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Kurzgeschichten sind epische Werke, die der Gattung der Kurzprosa zugeordnet werden. Inhalt, Form und Sprache bestimmen dabei die Merkmale einer Kurzgeschichte, das Hauptmerkmal liegt dabei in der Kürze. Die Bezeichnung etablierte sich aus dem englischen Begriff "short story".
Die Bezeichnung San Salvador stammt aus dem Spanischen und bedeutet übersetzt so viel wie "rettender Engel". Peter Bichsels gleichnamige Kurzgeschichte thematisiert die Resignation eines Mannes, der sich durch die Flucht vor dem Alltag Rettung und neue Perspektiven erhofft.
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Peter Bichsel: "San Salvador" – Zusammenfassung
"San Salvador" ist so kurz, dass das Werk gerne auch als "Kürzestgeschichte" bezeichnet wird. Im Folgenden findest Du die Inhaltsangabe der Kurzgeschichte. Diese erzählt von Paul, der am Abend allein in seiner Wohnung sitzt, scheinbar gelangweilt seinen neuen Füller austestet und auf die Rückkehr seiner Frau Hildegard wartet. Letztere nimmt gerade an einer Chorprobe teil.
Mit seinem neuen Füller schreibt Paul einen Brief, in dem er sich von Hildegard verabschiedet. Er wolle nach Südamerika reisen, schreibt er, denn ihm "ist es hier zu kalt".1 Das Vorhaben wird jedoch nicht umgesetzt und so beschäftigt sich Paul mit sinnlosen Tätigkeiten, bis seine Frau schließlich daheim ankommt.
Wie genau Hildegard und Paul zueinander stehen, wird nicht geklärt. Lesende können nur vermuten, dass es sich bei den beiden um Eheleute handelt. Dies wird mit der Frage nach den "Kinder[n]"1 am Ende der Kurzgeschichte "San Salvador" impliziert.
Peter Bichsel: "San Salvador" – Charakterisierung
Lesende erfahren nicht besonders viel über Paul. Aus dem Text der Kurzgeschichte wird jedoch deutlich, dass er mit seinem bisherigen Leben scheinbar unzufrieden ist. Er möchte aus dem gewohnten Alltag ausbrechen, Neues sehen, etwas erleben.
Zugleich wirkt Paul jedoch sehr verträumt und zurückhaltend, fast ein wenig ängstlich. Er plant sein Vorhaben lediglich, setzt es aber nicht in die Tat um. Dabei geht er sehr sauber und akribisch vor, was auf einen ordentlichen, strukturierten Charakter hinweist:
Nachdem er mehrmals seine Unterschrift, dann seine Initialen, seine Adresse, einige Wellenlinien, dann die Adresse seiner Eltern auf ein Blatt gezeichnet hatte, nahm er einen neuen Bogen, faltete ihn sorgfältig und schrieb: „Mir ist es hier zu kalt“, dann, „ich gehe nach Südamerika“.1
Trotz aller Sorgfältigkeit scheint Paul sich mit dem amerikanischen Kontinent nicht allzu gut auszukennen. So schreibt er in seinem Brief von "Südamerika", San Salvador ist jedoch Teil eines mittelamerikanischen Staates. Nun ist es sehr wahrscheinlich, dass Peter Bichsel den Namen der Hauptstadt nur stellvertretend für seine Kurzgeschichte wählte. Selbst dann scheint Paul jedoch nur vage Vorstellungen von seinem Ziel zu haben. Diese Unsicherheit lässt sich ebenso auf sein Leben übertragen und könnte auf Bedürfnisse hindeuten, derer Paul sich nicht bewusst ist.
Paul scheint Hildegard hingegen bestens zu kennen. So weiß er bereits genau, wie sie auf seine Flucht reagieren wird. Selbst kleinste Bewegungen Hildegards, wie das Zurückstreichen der Haare aus ihrem Gesicht, kann er korrekt vorhersehen. Dieses Wissen um das Verhalten seiner Ehefrau kann einerseits auf die tiefe Verbundenheit zwischen den beiden hindeuten, andererseits erweckt es auch den Eindruck, dass Paul leicht genervt von Hildegard ist.
