Faust Interpretation

Die zentralen Themen des Werkes "Faust" sind Fausts Erkenntnissuche nach den Gesetzmäßigkeiten der Welt und die Entwicklung seiner Beziehung zu Margarete, welche im Kindsmord endet (Gretchentragödie). 

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    Einerseits hat Goethe mit der Figur des Heinrich Faust den Begriff des Faustischen eingeführt, der als Inbegriff für das Strebsame und die Erkenntnissuche des Menschen dienen sollte. Auf der anderen Seite gilt Faust als tragische Figur, da sein Lebensweg mit Irrtümern und Rückschlägen gepflastert ist. Die zentralen Motive und Themen bewegen sich in diesen Sphären.

    "Faust" – Themen und Motive

    Im Folgenden werden Dir die zentralen Themen in "Faust" vorgestellt, die im Zuge einer Interpretation wichtig sein können.

    Die Gelehrtentragödie in "Faust"

    Der Gelehrte Dr. Heinrich Faust ist ein nach Erkenntnis suchender Mensch, der unwissend zum Prüfstein der gesamten Menschheit wird. Dabei interessiert er sich nicht mal für das Geschlecht der Menschen - er möchte einfach nur herausfinden

    was die Welt / im Innersten zusammenhält."

    Dabei schreckt er auch nicht davor zurück, heidnische Magie anzuwenden. Nachdem er versucht hatte, durch die Betrachtung des Makrokosmos neue Erkenntnisse zu erhalten, beschwört Faust in einem verzweifelten Versuch den Erdgeist – die Verkörperung der Natur selbst. Doch er kann ihn nicht begreifen – Faust fällt in eine noch tiefere Sinnkrise, denn wissenschaftlicher Fortschritt, heidnische Magie und die Natur selbst haben ihn enttäuscht.

    Dennoch wird, im Unterschied zur Faust-Figur aus den Volksbüchern der Vergangenheit, der Faust bei Goethe bereits im Prolog Erlösung vorausgesagt. Mephisto hat keine Macht über Faust, denn Gott ist sich sicher, dass Fausts Seele letztendlich in den Himmel fahren wird. Der Teufel wird am Ende der Handlung verlieren, denn

    ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange / Ist sich des rechten Weges wohl bewusst."

    Das Streben von Faust ist eine geistige Haltung, mit der er die Gegenwart transzendieren und zu einer göttlichen Form aufsteigen möchte. Diese Haltung wird aber zunächst von Gott verurteilt, denn Irrtum begleitet den Strebsamen und dies scheint ein fast schon kosmisches Gesetz zu sein. Gott sagt selbst,

    es irrt der Mensch so lang er strebt."

    Für Goethe ist der Irrtum ein essenzieller Bestandteil der persönlichen Entwicklung des Menschen. Denn nur durch den Irrtum kann sich der Mensch auf Umwegen zum Ziel der Erkenntnis ausbilden. Dies wird bereits im Prolog im Himmel verdeutlicht: Gott verknüpft Irrtum und Streben, weiß aber auch, dass der gute Mensch sich zwar in seiner Suche vielleicht etwas unkonventioneller Mittel bedienen könnte (z.B. der Magie), letzten Endes aber nicht vom rechten Weg abkommen werde.

    Hier gibt es aber auch gleichzeitig eine Einschränkung, denn Gott redet nur vom guten Menschen. Der Erkenntnisdrang wird also nicht jedem Menschen zugesprochen – mit einigen Figuren wie Valentin oder Lieschen treten im Werk von Goethe auch Personen auf, die egoistisch und gewissenlos agieren und dadurch höchstwahrscheinlich aus dem Raster fallen.

    Im Zuge der Aufklärung ist der Ansatz von Goethe fast schon revolutionär, denn die Einstellung, dass der Irrtum die menschliche Entwicklung fördert, ist ein Angriff auf den Fortschrittsglauben der zeitgenössischen Weltansicht. Der Erkenntnisdrang ist nicht fehlerfrei – Irren ist durchaus menschlich. Durch die Figur des Mephisto wird zusätzlich eine gewisse Dialektik der Aufklärung eingeführt.

    Unter der Dialektik der Aufklärung versteht sich eine kritische Auseinandersetzung mit der Epoche der Aufklärung. Dabei geht man im Generellen davon aus, dass Vernunft in Unvernunft umschlagen und Fortschritt zum Rückschritt führen werde.

