Divergentes Denken

 Was war das alles? Schuhgeschäfte, Hutgeschäfte, Glühlampen, Destillen. Die Menschen müssen doch Schuhe haben, wenn sie so viel rumlaufen, wir hatten ja auch eine Schusterei, wollen das mal festhalten. Hundert blanke Scheiben, laß die doch blitzern, die werden Dir doch nicht bange machen, kannst sie ja kaputt schlagen, was ist denn mit die, sind eben blankgeputzt. Man riß das Pflaster am Rosenthaler Platz auf, er ging zwischen den andern auf Holzbohlen. Man mischt sich unter die andern, da vergeht alles, dann merkst Du nichts, Kerl. Figuren standen in den Schaufenstern in Anzügen, Mänteln, mit Röcken, mit Strümpfen und Schuhen. Draußen bewegte sich alles, aber – dahinter – war nichts! Es – lebte – nicht! 1 

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Inhaltsverzeichnis
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Springe zu einem wichtigen Kapitel

    Eine solche Erzählform, wie Du sie in Alexander Döblins Zitat siehst, nennt man Bewusstseinsstrom. Beim Bewusstseinsstrom schreibt ein*e Erzähler*in all das auf, was er/sie denkt, fühlt oder sieht. Bei dieser Erzähltechnik kommt es nicht darauf an, ob das Geschriebene wichtig, realistisch oder richtig ist. So ist es auch beim divergenten Denken: Es geht darum, alle Ideen zuzulassen, unabhängig davon, ob sie realistisch, vernünftig oder richtig sind.

    Divergentes Denken – Definition und Bedeutung

    Divergentes Denken wird häufig mit Kreativität in Verbindung gebracht, da diese Art des Denkens sehr frei ist und meist ohne direkten Leitfaden passiert. Dadurch können ausgefallene, kreative Gedankengänge entstehen.

    Divergentes Denken kann man sich wie eine Mindmap vorstellen. Um ein Problem durch divergentes Denken zu lösen, werden alle Gedankengänge zugelassen. Dabei ist es erst einmal nicht wichtig, ob die Lösungen zu einem Ergebnis führen und richtig oder systematisch sind.

    Systematisch sind Gedankengänge, wenn sie logisch aufeinander aufbauen oder einem bestimmten System folgen.

    Divergentes Denken – Guilford

    Der Begriff des divergenten Denkens wurde maßgeblich von dem amerikanischen Psychologen Joy Paul Guilford geprägt. Denn er entwickelte die Theorie der Structure of Intellect, die auf dem divergenten Denken basiert. Die Theorie unterscheidet rationale Fähigkeiten durch drei Kategorien:

    • Inhalte (Womit mache ich etwas?)
    • Operationen (Wie mache ich es?)
    • Produkte (Wie ist die Lösung?)

    Das divergente Denken ist nach der Structure of Intellect eine Art, Informationen und Reize zu verarbeiten, um zu einer Lösung zu gelangen.

    Das Modell des Structure of Intellect ist heutzutage als Modell für die Intelligenz nicht mehr gültig, da es aus sehr vielen Einzelfaktoren besteht, deren Unabhängigkeit zueinander nicht empirisch bewiesen werden konnte. Doch das divergente Denken konnte sich wiederum bis heute bewähren.

    Wenn Du mehr über das Modell der Structure of Intellect erfahren möchtest, lies dir die Zusammenfassung zum "Würfelmodell" durch.

    Divergentes Denken – Ausprägungen

    Das divergente Denken wird mit vielen anderen psychologischen Phänomenen in Verbindung gebracht, da es so vielfältig genutzt und als Basis einiger Theorien gesehen wird. So wird es zum Beispiel mit der Kreativität eines Menschen in Verbindung gebracht. Aber auch für die Intelligenz eines Menschen wird divergentes Denken als Kriterium aufgeführt, was auch dazu führt, dass das divergente Denken als Forschungsgegenstand in der Hochbegabtenforschung einen Stellenwert hat.

