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Parteiensystem im Kaiserreich
Das Parteiensystem im Kaiserreich kannte noch keine Volksparteien, so, wie wir sie heute haben. Die Parteien besaßen keine über unterschiedliche Berufe und Religionen sowie soziale Hintergründe gestreute Wählerschaft. Im Gegenteil, das Parteiensystem im Kaiserreich bestand im Wesentlichen aus fünf unterschiedlichen parteipolitischen Richtungen, welche sich ideologisch und soziologisch stark voneinander abgrenzten. Mehr zu diesen fünf unterschiedlichen parteipolitischen Richtungen findest du weiter unten im Absatz "Parteipolitische Strömungen".
Rechtlicher Status
Anders, als im heutigen Artikel 21 des Grundgesetzes wurden die politischen Parteien in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs in der Verfassung gar nicht erwähnt. Sie agierten somit nicht auf der Grundlage des Verfassungs- sondern auf der Grundlage des Vereinsrechtes. Da im Zeitraum zwischen der Reichsgründung 1871 und 1908 kein reichseinheitliches Vereinsrecht vorlag, existierten für die Parteien in den unterschiedlichen Bundesstaaten unterschiedliche gesetzliche Regelungen.
Das erneuerte reichseinheitliche Vereinsrecht brachte neben seiner Allgemeingültigkeit für das gesamte Gebiet des Deutschen Kaiserreiches auch noch andere Vorteile, wie z. B. die Abschaffung des Verbotes der Mitgliedschaft von Frauen in Parteien oder die Abschaffung der Pflicht der polizeilichen Genehmigung für politische Veranstaltungen in Innenräumen mit sich.
Funktionsweise der Parteien
Wie du bereits oben gelernt hast, gab es zumindest zu Beginn des Kaiserreichs noch keine Volksparteien. Die Vorläufer der heutigen Volksparteien, die sogenannten Massenparteien entwickelten sich erst im Laufe des Deutschen Kaiserreiches.
Honoratiorenparteien
Vor dieser Entwicklung waren die meisten Parteien sogenannte Honoratiorenparteien. Konkret hieß dies, dass sie nur relativ wenige Mitglieder hatten, welche es sich wirtschaftlich leisten konnten, ehrenamtliche und unentgeltliche Parteiämter zu übernehmen. Daher bestanden die Parteien zunächst aus Menschen, die sich in ihrem sozialen oder politischen Umfeld bereits einiges an Ansehen erarbeitet hatten, beziehungsweise viel Geld besaßen.
Der Begriff "Honoratiorenparteien" leitet sich von der Bezeichnung der Mitglieder solcher Parteien sogenannten "Honoratioren" ab. Mit diesem Wort werden Bürger*innen beschrieben, welche aufgrund ihres sozialen oder wirtschaftlichen Status meist informellen Einfluss auf unterschiedliche Entscheidungen ausüben können.
Massenparteien
Seit Gründung des Kaiserreichs entwickelte sich in den früheren Honoratiorenparteien immer mehr an den Führungskräften- und Organisationsstrukturen. Durch diese Weiterentwicklung traten beispielsweise in die Zentrumspartei oder die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) mit der Zeit immer mehr Menschen ein.
Aufgaben der Parteien
Die im Reichstag vertretenen Parteien besaßen zu Beginn des Deutschen Kaiserreiches noch relativ wenig Macht. Allerdings wurden Sie nach Reichsgründung und insbesondere nach dem Ende von Otto von Bismarcks Amtszeit als Bundeskanzler im Jahr 1890 immer selbstbewusster. Der Reichstag wagte es beispielsweise öffentlich die sogenannte "Daily-Telegraph-Affäre" oder die Gräueltaten des Deutschen Kaiserreiches in seinen Kolonien zu diskutieren. Da diese Diskussionen von den Medien gerne aufgegriffen wurden, übte der Reichstag somit seine Kontrollfunktion gegenüber der Reichsregierung aus. Dieser Prozess führte zu einer immer weiter voranschreitenden Parlamentarisierung des Deutschen Kaiserreichs.
Die "Daily-Telegraph-Affäre" sorgte im Oktober 1908 für Aufsehen, als offensichtlich durch einen Abstimmungsfehler in der deutschen Verwaltung ein Artikel mit Auszügen aus einem privaten Gespräch zwischen Kaiser Wilhelm II. und dem britischen Obersten Edward Montagu-Stuart-Wortley ein Artikel im Daily Telegraph freigegeben wurde. Wilhelm II. traf in diesem Artikel leichtsinnige Aussagen, welche unteranderem in England die Angst vor einer deutschen Aufrüstung anfachten und die diplomatischen Beziehungen zu Japan verschlechterten.
