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Eine Novelle ist eine kurze Erzählung, die sich geradlinig mit einem besonderen Ereignis auseinandersetzt.
Der Begriff "Marquise" meint die weibliche Form eines französischen Markgrafen (also die Amtsträgerin in den Grenzlanden).
Marquise von O – Analyse und Inhaltsangabe
Im Folgenden findest du die Handlung in fünf Abschnitte unterteilt. Tatsächlich besteht aber die ganze Novelle aus einem Fließtext ohne Unterbrechungen.
Die Geschichte beginnt mit einer Anzeige in der Zeitung einer Stadt in Oberitalien: Die Marquise Julietta von O. ist auf der Suche nach dem Vater ihres ungeborenen Kindes. Julietta sei bereit, den Mann zu heiraten, der sich auf die Annonce meldet. Nach dieser Sensation erfahren die Leser*innen im Laufe der Handlung nach und nach die Umstände, unter denen die Marquise die ungewöhnliche Anzeige aufgegeben hat. Die Erklärung der Umstände setzt bereits im Handlungsverlauf an, bevor die Marquise die Anzeige aufgegeben hatte.
1. Abschnitt: Der Angriff
Seitdem ihr Mann im Kampf ums Leben gekommen ist, lebt die Marquise mit ihren beiden Töchtern wieder in ihrem Elternhaus. Erneut zu heiraten, kommt für die verwitwete Marquise nicht infrage.
Wir befinden uns im Verlauf der Handlung noch vor dem Zeitpunkt, an dem die Marquise die rätselhafte Anzeige aufgibt. Deswegen ist sie hier nicht bereit zu heiraten, später in der Annonce aber schon.
Der Vater der Marquise ist ein Obrist (veralteter Begriff für "Oberst") und belegt damit einen hohen militärischen Dienstgrad. Eine russische Einheit greift während einer plötzlich ausbrechenden Kriegshandlung das Schloss an und es bricht ein Feuer aus.
Um welchen Krieg es genau geht, wird in der Novelle selbst nicht erwähnt. Anhand des Entstehungszeitraumes lässt sich aber vermuten, dass Kleist auf den Zweiten Koalitionskrieg (1799–1802) anspielt. Russland, Österreich und Großbritannien kämpften darin gegen Frankreich um Territorien.
In der turbulenten Flucht vor den Flammen gerät die Marquise in die Hände des Feindes. Die russischen Soldaten wollen sie vergewaltigen und die Marquise ruft um Hilfe. Sie wird von dem russischen Offizier Graf F. gerettet und in Sicherheit gebracht. Ihren Retter nimmt sie als einen "Engel des Himmels" wahr und fällt dann in Ohnmacht.
Bei Tagesanbruch inspiziert der General der russischen Eroberer die Lage. Als er von dem versuchten Übergriff gegen die Marquise erfährt, ist er entschlossen, die fünf Täter zu erschießen. Der General fordert Graf F. auf, ihm die beteiligten Soldaten zu nennen. Dieser wirkt aber sehr verstört und behauptet, die Täter nicht identifizieren zu können. Jedoch werden die Täter dennoch identifiziert und anschließend erschossen.
2. Abschnitt: Die Rückkehr des Grafen
Weil der russische General mit seinen Soldaten direkt weiterziehen möchte, hat die Marquise von O. keine Gelegenheit mehr, sich bei Graf F. für seine Hilfe zu bedanken. Einige Zeit später erreicht sie die Nachricht, der Offizier sei in einer Schlacht ums Leben gekommen.
Der Obrist von G. und seine Familie müssen nach der russischen Eroberung ihrer Zitadelle in ein Stadthaus verlegen. Der Alltag stellt sich wieder ein, aber nach einigen Wochen fühlt die Marquise sich anders als sonst. Sie erzählt ihrer Mutter, dass sie sich genauso wie in ihren Schwangerschaften fühle. Die beiden nehmen ihre Sorge nicht weiter ernst.
Wenig später taucht, zur allgemeinen Überraschung, der totgeglaubte Graf F. im Stadthaus der Familie auf. Er erklärt, dass er im Kampf schwer verletzt worden sei, aber der Gedanke an die Marquise habe ihn am Leben gehalten. Er hält um die Hand der Marquise an und bittet um eine schnelle Antwort. Er müsse nämlich wieder aufbrechen, um dienstlich nach Neapel, vielleicht sogar nach Konstantinopel, zu reisen.