    Denn Mephisto verurteilt den menschlichen Nutzen der Vernunft aufs Schärfste:

    Er nennt's Vernunft und braucht's allein, / Nur tierischer als jedes Tier zu sein."

    Fausts innere Zerrissenheit überträgt sich auch auf den Autor – Fausts Streben hat einen ambivalenten Charakter. Indem er scheitert bzw. sich irrt und damit auch anderen Personen wie z.B. Margarete schadet, schafft es Faust, seine persönlichen Grenzen der Erkenntnis zu überwinden und seinen Charakter weiterzuentwickeln.

    Denn er strebt nicht nur nach wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern auch nach sinnlicher Erfahrung:

    zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, / Die eine will sich von der anderen trennen; / Die eine hält, in derber Liebeslust, / Sich an die Welt, mit klammernden Organen; / Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust / zu den Gefilden hoher Ahnen."

    Der wissenschaftliche Erkenntnisdrang kann den Menschen nicht vollends erfüllen, die sinnlichen Triebe müssen durch körperliche Hingabe ebenfalls befriedigt werden. Dies beklagt Faust während seines Osterspaziergangs. Sein Gelehrtendasein ist unvollständig, er möchte zur Tat schreiten.

    Mit diesem Ansatz reiht sich Faust in die Ränge der Stürmer und Dränger ein, deren Ansatz es war, die Natur des Menschen in den Vordergrund seines Handelns zu rücken. Der gebildete Kulturmensch muss seinen Gefühlen und Trieben nachgehen – nur so kann er Gott nacheifern und zum Genie werden.

    Der Sturm und Drang bezeichnet eine Strömung in der deutschen Literatur während der Epoche der Aufklärung. Sie wurde von ca. 1765 bis 1785 von meist jungen Autoren thematisiert. Falls du mehr zu der Strömung erfahren möchtest, lies dir doch unseren Artikel dazu durch.

    Dies wird durch Fausts Übersetzung des Johannesevangeliums verdeutlicht. Er hat ein Problem mit der griechischen Übersetzung des Wortes logos. Faust stört sich an der Übersetzung „Wort“, da es für ihn mit seinem unzufriedenen Leben als Gelehrter gleichgestellt ist und in diesem konnte er keine Erfüllung finden.

    Stattdessen verwendet er die „Tat“, um sein inneres Gefühl nach der sinnlichen Erfahrung für sich selbst zu definieren. Sie ist für ihn eine unbändige Kraft, die ihn vollends ausbilden könnte:

    Geschrieben steht: >>im Anfang war das Wort!>> / Hier stock ich schon! / Wer hilft mir weiter fort? / Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, / Ich muss es anders übersetzen, / Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. / (…) Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat / Und schreibe getrost: im Anfang war die Tat!"

    Diese Aussage von Faust scheint das Signal für Mephisto zu sein, sich ihm zu offenbaren. In Gestalt eines Pudels hatte er sich in Fausts Studierzimmer eingeschlichen – dessen Sehnsucht nach den sinnlichen Welterfahrungen beschwört den Teufel herauf:

    Das also war des Pudels Kern!"

    Der Teufel nutzt Fausts Umstand, seine Sinneskrise und Suche nach Erfüllung, um ihn vom rechten Weg zu bringen. Interessant ist dabei, dass sich Mephisto dem Gelehrten auf paradoxe Weise vorstellt. Er ist nämlich

    ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft."

    Damit unterstreicht er die Aussage Gottes zu Beginn der Tragödie, wonach Mephisto ein unentbehrlicher Teil des Weltgeschehens ist und seine Verführungen den Menschen weiterentwickeln sollen.

    Es kommt zum berühmten Teufelspakt. Mephisto verspricht Faust die Glückseligkeit im Augenblick, die Bewältigung seiner Sinneskrise, wenn dieser ihm wiederum im Tod seine Seele übergibt:

    Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehen!"

    Es stellt sich die Frage nach der Natur des Teufelspakts. Denn oft wird auch von einer Wette gesprochen. Klar ist, dass in einem herkömmlichen Teufelspakt der Teufel dem Menschen auf der Erde dient – nach dem Tod kehrt sich das Verhältnis um; der Mensch dient dem Teufel in der Hölle.