Parteipolitische Strömungen im deutschen Kaiserreich
Im Wesentlichen lässt sich das Parteiensystem des Deutschen Kaiserreiches in 5 unterschiedliche parteipolitische Strömungen unterteilen. Diese Strömungen lauteten: National- und Linksliberalismus, Konservativismus, Zentrum und Sozialdemokratie. Was diese Strömungen im Einzelnen bedeuten und was die Parteien dieser politischen Strömungen forderten, erfährst du im nächsten Absatz.
Linksliberale
Der Liberalismus im Allgemeinen war gerade in den Anfangsjahren des Deutschen Kaiserreiches die entscheidende politische Strömung im Deutschen Kaiserreich. Zu den Grundüberzeugungen dieser Strömung zählten ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung individueller Freiheitsrechte. Aufgeteilt war diese Strömung allerdings und Links- und Nationalliberalismus.
Anhänger*innen des Linksliberalismus setzten sich im Gegensatz zu denen vom Nationalliberalismus vor allem für eine weitere Parlamentarisierung des Deutschen Kaiserreiches ein, stellten dabei allerdings nicht die konstitutionelle Monarchie infrage. Außerdem forderten sie eine tiefgreifendere staatliche Sozialpolitik. Linksliberalist*innen kritisierten außerdem häufig die Politik des damaligen Reichkanzlers Bismarck.
Im Linksliberalismus kam es zu zahlreichen Parteispaltungen- und fusionen. Zu den bekanntesten Parteien des damaligen Linksliberalismus gehören daher die Deutsche Fortschrittspartei, Deutsche Freisinnige Partei sowie Freisinnige Volkspartei.
Nationalliberale
Der Nationalliberalismus setzte ähnlich wie der damalige Linksliberalismus auf eine Stärkung des damaligen Reichstages. Die Anhänger*innen der Strömung befürworteten allerdings anders als die des Linksliberalismus allerdings auch die Politik Bismarcks sowie den außenpolitischen Kurs zur Durchsetzung der deutschen Vormachtstellung auf der Welt in der Nach-Bismarck-Ära. Ähnlich wie in den linksliberalen Parteien engagierten sich in den nationalliberalen Parteien vor allem Menschen aus dem gebildeten Bürgertum.
Die bekannteste Partei der Strömung war die Nationalliberale Partei, welche nach dem Ersten Weltkrieg im Wesentlichen in die Deutsche Volkspartei (DVP) überging.
Konservative
Die Anhänger*innen der konservativen Parteien standen der Politik Bismarcks im Wesentlichen nahe. Sie kritisierten ihn jedoch aus ideologischen Gründen bei jedem Zugeständnis an die national- und linksliberalen Parteien. Da die konservativen Parteien im Kaiserreich vor allem aus Adligen und Großgrundbesitzern in den heute polnischen Gebieten Deutschlands bestanden, setzten sie sich vor allem für ihre ständischen und sozialen Privilegien und eine ihren Vorstellungen und Interessen entsprechenden Agrarpolitik ein.
Die bekanntesten konservativen Parteien im Deutschen Kaiserreich waren die Deutschkonservative Partei sowie die Deutsche Reichspartei. Allerdings gab es gerade im konservativen Parteienspektrum auch viele Antisemit*innen, weshalb beispielsweise die Deutschsoziale Partei, die Deutsche Reformpartei und die Christlich-Soziale Partei heutzutage auch unter dem Begriff Antisemitenparteien zusammengefasst werden.
Zentrum
Das politische Zentrum in der Kaiserzeit bestand aus der gleichnamigen Zentrumspartei. Diese verkörperte den politischen Katholizismus und konnte darüber dem Status einer heutigen Volkspartei zumindest ein bisschen näherkommen. Das verbindende Element war anders als in den Parteien der anderen großen politischen Strömungen im Kaiserreich nicht die soziale Herkunft, sondern das Bekenntnis zum politischen Katholizismus.
Durch ihre deutlich höheren Mitgliederzahlen und deren unterschiedliche soziale Hintergründe und Interessen kann man die Ziele der Zentrumspartei schlecht zusammenfassen. Die eher konservativen Kräfte in der Partei wollten vor allem die sozialen Privilegien des Adels stärken. Eher linke Anhänger*innen der Zentrumspartei setzten sich für die soziale Absicherung und eine bessere Bezahlung der Arbeiter*innen ein. Die Zentrumspartei und insbesondere ihre Leitfigur Ludwig Windthorst entwickelte sich zu einem der gefährlichsten Gegner*innen Bismarcks.
