Dieses Zitat stammt aus dem 1892 veröffentlichten Text "Symbolisten" des österreichischen Schriftstellers Hermann Bahr und bezieht sich auf die Literatur der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Der Zeitraum von 1890 bis 1910 war von der Gleichzeitigkeit verschiedener literarischer Strömungen gekennzeichnet. Expertinnen und Experten sprechen hierbei von einem sogenannten "Stilpluralismus". Trotz einiger Unterschiede verband diese Strömung eine Gemeinsamkeit: Sie wandte sich gegen die Prinzipien des Naturalismus. Daher wird sie als Gegenbewegungen zum Naturalismus verstanden.
Die Literaturepoche des Naturalismus wird auf den Zeitraum von 1880 bis 1900 datiert. Das Wort Naturalismus leitet sich vom lateinischen Wort natura ab, das übersetzt Natur bedeutet. Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Epoche verfolgen das Ziel, die Gesellschaft und Wirklichkeit möglichst genau und realitätsgetreu abzubilden. Auch gesellschaftliche Probleme wurden dargestellt und kritisiert.
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Literatur der Jahrhundertwende – historischer Hintergrund
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts litt ein Großteil der Bevölkerung unter Armut. Gleichzeitig kam es zu zahlreichen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen, die einen großen Einfluss auf das Weltbild und die Rolle des Menschen nahmen.
Industrialisierung und Armut
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde stark von der Industrialisierung beeinflusst. Durch die Erfindung der Dampfmaschine wurde die Produktion von Gütern revolutioniert. Während auf dem Land viele Arbeitsplätze verloren gingen, entstanden in den Städten neue Arbeitsplätze. Auf der Suche nach Arbeit zogen Menschen daher massenweise vom Land in die Stadt. Es kam zur sogenannten Landflucht und Verstädterung (auch Urbanisierung genannt), in deren Folge auf dem Land weniger Menschen lebten als in der Stadt.
Aufgrund des hohen Zuzugs in die Städte fand jedoch nicht jeder Suchende einen Arbeitsplatz: Die Arbeitslosigkeit in der Bevölkerung nahm zu. Außerdem war der verfügbare Wohnraum begrenzt. Große Teile der Bevölkerung lebten in Armut. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken waren von körperlich anstrengender Arbeit, langen Arbeitstagen und einer geringen Bezahlung geprägt. Krankheiten breiteten sich aus, Alkoholismus, Prostitution und Kriminalität nahmen zu.
Gleichzeitig bildete sich durch die Industrialisierung ein neuer Mittelstand heraus, der sich vom Handwerk und der Arbeiterschaft abgrenzte. Es kam zu einer zunehmenden Ungleichheit und gesellschaftlichen Spaltung.
Verändertes Menschenbild durch wissenschaftliche Erkenntnisse
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien veränderten das Menschenbild grundlegend. Der Mensch wurde als von äußeren Einflüssen determiniert, also als fremdbestimmt, aufgefasst. Insbesondere die Milieutheorie von Hippolyte Taine hatte einen großen Einfluss.
Die Milieutheorie geht davon aus, dass der Mensch durch die sozialen Verhältnisse, d. h. durch das Milieu, in das er hineingeboren wird, fremdbestimmt wird. Die Milieutheorie nimmt an, dass der Mensch von äußeren Faktoren geprägt und beeinflusst wird. Dazu gehören die Vererbung von Genen und seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht. Diese Faktoren schränken den Menschen in seiner Entwicklung und in seinen Entscheidungen ein.
Gleichzeitig beeinflusste die von Sigmund Freud entwickelte Psychoanalyse (1890) das Menschenbild nachhaltig. Seine Theorie ging davon aus, dass die Psyche des Menschen von zum Teil unbewussten, psychischen Vorgängen gesteuert wird. Freuds Theorie eröffnete einen völlig neuartigen Zugang zur menschlichen Psyche.
Albert Einsteins Relativitätstheorie (1905) postulierte einen Zusammenhang von Raum, Zeit und Gravitation und stellte
damit die bislang fest geglaubten Begriffe von Raum und Zeit infrage.
Im Zuge dieser neuen wissenschaftlichen Perspektiven und Theorien verlor das christliche Weltbild und die christliche Religion zunehmend an Bedeutung. Dieser Prozess wird auch als Säkularisierung bezeichnet.
Säkularisierung kommt vom lateinischen saeculum, was "Zeitalter" oder "Jahrhundert" bedeutet. Der Begriff beschreibt die Trennung von Kirche und Staat sowie die abnehmende Bedeutung von Religion im Alltag der Menschen.
Endzeit- und Aufbruchsstimmung
Die vielen Veränderungen führten bei einigen zu einer Aufbruchsstimmung und einem Fortschrittsoptimismus, bei anderen wiederum sorgten sie für eine Endzeitstimmung, mit der Angst, Pessimismus und Depressionen einhergingen. Das Ende des 19. Jahrhunderts markierte den Untergang einer Ära und die Menschen trauerten dieser Ära nach, indem sie sich in künstlerische Gefühls-, Märchen- und Traumwelten flüchteten.
