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Besonders diese Anonymität und das Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit thematisierten auch die Autorinnen und Autoren in ihren Großstadtromanen.
Großstadtromans – Definition
Der Großstadtroman ist eine Sonderform des Genres "Gesellschaftsroman" und wird der literarischen Gattung der Epik zugeordnet sowie in Prosa verfasst. Damit gehört der Großstadtroman zur erzählenden Literatur, die ungebunden ist und keinem Rhythmus oder Versschema folgt.
Der Großstadtroman entstand im 20. Jahrhundert und weist viele Gemeinsamkeiten mit dem Gesellschaftsroman wie beispielsweise die realistische Darstellung der zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnisse und die Kritik dieser auf. Spezifisch für den Großstadtroman ist dabei aber, dass die Handlung in der Großstadt spielt. Die Großstadt ist dabei mehr als nur der Handlungsort, sondern auch ein zentrales Element der Werke, das auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Individuen Einfluss nimmt.
Im Abschnitt "Parallelen zum Gesellschaftsroman" findest Du noch mehr Informationen über die Gemeinsamkeiten zwischen dem Gesellschafts- und dem Großstadtroman.
Bekannte Beispiele für den Großstadtroman sind „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin (1878–1957) aus dem Jahr 1929 oder der Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“, den Erich Kästner (1899–1974) im Jahr 1931 veröffentlichte.
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Entstehung des Großstadtromans in der Neuen Sachlichkeit
Der spezifische Romantyp des Großstadtromans entstand im 20. Jahrhundert in der Literaturepoche der Neuen Sachlichkeit. Die literarische Epoche der Neuen Sachlichkeit begann mit der Gründung der Weimarer Republik 1918 und endete 1933 mit der Machtergreifung der NSDAP unter Adolf Hitler.
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Die Neue Sachlichkeit stellte einen Umbruch in der deutschen Literatur dar. Die Autorinnen und Autoren wandten sich von den gefühlsbetonten Erzählungen und subjektiven Darstellungen der vorherigen Epochen ab. Statt einer Beschreibung eigener Emotionen und der eigenen Gefühlswelt näherten sich die Texte einer journalistischen Schreibweise an. Zu diesem Zweck nutzen die Schreibenden eine sachliche Erzählweise und eine neutrale und realistische Ausdrucksweise. Die Sprache war präzise und direkt, um sich auf das Wichtigste zu beschränken.
Die epischen Werke und damit auch die Romane der Neuen Sachlichkeit bezeichnete man als Gebrauchsliteratur, da die Werke vorwiegend einen Nutzen für die Gesellschaft haben sollten. Deswegen ließen die Texte auch kaum Platz für eigene Interpretationen der Lesenden.
Zur Gebrauchsliteratur gehören Berichte, Reportagen oder Dokumentationen, die sich an der Ausdrucksweise journalistischer Texte orientieren.
Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Literatur in der Neuen Sachlichkeit war das Ende des Ersten Weltkrieges und die Entstehung der Weimarer Republik 1918. In der deutschen Bevölkerung verbreitete sich eine Entmutigung infolge der Kriegsniederlage. Die Menschen hatten das Gefühl, dass die einzelnen Individuen gegenüber der Masse keine Bedeutung haben. Grund für diese Einstellung war das Massensterben der Soldaten, die im Krieg als ersetzbare Ware angesehen wurde, und das Gefühl, dass ihr Tod sinnlos gewesen war.
Unter den Folgen des Ersten Weltkrieges litt auch die Politik sowie die Stimmung innerhalb der deutschen Gesellschaft. Die Unzufriedenheit der Menschen spiegelte sich in den Werken der Neuen Sachlichkeit wider, die die sozialen Missstände und das Gefühl der Wertlosigkeit der bzw. des Einzelnen thematisierten. Besonders die Bedeutungslosigkeit des Individuums ist ein zentrales Thema der Großstadtromane und repräsentiert den damaligen Zeitgeist.
Großstadtromans – Merkmale
Da der Großstadtroman ein Subgenre des Gesellschaftsromans ist, weißen beide Romantypen viele Gemeinsamkeiten auf. Welche Gemeinsamkeiten haben der Gesellschafts- und der Großstadtroman einerseits und was zeichnet den Großstadtroman andererseits als spezifischen Romantypen aus?
Parallelen zum Gesellschaftsroman
Der Gesellschaftsroman befasst sich mit gesellschaftlichen Verflechtungen und ihren Entwicklungen in der aktuellen Zeit.
In einem Gesellschaftsroman soll das gesellschaftliche Leben der aktuellen Epoche so realistisch wie möglich dargestellt werden. Die Beschreibungen sollen dabei so detailliert wie möglich die gesellschaftliche Realität darstellen. Daher findet die Handlung stets in der jeweiligen zeitgenössischen Wirklichkeit statt und ist eng mit den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen der Entstehungszeit des Romans verknüpft.
Sowohl Gesellschafts- als auch Großstadtromane nutzen eine sachliche Erzählweise, um soziale Milieus und die komplexe Psychologie der Charaktere zu schildern. Die Handlung wird dadurch komplex und ist durch mehrere Handlungsstränge geprägt.
