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Eine Hypothese ist eine überprüfbare Annahme zur Erklärung einer Erscheinung. Je nachdem, ob es Beweise für eine Hypothese gibt oder nicht, kann eine Hypothese entweder verifiziert (=bestätigt) oder widerlegt werden. Hypothesen werden meist in Form von Bedingungssätzen formuliert: Wenn A sich so und so verhält, dann tritt B ein. Wenn also A, dann B.
Die Sapir-Whorf-Hypothese geht davon aus, dass das Denken von der Sprache beeinflusst wird. Sie besagt sie, dass sich die Denkweise von Sprecher*innen einer Sprache aufgrund ihrer sprachlichen Besonderheiten, wie u. a. des Wortschatzes, von der Denkweise von Sprecher*innen anderer Sprachen unterscheidet.
Ein beliebtes Beispiel ist die Wahrnehmung von Farben. Auf Italienisch gibt es für die deutsche Grundfarbe "Blau" zwei Grundfarben: "azzurro" für helleres und "blu" für dunkleres Blau. Nach Whorf und Sapir würde eine Person, die Italienisch spricht und einen Blauton sieht, diesen im Kopf anders abspeichern als eine deutschsprachige Person.
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Bernstein-Hypothese Definition
Wie die Sapir-Whorf-Hypothese besagt auch die Bernstein-Hypothese, dass die Sprache das menschliche Denken beeinflusst. Hierzu gehört die Annahme, dass die Sprache der Mittel- und Oberschicht einer Gesellschaft anspruchsvoller (=elaborierter), die Sprache der Unterschicht hingegen weniger anspruchsvoll bzw. beschränkt (=restringiert) sei. Die Sprache der oberen Schichten wird in der Bernstein-Hypothese als "elaborierter Code", die Sprache der unteren Schicht dagegen als "restringierter Code" bezeichnet.
Code meint in diesem Zusammenhang einfach einen bestimmten Sprachgebrauch, der für die Menschen einer bestimmten Gesellschaftsschicht typisch ist.
Die beiden Codes würden nach dem Begründer der Hypothese, Basil Bernstein, ein jeweils unterschiedliches Denken begünstigen.
Basil Bernstein
Die Bernstein-Hypothese wurde von dem gleichnamigen britischen Soziologen Basil Bernstein in den 1950er-Jahren aufgestellt. Als Soziologe war er u. a. an sprachlichen Untersuchungen zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten interessiert. Seiner Auffassung nach sei es anhand des Sprachgebrauchs möglich, Unterschiede zwischen Menschen in Bezug auf ihre Stellung in der Gesellschaft festzustellen.
Basil Bernard Bernstein wurde 1924 in London geboren und starb 2000. Er war ein Soziolinguist, untersuchte also unter anderem die soziale und kulturelle Bedeutung von Sprache sowie den Sprachgebrauch. Dabei betrachtete er ebenso die sozialen und kulturellen Einflüsse auf die Sprache.
Bernstein-Hypothese Restringierter Code
Der restringierte Code bezeichnet einen Sprachgebrauch, der sich u. a. durch einen begrenzten Wortschatz, unvollständige Sätze, Wiederholungen bei der Wortwahl und eine mangelhafte Aussprache auszeichnet.
Diesen Code unterstellt Bernstein Menschen aus der Unterschicht, denen ein gewisses Bildungsniveau fehlt. Damit spricht er diesen Menschen die Fähigkeit ab, beim Sprechen einen umfangreichen Wortschatz und komplexe Grammatik (komplexe Nebensätze usw.) zu verwenden. Seine Hypothese stützte Bernstein auf die Beobachtungen bei seinen Begegnungen mit den Menschen aus der unteren Schicht. Im Folgenden siehst Du ein Beispiel für einen möglichen restringierten Code:
"Hey du, na, was haste fürs Wochenende vor? Haste Bock auf 'ne geile Party?"
Als Grund dafür führt Bernstein den Gebrauch von umgangssprachlichen Begriffen wie "Bock auf". Außerdem sind unvollständige Konstruktionen wie "haste" (statt "hast du") oder "'ne" (statt "eine") Merkmale für den restringierten Code.
