Springe zu einem wichtigen Kapitel
Die Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit der Beschreibung und Erklärung von menschlichem Verhalten und Erleben, das sich das ganze Leben hinweg stetig verändert.
Es gibt verschiedene Entwicklungstheorien mit unterschiedlichen Ansichten zur Rolle des Individuums in seiner Entwicklung. So sehen einige Theorien den Menschen als eher passives Individuum in Bezug auf seine Entwicklung. Andere gehen davon aus, dass der Mensch sich vieles, wenn nicht sogar alles, aus eigenem Antrieb heraus aneignen und lernen muss. Letzteres ist jedoch kein kontinuierlicher Prozess, sondern geschieht stufenweise.
Bereits in der griechischen Antike wurden die verschiedenen Phasen des Heranwachsens und Reifens eines Menschen untersucht. Sokrates beklagte beispielsweise das widersprechende Verhalten Jugendlicher gegenüber ihren Eltern, das in einem starken Kontrast zu dem kindlichen Verhältnis zu den Eltern steht.
Endogene und exogene Entwicklungstheorien – Definition
Alle Entwicklungstheorien haben bestimmte Eigenschaften, nach denen sie sich in mehrere Typen einteilen lassen. Je nachdem, ob das Individuum und die Umwelt als aktiv oder nicht aktiv angesehen werden, ergeben sich folgende Ansätze:
- Endogenistische Theorien: Die Entwicklung des Menschen (Subjekt) wird auf die Entfaltung genetischer Veranlagungen und Reifungsprozesse zurückgeführt. Dabei werden die Umwelt und äußere Einflüsse nicht beachtet. Die Entwicklung verläuft in Phasen und ist im Erwachsenenalter mit der "Reife" abgeschlossen.
- Exogenistische Theorien: Die Umwelt (externe Reize) steuert die Entwicklung des Menschen vollkommen. Durch Manipulation der Umweltreize kann also die Entwicklung beeinflusst werden.
- Selbstgestaltungstheorien: Menschen sind Gestalter*innen ihrer eigenen Entwicklung und nicht durch biologische Reifung bestimmt. Sie sind erkennend und reflektierend und können sich somit selbst ein Bild von sich und ihrer Umwelt machen.
- Interaktionistische Theorien: Der Mensch und seine Umwelt stehen im Austausch und beeinflussen einander. Weder die Umwelt noch das Individuum selbst steuern die Entwicklung allein.
In der folgenden Tabelle siehst Du vier Typen:
Psychologische Entwicklungstheorien: Übersicht und Vergleich
In den letzten Jahrhunderten haben sich unzählige verschiedene psychologische Entwicklungstheorien und Konzepte zur Erklärung der Entwicklung des Menschen herausgebildet. Zu den wichtigsten Entwicklungstheorien zählen die Ansätze von den Psychologen Sigmund Freud, Erik Erikson, Lawrence Kohlberg und Jean Piaget.
Freud | Erikson | Kohlberg | |
Konzepte der Entwicklungspsychologie | Theorie der psychosexuellen Entwicklung (Reifung) | Theorie der psychosozialen Entwicklung (Sozialisation) | Theorie der Moralentwicklung |
Anzahl der Phasen | 5 Phasen | 8 Phasen | 6 Phasen |
Alter | bis ins Jugendalter | das ganze Leben | Fokus auf Jugend- und Erwachsenenalter |
Phasen im Überblick |
|
|
|
Kontinuität | Phasen gehen ineinander über | Phasen bauen aufeinander auf | Phasen bauen aufeinander auf |
Typ | Endogenistische Theorie | Interaktionistische Theorie | Interaktionistische Theorie |
Neben den eben aufgelisteten Ansätzen gibt es noch zwei bedeutende Theorien von dem Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget: die Theorie der kognitiven Entwicklung und die Theorie der kindlichen Moralentwicklung. Einen Überblick über die beiden Ansätze erhältst du in der nachfolgenden Tabelle:
Piaget | ||
Konzepte der Entwicklungspsychologie | Theorie der kognitiven Entwicklung (Erfahrung) | Theorie der kindlichenMoralentwicklung |
Anzahl an Phasen | 4 Phasen | 3 Phasen |
Alter | bis ins Jugendalter | endet mit dem Erwachsenenalter |
Phasen im Überblick |
|
|
Kontinuität | Phasen bauen aufeinander auf. | Phasen bauen aufeinander auf. |
Typ | Selbstgestaltungstheorie | Exogenistische Theorie |
Schaue Dir gerne auch unsere Erklärungen "Psychosexuelle Entwicklung", "Psychosoziales Modell nach Erikson" oder "Piaget Moral" an.