Sozialdemokraten
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und ihre Vorgänger (Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, Sozialdemokratische Arbeiterpartei und Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands) wuchsen mit der steigenden Anzahl an Industriearbeiter*innen. Sie setzten sich für die Anliegen der arbeitenden Bevölkerung sowie weitere demokratische Beteiligungs- und Teilhabemöglichkeiten. Viele der Anhänger*innen der damaligen sozialdemokratischen Parteien vertraten über lange Zeit marxistische Theorien, was im Endeffekt zu einer Absplitterung der besonders linken SPD-Anhänger*innen führte.
Bemerkenswert ist, dass die SPD trotz dieser damaligen internen Schwierigkeiten und der 12 Jahre langen Verfolgung vieler SPD-Mitglieder durch das Sozialistengesetz ihren Einfluss ausweiten konnte und als einzige Partei aus dem Deutschen Kaiserreich immer noch im heutigen Bundestag vertreten ist.
Parteien im Kaiserreich – Liste & Übersicht
Im Deutschen Kaiserreich (1871-1918) gab es eine Vielzahl von politischen Parteien, die sich in verschiedenen Bereichen engagierten. Hier findest Du eine Auswahl der vielen Parteien, die es im Deutschen Kaiserreich gab, es gibt auch andere kleinere Parteien, die je nach Region oder Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark vertreten waren.
Altliberale
Antisemitische Volkspartei
Bayerischer Bauernbund
Christlichsoziale Arbeiterpartei
Demokratische Partei
Demokratische Vereinigung
Deutschkonservative Partei
Deutsche Fortschrittspartei
Deutsche Freisinnige Partei
Deutsche Reformpartei
Deutsche Vaterlandspartei
Deutsche Volksparte
Deutschsoziale Partei
Deutschsoziale Reformpartei
Fortschrittliche Volkspartei
Freikonservative Partei,
Freisinnige Vereinigung
Kola Polskie (auch: Polenpartei)
Konservative Partei
Liberale Reichspartei
Liberale Vereinigung (Sezessionisten)
Nationalliberale Partei
Nationalsozialer Verein
Reichs- und Freikonservative Partei
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Parteien Kaiserreich - Das Wichtigste auf einen Blick
- das Parteiensystem im Deutschen Kaiserreich bestand im Wesentlichen aus fünf unterschiedlichen parteipolitischen Strömungen, diese waren: Links- und Nationalliberale, Konservative, Zentrum und Sozialdemokraten
- die Mitglieder und Wähler der Parteien hatten oft sehr ähnliche berufliche, soziale und religiöse Hintergründe
- aus dem vorherigen Grund war der vorherrschende Parteityp, der der Honoratiorenparteien, Massenparteien entwickelten sich mit der SPD und der Zentrumspartei erst langsam
- die Parteien agierten auf Grundlage des erst ab 1908 reichseinheitlichen Vereinsrechtes, sie hatten somit keinen Verfassungsrang
- die Parteien übten durch das Parlament und die Öffentlichkeit vor allem eine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung aus
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Parteien Kaiserreich
Welche Parteien und Ideologien waren im deutschen Kaiserreich vertreten?
In der Zeit des Kaiserreiches waren im Wesentlichen 5 unterschiedliche parteipolitische Strömungen bzw. Ideologien vorhanden. Diese waren National- und Linksliberalismus, Konservativismus, Zentrum und Sozialdemokratie. Zu den bekanntesten Parteien dieser Strömungen gehörten die Deutsche Fortschrittspartei, Nationalliberale Partei, Deutschkonservative Partei, Zentrumspartei sowie die SPD.
Welche Parteien gab es zur Zeit Bismarcks?
Zur Zeit Bismarcks gab es viele unterschiedliche Parteien im Deutschen Kaiserreich. Diese gliederten sich im Westlichen in 5 parteipolitische Strömungen (National- und Linksliberalismus, Konservativismus, Zentrum und Sozialdemokratie). Zu den bekanntesten Parteien dieser Strömungen gehörten die Deutsche Fortschrittspartei, Nationalliberale Partei, Deutschkonservative Partei, Zentrumspartei sowie die SPD.
Wer war im Kaiserreich wahlberechtigt?
Im Kaiserreich waren alle deutschen Männer ab einem Alter von 25 Jahren wahlberechtigt.
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