Dolchstoßlegende

Die sogenannte Dolchstoßlegende (auch Dolchstoßlüge genannt) umfasst das Bild des "heimtückischen Sozialdemokraten", der den deutschen Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg einen Dolch in den Rücken gerammt und damit das deutsche Kaiserreich zu Fall gebracht haben soll.

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    Unter einer Legende versteht man eine Erzählung, deren Wahrheitsgehalt infrage gestellt wird.

    Dolchstoßlegende 1918

    Die Dolchstoßlegende entstand während der letzten Monate des Ersten Weltkriegs im Jahr 1918. Das deutsche Kaiserreich stand kurz vor der Niederlage, sein Heer hatte mit immer schwereren Verlusten zu kämpfen. Die Hoffnung auf einen Sieg schwand.

    Die drohende Niederlage veranlasste die Oberste Heeresleitung dazu, Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten aufzunehmen. Das traf die deutsche Bevölkerung völlig unvorbereitet, da die deutsche Kriegspropaganda bis zum Ende des Weltkriegs den Deutschen ein unbesiegbares Heer an der Front porträtiert und den Sieg in Aussicht gestellt hatte.

    Wenn Du mehr zu diesem Thema erfahren möchtest, lies Dir unsere Erklärung "Kriegsverlauf Erster Weltkrieg" durch.

    Dolchstoßlegende einfach erklärt

    Am 11. November 1918 wurde der Waffenstillstand geschlossen. Die Niederlage wurde in breiten Kreisen der deutschen Bevölkerung jedoch nicht angenommen. Der damalige Vorsitzende des Rats der Volksbeauftragten und spätere Reichspräsident Friedrich Ebert begrüßte die heimkehrenden Soldaten mit folgenden Worten:

    Kein Feind hat euch überwunden! Erst als die Übermacht der Gegner an Menschen und Material immer drückender wurde, haben wir den Kampf aufgegeben.

    Weimarer Nationalversammlung

    Die Oberste Heeresleitung griff diese Aussage Eberts auf und bestärkte sie während der Weimarer Nationalversammlung am 18. November 1919. Nachdem bereits General Erich Ludendorff und Teile der Wehrmachtszeitungen vom Verrat von "innen" oder "hinten" gesprochen hatten, schilderte General Paul von Hindenburg seine Version der Ereignisse vor dem Untersuchungsausschuss für Schuldfragen wie folgt:

    In dieser Zeit setzte eine planmäßige Zersetzung von Flotte und Heer als Fortsetzung ähnlicher Erscheinungen im Frieden ein. Die braven Truppen, die sich von der revolutionären Zermürbung freihielten, hatten unter dem pflichtwidrigen Verhalten der revolutionären Kameraden schwer zu leiden; sie mussten die ganze Last des Kampfes tragen. Die Absichten der Führung konnten nicht mehr zur Ausführung gebracht werden. So mussten unsere Operationen misslingen, es musste zum Zusammenbruch kommen; die Revolution bildete nur den Schlussstein. Ein englischer General sagte mit Recht: 'Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.' Den guten Kern des Heeres trifft keine Schuld. Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen.

    Hindenburg bezeichnete das Handeln der demokratischen Politiker und deren Friedensgesuch als einen Dolchstoß in den Rücken der Soldaten. Diese Behauptung suggerierte, dass die militärische Niederlage auf politischer Ebene entschieden wurde, und wälzte die Verantwortung des Militärs auf die Politik ab. Das entsprach jedoch nicht der Wahrheit: Die Oberste Heeresleitung selbst hatte die Waffenstillstandsverhandlungen veranlasst – nicht die Politik.

    Du wunderst Dich, warum wir in diesem Abschnitt die Begriffe Politiker und Soldaten nicht gegendert haben? In beiden Fällen sprechen wir von rein männlichen Gruppen. Erst ab 1919 waren Frauen Teil der verfassungsgebenden Nationalversammlung. Bis es die ersten Berufssoldatinnen geben sollte, verging einige Zeit: Erst 1975 traten Frauen als Soldatinnen in die Bundeswehr ein.

    Die Aussagen des englischen Generals, die Sir Frederick Maurice zugesprochen wurden, wies diese jedoch sofort zurück. Dennoch verfälschte die Oberste Heeresleitung Fakten, die die Verantwortung klar der militärischen Führung zugewiesen hätten. Während des Weltkriegs hatte die Oberste Heeresleitung Deutschland nämlich mit annähernd diktatorischen Kräften regiert.