    Der Teufelspakt wird oft für eine Interpretation bei Prüfungs- oder Klassenarbeiten verwendet.

    Faust erweitert den Pakt und stachelt damit Mephisto an. Er misstraut dem Teufel und hält die eigene Sinneskrise für unüberwindbar. Somit ist er bereit, dem Teufel nicht nur seine Seele zu übergeben, sondern bei der Erfüllung des Pakts im Augenblick zu sterben. Mephisto hat also die Möglichkeit, Fausts Seele früher zu bekommen, wenn er ihn verführt und muss nicht erst auf dessen Tod warten.

    Der Pakt wird also durch Faust in eine Wette umgewandelt. Faust sichert sich eine mögliche Rettung, denn bei einem herkömmlichen Pakt würde Fausts Seele in jedem Fall in die Hölle kommen. Durch einen Sieg der Wette wird der Gelehrte jedoch jeglicher Verpflichtung gegenüber dem Teufel entbunden. Dieser Umstand hat vor allem einen dramaturgischen Effekt, denn die Geschichte ist für den Leser durchaus spannender, wenn Fausts Rettung am Ende offenbleibt.

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    Der Teufelspakt zwischen Faust und Mephisto

    Im Prolog im Himmel wird auch bereits von einer Wette gesprochen. Mephisto bietet Gott an, mit Faust auf die Seele eines einzigen Menschen zu wetten. Gleichzeitig wird Faust in Gottes Augen auf eine Ebene mit den biblischen Figuren Noah und Moses gesetzt, da er als Prüfstein für die gesamte Menschheit herhalten muss. Gott geht diese Wette nicht ein, erlaubt aber Mephisto den Versuch der Verführung. Das erinnert auch an die biblische Figur des Hiob.

    Im Alten Testament wird die Rahmenhandlung des rechtschaffenen und frommen Hiob erzählt, der vom Teufel ins Unglück gestürzt wird, aber seinen Glauben an Gott nicht verliert. Hiob lebt mit seiner Familie als wohlhabender Mann – Gott erachtet ihn als seinen rechtschaffenen Knecht.

    Der Teufel ist überzeugt, Hiob sei nur so lange gläubig, wie er ein angenehmes Leben führe. Er bietet Gott an, Hiobs Glauben auf die Probe zu stellen, was ihm dieser erlaubt. Hiob verliert daraufhin seinen Besitz und seine Kinder sterben. Er selbst erkrankt an einem Geschwür – behält seinen Glauben aber dennoch bei. Gott belohnt ihn am Ende für seine Gottesfürchtigkeit.

    Im Gegensatz zu Hiob ist Faust aber zu Beginn der Tragödie von Zweifeln zerfressen. Er hat sich enttäuscht von Gott abgewandt.

    Goethe setzt Mephisto nicht nur als Gegenspieler Fausts ein – die beiden bilden eine Einheit. In seinem Werk hat Goethe viele dialektische Gegensätze angelegt. So stehen sich im gesamten Werk Gut und Böse gegenüber. In der Figur des Faust bzw. in dem damit einhergehenden Begriff des Faustischen findet sich nicht nur die Erkenntnissuche, sondern auch das Destruktive, was mit der Gretchentragödie verdeutlicht wird.

    Es gibt noch mehr Gegensätze, in denen sich der Protagonist bewegt. Er steht zwischen Himmel und Hölle – den Engeln, die die Schöpfung Gottes verehren, steht Mephisto gegenüber, der die Menschen aufgrund ihrer tierischen Triebe aufs Schärfste verurteilt. In der Tragödie stehen sich Magie und Wissenschaft gegenüber, das Bürgerliche und die Natur, Fantasie und wirkliche Erfahrung, Seele und Körper, Gefühle und Vernunft.

    Dabei spielt die Sprache bei Goethe eine sehr wichtige Rolle. So verwendet Mephisto vielfach Ironie, um Personen zu beeinflussen und Situationen zu beschreiben. Sprache kann auf eloquente Art und Weise den Adressaten blenden und täuschen:

    Bescheidne Wahrheit sprech ich dir. /Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt, / Gewöhnlich für ein Ganzes hält;"

    Auch Faust verwendet die Sprache, um die Wirklichkeit zu verzerren. So täuscht er Margarete, indem er seine Antworten auf ihre Fragen nur ungefähr und sehr schwammig formuliert. Der Gretchenfrage weicht er aus, indem er behauptet, der Glaube und Gott seien für ihn Konzepte, mit denen er nicht wirklich etwas anfangen kann. Er verneint sie nicht, bekennt sich aber auch nicht zu ihnen. Als Gretchen ihm ihre Angst im Bezug auf Mephisto offenbart, tut er ihre Aussage ab:

    Liebe Puppe, fürcht ihn nicht!