Die Familie bittet um Bedenkzeit und schlägt vor, dass Graf F. nach seiner Neapel-Reise bei ihnen wohnen kann, damit sich alle besser kennenlernen können. Die Familie ist entsetzt, als der Graf eifrig vorschlägt, seinen dienstlichen Auftrag abzubrechen, um direkt im Stadthaus zu bleiben. Dies könnte ihn nämlich seinen militärischen Posten kosten.
Damit der Graf seine Pflicht nicht ihretwegen verletzt, verspricht die Marquise, sich bis zu der Rückkehr von Graf F. mit keinem anderen Mann zu verloben. Der Graf ist einverstanden und reist erleichtert nach Neapel ab.
3. Abschnitt: Der Rückzug ins Landhaus
In der darauffolgenden Zeit spürt die Marquise weitere Anzeichen dafür, dass sie schwanger sein könnte. Sie schließt dies trotzdem entschieden aus, weil sie sich nicht erklären kann, wie es zu einer Schwangerschaft gekommen sein könnte.
Dennoch lässt sie einen Arzt rufen, der der Marquise versichert, dass sie schwanger sei. Diese ist entrüstet und hält die Diagnose für eine böswillige Unterstellung. Sie ruft ihre Hebamme zu Hilfe, doch auch diese kann eine Schwangerschaft nur bestätigen. Die Marquise kann sich die Empfängnis des Kindes nicht erklären.
Frau von G., die Mutter der Marquise, zweifelt an der Ehrlichkeit ihrer Tochter. Sie könne ihr aber verzeihen, wenn diese ihr den Vater des Kindes nenne. Die Marquise kann ihr die Frage nach der Vaterschaft nicht beantworten. Daraufhin wird Frau von G. wütend und holt den Obristen hinzu. Dieser fordert die Marquise mit einer Pistole dazu auf, das Haus zu verlassen. Der Bruder der Marquise verlangt sogar, sie solle ihre Kinder im Stadthaus zurücklassen. Das lehnt die Marquise so energisch ab, dass die Familie sie mit ihren Töchtern gehen lässt.
Die Marquise zieht in ein Landhaus in der Stadt V. und konzentriert sich dort ganz auf ihre Kinder und die Haushaltsführung. In ihrem neuen Leben gewinnt sie neues Selbstbewusstsein und vertraut dem natürlichen Lauf der Dinge.
Allerdings macht sie sich Sorgen um die Ehre ihres ungeborenen Kindes. Um dem Kind die Schande zu ersparen, vaterlos zu sein, beschließt sie schließlich, in der Zeitung nach dem Vater zu suchen.
Ungefähr zur gleichen Zeit kehrt der Graf F. aus Neapel zurück. Er fährt sofort zum Landhaus und findet die hochschwangere Marquise in einer Laube. Beide scheinen sich zu freuen. Der Graf macht ihr erneut einen Antrag, woraufhin sie ihn jedoch abweist.
4. Abschnitt: Die Versöhnung
Während der Graf noch überlegt, der Marquise einen Brief zu schreiben, erfährt er von der Anzeige der Marquise. In einer eigenen (anonymen) Annonce kündigt er an, sich an einem bestimmten Termin im Haus des Obristen als der Vater des Kindes zu offenbaren.
Die Mutter der Marquise bereut inzwischen ihr Verhalten der eigenen Tochter gegenüber und möchte mit einer letzten List die Wahrheit über die Vaterschaft des ungeborenen Kindes erfahren. Mit dem Jäger Leopardo fährt sie ins Landhaus der Marquise und behauptet, dieser habe sich als der Kindesvater bei ihr gemeldet und bereue seine Tat. Die Marquise scheint sich plötzlich daran zu erinnern, von Leopardo geschwängert worden zu sein und glaubt die Geschichte. Daran erkennt die Obristin die Unschuld von Julietta und nimmt sie wieder mit ins Elternhaus. Auch die Marquise und ihr Vater versöhnen sich unter Tränen und zahlreichen Entschuldigungen.