    Sie verschwieg die wahre Kriegssituation mittels geschönter Berichte und verbarg zudem, dass sie selbst die Regierung um ein Waffenstillstandsgesuch gebeten hatte. Heute ist erwiesen, dass die Novemberrevolution im November 1918 und die darauffolgenden Proteste und Aufstände von Fahnenflüchtenden der Armee ausgingen, nicht von der Bevölkerung.

    Die Dolchstoßlegende war dennoch geboren. Sie wurde in den darauffolgenden Jahren der Weimarer Republik und während der NS-Zeit weiter befeuert.

    Lies Dir unsere Erklärung "Novemberrevolution" durch, um noch mehr dazu zu erfahren.

    Popularität der Dolchstoßlegende

    Die Bestürzung der deutschen Bevölkerung über die Niederlage und den darauffolgenden Versailler Vertrag war hoch. Die Auswirkungen der Pariser Friedenskonferenz im Mai 1919 und die damit einhergehenden Friedensbedingungen trafen die Deutschen hart.

    Zudem litt die Bevölkerung nach unter Hungersnot, Inflation, Krankheiten, einem neuen Regierungskonzept sowie vielen weiteren Aspekten, die dem Krieg geschuldet waren.

    Lies Dir unsere Erklärungen "Versailler Vertrag" und "Zwischenkriegszeit" durch, um noch mehr zu diesen Themen zu erfahren.

    Die Bevölkerung war auf der Suche nach Schuldigen für seine prekäre Lage und somit anfällig für Propaganda. Diesen Zustand machten sich die rechten Parteien DNVP (Deutschnationale Volkspartei) und NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) zunutze, um die Dolchstoßlegende als Propagandamittel zu instrumentalisieren. Gleichzeitig thematisierten viele Medien öffentlich die Erklärung der Dolchstoßlegende, die dadurch weitere Aufmerksamkeit erhielt.

    Die hier abgebildete Zeichnung stellt einen Soldaten des deutschen Kaiserreichs dar, zu erkennen an der Flagge in seiner Hand. Er wird von einem vermeintlich sozialdemokratischen Parteimitglied von hinten erdolcht. Die rote Farbe der Kleidung lässt dessen sozialdemokratische Parteizugehörigkeit vermuten – die Farbe Rot ist der SPD zugehörig.

    Abb. 1: Darstellung der Dolchstoßlegende der Deutsch-Nationalen in ihrem Wahlplakat von 1924

    Die Dolchstoßlegende gewann innerhalb der deutschen Bevölkerung auch dadurch an Glaubwürdigkeit, dass der Waffenstillstand ausgerufen wurde, als die deutschen Truppen noch tief im feindlichen Gebiet platziert waren. Kein einziger Soldat der Alliierten hatte zu diesem Zeitpunkt deutschen Boden betreten.

    Der Abzug der Soldaten verlief geordnet. Es wurde keine Entscheidungsschlacht geführt, aus der Deutschland als Verlierer hervorgegangen wäre. Das erweckte in der Heimat den Eindruck, eine politische Entscheidung sei für den Rückzug verantwortlich gewesen.

    Die Legende wurde auch von linken Politikern wie dem SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert unterstützt. Die Bekräftigung der deutschen Unbesiegbarkeit seitens derjenigen Politiker, die für die Niederlage verantwortlich gemacht wurden, verstärkte die Glaubwürdigkeit der Dolchstoßlegende.

    Ziele der Dolchstoßlegende

    Die Dolchstoßlegende wurde hauptsächlich von rechten Parteien, insbesondere der DNVP und der NSDAP, eingesetzt. Sie sollte auf der einen Seite die Bevölkerung gegen die politische Opposition aufbringen und die neue Verfassung der Weimarer Republik infrage stellen. Andererseits sollte mittels der Legende die eigene Verantwortung für das Kriegsgeschehen und den Kriegsausgang auf andere abgewälzt werden.

    Besonders betroffen waren die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschland (USPD), die von der breiten Masse als "Novemberverbrecher" beschimpft wurden.

    Im weiteren Verlauf der 1920er-Jahre wurde neben den Sozialdemokraten eine weitere Gruppe als Verräter beschuldigt: "jüdische Geschäftemacher". Die Gruppe habe durch die deutsche Niederlage profitiert. Grund sei das "internationale Judentum", das Geschäfte mit geheimen Netzwerken aus Banken und Unternehmen betreibe. Die Befeuerung der Dolchstoßlegende sollte die Diskreditierung der Juden in Deutschland erzielen.