Bernstein argumentierte, dass Menschen aus der Unterschicht sich häufig solcher unvollständigen Sätze und beschränkten Wortwahl bedienen würden. Er behauptete zudem, dass Menschen aus der Mittel- und Oberschicht sich gegebenenfalls auch so ausdrücken könnten. Umgekehrt aber, so seine Behauptung, wären Menschen aus der Unterschicht nicht fähig, so anspruchsvoll wie die Menschen aus der Mittel- und Oberschicht zu sprechen. Denn dazu würden ihnen die nötigen Sprachkenntnisse fehlen.
Der restringierte Code im Dramenfragment Woyzeck
Das soziale Drama "Woyzeck" stammt vom deutschen Dramatiker Georg Büchner und erzählt die Tragödie des einfachen Soldaten Woyzeck, der ein mühseliges Leben führt. Um für seine Geliebte Marie Zickwolf und das gemeinsame Kind Christian sorgen zu können, arbeitet er als Untergebener des Hauptmanns und stellt sich für menschenverachtende Experimente des Doktors zur Verfügung. Dabei wird Woyzeck sowohl von seinen Vorgesetzten als auch von seiner Geliebten gedemütigt. Der gesellschaftliche Druck bringt ihn dazu, aus Verzweiflung und Wut seine Geliebte zu ermorden.
Die Sprache in dem Dramenfragment folgt keiner bestimmten Logik. Es gibt keine stilisierte Theatersprache, denn die handelnden Personen bedienen sich ihrer Stände- beziehungsweise Berufssprache und reden auch teils umgangssprachlich. So sind die Nutzung von Dialekt und einfachen, abgekürzten Sätzen nach Bernstein Merkmale für Menschen aus der gesellschaftlichen Unterschicht. Dazu würden nach dieser Logik Woyzeck und seine Geliebte gehören.
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Für diesen sprachlichen Unterschied zwischen den Schichten nimmt Bernstein folgenden Grund an: Da Menschen aus der Unterschicht in der Regel einfachen Arbeiten wie u. a. Kellnern, Putz- oder Fahrdiensten nachgehen, würden sie nicht viel Wissen benötigen. Und weil das so sei, würden sie meist fern von fachlichen Diskussionen und Theorien bleiben, die man erst mit einer höheren Bildung verstehen könne.
Menschen aus der Mittel- und Oberschicht dagegen arbeiten oft als Ärzte, Juristen und Ingenieure. Ihre Sprache sei laut Bernstein deswegen elaboriert, weil sie in solchen Berufen viele Fachwörter benutzen müssten. Also seien diese Menschen sowohl zu einem begrenzten als auch zu einem anspruchsvollen Sprachgebrauch fähig.
In der Soziologie, also der Wissenschaft von menschlichen Gesellschaften, gelten jene Menschen als Teil der Unterschicht, die ein unterdurchschnittliches bis sehr geringes Einkommen haben und nur wenig Bildung besitzen. Der Mittel- bis Oberschicht gehören hingegen Menschen an, die eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Bildung haben und durchschnittliche bis hohe Einkünfte beziehen.
Diese Zuordnung ist aber nicht immer einheitlich. Denn sie weicht in den verschiedenen soziologischen Theorien voneinander ab.
Bernstein-Hypothese Elaborierter Code
Der elaborierte Code bezeichnet einen Sprachgebrauch, der sich u. a. durch einen sehr umfangreichen Wortschatz, vollständige und grammatisch korrekte Sätze sowie korrekte Aussprache auszeichnet.
Bernstein spricht Menschen aus der Mittel- und Oberschicht den elaborierten Code zu. Dabei stützt er sich auf die Beobachtungen bei seinen Begegnungen mit den Menschen aus dieser Gesellschaftsschicht. Ein Beispiel einer solchen Beobachtung wäre der folgende Satz in dem Szenario, bei dem ein Gast in einem Restaurant zum Kellner spricht:
"Könnten Sie mir bitte einen Gefallen erweisen und die Speisekarte bringen?"
Von der Wortwahl "Gefallen erweisen" her gehört so ein Sprachgebrauch für Bernstein eher zum elaborierten Code. Denn die Wortwahl sei anspruchsvoll und wäre außerdem ein Beweis für hohe Bildung.
Nach Bernstein sind Sprecher*innen des elaborierten Codes dazu fähig, ihre Anliegen auf unterschiedliche Weisen ausdrücken zu können: Die Sprecher*innen können also dieselbe Bitte mal mit gehobenen Worten, mal mit einfachen Worten aussprechen.
