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Fin de Siècle – Politische und soziale Hintergründe
- Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war geprägt durch gegensätzliche Lebensgefühle wie Aufbruchsstimmung und Angst vor der ungewissen Zukunft, Lebensmüdigkeit und "Epochenmüdigkeit".
- Als Folge davon gab es keine einheitlichen Werte, an denen man sich hätte orientieren können. Während einige Intellektuelle und Künstler*innen die hergebrachten bürgerlichen Konventionen vertraten, forderten andere hingegen neue Werte und Lebensformen.
- In den Wissenschaften herrschte der Glaube an den Fortschritt und das stellte eine neue Herausforderung für viele Lebensaspekte, wie etwa das Wohnen, dar.
- Eine Spaltung zwischen der Bourgeoisie, also dem Bürgertum, und den Intellektuellen sowie Künstler*innen verstärkte sich. Letztere schufen für sich andere Parallelwelten. Das führte zur Entstehung von Subkulturen als Gegensatz zum bürgerlichen Leben.
- Der deutsche Philologe und Philosoph Friedrich Nietzsche kritisierte das bürgerliche Leben und fand dadurch auch Unterstützung beim Adel. Die bis heute bestehenden Begrifflichkeiten wie Dandy (gleichgültig - arrogante Haltung und elegante bis exzentrische Lebensführung), Snob und Femme fatale (Frau, deren Aussehen und Erwartungen ihrem Partner oft zum Verhängnis werden) entstanden als Gegenmodelle zum typischen, normalen Bürger.
Fin de Siècle – Motive in der Literatur
Zwei Motive standen in der Literatur im Vordergrund:
1. Das Endzeitmotiv und der Lebensüberdruss
Die österreichische Schriftstellerin und Literaturkritikerin Marie Herzfeld (1855–1940) stellte in ihrem Essay "Fin de Siècle“ fest:
Wir sind umgeben von einer Welt absterbender Ideale und so bleibt nur das Gefühl des Fertigseins, des Zu-Ende-gehens — Fin de Siècle - Stimmung.
Der irische Schriftsteller Oskar Wilde (1854–1900) schrieb Ähnliches:
Ich wollte, es wäre Fin du globe.
Fin de Siècle war auch der Titel eines Gedichts des deutschen Dichters Wilhelm Weigand(1862–1949) aus dem Jahr 1893, worin es heißt:
Narrentand und Trauerlieder!
Das Jahrhundert legt sich nieder,..
Der Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) bemerkte in einem Essay aus dem Jahr 1893:
Man hat manchmal die Empfindung, als hätten unsere Väter […..] als hätten sie uns, den Spätgeborenen, nur zwei Dinge hinterlassen: hübsche Möbel und überfeine Nerven.
2. Das Niedergangsmotiv
Fin de Siècle radikalisierte sich mit der Zeit so sehr, dass man das Ergebnis auch als décadence (deutsch: Dekadenz = Verfall) bezeichnet. Konkret kennzeichnet décadence eher einen kulturellen Zustand, in dem die Lebensgewohnheiten des Einzelnen sich dermaßen verfeinern, dass in der Folge bezweifelt wird, dass er / sie noch ein normales, bürgerliches Leben führen kann. Der prominenteste Autor der décadence war Thomas Mann. In diesen Werken beschäftigte er sich mit diesem Motiv:
- Der kleine Herr Friedemann (1897)
- Tristan (1901)
- Der Tod in Venedig (1911)
- J.K. Huysman (1848–1907)
- Rainer Maria Rilke (1875–1926)
- Frank Wedekind (1864–1918)
- Stefan Zweig (1881–1942) mit dem Werk ,,Vergessene Träume“ (1900)
Auch die Dekadenz war nicht eine festgelegte Stilrichtung. Wie Fin de Siècle lässt sie sich als eine wertende Einstellung gegenüber der zu dieser Zeit herrschenden Lebensform und Realität definieren.
Wiener Moderne
Die Wiener Moderne bildet in der Kunstgeschichte Europas eine wichtige Epoche. Sie wurde zwar erheblich vom Fin de Siècle und anderen Strömungen beeinflusst, unterscheidet sich aber insofern davon, als dass der Begriff Wiener Moderne das Kulturleben in Wien, Budapest, Prag und anderen bedeutenden Städten der Donaumonarchie von 1890 bis 1910 bezeichnet.