Gesellschaftsromane und Großstadtromane sind häufig gesellschaftskritisch und wollen die spezifischen Probleme der beschriebenen Bevölkerungsgruppen darstellen. Im Fall des Großstadtromans sollen also die Herausforderungen und Probleme, mit denen Menschen beim Leben in der Großstadt konfrontiert werden, dargestellt und kritisiert werden.
Eigentümlichkeit des Großstadtromans
Die wesentliche Besonderheit des Großstadtromans im Vergleich zum Gesellschaftsroman ist, dass ein Großstadtroman das Lebensgefühl der Menschen in der Großstadt einfangen möchte. Auch im Großstadtroman liegt der Fokus der Handlung auf den sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen, wobei die Handlung allerdings stets in der Großstadt angesiedelt ist.
Es werden spezifisch die Verhältnisse des Großstadtlebens beschrieben, wodurch die Großstadt nicht nur der Handlungsort ist, sondern auch als das zentrale Element darstellt, das die gesellschaftlichen Verhältnisse prägt und für sie verantwortlich ist. Die Schreibenden versetzen sich also in das Großstadtmilieu hinein und beschreiben auch die Psychologie der Menschen, die in der Großstadt leben.
Der Großstadtroman zeigt die Menschen beim Leben in der Großstadt. Dieses ist geprägt durch seine Hektik und Unüberschaubarkeit. Der einzelne Mensch findet sich in der Anonymität wieder und in der Masse der verschiedenen Personen in der Großstadt rückt das Individuum in den Hintergrund. Menschen werden nach ihrer Nützlichkeit und nicht nach ihrem individuellen Selbst bewertet.
Auch das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Gesellschaft ist häufig Thema der Großstadtromane, da Großstädte als Höhepunkt der Urbanisierung und als größtmögliche Entfernung von der Natur angesehen werden können. Großstädte verkörperten also Industrie und Technik, durch die der individuelle Mensch an Bedeutung verliert, während die Natur als Gegensatz zur Industrialisierung und zum Wachstum der Städte angesehen wurde.
Als Urbanisierung bezeichnet man die Ausbreitung städtischer Lebensformen. Dazu gehört das Wachstum der Städte sowie der Wandel der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den Städten, der durch dieses Wachstum bedingt wird.
Die Situation der Individuen im Großstadtleben wird im Großstadtroman durch zahlreiche Einzelszenen verdeutlicht. Dabei ist es teilweise schwer, die einzelnen Szenen zu einer durchgängigen Handlung zu verbinden. Oft führen die Handelnden Monologe, die ihre Orientierungslosigkeit ausdrücken sollen.
Der Großstadtroman „Fabian“ von Erich Kästner
"Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" ist einer der bekanntesten Großstadtromane. Der satirische Roman wurde 1931 von Erich Kästner (1899–1974) veröffentlicht. Im Zentrum der Handlung steht der 32-jährige Germanist Dr. phil. Jakob Fabian. Er arbeitet als Werbetexter für eine Zigarettenfirma und lebt im Berlin der späten 1920er-Jahre.
Fabian nimmt als ironischer, aber auch distanzierter Beobachter das Berliner Nachtleben und dessen unmoralischen Seiten auf. Zwischen Kneipen, Ateliers und Bordellen wartet er darauf, dass die Menschen anständig werden und sich der Moral zuwenden. Fabian gerät in den Sog der Stadt mit ihrer politischen Polarisierung, Hemmungslosigkeit und freizügigen Sexualität. So entwickelt er sich im Verlauf des Großstadtromans von einem Moralisten, der auf den „Sieg der Anständigkeit“ hofft, zum Realisten.
Während Realisten sich an der Wirklichkeit orientieren und die Welt auf eine nüchterne und sachliche Weise betrachten, bezeichnet man Menschen als Moralisten, wenn sie die Dinge übermäßig moralisierend betrachten. Umgangssprachlich bezeichnet man Moralisten auch mit dem abwertenden Begriff des "Moralapostels".
Nachdem er immer wieder von seinen Mitmenschen enttäuscht wird, glaubt Fabian, dass er nur noch sich selbst bessern kann und verlässt Berlin schließlich, um in seine Heimatstadt Dresden zurückzukehren. Schließlich stirbt Fabian, als er versucht, einen Jungen aus einem Fluss zu retten: Während der Junge sich aus dem Wasser retten kann, ertrinkt Fabian, da er nicht schwimmen kann.
Eines der Hauptmotive in „Fabian“ ist das Leben in der Großstadt Berlin. Berlin stellt einerseits einen Ort der Ausschweifungen dar, an dem die Menschen in Lokalen und moralisch fragwürdigen Etablissements Ablenkung vom Alltag finden und ihrer Vergnügungssucht nachgehen können. Andererseits verkörpert die Großstadt die Folgen der Weltwirtschaftskrise durch eine hohe Arbeitslosigkeit sowie Armut und zahlreiche gescheiterte Existenzen, die in Berlin zu überleben versuchen.