    Faust geht am Ende der Tragödie zugrunde. Zwar ereilt ihn keine Katastrophe, doch er ist sich bewusst, dass sein Streben nach Erkenntnis und der sinnlichen Erfahrung nur Verderben für die Menschen in seinem Umkreis herbeigebracht hat. Er bleibt eine tragische Figur und muss durch Mephisto am Anfang des zweiten Teils der Tragödie erst einmal in einen künstlichen Schlaf versetzt werden, um seine Verfehlungen zu vergessen.

    Die Gretchentragödie in "Faust"

    Den zweiten, kürzeren Handlungsstrang bildet die Gretchentragödie. Margarete ist die weibliche Hauptfigur in Goethes Werk und vom Charakter her ein frommes und schüchternes Mädchen von erst 14 Jahren. Für die damalige Zeit scheint sie sich dennoch bereits in einem heiratsfähigen Alter zu befinden.

    Faust begegnet Margarete zum ersten Mal auf der Straße vor der Kirche, als Gretchen sich gerade auf dem Heimweg befindet. Der zuvor um 30 Jahre verjüngte und sexuell stimulierte Faust begehrt sie sofort und möchte mit ihr am liebsten auf der Stelle intim werden.

    Er versucht es mit einem Flirt und bietet ihr mit der Ansprache „Fräulein“ an, sie nach Hause zu begleiten. Für ein bürgerliches Mädchen wie Gretchen, die aus sehr einfachen Verhältnissen kommt, ist die Bezeichnung „Fräulein“ nicht zutreffend. Diese Anrede stand nur adeligen Damen zu und Gretchen ist bei Weitem nicht von adeliger Herkunft. Sie widersteht den Flirtversuchen, ist aber von Faust angetan:

    Ich gäb was drum, wenn ich nur wüsst / Wer heut der Herr gewesen ist! / Er sah gewiss recht wacker aus, / Und ist aus einem edlen Haus; / Das konnt ich ihm an der Stirne lesen - / Er wär auch sonst nicht so keck gewesen."

    Faust schafft es, mithilfe von Mephisto, Gretchen immer mehr für sich einzunehmen, indem er ihr teure Geschenke in Form von Schmuck macht. Das naive Mädchen unterliegt vollends seinem Charme.

    Margarete fungiert im Drama als Pendant zu dem Universalgelehrten Heinrich Faust. Ihre bürgerliche Herkunft und auch ihr Wesen scheinen das Gegenteil zu Fausts wissenschaftlichem Hintergrund zu bilden. Ihre Rolle entspricht dem Idealbild des tugendhaften Mädchens im 19. Jahrhundert.

    Gretchens Welt ist geprägt von Religion und Glauben. Nicht umsonst ist es für sie überaus wichtig, dass ihr späterer Geliebter genauso zu Gott steht wie sie:

    Nun sag, wie hast du`s mit der Religion? / (…) man muss dran glauben!"

    Diese Frage hat sich im deutschen Volksmund als die Gretchenfrage etabliert und fragt nach den Absichten und der Gesinnung des Gegenübers.

    Die Gretchenfrage beschreibt eine direkte Frage, die die Absichten und die Gesinnung des Gefragten aufdecken soll. Sie ist dem Gefragten meist unangenehm, da sie ihm ein Bekenntnis entlocken soll, das er zuvor noch nicht abgegeben hat.

    Um ihre Liebe zu Faust zu ergründen, befragt sie in Marthes Garten das Blumenorakel. Sie reißt der Blume die Blätter ab und wiederholt dabei die Worte

    Er liebt mich – liebt mich nicht"

    Dies kann als Symbol für den Verlust ihrer Unschuld verstanden werden, denn so wie die Blume ihre Blätter verliert, verliert Margarete Stück für Stück ihre Unschuld im Verlauf der Tragödie. In ihrem Monolog (Gretchens Stube) wird Margarete erstmalig durch das Diminutiv als „Gretchen“ bezeichnet.

