Neue Subjektivität

Was ist die Neue Subjektivität? Die 70er-Jahre wurden nicht nur von Disco-Fieber, Blumenmuster, Schlaghosen und Lederfransen geprägt. Dieser Zeitraum markiert außerdem eine Epoche der gefühlsbetonten Literatur, die noch heute eine Rolle spielt: die Neue Subjektivität.

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    Die Neue Subjektivität ist keine eigene Literaturepoche, sondern vielmehr eine Strömung der 1970er-Jahre. Dabei fungierte sie als Gegenbewegung zur system- und gesellschaftskritischen Literatur in den 1960er-Jahren. Sie wird auch als Neue Innerlichkeit oder Neue Sensibilität bezeichnet. Kennzeichnend ist das Fehlen politischer Aspekte, die durch die Wahrnehmung eigener Alltagsprobleme und -sorgen abgelöst werden.

    Neue Subjektivität Epoche – Historischer Hintergrund

    Im Zeitraum der 70er-Jahren herrschte eine Art politische Resignation in der Gesellschaft. Bereits in den 60er-Jahren waren vor allem junge Menschen unzufrieden mit den Bestimmungen der Politik. Doch während sie sich in den 60ern noch über Demonstrationen und Proteste Gehör verschafften, blieben sie in den 70ern überwiegend stumm. Sie fügten sich den Gegebenheiten weitgehend, statt gegen sie anzugehen.

    Das Wirtschaftswunder der 50er-Jahre wurde zunehmend durch Arbeitslosigkeit und eine steigende Inflation ersetzt. Im Zuge der Kohlekrise wurden vielerorts die Zechen stillgelegt, das sogenannte Zechensterben begann. Im August 1961 ließ Walter Ulbricht, einer der mächtigsten Politiker der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die Berliner Mauer bauen und zerstörte damit die Hoffnung der Bevölkerung auf eine Wiedervereinigung Deutschlands.

    Als Wirtschaftswunder bezeichnen Expert*innen den Aufschwung, also das Wachstum, der Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er-Jahren. Der Zweite Weltkrieg hatte Deutschland schwer in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch nahm die reale Produktion der Industrie bis 1963 um ganze 185 Prozent zu.

    Es wurde zunehmend mit billigem Erdöl, Braunkohle oder Kernkraftenergie geheizt beziehungsweise Strom erzeugt, dementsprechend sank die Nachfrage nach deutscher Steinkohle. Gegen 1957 überstieg der Anteil an produzierter Steinkohle in den Hallen der Zechen die Nachfrage um ein Vielfaches. Die Zechen als Abbauort wurden nicht mehr gebraucht und daher geschlossen. Für viele Deutschen im Ruhrgebiet bedeutete das den Verlust des Arbeitsplatzes.

    In der Bundesrepublik Deutschlands (BRD) stieg daraufhin die Unzufriedenheit mit der Großen Koalition aus CDU und SPD. Gemeinsam erreichten die beiden deutschen Parteien ein solches Ausmaß, dass das Parlament kaum mehr Platz für eine Opposition, also eine politische Gegenbewegung, bot.

    Im Sinne der politischen Umwälzung entwickelte sich der Sozialistische Deutsche Studierendenbund (SDS) zu einer revolutionären Studierendenbewegung, die in den 60er-Jahren als Teil der außerparlamentarischen Opposition regelmäßig für Unruhen sorgte. Die Forderungen waren:

    • mehr Gleichberechtigung von Mann und Frau
    • bessere Lebensbedingungen und Bildungschancen
    • Entnazifizierung an den Hochschulen und Universitäten
    • Ende des Krieges in Vietnam
    • atomarer Rüstungsstopp

    Der SDS wurde bereits 1947 gegründet und gewann im Laufe der Jahre immer mehr an Popularität. 1968 verordnete die Regierung die sogenannten Notstandsgesetze. Als Reaktion nahmen die Proteste zu und mussten teils mit Gewalt niedergeschlagen werden.

    Die Notstandsgesetze bezeichnen Änderungen am Grundgesetz, die nur in Ausnahmesituationen getätigt werden dürfen. Beispielsweise wird in einem Kriegsfall das Kommando über die Wehrmacht der aktuellen Regierung bzw. dem Regenten übergeben und demokratische Bestimmungen werden außen vor gelassen.