    Divergentes Denken – Kreativität

    Divergentes Denken macht einen wichtigen Anteil der Kreativität eines Menschen aus. Kreatives Denken besteht aus divergentem Denken und konvergentem Denken. Beim konvergentem Denken gibt es keine Mindmap, sondern eher für jedes Problem einen genauen Ablaufplan, der zu genau einer richtigen Lösung führt. Das findet sich beispielsweise in der Mathematik.

    Die Vorgänge des Denkens im Gehirn sind dabei bei kreativen Menschen nicht anders als bei nicht kreativen Menschen. Jedoch wird beim kreativen Denken intensiver wahrgenommen, gedacht und auch Prozesse zum Problemlösen laufen intensiver ab.

    Du willst mehr über den Gegenspieler des divergenten Denkens erfahren? Dann klick Dich in die Erklärung "Konvergentes Denken".

    Guilford legte sechs Aspekte für divergentes Denken fest:

    • Problemsensitivität (Gibt es ein Problem und wenn ja, was für eines?)
    • Flüssigkeit (Wie schnell fallen mir viele Lösungen für das Problem ein?)
    • Flexibilität (Kann ich um die Ecke denken oder kann ich das Problem aus einer anderen Perspektive beobachten?)
    • Redefinition (Kann ich bestimmten Sachen einen neuen Zweck geben?)
    • Elaboration (Sind meine Ideen wirklich realistisch?)
    • Originalität (Ist meine Lösung neu, selten oder ungewöhnlich?)

    Der Punkt der Originalität findet sich ebenso in der Definition von Kreativität:

    Kreativität ist die Herstellung, das Schreiben, Designen, Komponieren, Kochen etc. von etwas, das neu, originell und nützlich ist.

    Dass die Originalität ein Kriterium des divergenten Denkens und der Kreativität ist, zeigt, wie sehr die Kreativität und das divergente Denken miteinander verbunden sind. Um kreativ zu sein, muss man divergent denken können.

    Im kreativen Denkprozess werden aber sowohl das divergente Denken als auch das konvergente Denken benötigt, denn sie unterstützen und ergänzen sich gegenseitig.

    Du interessierst Dich für den Prozess des kreativen Denkens? Dann schau Dir die Zusammenfassung "Kreativität" einmal genauer an!

    Divergentes Denken – Intelligenz

    Divergentes Denken steht nicht nur mit der Kreativität, sondern auch mit der Intelligenz eines Menschen im Zusammenhang. Guilford stellte neben der Structure of Intellect auch die sogenannte Schwellenhypothese auf, die besagt, dass kreatives Denken ein bestimmtes Maß an Intelligenz voraussetzt. Ein IQ wird durch Intelligenztests ermittelt.

    Der IQ ist die Abkürzung für den Intelligenzquotienten. Er ist ein Messwert, der die intellektuelle Leistungsfähigkeit eines Menschen beschreibt. Dabei orientiert sich der IQ an dem durchschnittlichen Entwicklungsstand von Menschen im gleichen Alter.

    In Intelligenztests wird vor allem konvergentes Denken geprüft, das wie divergentes Denken ein Teil des kreativen Denkens ist.

    Es gibt einmal die Schwelle, um viele Ideen bilden zu können. Diese erste Schwelle liegt bei einem IQ von 85.

    Bei der zweiten Schwelle, die bei einem IQ von 120 liegt, geht es um die Produktion möglichst vieler origineller Ideen.

    Der durchschnittliche IQ liegt bei 100, Menschen mit einem IQ unter 85 sind unterdurchschnittlich intelligent, Menschen mit einem IQ über 115 sind überdurchschnittlich intelligent.

    Zu der Intelligenz eines Menschen gibt es viele spannende Theorien. Du findest sie unter "Intelligenztheorien".

    Divergentes Denken – Hochbegabung

    Häufig wird divergentes Denken mit einer Hochbegabung gleichgesetzt. Dazu gibt es bisher aber noch keine wissenschaftlichen Befunde. Man spricht dann von Hochbegabung, wenn der IQ über einem Wert von 130 liegt. Das betrifft etwa zwei Prozent der Gesellschaft, also ziemlich wenig.