Hinzu kam die militärische Aufrüstung, die im späteren Ersten Weltkrieg (1914–1918) mündete.
Literatur der Jahrhundertwende – Merkmale der Strömungen
Bereits während der Epoche des Naturalismus entstanden verschiedene Gegenbewegungen. Die Vertreterinnen und Vertreter dieser Strömungen interessierten sich im Gegensatz zu den Schreibenden des Naturalismus nicht für die aktuelle politische Situation Deutschlands. Zudem lehnten sie eine realitätsgetreue Darstellung der Welt ab.
Zu diesen Strömungen gehörten:
- Impressionismus
- Symbolismus
- Fin de Siècle
- Neuromantik
Die Strömungen werden oft auch unter der Epochenbezeichnung der Moderne zusammengefasst.
Die Moderne ist eine Literaturepoche zwischen 1880 und 1920. Da sie vom heutigen Standpunkt aus in der Vergangenheit liegt und die Bezeichnung somit irreführend ist, wird sie auch als "Klassische Moderne" bezeichnet. Die Moderne wandte sich von der vorangegangenen Literatur des Naturalismus und Realismus ab. Ziel war das Erschaffen von "Kunst um der Kunst willen", nach dem französischen Motto: L'art pour l'art. Politische Botschaften rückten in den Hintergrund der Kunst.
Unter der Epochenbezeichnung der Moderne werden neben den literarischen Strömungen des Impressionismus, Symbolismus, Fin de Siécle und der Neuromantik auch der Expressionismus (ca. 1910–1925) und die Avantgarde (ab dem frühen 20. Jahrhundert) zusammengefasst. Da sich die letzten beiden jedoch erst nach der Jahrhundertwende entwickelten, gehören sie nicht zur Literatur der Jahrhundertwende.
Im Folgenden erhältst Du eine Übersicht über die Merkmale der einzelnen Strömungen der Jahrhundertwende.
Impressionismus
- Der Impressionismus ist vor allem als Kunstepoche bekannt, jedoch gibt es auch einige impressionistische literarische Werke.
- Die literarische Strömung des Impressionismus lässt sich zeitlich von 1890 bis 1920 datieren.
- Der Begriff Impressionismus leitet sich vom lateinischen Wort impressio ab, was übersetzt "Eindruck" bedeutet.
- Im Vordergrund der Strömung standen Gefühle, Gedanken, Sinneseindrücke und die damit verbundene Betonung des Moments, der vergänglich ist.
- Zudem wurde der Subjektivität eine große Bedeutung zugeschrieben.
- Autorinnen und Autoren wählten kurze literarische Formen: Besonders beliebte Formen waren Gedichte und Novellen.
- Für die Strömung typisch waren die Erzählformen des inneren Monologs und der erlebten Rede.
Symbolismus
- Der Symbolismus ist eine künstlerisch-literarische Strömung, die ihren Ursprung 1890 in der impressionistischen Kunst Frankreichs hatte. Das Ende des Symbolismus wird auf das Jahr 1920 datiert.
- Seinen Namen erhielt der Symbolismus, da in fast jedem Werk dieser Strömung Symbole verwendet wurden, die von der Leserschaft entschlüsselt werden mussten.
- Vertreterinnen und Vertreter des Symbolismus kreierten eine unwirkliche Fantasie- und Traumwelt.
- Sie strebten zudem eine formvollendete Sprache an.
- Vor allem die literarische Gattung der Lyrik war beliebt.
Ein Symbol ist ein Zeichen, das sinnbildlich für einen abstrakten Begriff steht und eine feste allgemeingültige Bedeutung hat. Das Herz steht beispielsweise für die Liebe. Falls Du mehr über das Stilmittel des Symbols erfahren möchtest, wirf gerne einen Blick in die Erklärung "Symbol"! Mehr Informationen zur Strömung des Symbolismus findest Du in der Erklärung "Symbolismus Literatur" auf StudySmarter.
Fin de Siècle
- Die Bezeichnung Fin de Siècle ist französisch und bedeutet übersetzt "das Ende des Jahrhunderts".
- Die Strömung wird auch als Décadence bezeichnet. Der Begriff ist ebenfalls französisch und bedeutet übersetzt "Verfall".
- Die Literaturströmung wird auf den Zeitraum von 1890 bis 1914 datiert.
- Charakteristisch für die Strömung war eine Endzeitstimmung: Vertreterinnen und Vertreter gingen vom Niedergang der Welt aus und drückten in ihren Werken einen Weltschmerz und Lebensüberdruss aus.
Neuromantik
- Die Neoromantik wird auf den Zeitraum von 1890 bis 1915 datiert.
- Inhaltlich knüpften Autorinnen und Autoren an die Epoche der Romantik an.
- Literarische Werke spielten beispielsweise im Mittelalter oder im Italien der Renaissance.
- Thematisiert wurde Magisches, Geheimnisvolles und Skurriles sowie Sagen, Mythen und Märchen.