Somit wird Berlin für Fabian die Stadt der Liebe und Exzesse, aber auch ein Ort der Not und des Scheiterns. Fabian merkt, dass er als Einzelner nichts gegen die moralischen Grauzonen Berlins tun kann. Somit findet sich auch im Roman das typische Motiv des Großstadtromans von der Bedeutungslosigkeit des Individuums in der Masse.
„Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ kann somit als satirische Kritik Erich Kästners gegenüber den damaligen Zuständen der Gesellschaft gesehen werden. Erich Kästner kritisiert den Faschismus und den politischen wie moralischen Verfall der 1920er- und 1930er-Jahre in Deutschland. Für Kästner kam demnach die Machtergreifung Adolf Hitlers nicht überraschend, sodass sein Roman vor den kommenden Ereignissen warnen sollte.
Während Kästner sich selbst und seinen Protagonisten als Moralisten sieht, die nach ethischen Prinzipien wie Solidarität handeln, beachtet die Gesellschaft diese Ideale nicht. Dies wird im Buch hauptsächlich auf eine ironische Weise vermittelt, da Kästner in „Fabian“ ein übertriebenes pessimistisches Bild der Gesellschaft vermittelt. Besonders die Untätigkeit jener Menschen, die die gesellschaftlichen Verhältnisse und Probleme ihrer Zeit durchschauen, aber nichts dagegen tun, stehen im Zentrum von Kästners Kritik.
Übrigens: Ursprünglich sollte der Roman unter dem Titel „Der Gang vor die Hunde“ veröffentlicht werden. Dieser Titel sollte laut Kästner direkt verdeutlichen, dass sein Großstadtroman das Ziel hatte, die Lesenden vor ihrem herrschenden Zeitgeist zu warnen.
Großstadtroman - Das Wichtigste
- Der Großstadtroman ist eine Sonderform des Gesellschaftsromans und gehört zur literarischen Gattung der Epik. Ein Großstadtroman wird in Prosa verfasst.
- Der Großstadtroman entstand im 20. Jahrhundert in der Literaturepoche der Neuen Sachlichkeit (1918–1933). Die politische und soziale Lage in Deutschland war zu dieser Zeit sehr angespannt und die Menschen hatten das Gefühl, als Individuum bedeutungslos in der breiten Masse zu sein, was die Schreibenden in den Großstadtromanen widerspiegelten.
- Genau wie der Gesellschaftsroman befasst sich der Großstadtroman mit den zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnissen. Beide Romantypen wollen die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der aktuellen Zeit beschreiben und kritisieren.
- Spezifisch für den Großstadtroman ist dabei, dass die Handlung in der Großstadt spielt. Die Großstadt ist nicht nur der bloße Handlungsort, sondern auch das zentrale Element der Werke, das die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Charaktere beeinflusst.
- Besonders die Hektik und Unüberschaubarkeit der Großstadt sowie die Bedeutungslosigkeit des Individuums in der anonymen Masse an Menschen ist ein häufiges Thema in Großstadtromanen.
- "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" ist einer der bekanntesten Großstadtromane. Der satirische Roman wurde 1931 von Erich Kästner (1899–1974) veröffentlicht.
Nachweise
- Anette Huesmann (2019). Buchgenres kompakt: Handbuch der Genres von Actionthriller bis Zeitgeschehen. Dr. Anette Huesmann.
- lektuerehilfe.de: Gesellschaftsroman. (08.07.2022)
- lektuerehilfe.de: Fabian. (11.07.2022)
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Großstadtroman
Was sind Großstadtromane?
Großstadtromane sind eine Sonderform des Gesellschaftsromans. Sie thematisieren das Leben in der Großstadt und das Lebensgefühl der Menschen, die in der Großstadt leben.
Was sind bekannte Großstadtromane?
Bekannte Beispiele für den Großstadtroman sind „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin (1878–1957) aus dem Jahr 1929 oder der Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“, der 1931 von Erich Kästner (1899–1974) veröffentlicht wurde.
Was ist der Unterschied zwischen einem Großstadtroman und einem Gesellschaftsroman?
Der Unterschied zwischen einem Großstadtroman und einem Gesellschaftsroman liegt daran, dass der Großstadtroman eine Sonderform des Gesellschaftsromans ist. Während beide Romantypen das gesellschaftliche Leben der aktuellen Epoche darstellen und auch kritisieren, ist im Großstadtroman die Großstadt der Handlungsort und ein zentrales Element, das die gesellschaftlichen Verhältnisse prägt.
Wann entstand der Großstadtroman?
Der Großstadtroman entstand im 20. Jahrhundert in der Literaturepoche der Neuen Sachlichkeit (1918–1933). Grund für die Entstehung war das Ende des Ersten Weltkrieges 1918. Die politische und soziale Lage in Deutschland war sehr angespannt und die Menschen hatten das Gefühl, als Individuum bedeutungslos in der breiten Masse zu sein. Dieses Gefühl spiegelten die Schreibenden in den Großstadtromanen wider.
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