5. Abschnitt: Die Heirat und anschließende Vergebung
Am folgenden Tag wartet die Familie auf den Mann, der sich auf die Suchanzeige der schwangeren Tochter gemeldet hat. Als der Graf F. vor der Tür steht, hält die Marquise es für einen Zufall. Die Obristin aber durchschaut, was wirklich passiert ist: Graf F. hatte in der Nacht des Überfalls der russischen Soldaten die Marquise vor einer Vergewaltigung bewahrt, sich jedoch anschließend, nachdem die Marquise in Ohnmacht gefallen war, selbst an ihr vergangen. Die Obristin erkennt die tiefen Reuegefühle und Liebenswürdigkeit des Grafen. Sie befürwortet daher die Verlobung mit der Tochter.
Die Marquise selbst aber verflucht den Grafen. Sie erklärt, ihn nicht heiraten zu wollen und rennt aus dem Zimmer. Ihre Familie tut diese Reaktion zunächst als Überreizung der Nerven ab.
Formell wird die Vermählung kurz darauf vollzogen, aber nach der Trauung wendet sich die Marquise vom Grafen ab. Der Graf muss bei der Eheschließung auf alle Rechte eines Ehemannes verzichten und zieht außerdem, auf Wunsch der Marquise, in eine eigene Wohnung in der Stadt. Das Ehepaar sieht sich selten.
Nach einer Weile ist Julietta bereit, dem Grafen zu verzeihen. Nachdem sie sich das zweite Mal das Jawort geben und ein großes Hochzeitsfest feiern, werden sie ein echtes Paar. Sie wohnen fortan in V. und gründen eine kinderreiche Familie. Im letzten Satz der Novelle löst die Marquise auf, dass sie den Grafen so verachtet hatte, da er ihr bei der ersten Begegnung wie ein Engel vorgekommen wäre, sich aber im Nachhinein als Teufel entpuppt hatte.
Die Marquise von O – Figurenkonstellation
Die zentralen Figuren der Novelle sind die Marquise von O., ihre Eltern und der Offizier Graf F..
Julietta, die Marquise von O.
- Verwitwet
- hat zwei Kinder
- verschwiegen und geheimnisvoll
- lebt zu Beginn der Novelle zurückgezogen bei ihrer Familie
- ordnet sich ihrer Familie unter und hat feste Moralvorstellungen
- weiß nichts von ihrer Schwangerschaft und ist verängstigt
- hat starke Mutterinstinkte und verlässt ihre Familie, um ihre Kinder eigenständig zu erziehen
- ist geschockt über den Grafen F., verzeiht ihm aber letzten Endes.
Oberstleutnant Graf von F.
- Russischer Offizier
- genießt einen hohen Ruf
- ist pflichtbewusst
- Vergewaltiger der Marquise und Vater ihres ungeborenen Kindes
- bereut seine Tat und versucht, Wiedergutmachung zu leisten.
Der Obrist, Herr von G.
- Vater der Marquise von O.
- patriarchalisches Familienoberhaupt
- pflichtbewusst und autoritär
- verstößt die eigene Tochter
- versöhnt sich jedoch nach ihrer Rückkehr wieder mit ihr.
Die Obristin, Frau von G.
- Mutter der Marquise von O.
- gutmütig und warmherzig
- glaubt ihrer Tochter zunächst nicht und verstößt sie
- bereut ihre Entscheidung und möchte die Wahrheit ans Licht bringen
- nimmt die Tochter wieder bei sich auf
- verzeiht dem Grafen F. seine Tat.
Abbildung 1: Figurenkonstellation
Marquise von O – Handlungsaufbau, Erzählverhalten und Sprache
In der folgenden Analyse erfährst Du, welche typischen Merkmale einer Novelle "Die Marquise von O...." enthält. In der Geschichte finden sich aber auch einige Eigenschaften des klassischen Dramas, auf die ebenfalls eingegangen wird.
Merkmale einer Novelle in "Die Marquise von O...."
Eine Novelle ist eine kurze Erzählung, die jedoch länger ist als eine Kurzgeschichte. Eines ihrer zentralen Merkmale ist nach Johann Wolfgang von Goethe die sogenannte "Unerhörte Begebenheit", also ein sensationelles, neues Ereignis. Zusätzlich kommt noch ein einsträngiger Handlungsablauf, der auf ein bestimmtes Ziel hinführt. In diesem Fall liegt der Fokus der Geschichte auf dem Schicksal der Marquise von O.... das überraschende, sensationelle Ereignis meint die unwissentliche Schwangerschaft der Marquise.