Politische und soziale Hintergründe der Wiener Moderne
- Zu dieser Zeit war Wien noch eine konservative Monarchie, also eine Regierungsform, in der oft nur eine Person das Staatsoberhaupt bildet. Wien war die Hauptstadt der Donau-Monarchie, also der Monarchie Österreich-Ungarn. Allgemein wird diese Monarchie mit einem "Vielvölkerstaat" in Verbindung gebracht.
- Die Industrialisierung setzte sich nur schleppend durch. Neben der ineffizienten Verwaltung stellten auch die sich immer weiter verschärfenden Konflikte zwischen Bürgern verschiedener Nationalitäten ein Problem dar.
- Die Politik Wiens zu dieser Zeit ist geprägt vom Kampf zwischen den Zionisten auf der einen Seite und dem Antisemiten auf der anderen Seite. Zur gleichen Zeit entwickelte sich die Sozialdemokratie.
- Auch die Intellektuellenszene Wiens war von Einflüssen Nietzsches und Wagners nicht ganz unberührt geblieben. Der im Scheitern begriffene Liberalismus zwang die Intellektuellen zur Flucht und Isolation in alternativen und künstlerischen Welten. Man war politisch nicht mächtig genug, um effektiv zu handeln. Kunst aber stiftete Sinn und bot zudem "Nahrung für ihre Seele".
- Diese politische Abschottung einiger Intellektueller und Künstlern*innen brachte kulturelle Innovationen hervor. Denn die Kunst war der einzige Raum, in dem die eigenen Ansichten zum Ausdruck gebracht werden konnten.
Wiener Moderne – Motive in Kunst, Literatur und Architektur
Krisen wie "die Identitätskrise", Krisen in Bezug auf die Wahrnehmung, die Sprache, Sexualität, oder den Tod waren häufige Motive. Bei manchen Künstlern war die Darstellung der Sexualität ein wiederkehrendes Thema. Andere wiederum beschäftigten sich mit der Psyche und dem Unterbewusstsein. In allem aber war der Verfall ein Grundmotiv.
Die wichtigsten Persönlichkeiten
Bildende Kunst
Gustav Klimt (1862–1918) war Maler und Mitbegründer der Wiener Secession im Jahr 1897. Bekannt für seinen Jugendstil, porträtierte Klimt vor allem privilegierte Frauen aus der Bourgeoisie, der gehobenen Schicht der Gesellschaft. Für ihn sollte vor allem die Beobachtung psychologischer Vorgänge die moderne Epoche definieren. Zeit seines Lebens stand er aber in einem äußerst gespannten Verhältnis zur Bourgeoisie. Sein bekanntestes Werk trägt den Titel "Der Kuss" (1908).
Egon Schiele (1890–1918) war Zeichner und Maler, der, wie Oskar Kokoschka (1886–1980), in seinen Werken mit Konventionen brach. Beiden wurde Angriff auf öffentlichen Anstand vorgeworfen, Schiele 1912 dafür sogar verhaftet. Ihre Werke widmen sich Themen wie "Das Schöne am Hässlichen" sowie dem Verfall.
Architektur
Die damalige Ringsstraße in Wien war gezeichnet vom Historizismus. Dies ist eine Richtung in der Architektur, bei der auf Stilelemente aus früheren historischen Epochen zurückgegriffen und bei der Errichtung von neuen Gebäuden angewandt werden.
Alfred Loos (1870–1933) und Otto Wagner (1841–1918) sind hier besonders zu erwähnen, zumal beide, im Gegensatz zu dieser herrschenden Konvention in der damaligen Architektur, Nützlichkeit und Nüchternheit forderten. Kunst und Zweck sollte miteinander harmonisieren. Der Historizismus der Ringstraße hat ein gespanntes Verhältnis zum Funktionalismus. Es wurde versucht, Schmuck durch mehr Zweck zu ersetzen.
Literatur
Die Literatur der Wiener Moderne beschäftigte sich kritisch mit der Bourgeoisie Wiens und ihrer Doppelmoral. Schriftsteller verurteilten den scheinheiligen Umgang mit der Sexualität sowie der Besessenheit um das soziale Ansehen. Auch korrupte Machtstrukturen in allen Schichten der Gesellschaft waren Zielscheiben der Kritik.