    Die unterschiedlichen Meinungen zu dem Zusammenhang zwischen Hochbegabung und divergentem Denken kommen daher, dass Intelligenztests auf konvergentes Denken ausgerichtet sind. Das heißt, es gibt für jede Aufgabe in einem IQ-Test immer einen vordefinierten Lösungsweg und damit nur eine einzige richtige Lösung. Anders ist es mit der Kreativität und dem divergenten Denken, diese Gedankengänge lassen sich nicht zuverlässig durch standardisiere Tests überprüfen. Deshalb kann der Zusammenhang von divergentem Denken und der Kreativität eines Menschen aktuell nicht bestätigt werden.

    Das Beispiel zeigt Dir, warum divergentes Denken nicht wirklich messbar ist.

    Anna und Eren führen einen imaginären Test zum divergenten Denken durch, bei dem beide Lösungen für ein fiktives Problem finden sollen. Anna hat schnell sehr viele Lösungen, jedoch sind viele davon nicht besonders originell. Eren hat leider nicht so schnell und auch nicht so viele Lösungen, aber seine Lösungen sind alle äußerst originell.

    Flüssigkeit (Anna) und Originalität (Eren) sind beides Komponenten des divergenten Denkens. Aber wer denkt jetzt divergenter? Diese Frage lässt sich gar nicht so leicht beantworten.

    Divergentes Denken fördern

    Du kannst divergentes Denken fördern oder üben, wie andere Arten des Denkens auch. Dabei gibt es verschiedene Arten, divergentes Denken zu fördern. Wichtig ist dabei, dass alle Ideen beim Bearbeiten beibehalten werden, Du sie also nicht verwirfst, weil sie "zu verrückt" oder "unrealistisch" sind. Im Folgenden werden Dir vier Techniken vorgestellt, mit denen Du das divergente Denken trainieren kannst.

    Reizworttechnik

    Bei der Reizworttechnik benötigst Du eine Fragestellung. Fragen können unter anderem sein:

    • Wie kann ich besser für Klausuren lernen?
    • Was kann ich meinen Eltern zu Weihnachten schenken?
    • Mir ist langweilig, was kann ich dagegen unternehmen?

    Danach nimmst Du Dir ein Buch und schlägst es auf einer beliebigen Seite auf. Das erste Wort, das Du liest, ist Dein Reizwort (z. B. Apfel). Nun schreibst Du alle Wörter, die Dir dazu einfallen, unter Deine Fragestellung.

    Das könnten sein:

    • Baum
    • Obst
    • Vitamine
    • Wurm
    • Natur
    • gesund
    • etc.

    Es ist vollkommen egal, ob die Wörter bezogen auf Deine Frage Sinn ergeben. Wenn Du ca. acht bis zwölf Wörter gefunden hast, überlegst Du Dir, inwiefern die Wörter eine Lösung für Deine Frage liefern könnten.

    Das Beispiel zeigt Dir mögliche Lösungen mit dem Reizwort "Apfel" auf die Frage "Mir ist langweilig, was kann ich dagegen unternehmen?"

    • Baum: einen Baum umarmen
    • Obst: einen Kuchen backen
    • Vitamine: einen vitaminreichen Pausensnack ausdenken
    • Wurm: recherchieren, wie viele Insekten in einem Kubikmeter Erde wohnen
    • Natur: rausgehen
    • gesund: Sport machen

    Alternative Uses Test

    Der Alternative Uses Test geht auf den Psychologen Joy Paul Guilford zurück. Beim Alternative Uses Test nimmst Du Dir Alltagsgegenstände und überlegst, wofür man sie auch noch benutzen könnte. Auch hier gilt es wieder, "verrückte" oder "unrealistische" Lösungen zuzulassen.

    Das folgende Beispiel verdeutlicht Dir den Alternative Uses Test.

    Du suchst dir als Alltagsgegenstand ein Tablett. Dann überlegst du, wofür du es noch benutzen könntest, außer als Tablett.