Entwicklungstheorien – Freud
Eine der bekanntesten Entwicklungstheorien stammt von dem Psychologen Sigmund Freud. In seiner psychoanalytischen Theorie unterscheidet Freud das Es, das Ich und das sogenannte Über-Ich als zentrale Persönlichkeitsinstanzen.
Freud nahm an, dass der Mensch von Geburt an Triebbedürfnisse (z. B. Aggression, Sex, Durst) entwickelt und das Es sich darum bemüht, für eine Befriedigung dieser Triebe zu sorgen. Dem gegenüber steht das Über-Ich, das mit Hilfe von Normen und Moral versucht, den gesellschaftlich-sozialen Erwartungen gerecht zu werden. Inmitten dieses Konfliktes zwischen Es und Über-Ich steht das Ich, das die Triebe des Es und die Werte des Über-Ichs in Einklang bringen muss. Somit dient das Ich als Vermittler zwischen den beiden anderen Instanzen.
Einen Überblick über die drei Persönlichkeitsinstanzen nach Freud und ihre individuellen Merkmale findest Du in der nachfolgenden Aufzählung:
- Es-Instanz: Unbewusst, verfolgt das Ziel des Lustgewinns
- Ich-Instanz: Rational und logisch, problemlösende Komponente
- Über-Ich-Instanz: Verinnerlichte moralische Normen, Gewissen
In seinem Modell zur Entwicklung hat Freud verschiedene Phasen definiert, die dadurch bestimmt werden, wie das Individuum mit diesen Trieben umgeht. In allen fünf Phasen der Entwicklung liegt die Betonung auf der Rolle der Sexualität in Form von Lust, Geborgenheit und des Erlebens des eigenen Körpers. Es verschiebt sich außerdem das Gleichgewicht der Instanzen, bis sich am Ende der Entwicklung eine stabile Persönlichkeitsstruktur herausbildet.
Orale Phase
- Erstes Lebensjahr
- das Es ist von Geburt an im Menschen vorhanden, weshalb Säuglinge zunächst kaum mehr als vollkommen triebgesteuerte Wesen sind ("Lustprinzip")
- Lustgewinn geschieht durch Nahrungsaufnahme (Saugen)
- Die Mutter dient als Quelle der Sicherheit, gleichzeitig besteht Angst vor Liebesverlust.
Anale Phase
- Zweites bis drittes Lebensjahr
- Lustgewinn entsteht durch Kotausscheidung
- erste Konflikte mit den Eltern/der Gesellschaft aufgrund von Sauberkeitserwartungen ("Realitätskonflikt")
- Entstehung des Ichs durch das Aufeinandertreffen des "Realitätskonflikts" und des "Lustkonflikts".
Phallische Phase
- Drittes bis sechstes Lebensjahr
- Entstehung des Über-Ichs durch die Entwicklung der Fähigkeit, Triebe zu regulieren und unerlaubte Wünsche zu verdrängen
- sexueller Lustgewinn wird von Kot auf die eigenen Genitalien gelenkt
- Ausbildung des "Ödipuskomplexes": Es entsteht eine Rivalität gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil.
Der Ödipuskomplex beschreibt laut Freud die Summe aller Gefühle eines Kindes, während es ein Elternteil umwirbt und gegen das andere rivalisiert. Freud unterscheidet einen positiven Ödipuskomplex (Kind umwirbt gegengeschlechtliches Elternteil), einen negativen Ödipuskomplex (Kind umwirbt gleichgeschlechtliches Elternteil) und einen vollständigen Ödipuskomplex (wenn positiver und negativer Komplex durchlaufen werden).
Latenzphase
- Sechstes bis zwölftes Lebensjahr
- vorübergehende Abnahme der Triebe
- sexuelle Wünsche werden unterbewusst gewahrt
- Zunahme intellektueller Wissbegierde und von konstruktivem, sozial akzeptierten Handeln, um Triebe zu kompensieren.
Genitale Phase
- Beginn des Jugendalters
- im Idealfall: ausgeprägtes Ich und Über-Ich
- beginnt mit Abschluss der sexuellen Reife: Die kindliche Sexualität weicht der Erwachsenensexualität
- neue Erfahrungen werden durch Selbstbefriedigung oder den Kontakt zu anderen Individuen gesammelt.