    In den 70er-Jahren zerstritt sich die Studierendenbewegung und die ehemaligen Mitglieder schlossen sich anderen Gruppierungen an. Ein Teil davon folgte den linksorientierten Parteien KPD/ML und DKP, andere wiederum formierten sich zu der linksextremistischen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF), die unter den Bürger*innen Angst verbreitete. Ein weiterer Teil fand sich erneut zusammen und erschien später im "Bündnis '90/Die Grünen" wieder auf der Bildfläche.

    Für mehr Emanzipation sorgte die Einführung der Antibabypille. Laute Diskussionen im Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch folgten und veränderten das Rollenbild der Frau maßgeblich.

    Neue Subjektivität – Merkmale

    Die Neue Subjektivität zeigt einige Merkmale in deren Literatur: Im Zeitraum der 70er-Jahre distanzierten sich Autor*innen vom politischen Geschehen. Während zuvor der Glaube herrschte, die Literatur könne Gesellschaft und System verändern, waren es nun vermehrt selbstbezogene Aspekte, die Schriftsteller*innen zum Schreiben bewegten.

    Texte der Neuen Subjektivität hatten demnach oft autobiografische Züge und thematisierten beispielsweise Identitätsfindung, Individualität, Selbstoffenbarung und -reflexion. Auf Form und Sprache wurde weniger Wert gelegt. Wichtig war der emotionale Gedanke, der Intellekt und die Authentizität, also die Echtheit, des beschriebenen Ichs.

    Der Schreibstil in der Neuen Subjektivität war dementsprechend direkt und einfach verständlich. Um private Alltagssorgen und subjektive Empfindungen abzubilden, bedienten sich die Autor*innen häufig an der Alltagssprache. Auf diese Weise stellten sie sicher, dass jede*r ihre Gedanken nachvollziehen konnte.

    Neue Subjektivität – Literatur

    In der Neuen Subjektivität verwendeten die Autor*innen vermehrt lyrische und epische Formen, um ihre persönlichen Botschaften zu überbringen. Wenn sich die Literatur der Neuen Subjektivität auch nicht mehr mit Politik beschäftigte, so herrschte dennoch die Hoffnung, über sensible Schriftwerke kleine Veränderungen in der Gesellschaft bewirken zu können.

    Es entwickelte sich erstmals eine deutlich von Frauen geprägte Literatur, die traditionelle Geschlechterrollen hinterfragte und eine Chancengleichheit für die weibliche Bevölkerung forderte. Tragende Autorinnen dieser Emanzipationsbewegung waren zum Beispiel:

    • Elfriede Jelinek
    • Gabriele Wohmann
    • Karin Kiwus
    • Ursula Krechel
    • Ingeborg Bachmann

    Das Drama "Erika" von Ursula Krechel (1973) beispielsweise erzählt von dem Leben einer jungen Sekretärin, die ihren Mann verlässt, von einem anderen Mann schwanger und wieder verlassen wird, um anschließend zu ihrem ersten Mann zurückzukehren. Das Stück stellt dar, wie wenig Frauen über ihre Abhängigkeit wissen und dass sie, allen Emanzipationsversuchen zum Trotz, von der Gesellschaft in ein bestimmtes Rollenbild gezwängt werden. Interessant ist, dass während des gesamten Theaterstücks kein Mann auf der Bühne vorgesehen ist.

    Der Begriff "Emanzipation" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie "Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt". Grundsätzlich bezeichnet Emanzipation das Loslösen von gesellschaftlichen, sozialen und politischen Mustern. Angestrebt wird also ein Gewinn an Freiheit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung.

    Der Emanzipationsbegriff ist also nicht nur auf Frauen bezogen, dennoch wird er heutzutage meist im feministischen Sinne verwendet.

    Neue Subjektivität – Epik

    Als Träger autobiografischer Texte eignete sich der Roman besonders gut, weswegen die Epik in der Neuen Subjektivität starken Anklang fand. Beispielhafte epische Werke der Neuen Subjektivität sind die 1973 erschienenen Romane "Lenz" und "Klassenliebe" von Peter Schneider und Karin Struck.