- Auch Gefühle und das eigene Seelenleben wurden behandelt.
Literatur der Jahrhundertwende – Motive & Themen der Strömungen
Im Folgenden findest Du eine Übersicht über die Motive der unterschiedlichen Strömungen der Jahrhundertwende. Da die Strömungen sich gegenseitig beeinflussten, behandeln sie zum Teil sehr ähnliche Motive und Themen.
Literarische Strömung | Motive |
Impressionismus | - Natur
- Großstadt
- Alltag
- Sinneswahrnehmungen
- Subjektivität
|
Symbolismus | - Träume
- Mythen
- Biblisches
- Mystik
- Erotik
- Emotionen
- Spiritualität
- Tod und Vergänglichkeit
- Unbewusstes
- Halluzinationen
|
Fin de Siècle | - Verfall des einzelnen Menschen, der Kultur und der gesamten Gesellschaft
- Oberflächlichkeit
- Tod und Vergänglichkeit
- Ekel
- Isolation und Einsamkeit
- Handlungsunfähigkeit
- Künstlichkeit
- sehnsüchtiges Hoffen auf einen Neubeginn
|
Neuromantik | - Heimat
- Träume
- Mythen
- Märchen
- Fantasie
- Gefühle
- Individualität
|
Literatur der Jahrhundertwende – Autoren & Werke
Zu den wichtigsten Autoren zur Zeit der Jahrhundertwende gehören:
- Stefan George (1868–1933)
- Hugo von Hofmannsthal (1874–1929)
- Rainer Maria Rilke (1875–1926)
- Arthur Schnitzler (1862–1931)
- Frank Wedekind (1864–1918)
Die Autoren lassen sich in den meisten Fällen nicht nur zu einer einzigen Strömung zuordnen, sondern leisteten mit ihren Werken Beiträge zu mehreren Strömungen der Jahrhundertwende.
Literatur der Jahrhundertwende – Übersicht über die wichtigsten Werke
Werke der Strömungen der Jahrhundertwende heben sich durch ihre sprachliche Originalität sowie eine verdichtete Sprache ab. Letztere wird u. a. durch die Verwendung bestimmter rhetorischer Stilmittel wie Oxymora, Neologismen und Metaphern erzielt.
Literatur der Jahrhundertwende – Gedichte und Gedichtzyklen
"Das Jahr der Seele" (1897) – Stefan George
"Nach der Lese" (1897) – Stefan George
"Der Panther" (1903) – Rainer Maria Rilke
- "Das Stunden-Buch" (1905) – Rainer Maria Rilke
Literatur der Jahrhundertwende – epische Werke
- "Reitergeschichte" (1899) – Hugo von Hofmannsthal
- "Leutnant Gustl" (1900) – Arthur Schnitzler
- "Chandos Brief" (1905) – Hugo von Hofmannsthal
Literatur der Jahrhundertwende – Dramen
- "Frühlings Erwachen" (1891) – Frank Wedekind
- "Der Thor und der Tod" (1894) – Hugo von Hofmannsthal
- "Der einsame Weg" (1904) – Arthur Schnitzler
- "Jedermann" (1911) – Hugo von Hofmannsthal
Literatur der Jahrhundertwende - Das Wichtigste
- Literatur der Jahrhundertwende – Epoche: Für die Literatur der Jahrhundertwende gibt es keine Epochenbezeichnung. Im Zeitraum von 1890 bis 1910 herrschte ein sogenannter Stilpluralismus: Verschiedene literarische Strömungen existierten zeitgleich als Gegenbewegungen zum Naturalismus.
- Zu den Strömungen der Jahrhundertwende gehören der Impressionismus, Symbolismus, Fin de Siècle und die Neuromantik.
- Literatur der Jahrhundertwende – historischer Hintergrund: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts litt ein Großteil der Bevölkerung unter Armut. Gleichzeitig kam es zu zahlreichen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen, die einen großen Einfluss auf das Weltbild und die Rolle des Menschen nahmen. Die vielen Veränderungen führten bei einigen zu einer Aufbruchstimmung, bei anderen wiederum sorgten sie für eine Endzeitstimmung.
- Literatur der Jahrhundertwende – Merkmale: Die Vertreterinnen und Vertreter der Strömungen thematisierten nichts Politisches, sondern fokussierten sich auf subjektive Erfahrungen. Außerdem lehnten sie eine realitätsgetreue Darstellung der Welt ab.
- Literatur der Jahrhundertwende – Motive:
- Impressionismus: Natur, Großstadt, subjektive Sinneswahrnehmungen
- Symbolismus: Träume, Mythen, Unbewusstes, Emotionen
- Fin de Siècle: Verfall und Tod, Isolation, Handlungsunfähigkeit
- Neuromantik: Heimat, Träume, Mythen
- Literatur der Jahrhundertwende – Autoren: Zu den wichtigsten Autoren gehören Stefan George, Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Arthur Schnitzler und Frank Wedekind.
Nachweise
- Gotthart Wunberg, ed. (2000). Die Wiener Moderne: Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Reclam Verlag.
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