Entwicklungstheorie Beispiel – Freud
Das folgende Fallbeispiel verdeutlicht die psychosexuelle Theorie Freuds und ihre einzelnen Phasen. Es zeigt auf, was geschieht, falls die Phasen nicht oder nur schlecht durchlaufen werden.
Lisas Mutter war sehr jung bei ihrer Geburt und von Beginn an mit ihrer neuen Rolle überfordert. Anstatt Zuhause zu bleiben und sich um ihre Tochter zu kümmern, wollte sie ihre Jugend genießen und sich ihrer Freizeit widmen. Dabei machte sie sich keine Gedanken um die Versorgung von Lisa und ließ sie teils ein paar Stunden allein daheim. Lisa erfuhr in ihren ersten Lebensmonaten keine Liebe und Schutz durch ihre Mutter.
Erst kurz nach ihrem ersten Geburtstag (= Ende orale Phase) wird Lisa vom Jugendamt ihrer Mutter entzogen und in eine liebevolle, aber konservative Pflegefamilie gebracht. Dort erfährt sie zum ersten Mal Liebe und Schutz. Dennoch traut sich Lisa nicht, Aggressionen und Trotz zu zeigen, wie es in der analen Phase normal wäre. Sie ist dankbar für die Aufmerksamkeit durch ihre Pflegefamilie. Auch der sexuelle Lustgewinn bleibt in den nachfolgenden Phasen aus. Ihre Pflegefamilie klärt sie nicht auf und lässt sie nicht ihren Körper entdecken.
Anstatt sich gegen ihre Pflegeeltern zu behaupten, sagt Lisa zu allem "ja". Auch in ihrer Pubertät will sie es allen recht machen und verweigert es, sich mit sich und ihrem Körper auseinanderzusetzen. Mit 22 Jahren lernt sie schließlich einen Mann kennen und verliebt sich in ihn. Doch da weder die genitale Phase noch die vorangegangenen Phasen erfolgreich durchlaufen wurden, hat sie große Schwierigkeiten sich auf ihn einzulassen und die Beziehung geht möglicherweise in die Brüche.
Folgen der emotionalen Vernachlässigung auf die psychosexuelle Entwicklung sind z. B.:
- Minderwertigkeitsgefühl
- keine Beziehung zum eigenen Körper
- Scham
- keine sexuelle Entwicklung
- Angst und Rückzug
Entwicklungstheorien – Erikson
Das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Erik Erikson baut auf Freuds Phasenmodell auf. Jedoch legt Erikson in seinem Modell einen stärkeren Fokus auf die Pubertätszeit, Identitätsfindung und auf die soziale Dynamik. Er geht davon aus, dass es sich bei der Entwicklung um einen lebenslangen Prozess handelt. In Eriksons Verständnis wird die Entwicklung nicht ausschließlich von inneren Trieben gesteuert, sondern ist ebenfalls von sozialen Faktoren abhängig.
Es werden insgesamt acht altersabhängige Stufen unterschieden, wovon sich die ersten fünf auf die Entwicklung vom Baby bis zum Jugendlichen und die letzten drei auf das Erwachsenenalter beziehen. Jede Stufe ist durch bestimmte Entwicklungsaufgaben und Krisen gekennzeichnet, die es zu bewältigen gilt.
Werden diese nicht in der entsprechenden Phase bewältigt, dann wird die Person auch in den darauffolgenden Phasen mit diesen Problemstellungen zu kämpfen haben. Somit geht Erikson davon aus, dass die individuelle Persönlichkeit davon abhängt und geprägt wird, auf welche Art und Weise die Krisen bewältigt werden.
Urvertrauen vs. Misstrauen
- erstes Lebensjahr
- orale Phase nach Freud
- Urvertrauen: Entsteht durch eine regelmäßige Befriedigung der eigenen Bedürfnisse durch die Umwelt (z. B. wenn die Eltern bei Hunger verlässlich Nahrung liefern)
- Misstrauen: Fehlendes Vertrauen in die Umgebung und Bezugspersonen entsteht, wenn dem Säugling Nähe, Geborgenheit, Sicherheit und Nahrung verweigert werden.
Autonomie vs. Scham
- zweites bis drittes Lebensjahr
- anale Phase nach Freud
- Konflikt zwischen der Selbst- und Fremdkontrolle
- Autonomie: Emanzipation von den Eltern (primäre Bezugspersonen) durch die selbstständige Erfüllung der eigenen Bedürfnisse.
