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Was genau ist ein Notstandsgesetz? Welchen Inhalt hat ein Notstandsgesetz und warum waren die Inhalte der Notstandgesetze 1968 in Deutschland umstritten?
Notstandsgesetze 1968 – Definition
Wenn die innere Sicherheit eines Staates in Gefahr ist, nennt man diese Situation Notstand. Beispielsweise durch eine Überschwemmung, Erdbeben oder einen feindlichen Angriff eines anderen Staates, kann ein Notstand ausgelöst werden.
Notstandsgesetz – Deutschland
In der Verfassung der BRD gab es zunächst keine Regeln, wie die Staatsorgane (etwa die Regierung) sich in einer inneren oder äußeren Notlage verhalten sollte, um die Situation zu meistern. Außerdem gab es keine Möglichkeit, demokratische Entscheidungsabläufe in einer Krise zu beschleunigen.
Deshalb entwickelte die deutsche Regierung 1968 eine sogenannte Notstandsverfassung.
Als Notstandsgesetze werden die Grundgesetzänderungen bezeichnet, welche am 30. Mai 1968 vom Deutschen Bundestag beschlossen und am 14. Juni vom Bundesrat verabschiedet wurden.
Durch diese konnte die deutsche Regierung sogar die Grundrechte der Bürger zeitweilig einschränken oder komplett außer Kraft setzen. Dadurch waren die Notstandsgesetze sehr umstritten. Sie sollten eine Vorsorge für einen möglichen Krisenfall sein. Jedoch sah ein Teil der deutschen Bevölkerung die Demokratie dadurch gefährdet.
Am 24. Juni 1968 wurden die Notstandsgesetze von Bundespräsident Lübke unterzeichnet. Dies geschah während der Zeit der ersten Großen Koalition. Der Beschluss der Notstandsgesetze am 30. Mai 1968 war das Ende einer Debatte, die über zwei Jahrzehnte maßgeblich die deutsche Innenpolitik geprägt hatte.
Notstandsgesetz – Hintergrund
Im Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet. Zu dieser Zeit besaßen die Alliierten (Frankreich, USA und Großbritannien) der ehemaligen westdeutschen Besatzungszonen die oberste Entscheidungsgewalt über die BRD. Das Besatzungsstatut von September 1949 sicherte der deutschen Bundesregierung und dem Bundestag eine gewisse Entscheidungsgewalt zu. Jedoch war die BRD von den Entscheidungen der Alliierten zu wichtigen sicherheits- und außenpolitischen Fragen abhängig.
Mit dem Deutschlandvertrag von 1955 wurde das Besatzungsstatut aufgehoben. Die Bundesrepublik hatte weitgehend ihre Souveränität zurückerlangt. Jedoch sah der Artikel 5 des Deutschlandvertrages vor, dass die Westalliierten im Krisenfall Maßnahmen treffen dürften, um ihre stationierten Truppen zu schützen. Denn die militärischen Truppen der Westmächte waren auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland weiter stationiert.
Kritiker waren überzeugt, dass die Westmächte ein Notstandsrecht durch diesen Artikel besaßen. Praktisch hätten die USA, Frankreich und Großbritannien mehr politische und militärische Möglichkeiten als den bloßen Schutz der Truppen. Damit Deutschland unabhängiger werden konnte, wollte die Bundesregierung sich für eine Notfallsituation gesetzlich absichern.
Im März 1956 wurde die Wehrverfassung beschlossen, welche die Wiederbewaffnung Westdeutschlands beinhaltete. Aus Sicht der Regierung fehlte trotzdem eine Vorsorge für die zivile Verteidigung. Somit entstand die Idee für die Notstandsgesetze. Die Notstandsgesetze würden sichern, dass der Bundestag und die Bundesregierung die nötige Handlungsfähigkeit in einem Krisenfall hätten. Somit sollte die Notstandsverfassung in das Grundgesetz aufgenommen werden, damit die Regierung der BRD für jede Art von Notsituation Gesetze bereit hatte.
Notstandsgesetz – Vorgeschichte
1958 entwickelte Bundesinnenminister Gerhard Schröder den ersten Entwurf der Notstandsgesetze. Die Notstandsgesetze sollten die Gesetzgebungskompetenz der deutschen Bundesregierung ausweiten, wenn es in der Bundesrepublik Deutschland zu inneren Unruhen, Naturkatastrophen oder einem sogenannten Verteidigungsfall kommen sollte.
Zudem wäre die Bundeswehr und der Bundesgrenzschutz schneller einsatzbereit. Auch bestimmte Grundrechte, wie das Postgeheimnis, konnten zeitweilig eingeschränkt werden. Frauen sollten kurzfristig zum Sanitätsdienst verpflichtet werden können und Männer zum Militärdienst. Jedoch rief dieser Vorschlag Erinnerungen an das totalitäre Nazi-Regime bei vielen Deutschen hervor.
