft einläuteten.

    Hochhuth arbeitete als Buchhändler und besuchte nebenher Vorlesungen in Geschichte, Philosophie und Literatur als Gasthörer. 1955 wurde er Lektor im Bertelsmann-Verlag, wo er erfolgreiche Werke herausbrachte. Während eines Sonderurlaubes begann er mit der Arbeit an seinem ersten Drama "Der Stellvertreter".

    In seinem späteren Werk setzte sich Hochhuth, neben der Zeit des Nationalsozialismus, auch mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit auseinander. Er verstarb 2020 im Alter von 89 Jahren und hinterließ drei Söhne.

    Berliner Antigone – Das Wichtigste

    • "Die Berliner Antigone" ist eine Novelle von Rolf Hochhuth, die 1963 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und 1965 in Buchform erschienen ist.
    • Sie erzählt die Geschichte von Anne, deren Bruder im Naziregime als Hochverräter hingerichtet wird. Sie bestattet seine Leiche trotz Verbot, weswegen ihr die Todesstrafe droht. Weil sie mit dem Sohn des Generalrichters verlobt ist, wird ihr aber das Angebot gemacht, die Strafe umzuwandeln. Als sie sich entschließt, dieses Angebot anzunehmen, hat ihr Verlobter bereits Suizid begangen und Anne wird hingerichtet.
    • Die Novelle ist an die griechische Tragödie "Antigone" von Sophokles angelehnt und entspricht auch in ihrem Aufbau einer klassischen Tragödie.
    • Die Sprache in "Die Berliner Antigone" ist nüchtern und erinnert an einen Bericht, wobei auch häufig die menschenverachtende Sprache des Naziregimes eingeflochten ist.
    • "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth ist seiner ersten Ehefrau Marianne gewidmet, deren Mutter Rose Schlösinger als Widerstandskämpferin 1943 hingerichtet wurde.

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    Nachweise

    1. Rolf Hochhuth (1986). Berliner Antigone. Reclam Verlag.
    2. Norbert Göttler, Heinz Puknus (2011). Rolf Hochhuth – Störer im Schweigen. Der Provokateur und seine Aktionsliteratur. UTZ.
    3. Edgar Neis (1976). Antigone. In: Interpretationen motivgleicher Werke der Weltliteratur. C. Bange.

    Häufig gestellte Fragen zum Thema Die Berliner Antigone

    Wer hat "Die Berliner Antigone" geschrieben?  

    "Die Berliner Antigone" ist eine Novelle von Rolf Hochhuth. 

    Warum ist "Die Berliner Antigone" eine Novelle? 

    "Die Berliner Antigone" erfüllt wegen des geringen Umfangs, weil nur eine Haupthandlung ohne Nebenhandlungen erzählt wird, und wegen des Spannungsbogens die Merkmale einer Novelle. 

    Wer war Marianne in "Die Berliner Antigone"? 

    "Die Berliner Antigone" von Rolf Hochhuth ist seiner ersten Ehefrau Marianne gewidmet. Deren Mutter Rose Schlösinger wurde als Widerstandskämpferin im Naziregime hingerichtet, wie auch die Hauptfigur der Novelle, Anne. 

    Wann ist "Die Berliner Antigone" erschienen?

    "Die Berliner Antigone" ist 1963 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und 1964 in Buchform erschienen. 

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