- Scham: Beschränkungen durch die Gesellschaft führen zu Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Bedürfnisse.
Initiative vs. Schuldgefühl
- drittes bis sechstes Lebensjahr
- phallische Phase nach Freud
- Initiative: Erkundung der Umwelt und Übernahme von Eigeninitiative
- Schuldgefühle: Moralentwicklung durch Entdeckung eigener "Missetaten"
Werksinn vs. Minderwertigkeit
- sechstes Lebensjahr bis Pubertät
- Latenzphase nach Freud
- Werksinn: Drang zu lernen und Entwicklung der Fähigkeit, Dinge selbst herzustellen
- Erfolgserlebnisse und Gefühl von Kompetenz resultieren aus der Erweiterung von Fertigkeiten
- Minderwertigkeitsgefühle bei Ausbleiben von Erfolgserlebnissen
Identität vs. Identitätsdiffusion
- zwölftes bis 20. Lebensjahr
- genitale Phase nach Freud
- Identität: Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit und Ablösung von den Eltern
- Suche nach der Stellung und Rolle in der Gesellschaft
- Identitätsdiffusion: Beschreibt das Versagen in der Findung einer eigenen Rolle in der Gesellschaft.
Intimität vs. Isolierung
- 20. bis 40. Lebensjahr
- Intimität: Aufbau intimer Beziehungen und die Fähigkeit, Widersprüche und Unterschiede in einer Beziehung in den Hintergrund zu stellen.
- Isolierung: Verteidigung der Individualität und Unabhängigkeit und damit die Auflösung von Freundschaften und Beziehungen
Generativität vs. Selbstabsorption
- 40. bis 65. Lebensjahr
- Generativität: Gründung einer Familie und das Verlangen, eigenes Wissen und Werte weiterzugeben
- Selbstabsorption: Der Fokus liegt allein auf dem eigenen Wohl.
Integrität vs. Verzweiflung
- > 65. Lebensjahr
- Integrität: Akzeptanz und Anerkennung des eigenen Lebensverlaufs sowie die Integration des Tods und der Sterblichkeit ins Leben
- Verzweiflung: Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben führt dagegen zu Angst vor dem Tod.
Auf jeder Stufe des psychosozialen Entwicklungsmodells kann es laut Erikson zu Störungen kommen. Wird eine Krise nicht bewältigt, dann wirkt sich das auf unterschiedliche Art und Weise auf den weiteren Lebenslauf aus.
Entwicklungstheorie Beispiel – Erikson
Wie Du Dir die Phasen der psychosozialen Entwicklung nach Erikson, deren Entwicklungsaufgaben und Krisen im Speziellen vorstellen kannst, soll Dir das nachfolgende Beispiel anhand der zweiten Phase "Autonomie vs. Scham" verdeutlichen. In dieser steht, wie Du bereits gelernt hast, der Konflikt zwischen Selbst- und Fremdkontrolle im Mittelpunkt der Entwicklung.
Stelle Dir ein vierjähriges Kind namens Lisa vor. Lisa kann in dem Alter schon sehr viel allein machen und braucht ihre Mutter nicht mehr so oft. Sie zieht sich allein an, putzt sich selbstständig ihre Zähne und weiß, welches Buch sie als Gute-Nacht-Geschichte hören will.
In letzter Zeit macht Lisa aber hin und wieder Ärger. Im Kindergarten gibt es einen Jungen, der sie nervt und dem sie immer an den Haaren zieht und schubst. Als Konsequenz durfte sie einen Tag nicht in den Kindergarten gehen. Da ist ihre Mutter wütend geworden und hat Lisa erklärt, dass es nicht gut ist, andere zu schubsen und an den Haaren zu ziehen. Lisa hat das daraufhin verstanden und wird es nicht mehr machen.
Entwicklungstheorien – Piaget
Die Theorie der kognitiven Entwicklung des Schweizer Psychologen Jean Piaget basiert auf der Annahme, dass der Mensch von Geburt an die Tendenz besitzt, sich an seine Umgebung anzupassen (= Adaption). Das kann über die zwei gegensätzlichen Prozesse der Assimilation und Akkommodation geschehen.
- Assimilation: Eingliederung neuer Erfahrungen in ein bereits bestehendes Schema, Reize der Umwelt werden mit Hilfe von bereits vorhandenem Wissen in Bekanntes eingeordnet.
- Akkommodation: Anpassung bzw. Erweiterung eines Schemas, Veränderung des eigenen Verhaltens, um sich der Umwelt anzupassen.