Es kommen in der "Marquise von O...." auch – typisch für die Novelle – wenige Hauptfiguren vor und das Ende ist abgeschlossen und beantwortet alle wichtigen Fragen. Der Konflikt dreht sich um Julietta und ihre Schwangerschaft.
Wenn Du mehr über die Merkmale und den Aufbau von Novellen wissen möchtest, dann lies doch gerne in unseren Artikel "Novelle" rein!
Merkmale eines Dramas in "Die Marquise von O...."
Das schnelle Tempo der Abläufe sowie der Episodenaufbau sind, obwohl es sich bei dem Werk um eine Novelle handelt, an die Struktur eines Dramas angelehnt.
Weil man die Handlung in fünf Abschnitte unterteilen kann, erinnert der Aufbau der Handlung an das klassische Drama, das aus fünf Akten besteht.
Das klassische Drama wird auch Regeldrama genannt und hat seinen Ursprung im antiken Griechenland beim Philosophen Aristoteles.
Zur Erinnerung findest Du hier eine Übersicht der klassischen Dramenstruktur:
Wenn Du mehr über die Merkmale von Dramen wissen willst, dann lies gern unseren Artikel "Drama"!
Erzählverhalten und Sprache
Der Erzähler in "Die Marquise von O...." beschreibt die Handlung ohne Ausschmückungen aus der Perspektive eines sachlichen Beobachters. Es finden sich kaum rhetorische Mittel oder sprachliche Ausschmückungen in der Erzählweise. Das Vokabular ist eher förmlich, der Autor Heinrich von Kleist substantiviert häufig und setzt indirekte Rede ein. So können sich die Lesenden auf die zentrale Handlung konzentrieren.
Bei der Sprache handelt es sich um ein gehobenes Hochdeutsch, das den zeitgenössischen Adel repräsentiert. So ist es typisch, dass die Marquise ihre Eltern siezt. Ab und an finden sich auch einige Fremdwörter, wie z.B. Adjutant oder konvulsivisch.
Der "Adjutant" ist der Kommandeur einer militärischen Einheit, "konvulsivisch" ist ein Synonym für krampfartig.
Auffällig ist auch, dass die Figuren kaum beschrieben werden und auch wenig miteinander sprechen. Der Fokus liegt auch hier wieder eindeutig auf dem Handlungsablauf.
Auffällig ist der häufige Einsatz von Symbolen.
Die Marquise beschreibt Graf F. an einigen Stellen als "Engel" oder "Teufel":
Er würde ihr damals nicht wie ein Teufel erschienen sein, wenn er ihr nicht, bei seiner ersten Erscheinung, wie ein Engel vorgekommen wäre".
Alle Zitate stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus Heinrich Kleists "Die Marquise von O...." (2013, Ditzingen: Reclam)
Die Symbole verdeutlichen, wie extrem sich die Wahrnehmung der Marquise im Laufe der Handlung verändert.
Heinrich von Kleist schrieb seine Werke in der Übergangszeit zwischen den Literaturepochen der Weimarer Klassik (1786–1832) und der Romantik (spätes 18. – Mitte 19. Jh.).In "Die Marquise von O…." finden sich Merkmale aus beiden Epochen. Die Struktur, die an das klassische Drama erinnert und die Beschreibung des Kriegs passen eher zur Klassik.
Der Konflikt aus Vernunft und Gefühl, den die Marquise in ihrer Beziehung mit dem Grafen erlebt, ist eher typisch für die Romantik.
Du findest auf StudySmarter auch Artikel zu den einzelnen "Literaturepochen"! Klick Dich rein!
Die Marquise von O – Epoche und Motive
Wann genau Kleist "Die Marquise von O...." verfasst hat, ist nicht bekannt. Erschienen ist die Novelle aber erstmals 1808 in einer Literaturzeitschrift.
Heinrich von Kleist gibt in seiner Vorbemerkung an, "nach einer wahren Begebenheit" zu erzählen. Diese Behauptung wird von zwei Faktoren gestützt:
Die Novelle wirkt zum einen dadurch authentischer, dass Kleist alle Orts- und Nachnamen auf ihre Anfangsbuchstaben reduziert. Das lässt die Erzählung so wirken, als ob Kleist sich auf wahre Begebenheiten stützt und mit der Abkürzung der Namen lediglich die Privatsphäre der Beteiligten schützen möchte. Aufzeichnungen über ein reales Obristenpaar von G., eine Marquise von O. oder einen Graf F. konnten aber weder in Preußen noch Oberitalien gefunden werden.