    Das könnte sein:

    • ein Regenschutz
    • Sitzerhöhung
    • anmalen und als Gemälde aufhängen
    • durch die Griffe jeweils eine Schnur fädeln und als Schaukel umfunktionieren
    • etc.

    Brainstorming

    Brainstorming hast Du bestimmt schon einmal in der Schule gemacht. Beim Brainstorming sammelst Du ganz viele Ideen für ein Problem oder eine Fragestellung. Auch beim Brainstorming ist es erst einmal nicht wichtig, wie "realistisch" die Ideen sind. Du schreibst einfach alles auf, was Dir in den Kopf kommt.

    Neukombination

    Bei Neukombinationen suchst Du Dir zwei Haushaltsgegenstände und überlegst Dir, wie die beiden Gegenstände zusammen einen neuen Gegenstand ergeben können. Die Haushaltsgegenstände können etwa eine Tasse und ein Stift, ein Stuhl und ein Besen, eine Gießkanne und ein Buch oder noch ganz viel anderes sein. Du kannst Dir die "verrücktesten" Kombinationen ausdenken.

    Divergentes Denken – Beispiele

    Beispiele für divergentes Denken finden sich eigentlich überall und bestimmt häufiger, als Du denkst. Nachfolgend siehst Du am Beispiel eines fiktiven Tages, wie oft divergentes Denken verlangt wird.

    Morgens stehst du auf und überlegst, was du anziehst. Du hast mehrere Jeans zur Auswahl und verschiedene T-Shirts. Da es hier keine eindeutige Lösung gibt, denkst du divergent.

    Auf dem Weg in die Schule ist eine große Pfütze auf der Straße. Du könntest reinspringen, drum herumlaufen oder vorsichtig und auf Zehenspitzen durchlaufen. Auch hier denkst du divergent.

    In der Schule hast du heute in Deutsch die Aufgabe, eine Erörterung zu der Frage, ob die Schule erst um 9:30 Uhr beginnen sollte. Um Pro- und Contra-Argumente zu finden, denkst du wieder divergent.

    Nach der Schule machst du dir ein leckeres Mittagessen und improvisierst, weil du nicht so viel im Kühlschrank hast und nicht einkaufen gehen wolltest. Auch beim Improvisieren findet divergentes Denken statt.

    Am Nachmittag möchtest du deine Hausaufgaben in Kunst erledigen. Die Hausaufgabe ist, ein Logo für Spielzeugmarke zu entwerfen. Dabei wird divergentes Denken gefordert.

    Divergierendes Denken – Das Wichtigste

    • Definition: Beim divergenten Denken werden alle Ideen zugelassen, unabhängig davon, ob sie richtig oder realistisch sind oder einem System folgen.
    • Der Begriff des divergenten Denkens wurde von dem Psychologen Joy Paul Guilford durch seine Intelligenztheorie des Structure of Intellect geprägt.
    • Divergentes Denken und konvergentes Denken sind Grundfähigkeiten für die Kreativität.
    • Es gibt einen Zusammenhang zwischen Intelligenz und divergentem Denken, aber nur etwa bis zu einem IQ von 120.
    • Divergentes Denken kann man z. B. durch Brainstorming fördern.

    Nachweise

    1. Alfred Döblin (1929) Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf. URL:http://www.lawrenceglatz.com/germ3230/texte/doeblin1.htm#:~:text=Was%20war%20das%20alles.,Schusterei%2C%20wollen%20das%20mal%20festhalten.
    Häufig gestellte Fragen zum Thema Divergentes Denken

    Was ist divergentes Denken?

    Divergentes Denken ist eine Art des Denkens, bei dem für eine Frage mehrere Lösungen gesucht werden, unabhängig davon, wie realistisch sie sind.

    Warum ist divergentes Denken kreativ?

    Divergentes Denken ist kreativ, weil es mehr als eine Lösung zulässt und es dadurch nicht die eine richtige Lösung gibt.

    Was ist kreatives Denken?

    Kreatives Denken ist die Kombination aus konvergentem Denken und divergentem Denken. Es ist eine Art, intensiver zu denken, wahrzunehmen und Probleme zu lösen.

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