    Beide Werke haben autobiografische Hintergründe und berichten von den Herausforderungen ihrer Zeit sowie von den schwierigen sozialen Beziehungen. Auch die Umständen des Erwachsenwerdens und -seins in einer Gesellschaft, die den Intellekt unterdrückt, werden thematisiert.

    Du möchtest mehr über die Gattung der Epik erfahren? Dann klick Dich in die Erklärung "Epik"!

    Neue Subjektivität – Lyrik

    Die Lyrik der Neuen Subjektivität wird auch als "Alltagslyrik" bezeichnet. Sie bediente sich nur selten sprachlicher Bilder und rhetorischer Mittel. Stattdessen entstanden in der Neuen Subjektivität Gedichte, die einen erzählerischen, oder auch einen prosaischen Stil hatten.

    Mit einem prosaischen Stil ist eine nüchterne und sachliche Sprache gemeint.

    Lyriker*innen nutzten kein bestimmtes Versmaß oder Reimschema. Sie thematisierten alltägliche Sorgen und Probleme, Freude, Glück und Trauer. Das lyrische Ich ist dabei besonders hervorgehoben. Ein Beispiel für die Lyrik der Neuen Subjektivität ist das 1978 erschienene Gedicht "Das Bürofenster" von Roman Ritter. Das Gedicht beschreibt in einfacher, verständlicher Sprache den Ausblick aus einem gewöhnlichen Bürofenster. Dabei schwingt sanfte Kritik an der Arbeitsmoral und ebenso eine leichte Wehmut mit:

    Ich drehe mich am Schreibtisch um

    und sehe durch das Fenster

    ein paar Kastanienäste,

    ein Stück Rasen mit Buschwerk

    und den Stamm einer Linde.

    Ich gehe zum Fenster

    und sehe draußen die Linde,

    die Äste leicht vom Wind bewegt,

    den Rasen, der so grün ist,

    dass man beinah lachen muss,

    und die große Kastanie, durch deren Blätter

    man in die Sonne sehen kann.

    Dort drüben blüht ein Busch.

    Ich öffne das Fenster und lehne mich hinaus,

    spüre die Wärme und rieche den Flieder.

    Auf diesen Rasen,

    der sicher weich ist wie ein Fell,

    könnte man sich in die Sonne legen,

    lesen,

    herumschmusen,

    nichts tun,

    essen,

    Fußball spielen.

    Der Chef sieht nicht gern,

    wenn man am Fenster steht und hinausschaut.

    Ich gehe zu meinem Schreibtisch zurück.

    Wenn der Hausmeister die Hecke beschneidet

    kann man von den herabgefallenen Zweigen

    ein paar in die Vase stellen,

    die auf dem Büroschrank steht.

    Wenn Du mehr über das Versmaß oder das Reimschema wissen möchtest, sieh Dir die Erklärungen "Versmaß" und "Reimschema" auf StudySmarter an!

    Die Dramatik in der Neuen Subjektivität

    Die Dramatik spielte in der Neuen Subjektivität eine eher untergeordnete Rolle. Dennoch gab es auch in diesem Zeitraum einige bekannte Dramatiker*innen. Einer von ihnen ist Botho Strauß, der besonders mit seiner "Trilogie des Wiedersehens" 1977 Aufmerksamkeit erregte.

    Das Stück erzählt von der Begegnung verschiedener Menschen und Gesellschaftsgruppen auf einer Kunstausstellung. Dabei betrachten die Besucher*innen jedoch nicht nur die Gemälde, sondern vor allem auch sich selbst. Sie erkennen sich in den Wünschen, den Problemen und dem Schicksal des/der jeweils anderen wieder und werden sich darüber hinaus ihres eigenen unglücklichen Lebens schmerzlich bewusst. Das Motiv der Selbstfindung und Identität, das für die Neue Subjektivität charakteristisch ist, spielt hier eine tragende Rolle.