Diese Grafik verdeutlicht noch einmal die Richtung der beiden Prozesse. Bei der Assimilation passt das Subjekt die Umwelt an die eigenen Strukturen an, während bei der Akkommodation die Umwelt eine Veränderung des Subjekts bewirkt.
Folgendes Beispiel veranschaulicht den Prozess der Anpassung:
Kleine Kinder nehmen gerne Dinge in den Mund. Häufig handelt es sich dabei um Gegenstände, die nicht essbar sind. Das liegt daran, dass das Kind den Gegenstand mit Nahrung gleichsetzt (Assimilation). Das Schema des Kindes sieht zum Beispiel so aus: "Klein, passt in den Mund, bewegt sich nicht – essbar"
Da es den Gegenstand aber nicht essen kann, muss es sein Schema erweitern (Akkommodation), um diesen Zusammenhang bzw. Unterschied zu verstehen, zum Beispiel:
"Klein, passt in den Mund, bewegt sich nicht – essbar"
"Klein, passt in den Mund, bewegt sich nicht, ist aus Metall – nicht essbar"
Jetzt hast du oft den Begriff Schema gelesen. Aber was genau ist damit gemeint? Unter einem Schema versteht man eine organisierte Wissens- oder Verhaltensstruktur. Diese bilden die Grundbausteine des menschlichen Wissens.
- Durch Schemata werden Begriffe und Wissen miteinander verknüpft.
- Schemata sind eine Art "Geistesvorlage", beispielsweise für eine bestimmte Handlung.
- Jeder Mensch besitzt individuelle Schemata, in denen nach bestimmten Regeln Objekte und Ereignisse eingeordnet werden können.
Nehmen wir zur Erklärung von Schema das Wort "Nahrung". Zum Beispiel ist Gebäck eine Unterkategorie von Nahrung bzw. zählt zu Nahrung. Jetzt gibt es jedoch eine ganze Reihe verschiedener Gebäcksorten, wie Kekse oder auch Brot. Diese besitzen wiederum individuelle Charakteristiken, die sie voneinander unterscheiden. Brot ist beispielsweise häufiger fluffig und krümmelt nicht. Aufgrund dieser beiden Schemata würdest Du schlussfolgern, dass Du fest in ein Brot zubeißen kannst. Bei einem Keks weißt Du hingegen, dass dieser in der Regel krümelt und härter ist und Du deshalb vorsichtig abbeißen musst.
Laut Piagets Theorie findet die kognitive Entwicklung in vier Stufen statt, in denen ein Kind Lebenserfahrungen sammelt und es dadurch schafft, innere Repräsentationen der Welt zu erschaffen. Dafür wird der Mensch immer wieder mit neuen Erfahrungen konfrontiert, die in kein vorhandenes Schema passen und dazu führen, dass er sein Denken anpassen (adaptieren) muss.
Sensomotorische Phase
- erstes bis zweites Lebensjahr
- Säugling verfügt zunächst nur über angeborene Reflexe.
- Ausbildung von sensorischen (fühlen) und motorischen (bewegen) Fähigkeiten: Durch Beobachtung und Handeln lernt der Säugling, Verknüpfungen zwischen der Erreichung von Zielen und den dafür notwendigen Handlungen herzustellen
- Objektpermanenz: Mit zwölf Monaten beginnt das Kleinkind zwischen sich ("Selbst") und seiner Umwelt ("Objekte") zu unterscheiden. Es erkennt, dass Objekte auch dann existieren, wenn es sie nicht sehen kann
Präoperationale Phase
- zweites bis siebtes Lebensjahr
- Ausbau der sensorischen und motorischen Fähigkeiten
- Kindlicher Egozentrismus: Kinder sind unfähig, andere Perspektiven einzunehmen und nehmen zum Beispiel an, dass alle das Gleiche sehen wie sie
Konkrete Operationen
- siebtes bis zwölftes Lebensjahr
- Lösung vom kindlichen Egozentrismus und Erlernen multidimensionalen Denkens
- gleichzeitige Erfassung und Inbezugsetzung verschiedener Merkmale eines Gegenstandes oder Vorgangs
- Kinder sind leicht ablenkbar, da sich ihr Denken noch immer auf anschauliche und konkret erfahrbare Inhalte fokussiert
- Abstrakte Inhalte sind für das Kind, noch schwer zu begreifen
Formale Operationen
- zwölftes bis 15. Lebensjahr
- Erreichung der höchsten Form des logischen Denkens
- Fähigkeit, Probleme theoretisch zu analysieren und Fragestellungen systematisch zu durchdenken
- Verstehen abstrakter Konstrukte
Entwicklungstheorie Beispiel – Piaget
Das folgende Beispiel veranschaulicht das Phasenmodell der kognitiven Entwicklung nach Piaget. Es zeigt, wie sich Lisas kognitive Entwicklung über die vier Phasen nach Jean Piaget vollzieht und wie sich die Objektpermanenz sowie das multidimensionale als auch das abstrakte Denken bei dem Mädchen ausbildet.