Peter Bichsel: "San Salvador" – Analyse sprachliche Mittel
"San Salvador" startet mit einem direkten Einstieg in die Handlung. Peter Bichsel wählte für seine Kurzgeschichte einen personalen Er/Sie-Erzähler, der die Gefühle und Gedanken der Hauptfigur Paul kennt, sie jedoch nicht verurteilt.
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Der Schreibstil der Kurzgeschichte ist sachlich-neutral und unaufgeregt, vieles wird nur äußerst knapp beschrieben oder steht unausgesprochen zwischen den Zeilen. Lesende sollen sich selbst ein Bild von der Situation machen und so zum Nachdenken angeregt werden. Es kann dadurch jedoch auch schnell passieren, dass auf diese Art Dinge in den Text hineininterpretiert werden, die von rein zufälliger Natur sind.
Analyse der sprachlichen Mittel in "San Salvador"
In "San Salvador" bedient sich Peter Bichsel dem Element der sogenannten "erlebten Rede". Sie ähnelt einem Monolog und sorgt dafür, dass Lesende sich besser in die betroffene Figur hineinversetzen können. Dabei nutzt Peter Bichsel einfache Alltagssprache und verzichtet auf stilistischen Schmuck oder rhetorische Stilmittel.
Die Probe des Kirchenchores dauerte bis neun Uhr, um halb zehn würde Hildegard zurück sein. Er wartete auf Hildegard. Zu all dem Musik aus dem Radio. Jetzt drehte er das Radio ab.1
Kurze Teilsätze, die scheinbar zusammenhangslos aneinandergereiht werden und wohl stellvertretend für die ziellosen Gedankengänge Pauls stehen, machen Peter Bichsels Schreibstil aus. Die fehlenden Überleitungen betonen zudem die Monotonie in Pauls Alltag und die scheinbar fehlende Sinnhaftigkeit seiner Handlungen.
Später räumte er die Zeitungen vom Tisch, überflog dabei die Kinoinserate, dachte an irgend etwas, schob den Aschenbecher beiseite, zerriß den Zettel mit den Wellenlinien, entleerte seine Feder und füllte sie wieder.1
In "San Salvador" werden Ausdrücke verwendet, die immer wiederkehren. Ein solcher Ausdruck ist der Satz "Dann saß er da", der in Variationen mehrfach wiederholt wird. Er verdeutlicht nur die Langeweile, die Paul beim tatenlosen Herumsitzen empfindet. Zusätzlich betont er Pauls Resignation und seine Unentschlossenheit, die der Grund dafür ist, dass Paul nicht nach Südamerika flüchtet.
Paul stellt sich die Reaktion von Hildegard dennoch lebhaft vor. Peter Bichsel verwendet hierfür den Konjunktiv, wobei er stellenweise das Hilfsverb "würde" einsetzt:
Nun würde also Hildegard heimkommen, um halb zehn. Es war jetzt neun Uhr. Sie läse seine Mitteilung, erschräke dabei, glaubte wohl das mit Südamerika nicht, würde dennoch die Hemden im Kasten zählen, etwas müßte ja geschehen sein.1
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Peter Bichsel: "San Salvador" – Interpretation
"San Salvador" kann auf sehr unterschiedliche Weise betrachtet werden, denn die Verknappung der Sprache und das offene Ende lassen viel Raum für Interpretationen. So gibt es negative Sichtweisen, die Pauls Resignation als eine Folge der "erkalteten" Liebe der Eheleute bewerten. Indes existieren jedoch auch Ansätze, die in der Sehnsucht Pauls etwas Positives sehen.
Erkaltete Ehe und erloschene Liebe
Der Satz "Mir ist es hier zu kalt"1, scheint neben dem Leitmotiv "Dann saß er da"1, ebenfalls eine gesonderte Bedeutung zu haben. Er kann wörtlich oder aber metaphorisch verstanden werden. In diesem Sinne könnte mit "hier" nicht die Heimat Pauls, sondern vielmehr der Zustand seiner Ehe gemeint sein.