Zum anderen erkämpften sich Russland und Österreich innerhalb der häufig vermuteten Entstehungszeit, während des Zweiten Koalitionskriegs (1799–1802), viele vorher von Napoleon eroberten Gebiete in Oberitalien zurück. Dass russische Truppen eine Festung einnehmen, wie es am Anfang der Erzählung mit der Zitadelle des Obristen geschildert wird, wirkt also realistisch.
Das Entstehungsjahrhundert der Novelle war geprägt von gesellschaftlichen Veränderungen: Das Feudalsystem wurde infrage gestellt und mehr und mehr machte sich in der Bevölkerung der Wunsch nach einer Gesellschaft ohne Klassen breit. Insoweit begann die Bevölkerung in Preußen, sich zu emanzipieren.
Von einer Gleichstellung von Frauen und Männern war die Gesellschaft aber noch weit entfernt. Geschlechterklischees und Rollenerwartungen, besonders auf Frauen bezogen, waren tief verwurzelt: Frauen hatten den Haushalt zu führen, ihre Kinder zu erziehen und für Harmonie in der Familie zu sorgen. Sie sollten genug gebildet sein, um die Probleme ihrer Männer nachempfinden und ihre Kinder bestmöglich aufziehen zu können. Man wollte verhindern, dass Frauen wissenschaftliches Interesse entwickelten oder ihre, dem Mann in der Familie untergeordnete Position, anfechten. Frauen hatten, obwohl man eine gewisse Bildung von ihnen verlangte, keinen Zugang zum öffentlichen Leben und waren ohne ihren Ehemann eingeschränkt in ihren Möglichkeiten.
Dementsprechend schlecht war die Situation einer Witwe in der bürgerlichen Gesellschaft: Diese waren mit dem Verlust ihres Ehemannes auf die finanzielle Hilfe anderer angewiesen und in der Gesellschaft machtlos.
Die Marquise und die Emanzipation
Die Marquise von O. ist eine Witwe und kehrt nach dem Tod ihres Mannes im Krieg zu ihren Eltern zurück. Am Anfang der Novelle erfüllt sie das Rollenbild einer Frau im 19. Jahrhundert noch perfekt: Sie beschäftigt sich mit der Erziehung ihrer Kinder und unterstützt ihre Eltern im Haushalt. Außerdem bildet sie sich mit den elterlichen Büchern über Kunst und Literatur weiter. Da sie aber gleichzeitig kaum das Haus verlässt und dementsprechend nur die Bücher ihrer Eltern lesen kann, besteht keine Gefahr, dass Julietta "zu gebildet" für das damalige Idealbild einer Frau wird.
Im Laufe der Handlung löst sich die Marquise sowohl von den Erwartungen der Gesellschaft als auch vom klassischen Rollenbild der Frau um 1800 ab: Sie widersetzt sich dem Willen ihres Vaters, ihm nach ihrem Streit ihre Kinder zu übergeben und zieht stattdessen mit ihnen weg.
Nachdem sie von ihrer Familie verstoßen wurde, beginnt die Marquise, sich von den starren Regeln der damaligen Gesellschaft zu lösen. Sie macht sich selbstbewusst daran, nach dem Vater ihres Kindes zu suchen. Gleichzeitig lernt sie, allein in ihrer Zeit im Landhaus zufrieden mit ihrem Leben zu sein. Am Ende der Handlung bringt sie "sogar" ihren Ehemann dazu, auf seine ehelichen Rechte zu verzichten.
Diese Entwicklung lässt sich so interpretieren, dass Kleist in der Darstellung der Emanzipation der Marquise seinem eigenen Verlangen Luft machte, sich von dem gesellschaftlichen Druck und den Erwartungen der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit loszulösen.
Die bürgerliche Familie
Die traditionelle Familie der Marquise verstößt sie unsanft und ohne ihr Glauben zu schenken, nachdem sie von einem ihr unbekannten Mann geschwängert wurde. Kleist stellt damit die Brüchigkeit der patriarchalischen, bürgerlichen Familie dar.