Notstandsgesetz 1933
Die Kritiker der Notstandsgesetze bezogen sich zudem auf die Weimarer Verfassung. Der Artikel 48 der Weimarer Verfassung hatte es dem damaligen Reichspräsidenten ermöglicht, sogenannte Notstandsverordnungen zu erlassen. In Situationen, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdeten. Damit konnte der Reichspräsident die Grundrechte (wie die Versammlungsfreiheit) vorübergehend außer Kraft setzen.
Das Reichstagsgebäude in Berlin brannte am 28. Februar 1933. Der Auslöser ist bis heute nicht ohne Zweifel geklärt. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) nutze jedoch das Verbrechen für sich um einen Notstand auszurufen. Der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg beschloss die Reichstagsbrandverordnung, welche die Grundrechte außer Kraft setzte und die NS-Diktatur einleitete. Die Reichstagsbrandverordnung sollte laut Reichspräsident Paul von Hindenburg dazu dienen kommunistische, staatsgefährdende Gewaltakte zu verhindern.
Deshalb gab es viel Widerstand und der erste Entwurf wurde vom Parlament abgelehnt. Die damals alleinregierende Union bekam nicht die nötige Zustimmung von der SPD.
Weitere Entwürfe der kommenden Jahre von 1960 und 1963 scheiterten ebenfalls im Parlament. Ein großer Streitpunkt war das Verfahren, nachdem ein Notstand ausgerufen werden sollte. Beispielsweise, ob der Bundestag über die Situation mitentscheiden dürfe. Außerdem forderten die Gewerkschaften, ein Streikrecht zu besitzen.
Am 1. Dezember 1966 wählte der Bundestag Kurt Georg Kiesinger (CDU) zum Bundeskanzler. Er machte eine Koalition aus den größten Parteien CDU und SPD möglich. Diese wird die Große Koalition genannt. Erst 1968 wurde die benötigte Zweidrittel-Mehrheit für die Grundgesetzänderung erreicht. Die Fraktionen aus Union und SPD der Großen Koalition einigten sich auf einen Entwurf.
Notstandsgesetze 1968 – Inhalt
Die Notstandsgesetze änderten das Grundgesetz in mehr als 20 Punkten und unterschieden zwischen innerem Notstand, Verteidigungsfall und Spannungsfall.
Notstandsgesetze 1968 – innerer Notstand
Der innere Notstand diente der Abwehr drohender Gefahren für den Bestand der freiheitlich demokratische Grundordnung. Im Falle eines inneren Notstandes durfte die BRD Hilfe von anderen Ländern anfordern (etwa zusätzliche Polizei, um die öffentliche Sicherheit zu schützen) und auch Grundrechte wie die Freizügigkeit (Art. 11 GG) oder das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) einschränken.
Notstandsgesetze 1968 – Spannungsfall
Vor Eintritt des Verteidigungsfalls konnte der Deutsche Bundestag den Spannungsfall feststellen. Im Spannungs- wie Verteidigungsfall konnte etwa die Bundeswehr zum Schutz der Zivilsicherheit eingesetzt werden.
Notstandsgesetze 1968 – Verteidigungsfall
Der Verteidigungsfall konnte vom Deutschen Bundestag mit Zweidrittelmehrheit festgestellt werden. Außerdem erweiterte er die Gesetzgebungskompetenzen und vereinfachte das Gesetzgebungsverfahren. Der Bundeskanzler besaß die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte. Des Weiteren konnte die Bundesregierung konnte die Bundespolizei in der gesamten BRD einsetzen.
Zudem besaß im Verteidigungsfall „Gemeinsame Ausschuss“ (Art. 53 GG) die Gesetzgebungsbefugnis, falls der Bundestag handlungsunfähig sein sollte. Der Gemeinsame Ausschuss bestand zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates und zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages.
Notstandsgesetze 1968 – generelle Maßnahmen
Um die Exekutive in Kriegszeiten besser zu kontrollieren war auch vorgesehen, dass keine Neuwahlen des Bundestages und Landtages stattfanden. Der Bundestag durfte nicht aufgelöst werden und das Bundesverfassungsgericht sollte funktionsfähig bleiben.
Später wurde zudem das Widerstandsrecht ins Grundgesetz eingefügt. Laut Artikel 20 hat jeder Bürger das Recht, sich gegen Versuche zu wehren, welche auf die Beseitigung der Demokratie abzielen. Zudem wurde das Recht auf Verfassungsklage ins Grundgesetz aufgenommen. Dadurch konnte der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates den Verteidigungsfall jederzeit für beendet erklären.