    Das Diminutiv ist eine grammatische Verkleinerungsform eines Substantivs. Damit soll das Substantiv verniedlicht oder sogar abgewertet werden.

    Diese Namensänderung lässt darauf schließen, dass sich auch ihre Gefühlswelt verändert hat. Ihre Gedanken kreisen nur noch um Faust. Sie spürt ein wachsendes, starkes sexuelles Verlangen nach ihm. Auch nach der vollbrachten Liebesnacht mit ihm wird sie von Goethe in der Regieanweisung nicht mehr Margarete genannt. Der Verlust ihrer Unschuld und die resultierende Schwangerschaft, sowie der unbewusst herbeigeführte Tod der Mutter haben sie zu einem tragischen Opfer werden lassen.

    Die Liaison mit Faust hat schreckliche Folgen für das Mädchen. Sie hat die eigene Mutter unwissentlich vergiftet, die Kenntnis über ihr uneheliches Verhältnis zu Faust hat die Runde gemacht und der Bruder ist vor ihrer Haustür gestorben, nicht ohne sie vorher noch vor der ganzen Nachbarschaft öffentlich als Hure zu brandmarken. Doch das Schlimmste ist die ungewollte Schwangerschaft.

    Faust hat sich nach dem Aufeinandertreffen mit Valentin aus dem Staub gemacht und Gretchen allein zurückgelassen. In ihrer Verzweiflung besucht sie eine Messe, wird aber dort durch ihr Gewissen (in Form des bösen Geistes) und durch die Kirche, der sie ihr Leben verschrieben hatte, vollends verurteilt. Diese Umstände treiben Margarete in den Wahnsinn, welcher im Mord des neugeborenen Kindes gipfelt.

    In der Brunnen-Szene wird deutlich, welche Folgen eine ungewollte Schwangerschaft in dieser Epoche hatte. Solche Mädchen waren das Gesprächsthema der ganzen Gemeinde und wurden sozial verstoßen. In diesen Fällen treffen gesellschaftliche Regeln auf ein natürliches menschliches Verlangen.

    Kindesmörderinnen waren interessante Motive für die Dichter des Sturm und Drang, denn an ihnen konnten sinnliche Erfüllung, aber auch sozialer Zwang dargestellt werden. Sie waren das Sinnbild für das weibliche, unterdrückte Individuum, das in einer männlich dominierten Gesellschaft klarkommen musste.

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    Der Aufbau der Gelehrten- und Gretchentragödie

    In der letzten Szene kommt es zur Tragödie, in deren Zentrum Margarete steht. Dabei bezahlt sie für ihre Affäre mit dem Leben – Faust flieht mit Mephisto und begibt sich damit komplett auf die Seite des Bösen. Gretchen ist zu Beginn der Szene verwirrt und möchte nicht wahrhaben, dass das gemeinsame Kind tot ist. Sie ist auch der Meinung, dass ihr mit der Verurteilung großes Unrecht geschehe:

    Sie nahmen mir`s um mich zu kränken / Und sagen nun, ich hätt es umgebracht."

    Doch sie gesteht in einem klaren Moment ihre Schuld:

    Meine Mutter hab ich umgebracht, / Mein Kind hab ich ertränkt."

    Interessant ist dabei, dass Gretchen immer wieder Momente hat, in denen sie den Hang zur Realität verliert. Daher stellt sich zwangsläufig die Frage, ob ihr Entschluss, das eigene Schicksal zu akzeptieren, nicht doch aus einer Wahnvorstellung heraus passiert und sie sich in einem sehr fragilen Geisteszustand befindet. Man kann diesen Zustand aber als eine Art Schutzmechanismus sehen.

    Gretchen ist nicht verrückt geworden, sie versucht nur ihre schreckliche Tat zu verdrängen. Sie hat durch ihr Umfeld unglaubliche psychische Qualen erlitten und versucht daher, der Realität zu entfliehen. Margarete ist nicht fähig, ihre Taten zu reflektieren, doch ihr Geisteszustand weist auf eine gewisse Selbstklage hin. Sie konnte keine moralische Reife erlangen, ihre Akzeptanz der Hinrichtung rührt aus dem Umstand, dass sie sich nichts mehr aus ihrem Leben erhofft. Fausts Reaktion auf sie im Kerker – sein Zögern – zeigen ihr, dass ein glückliches Ende für sie nicht mehr möglich ist.