Auch im Motiv der Geheimhaltung zeigt sich Kleists Kritik an der bürgerlichen Familie: Er bemängelt damit die Doppelmoral, nach der man in einem gutbürgerlichen Haushalt alles darf, solange es nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Ein Beispiel für die Geheimhaltung ist etwa, dass das Wort "Vergewaltigung" nie explizit genannt wird. Der Zeitpunkt, zu dem der Graf F. die Marquise schwängert, wird im Text nur mit einem Gedankenstrich angedeutet.
Auch die Namen der Figuren und Orte in der Novelle werden abgekürzt und somit geheim gehalten. Der neutrale Erzählton unterstützt den Eindruck, dass Kleist das Verhalten der Figuren nicht gutheißt, weil er sich durch sein Erzählverhalten vom Geschehen distanziert.
Der Autor Heinrich von Kleist
- Geboren im Oktober 1777 in Preußen als Sohn einer Adelsfamilie,
- 1792–1799 im Militärdienst,
- 1799–1800 Studium der Mathematik,
- 1800 Verlobung mit der Generalstochter Wilhelmine,
- 1802 Auflösung der Verlobung, Beginn der schriftstellerischen Arbeit,
- gestorben am 21. November 1811 in Berlin.
Kleists berühmteste Werke sind neben der Novelle "Die Marquise von O...." auch die Erzählungen "Das Erdbeben von Chili" und "Michael Kohlhaas". Seine Dramen "Penthesilea" und "Der zerbrochene Krug" sind ebenfalls sehr bekannt.
"Die Marquise von O...." – Verfilmung
Kleists Novelle wurde 1976 unter dem Titel "Die Marquise von O." verfilmt. Regie führte Éric Rohmer, auch bekannt unter den Pseudonymen Gilbert Cordier und Dirk Peters.
Die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Edith Clever spielte die Rolle der Marquise, Bruno Ganz war der Graf.
Die deutsch-französische Literaturverfilmung gewann unter anderem 1977 den BAFTA Award für die besten Kostüme.
Marquise von O - Das Wichtigste
- Die Novelle "Die Marquise von O...." wurde von Heinrich von Kleist etwa 1808 verfasst.
- Die Protagonistin Marquise von O. ist schwanger und auf der Suche nach dem unbekannten Vater.
- Als sie herausfindet, dass Graf F., ein Mann, den sie sehr bewundert hatte, sie vergewaltigt und dabei geschwängert hat, ist sie außer sich vor Enttäuschung.
- Nach langer Zeit verzeiht die Marquise Graf F. und die beiden gründen eine eigene Familie.
- "Die Marquise von O...." erfüllt die Merkmale einer Novelle, besonders das der Präsenz einer "unerhörten Begebenheit".
- Der Inhalt der Novelle lässt sich aber vom Tempo und vom Aufbau her auch in das Schema des klassischen Dramas einordnen.
- Das Erzählverhalten ist eher sachlich und auf den Handlungsverlauf fokussiert.
- "Die Marquise von O...." lässt sich als Geschichte von Emanzipation und Kritik an der typischen bürgerlichen Familie verstehen.
- Zu Kleists bekanntesten Werken gelten neben "Die Marquise von O...." die Novelle "Michael Kohlhaas" und die Dramen "Der zerbrochene Krug" und "Penthesilea".
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Marquise von O
Ist die Marquise von O eine typische Novelle?
Ja, "Die Marquise von O...." ist eine typische Novelle. Sie erfüllt das zentrale Merkmal des Auftretens einer "unerhörten Begebenheit" besonders gut, denn es kommen gleich drei unerhörte Begebenheiten auf: Die ungewöhnliche Zeitungsanzeige, der Umstand, dass die Marquise nicht weiß, wer der Vater ihres Kindes ist und dass die Marquise von einem Edelmann vergewaltigt worden ist.
Wie emanzipiert ist die Marquise von O?
Viele sehen "Die Marquise von O...." als eine Geschichte von weiblicher Emanzipation. Kleist kritisiert nämlich in der Handlung die Brüchigkeit der patriarchalischen, bürgerlichen Familie. Außerdem lernt die Marquise im Lauf der Handlung, aus den starren Regeln der Gesellschaft auszubrechen.
Welche Textsorte ist die Marquise von O?
"Die Marquise von O...." ist eine Novelle.
Ist die Marquise von O noch aktuell?
Ja, "Die Marquise von O...." ist heute noch aktuell. Die Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft und die weibliche Emanzipation sind Themenfelder in Kleists Novelle, die bis heute relevant geblieben sind.
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