Proteste gegen Notstandsgesetze 1968
Massive Proteste fanden aufgrund der Notstandsgesetze statt. Studenten, Gewerkschaften sowie das Kuratorium (ein Zusammenschluss aus Vertretern der Studierenden, Kirchen und der Wissenschaft) hatten Angst, dass der Staat zu viel Macht durch die Notstandsgesetze erhalten und einer Diktatur gleichen würde. Sie gingen davon aus, dass die Verfassung und Gesetze nicht mehr zum Schutz der Bürger dienten, sondern als Machtmittel der Staatsgewalt missbraucht würden.
Notstandsgesetze 1968 – Kritik
Aus Bürgerinitiativen entstanden die Studentenbewegung namens Außerparlamentarische Opposition (APO). Sie rief zu Protesten und Massenkundgebungen gegen die Notstandsgesetze auf.
SPD und CDU: Lasst das Grundgesetz in Ruh!
Deshalb versammelten sich am 11. Mai 1968 über 40.000 Menschen in der derzeitigen Hauptstadt Bonn zu einem Sternmarsch. Auch prominente Gegner wie Heinrich Böll nahmen am Sternmarsch teil.
Heinrich Böll war ein berühmter Schriftsteller, welcher 1917 geboren wurde. Dadurch erlebte er die nationalsozialistische Machtergreifung in seiner Jugend mit. Er stand den Notstandsgesetzen sehr kritisch gegenüber, weil er die Möglichkeit einer totalen Mobilmachung im Krisenfall befürchtete.
Aufgrund meiner Erfahrungen mit verschiedenen Notständen der deutschen Geschichte bin ich der Überzeugung, dass Notstände durch Gesetze nicht zu regeln sind.
Jedoch scheiterte der Protest. Am 30. Mai 1968 wurden trotzdem die Notstandsgesetze verabschiedet. Dennoch wurde im Zuge der Notstandsgesetze laut Art. 20, Abs. 4 GG ein Recht auf Widerstand festgelegt, welches den Gewerkschaften entgegenkommen sollte.
Das Inkrafttreten der Notstandsgesetze führte zum Zerfall der APO. Denn einer ihrer wichtigsten Kristallisationspunkte (neben den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und atomare Aufrüstung) war die Verabschiedung der Notstandsgesetze.
Notstandsgesetze Deutschland – aktuell
Die Notstandsgesetze sind auch heute noch im Grundgesetz verankert. Die deutsche Bevölkerung betrachtet sie nüchtern und hat keine Angst vor dem Zerfall der Demokratie aufgrund dieser Gesetze. Die Notstandsregelung Deutschlands ist eine der ausführlichsten Notverordnungen in Europa.
Notstandsgesetze - Das Wichtigste
- Als Notstandsgesetze werden die Grundgesetzänderungen bezeichnet, welche am 30. Mai 1968 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurden.
- Inhalt: Bei einem inneren Notstand, Verteidigungsfall und Spannungsfall durften die Grundrechte eingeschränkt werden.
Hintergrund: stationierte Truppen der Westmächte.
- 1958 entwickelte Bundesinnenministers Gerhard Schröder den ersten Entwurf der Notstandsgesetze.
- Notstandsgesetz 1933: Der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte diese Möglichkeit genutzt, um im Februar 1933 die Reichstagsbrandverordnung zu erlassen.
- Es gab viele Proteste gegen die Notstandsgesetze von 1968 (Sternmarsch). Die Studentenbewegung APO rief zum Beispiel zu Protesten auf, konnte die Erlassung jedoch nicht verhindern.
- Die Notstandsgesetze sind auch heute noch im Grundgesetz verankert.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Notstandsgesetze 1968
Was besagen die Notstandsgesetze?
Die Notstandsgesetze änderten das Grundgesetz in mehr als 20 Punkten und unterschieden zwischen innerem Notstand, Verteidigungsfall und Spannungsfall.
Durch diese Verordnungen konnte die deutsche Regierung die Grundrechte der Bürger zeitweilig einschränken oder komplett außer Kraft setzen.
Warum gab es Notstandsgesetze 1968?
Es gab die Notstandsgesetze, da die Westmächte Sonderrechte zum Schutz ihrer Truppen vorbehalten hatten. Diese waren in Deutschland auch nach dem Zweiten Weltkrieg stationiert. Damit Deutschland unabhängiger werden konnte, wollte die Bundesregierung sich für eine Notfallsituation gesetzlich absichern.
Wann werden Notstandsgesetze verabschiedet?
Notstandsgesetze treten in Kraft, wenn es zu einem inneren Notstand, Verteidigungsfall oder Spannungsfall kommen sollte.
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