    Bedeutung der Dolchstoßlegende

    Die Dolchstoßlegende diente als politisches Instrument in der Weimarer Republik. Negative Kriegsfolgen, wie etwa die Hyperinflation, Reparationszahlungen oder die generelle Notlage der Menschen, verstärkten die Glaubwürdigkeit der Legende, während sie gleichzeitig die deutsche Bevölkerung schwächte und spaltete.

    Während ein Teil der Öffentlichkeit aufgrund der Gewalt, der Todeszahlen und des generellen Leidens einen erneuten Krieg ablehnte, sehnten sich andere nach einem noch härteren und gnadenloseren Konflikt, aus dem Deutschland als Sieger hervorgehen sollte.

    Das Fundament der Weimarer Republik und ihrer neuen Regierungsform, der Demokratie, wurde auf einem gespalten Deutschland gebaut. Viele Menschen sprachen sich in den 1920er-Jahren gegen die Demokratie aus. Die Parteien waren nicht gewillt, Kompromisse einzugehen. So konnte keine Koalition der Zeit länger als 21 Monate bestehen. Die politische Lage war unbeständig.

    In seiner längsten Zeit blieb das Amt des Reichskanzlers 637 Tage durchgehend besetzt. Insgesamt bekleideten in der Weimarer Republik 20 Personen diese Position.

    Folgen der Dolchstoßlegende

    Die rechten Parteien instrumentalisierten in dieser Zeit die Dolchstoßlegende, um die Bevölkerung weiterhin gegen die Demokratie aufzubringen. Die Sozialdemokratische Partei wurde als Feind im eigenen Land dargestellt und als Alleinschuldiger für die damalige Lage Deutschlands deklariert.

    Viele Mitglieder der Oberen Heeresleitung waren nun auch Mitglieder der Polizei und der Justiz der Weimarer Republik. Das ermöglichte ihnen, die Bevölkerung weiterhin gegen die demokratischen Politiker aufzubringen. Die Verbreitung der Dolchstoßlegende war einer der Ursachen, die die erste deutsche Demokratie zum Scheitern verurteilte und somit den Nährboden für den Aufstieg der Nationalsozialisten schuf.

    Solltest Du mehr dazu erfahren wollen, lies Dir unsere Erklärung "Scheitern der Weimarer Republik" durch.

    Dolchstoßlegende und der Nationalsozialismus

    Auch Hitler machte sich die Dolchstoßlegende zunutze. Er führte die Tatsache an, selbst an der Front gekämpft zu haben, und machte in seinem Buch "Mein Kampf" nicht nur Menschen jüdischen Glaubens zu Übeltätern und Volksverrätern, sondern auch die Demokraten.

    Dolchstoßlegende – Das Wichtigste

    • Die Dolchstoßlegende ist eine Propagandageschichte zum Ende des Ersten Weltkriegs.
    • Sie wurde von der Obersten Heeresleitung der deutschen Armee geschaffen, um die Schuld an der Niederlage vom Militär abzuwälzen und auf die demokratischen Politiker zu übertragen.
    • Revolutionäre Ereignisse in der Heimat und die damit verbundenen Aufstände und Proteste wirkten wie "ein Dolch im Rücken" der Armee.
    • Die Dolchstoßlegende wurde während der gesamten Zeit der Weimarer Republik häufig im rechten politischen Lager verwendet, um die demokratische Regierung der Weimarer Republik zu diskreditieren und die eigene Verantwortung von sich zu weisen.

    Nachweise

    1. Abb. 1 - "Darstellung Dolchstoßlegende" by Hans Schweitzer on archive.org licensed under Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en)
    Häufig gestellte Fragen zum Thema Dolchstoßlegende

    Was waren die Folgen der Dolchstoßlegende? 

    Die Dolchstoßlegende trug zum Scheitern der Weimarer Republik bei und somit auch zum Aufstieg der Nationalsozialisten.

    Wie kam es zur Dolchstoßlegende? 

    Die Dolchstoßlegende ist durch von General Paul von Hindenburg vor dem Untersuchungsausschuss für Schuldfragen entstanden, in welchem er von der deutschen Armee sprach, die erdolcht wurde.

    Warum ist die Dolchstoßlegende eine Legende?  

    Die Dolchstoßlegende ist eine Legende, weil die Sozialdemokratische Partei nicht um Waffenstillstandsverhandlungen gebeten hat, sondern die Obere Heeresleitung.

    Wann wurde die Dolchstoßlegende erfunden? 

    Die Dolchstoßlegende entstand direkt nach dem Ende des Ersten Weltkrieges.

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