    Vor Fausts Auftritt war Margarete noch nicht bereit zu sterben. Dies zeigt sich, als sie den plötzlich auftauchenden Faust zunächst für ihren Henker hält und ihn anfleht, sie zu verschonen:

    Wer hat dir Henker diese Macht / Über mich gegeben! / Du holst mich schon um Mitternacht. / Erbarme dich und lass mich leben! / Ist`s morgen früh nicht zeitig genung? (Sie steht auf.) / Bin ich doch noch so jung, so jung! / Und soll schon sterben!"

    Erst als Gretchen klar wird, dass Faust keine Gefühle mehr für sie hat, will sie eher sterben, als mit ihm gemeinsam aus dem Kerker zu fliehen. In diesem Moment distanziert und emanzipiert sie sich von Faust. Sie beweist Würde und fleht ihn nicht an. Zusätzlich wendet sie sich von ihm ab und verurteilt ihren Geliebten, als sie erkennen muss, dass er immer noch mit Mephisto kollaboriert – die Person, vor der sie ihn eindringlich gewarnt hatte:

    Heinrich! Mir graut`s vor dir"

    Margarete gibt sich daraufhin der göttlichen Gerichtsbarkeit hin. Der Kerker wird für sie zu einem heiligen Ort, den Mephisto nicht betreten kann. Sie erkennt den Teufel in seiner wahren Gestalt:

    Was steigt aus dem Boden herauf? / Der! der! Schick ihn fort! / Was will er an dem heiligen Ort? / Er will mich!"

    Gretchen wird am Ende die göttliche Gnade zuteil. Mephistos Aussage „sie ist gerichtet“ bezieht sich dabei auf die Enthauptung als Form der irdischen Gerichtsbarkeit. Ihre Seele ist aber durch Gott „gerettet“ und vor der ewigen Verdammnis beschützt.

    Mit der Gretchentragödie kritisiert Goethe die bürgerliche Gesellschaft. Der Kindesmord als Verzweiflungstat steht am Ende eines sozial geächteten Mädchens. Die Gesellschaftskritik wird mit der Gretchentragödie symbolisiert. Margarete scheitert auf tragische Weise an dem Versuch, ein würdiges Dasein als unverheiratete Mutter zu führen, da ihr dies die Gesellschaft verbietet. In der letzten Szene ist ein innerer Reifeprozess erkennbar, da sie sich einer höheren Moralvorstellung verpflichtet.

    Während ihrer Zeit mit Faust erlebt das Mädchen eine Entwicklung, die sie von einem Mädchen mit einem reinen Gewissen zu einer wahnsinnig gewordenen Sünderin werden lässt, die sich des Kindsmordes schuldig macht. Ihre Seele wird zwar errettet, der physische Tod stellt jedoch am Ende der Tragödie die Katastrophe des klassischen Dramas dar.

    Die klassische (aristotelische) Dramenlehre des griechischen Philosophen Aristoteles wird auch als Regeldrama bezeichnet. Lies dir doch unseren Artikel zu Dramen durch, um mehr darüber zu erfahren.

    Faust Interpretation - Das Wichtigste

    • Die zentralen Themen des Werkes sind Fausts Erkenntnissuche nach den Gesetzmäßigkeiten der Welt (Gelehrtentragödie) und die Entwicklung seiner Beziehung zu Margarete, welche im Kindsmord endet (Gretchentragödie).

    • Einerseits wurde mit der Figur des Heinrich Faust der Begriff des Faustischen eingeführt, der als Inbegriff für das Strebsame und die Erkenntnissuche des Menschen dienen sollte.

    • Auf der anderen Seite gilt Faust als tragische Figur, da sein Lebensweg mit Irrtümern und Rückschlägen gepflastert ist.

    • Margarete fungiert im Drama als Pendant zu dem Universalgelehrten Heinrich Faust. Ihre bürgerliche Herkunft und auch ihr Wesen scheinen das Gegenteil zu Fausts wissenschaftlichem Hintergrund zu bilden.

    • Um seine Gesinnung und Einstellung zur Religion zu erfahren, stellt Gretchen Faust die im deutschen Volksmund sogenannte "Gretchenfrage".

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