    Neue Subjektivität – Autoren

    Durch die Neue Subjektivität erlangten einige bislang unbekannte Autor*innen Beachtung, andere wiederum standen bereits zuvor in der Öffentlichkeit und schlossen sich der Bewegung an. Zu den berühmtesten Autor*innen der Neuen Subjektivität zählen:

    • Ingeborg Bachmann (1926–1973)
    • Christa Wolf (1929–2011)
    • Ulla Hahn (*1945)
    • Nicolas Born (1937–1979)
    • Rolf-Dieter Brinkmann (1940–1975)
    • Peter Handke (*1942)
    • Martin Walser (*1927)
    • Heinrich Böll (1917–1985)
    • Elfriede Jelinek (*1946)

    Neue Subjektivität – Werke

    Die subjektive Strömung der Literatur hielt sich nur ein knappes Jahrzehnt, dennoch entstanden in dieser Zeit einige wichtige Werke, die in auch heute noch von Bedeutung sind. Wichtigste Werke der Neuen Subjektivität sind zum Beispiel:

    • "Malina" (Ingeborg Bachmann, 1971)
    • "Wunschloses Unglück" (Peter Handke, 1972)
    • "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (Heinrich Böll, 1974)
    • "Westwärts 1&2" (Rolf-Dieter Brinkmann, 1975)
    • "Die Liebhaberinnen" (Elfriede Jelinek, 1975)
    • "Jugend" (Wolfgang Koeppen, 1976)
    • "Kindheitsmuster" (Christa Wolf, 1976)
    • "Die erdabgewandte Seite der Geschichte" (Nicolas Born, 1976)
    • "Ein fliehendes Pferd" (Martin Walser, 1977)

    Wenn Du mehr über eines der Werke lesen möchtest, kannst Du zum Beispiel die Erklärung über "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" auf StudySmarter lesen.

    Neue Subjektivität – Das Wichtigste

    • Die Neue Subjektivität ist keine Literaturepoche, sondern eine literarische Strömung der 70er-Jahre und eine Gegenbewegung zur systemkritischen Literatur der 1960er.
    • Die Neue Subjektivität war geprägt von dem Glauben, die Politik über die Literatur nicht verändern zu können. In diesem Sinne wandten sich die Autor*innen von politischen Themen ab.
    • Thematisiert wurden stattdessen selbstbezogene Alltagssorgen, wie zum Beispiel Beziehungsprobleme. Selbstfindung und Selbstreflexion standen ebenfalls im Mittelpunkt.
    • Die Sprache der Neuen Subjektivität ist einfach gehalten und leicht verständlich. Es werden nur selten sprachliche Mittel genutzt.
    • Berühmte Autor*innen der Neuen Subjektivität sind beispielsweise Ingeborg Bachmann mit ihrem Roman "Malina" und Nicolas Born mit seiner Erzählung "Die erdabgewandte Seite der Geschichte".
    Häufig gestellte Fragen zum Thema Neue Subjektivität

    Ist die Neue Subjektivität eine Epoche?

    Die Neue Subjektivität ist keine Literaturepoche sondern eine literarische Strömung der 70er-Jahre. Sie wird auch als Gegenbewegung zur systemkritischen Literatur der 1960er verstanden.

    Was war die Neue Subjektivität?

    Die Neue Subjektivität ist eine literarische Strömung der 70er-Jahre und eine Gegenbewegung zur systemkritischen Literatur der 1960er. Im Zentrum steht die eigenen Wahrnehmung und Empfindung. Auch Selbstfindung, Individualität und Selbstreflexion sind Inhalte, die in der Neuen Subjektivität häufig thematisiert werden.

    Welche Autoren sind bedeutend für die Neue Subjektivität?

    Für die Neue Subjektivität sind Autor*innen wie Ingeborg Bachmann, Elfriede Jelinek, Nicolas Born und Martin Walser bedeutend. Sie erzählen in ihren Texten beispielsweise von Alltagsproblemen und privaten Sorgen.

    Was sind die bekanntesten Werke der Neuen Subjektivität?

    Zu den bekanntesten Werken der Neuen Subjektivität zählen beispielsweise der 1971 veröffentlichte Roman "Malina" von Ingeborg Bachmann und die Erzählung "Lenz" von Peter Schneider, die 1973 erschien.

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