Die Metapher ersetzt einen eigentlich gemeinten Begriff durch einen anderen sprachlichen Ausdruck. Es wird also eine sprachliche Bedeutungsübertragung vollzogen. Wenn Du mehr darüber erfahren möchtest, sieh Dir die Erklärung "Metapher" auf StudySmarter an!
Paul scheint sich zu langweilen. Er weiß genau, wann Hildegards Chorprobe endet und wann sie daraufhin daheim sein wird, was wiederum darauf schließen lässt, dass es sich hierbei um eine Regelmäßigkeit handelt. Hildegard geht jeden Mittwoch zur Chorprobe, Paul langweilt sich jeden Mittwoch. Es stellt sich die Frage, warum die beiden nichts zusammen unternehmen.
An anderen Tagen scheint Paul in den "Löwen"1 zu gehen, vermutlich ein Gasthaus oder eine Kneipe, doch der "ist mittwochs geschlossen"1. Die Tatsache, dass Hildegard dennoch dort anrufen würde, wenn sie Paul nicht daheim antrifft, deutet darauf hin, dass sie mit seinem Tagesablauf längst nicht so vertraut ist, wie er mit ihrem. Dies wiederum ist ein Indiz auf fehlendes Interesse an der Beziehung ihrerseits.
Unterstützt wird diese These auch durch die Frage "Schlafen die Kinder?"1, mit der Hildegard Paul bei der Heimkehr begrüßt. Sie zeigt auf unmissverständliche Weise, dass Paul nicht mehr die oberste Priorität im Leben seiner Frau darstellt.
Vor diesem Hintergrund scheint es nur allzu verständlich, dass Paul dieser emotionalen Kälte entkommen möchte. Er geht sogar davon aus, dass Hildegard sich einfach "damit abfinden"1 würde, was erneut auf die erloschene Liebe der beiden hinweist.
Sehnsucht nach Palmen, Sehnsucht nach Hildegard
Eine etwas positivere Theorie interpretiert die empfundene Langweile Pauls in "San Salvador" als Sehnsucht. Im Vordergrund steht also nicht der Fluchtgedanke an sich, nicht die Abscheu vor dem Alten, sondern das Verlangen nach Neuem.
Dieses Sehnen kann sich nun auf die Wärme im wörtlichen Sinne, oder aber auch auf Hildegard selbst beziehen. Paul vermisst seine Frau und weiß nichts mit sich anzufangen, wenn sie nicht bei ihm ist. Er wünscht sich, die vergangene Liebe und mit ihr die Leidenschaft wiederaufzuleben.
Wie viel Hildegard ihrem Ehemann trotz allem bedeutet, wird in "San Salvador" gegen Ende deutlich. Nachdem Paul die Gebrauchsanweisung seiner Füllfeder in verschiedenen Sprachen miteinander verglichen hat, denkt er an Palmen – und zuletzt an Hildegard:
Dann saß er da, überlegte, wem er einen Brief schreiben könnte, las die Gebrauchsanweisung für den Füller noch einmal - leicht nach rechts drehen -, las auch den französischen Text, verglich den englischen mit dem deutschen, sah wieder seinen Zettel, dachte an Palmen, dachte an Hildegard. Saß da.1
Hildegard ist nicht nur immer in seinen Gedanken, sie scheint auch schwerer zu wiegen als die Sehnsucht nach Südamerika und verdrängt das Bild von Palmen. Dies könnte auch eine Erklärung dafür sein, weshalb Paul schlussendlich bei ihr bleibt. In Wahrheit vermisst Paul nicht die Sonne, sondern seine große Liebe.
Flucht als Lösungsweg
Die Flucht vor der Kälte scheint für Paul die einzige Möglichkeit zu sein, Bewegung in sein stagnierendes Leben zu bringen, dennoch setzt er sein Vorhaben nicht in die Tat um. Die Gründe hierfür könnten in seinem zögerlichen Charakter liegen oder mit der Sehnsucht nach seiner Ehefrau zusammenhängen.