Der österreichische Arzt und Dramatiker Arthur Schnitzler (1862–1931) thematisierte in seinen Werken "Fräulein Else" aus dem Jahr 1924 und "Der Reigen" aus dem Jahr 1897 die genannten Motive. Hugo von Hofmannsthal dagegen sprach 1893 von einer "toten Stadt" und einer "Stadt der Ruinen", womit er sein Bild von Wien zeichnete.
Ebenso bedeutend für die Literatur dieser Zeit war die Gruppe "Jung-Wien" um den österreichischen Schriftsteller und Literaturkritiker Hermann Bahr (1863–1934), welche sich im Café Griensteidl zusammentraf.Neben Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal waren eine große Anzahl berühmter Mitglieder in der Gruppe vertreten, unter anderem Peter Altenberg (1859–1919), Schriftsteller.
Die Cafés in Wien galten als beliebter Treffpunkt für viele Literaten der Wiener Moderne. Hier trafen sich Gleichgesinnte, woraus manche Gelegenheitskunst sowie Feuilletons entstanden sind. Daher wird die Wiener Moderne auch als "Kaffeehausliteratur" bezeichnet. Das Café Central, Café Museum, Café Herrenhof bildeten einen Treffpunkt für weitere Autoren wie Hermann Brock, Anton Kuh und Georg Trakl.
Die bekannte Formel lautete: L'art pour l'art, also die Kunst um der Kunst willen. Das war das Kunstverständnis der Wiener Moderne, jedoch nicht bei allen Vertretern dieser Epoche.
Psychologie
Waren die oben genannten Literaten und Künstler an der Literarisierung der Bourgeoisie interessiert, so zeigte der berühmte Psychoanalytiker Siegmund Freud sein wissenschaftliches Interesse an der bizarren Sexualität der Bourgeoisie. So ist das Sexualleben der Frauen dieser Schicht das wiederkehrende Thema in Freuds Schriften. Die mit einem Decknamen verhüllte Person namens Dora aus einem seiner Werke repräsentiert den Zustand der Wiener Gesellschaft dieser Zeit. Großen Einfluss übte während dieser Epoche seine 1899 veröffentliche "Traumdeutung".
Fin de Siècle – Vertreterinnen & Vertreter
Viele männliche Künstler unterstützten zwar den Aufbruch ins Neue sowie antimonarchistische Tendenzen. Aber wenn es um die Aufnahme von Frauen in ihre Gruppe ging, vertrat der Großteil eine zurückhaltende bis ablehnende Haltung dazu.
Die Tatsache, dass Frauen bis zum Jahr 1921 von der Wiener Akademie der bildenden Künste ausgeschlossen blieben, verdeutlicht die zeitgenössischen Situation der angehenden Künstlerinnen.
Ausnahmen hiervon bildete der Maler August Schaeffer, der der Malerin Tina Blau privaten Unterricht gab. Bekannt ist sie auch dafür, ihren eigenen Weg gegangen zu sein, wenn es um die Stilrichtung ging.
Die Bildhauerei, welche zu der Zeit als die "männlichste" Kunst galt, erfreute sich einer neuen Erscheinung: Teresa Feodorowna Ries (1874–1950), die erste erfolgreiche Bildhauerin in Wien. Zu Beginn ihrer Karriere wurde sie für ihre Tätigkeit heftig kritisiert:
Schade, dass sie in dem Wahne lebt, Männerarbeit tun zu wollen. Dafür ist sie nicht geboren.
Das notierte der Schriftsteller Ludwig Hevesi über Teresa, ohne zu ahnen, dass bald Mark Twain sich für sein Portrait für sie entscheiden wird, als man ihm damals einige Künstler vorstellte. Weitere bedeutende Künstlerinnen dieser Zeit waren Broncia Koller-Pinell, Olga Wisinger-Florian und die Grafikerin Lili Réthi.
Fin de Siècle – Das Wichtigste auf einen Blick
- Während Fin de Siècle (1890–1914) eine Epoche mit einem bestimmten Lebensgefühl war, war die Wiener Moderne (1890–1910) eine Epoche mit einer eigenen Stilrichtung und Zielsetzung.
- Beide Epochen waren von anderen Strömungen beeinflusst. Die Wiener Moderne aber auch vom Fin de Siècle selbst und vom Ästhetizismus, Impressionismus, Jugendstil und Symbolismus.
- Im Gegensatz zum Fin de Siècle führte die Wiener Moderne eine Blütezeit in der Malerei, Architektur, Psychologie und Literatur.
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