Diese Fähigkeit zur sprachlichen Variation spricht Bernstein den Menschen aus der Unterschicht ab. Er geht noch weiter und behauptet, dass gerade diese sprachliche Unfähigkeit der Menschen aus der Unterschicht ihr Denken beschränke.
Bernstein-Hypothese Kritik
Die Hypothese Bernsteins ist von vielen Seiten kritisiert worden. So lautet eine Kritik, dass die Sprache der Unterschicht genauso reich an Variationen und Wortwahl sei wie die Sprache der Mittel- bzw. Oberschicht. So würde ein Handwerker, der vielleicht der Unterschicht angehört, viele Fachwörter kennen, die dem Wortschatz eines Menschen aus der Oberschicht fehlen würden. Eine Köchin z. B. würde viele Fachtermini kennen, die z. B. einem Anwalt gar nicht bekannt wären. Außerdem stellt man Bernsteins Hypothese die Beobachtung entgegen, dass man auch ohne solide Sprachkenntnisse z. B. musikalisch oder malerisch begabt sein könne.
Bleiben wir doch bei dem obigen Beispiel mit dem Gast im Restaurant. Obwohl der Kellner, nach Bernsteins Hypothese, höchstwahrscheinlich ein Angehöriger der gesellschaftlichen Unterschicht sei, versteht er den Gast und dessen Forderung, obwohl es sich dabei um einen elaborierten Code handelt. Das Sprachverständnis gehört ebenso zum Sprachgebrauch, weshalb Bernsteins Hypothese bei diesem Beispiel schon auf seine Grenzen trifft.
Eine weitere Kritik an der Hypothese wirft Bernstein vor, dass seine soziologische Hypothese zu normativ sei. Sie verfahre nämlich stark vorschreibend statt beschreibend.
Man verfährt in der Wissenschaft dann "normativ", wenn man Regeln vorschreibt, anstatt Sachverhalte zu beschreiben, wie sie sind. In der modernen Soziologie wird versucht, diese möglichst präzise zu beschreiben, anstatt dabei stark normativ vorzugehen.
Bernstein Hypothese - Das Wichtigste
- Die Bernstein-Hypothese knüpft an die Sapir-Whorf-Hypothese und besagt, dass die Sprache das menschliche Denken beeinflusse. Außerdem bedinge ein jeweils unterschiedlicher Umgang mit ihr durch Menschen verschiedener Gesellschaftsschichten auch ein jeweils unterschiedliches Denken.
- Demnach erlaube die beschränkte Sprache der Unterschicht (= restringierter Code) ein beschränktes Denken, die anspruchsvolle Sprache der Mittel- und Oberschicht (= elaborierter Code) dagegen ein entsprechend komplexes und besseres Denken.
- Der restringierte Code zeichnet sich durch einen sehr begrenzten Wortschatz, unvollständige Sätze, Wiederholungen bei der Wortwahl und eine mangelhafte Aussprache aus.
- Der elaborierte Code hingegen zeichnet sich durch einen sehr umfangreichen Wortschatz, vollständige und grammatisch korrekte Sätze sowie korrekte Aussprache aus.
- Kritiker*innen der Bernstein Hypothese versuchen auf den genauso anspruchsvollen Sprachgebrauch durch Menschen aus der Unterschicht hinzuweisen. Außerdem werfen sie Bernstein eine zu starke Normativität vor.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Bernstein Hypothese
Was hat Basil Bernstein untersucht?
Basil Bernstein hat den jeweils unterschiedlichen Sprachgebrauch durch die Menschen aus der Unter- bzw. Mittel- und Oberschicht untersucht.
Was ist ein restringierter Code?
Restringierter Code bezeichnet einen bestimmten Sprachgebrauch. Dieser Sprachgebrauch zeichnet sich u. a. durch einen sehr begrenzten Wortschatz, unvollständige Sätze, Wiederholungen bei der Wortwahl und eine mangelhafte Aussprache aus.
Was ist ein sprachlicher Code?
Ein sprachlicher Code ist ein bestimmter Sprachgebrauch, der für die Menschen einer bestimmten Gesellschaftsschicht typisch ist.
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