Eine weitere Erklärung liefern die Kinder, die erst im vorletzten Satz von "San Salvador" erwähnt werden. Sie scheinen nicht nur Pauls Eheleben verändert zu haben, sie fesseln ihn nun auch an den Alltag, den er als langweilig, monoton und einsam wahrnimmt.
Ebenso möglich ist jedoch, dass Paul in seinem Inneren sehr wohl bewusst ist, dass die Flucht keine Lösung für seine Unzufriedenheit ist. Paul fehlt die Fähigkeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Durch eine Reise in den Süden ändern sich zwar Standort und Wetter, nicht jedoch die Gefühle in seinem Inneren und die Zweifel an seiner Lebensweise.
Über den Autor Peter Bichsel
Peter Bichsel wurde am 24. März 1935 in Luzern in der Schweiz geboren. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Primar-, also Grundschullehrer. Bis in die 90er-Jahre war Peter Bichsel Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS), zudem nahm er an den Treffen des Schriftstellerverbands "Gruppe 47" teil und pflegte eine gute Freundschaft zum Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911–1991).
Mit dem Sammelband "Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen" gelang ihm 1964 unerwartet sein großer Durchbruch als Schriftsteller. Seine Popularität verbreitete sich im gesamten deutschsprachigen Raum und er erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Heute lebt Peter Bichsel in der Gemeinde Bellach bei Solothurn. Sein Heimatland, die Schweiz, hat er nie verlassen.
San Salvador - Das Wichtigste
- "San Salvador" ist eine Kurzgeschichte von Peter Bichsel. Sie erschien 1963 in der Neuen Zürcher Zeitung und ein Jahr später in Bichsels Sammelwerk "Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen". Das Sammelwerk verhalf Peter Bichsel zum internationalen schriftstellerischen Durchbruch.
- Die Kurzgeschichte "San Salvador" erzählt von Paul, einem resignierten Familienvater, der auf seine Frau Hildegard wartet und davon träumt, nach Südamerika und aus seinem Alltag zu flüchten.
- "San Salvador" besitzt einen personalen Er/Sie-Erzähler und nutzt gewöhnliche Alltagssprache. Dabei verzichtet Peter Bichsel auch weitgehend auf rhetorische Stilmittel. Zum augenscheinlichen Leitmotiv wird jedoch der Satz "Dann saß er da", der in unterschiedlichsten Variationen immer wiederkehrt.
- "San Salvador" kann auf sehr unterschiedliche Weise betrachtet werden, denn die Verknappung der Sprache und das offene Ende lassen viel Raum für Spekulation. Ein Interpretationsansatz geht von der entschwundenen Liebe des Ehepaares und der Monotonie im Leben Pauls aus. Eine weitere deutet Pauls Fluchtgedanken hingegen als Sehnsucht nach seiner Frau.
Nachweise
- Otto-Friedrich-Universität Bamberg (2008). Peter Bichsel: San Salvador. Uni-bamberg.de. (02.08.2022)
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Peter Bichsel San Salvador
Was bedeutet mir ist es hier zu kalt?
Der Satz "Mir ist es hier zu kalt" in der Kurzgeschichte "San Salvador" kann eine wörtliche oder eine metaphorische Bedeutung haben. Im metaphorischen Sinne könnte Paul damit die emotionale Kälte in seiner unbefriedigenden Ehe meinen.
Warum ist San Salvador eine Kurzgeschichte?
"San Salvador" ist eine Kurzgeschichte, da sie sehr knapp gehalten ist, mit einem direkten Einstieg startet und einem offenen Ende schließt. Lesende erhalten zudem kaum Hintergrundinformationen.
Wann spielt San Salvador?
Wann "San Salvador" spielt, ist nicht genau bekannt. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass Handlungs- und Entstehungszeit identisch sind. Dies würde auf die 1960er-Jahre hindeuten.
Was bedeutet San Salvador?
"San Salvador" ist Spanisch und bedeutet "rettender Engel". Es ist der Name der mittelamerikanischen Hauptstadt El Salvadors.
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