Lisa (zehn Monate) sucht zunächst nach einem Gegenstand, dort, wo sie ihn das letzte Mal gesehen hat und nicht dort, wo er vor ihren Augen versteckt wurde. Sie kann nämlich noch nicht begreifen, dass ein Gegenstand nicht an zwei Stellen gleichzeitig existieren kann. Weil sie ihn an der einen Stelle schon einmal gefunden hat, geht sie davon aus, dass er dort wieder sein muss.
Lisa (sieben Jahre) erkennt, dass in den zwei identischen Gläsern A und B gleich viel Wasser ist, wenn es gleich hoch befüllt ist. Wird der Inhalt von A nun in das schmalere und höhere Glas C geschüttet, denkt Lisa nun jedoch, dass sich im Glas C mehr Wasser befindet. Lisa ist noch nicht imstande, in Dimensionen zu denken.
Lisa (neun Jahre) wird gefragt, ob es mehr "Kinder" oder "Menschen" auf der Welt gibt. Sie tut sich sehr schwer, eine passende Antwort auf die Frage zu finden, antwortet schließlich jedoch mit "Kinder". Das liegt daran, dass Lisa noch keine Oberklasse für den Begriff "Menschen" gebildet hat. Sie hat die "Kinder" noch nicht den "Menschen" zugeordnet. Das abstrakte Denken bereitet ihr noch kleine Schwierigkeiten.
Lisa (13 Jahre) wird nun erneut mit der Frage nach den "Kindern" und "Menschen" auf der Welt konfrontiert. In den letzten vier Jahren ihres Lebens hat sich viel in ihrer kognitiven Entwicklung getan. Deshalb sieht sie den Fragesteller nur skeptisch an und antwortet ohne zu zögern "Menschen". Für sie ist es jetzt logisch, dass es sich bei Kindern um Menschen handelt.
Wenn Du gerne ausführlichere Informationen zu den einzelnen Theorien bekommen möchtest, schaue Dir gerne auch unsere Erklärungen "Psychosexuelle Entwicklung", "Psychosoziales Modell nach Erikson", "Piaget Moral", "Kognitive Entwicklung Piaget" oder "Moralentwicklung nach Kohlberg" an.
Entwicklungstheorien - Das Wichtigste
- Die Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit der Beschreibung und Erklärung des sich über den Lebenslauf eines Menschen hinweg verändernden Verhalten und Erlebens eines Individuums.
- Entwicklungstheorien unterscheiden sich dadurch, ob sie die Rolle des Individuums bzw. der Umwelt als aktiv oder passiv ansehen.
- Die Theorie der psychosexuellen Entwicklung von Freud erklärt die menschliche Entwicklung mit Hilfe von sich verändernden Triebbedürfnissen.
- Die Theorie der psychosozialen Entwicklung von Erikson erklärt die Entwicklung in Abhängigkeit von sozialen Aspekten.
- Die Theorie der kognitiven Entwicklung von Piaget erklärt die Entwicklung durch den Aufbau innerer Repräsentationen und die Anpassung des Denkens bei einer Erfahrung, die von diesen abweicht.
- Die Theorie der Moralentwicklung von Kohlberg ist eine Weiterentwicklung von Piagets Theorie der kindlichen Moral und fokussiert sich auf die Entwicklung des moralischen Urteilens als Folge kognitiver Entwicklung.
Lerne schneller mit den 8 Karteikarten zu Entwicklungstheorien
Melde dich kostenlos an, um Zugriff auf all unsere Karteikarten zu erhalten.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Entwicklungstheorien
Welche Entwicklungstheorien gibt es?
Es gibt folgende Entwicklungstheorien, die als die bekanntesten Entwicklungstheorien gelten:
- Phasenmodell der Psychosexuellen Entwicklung von Sigmund Freud
- Stufenmodell der Psychosozialen Entwicklung von Erik Erikson
- Theorie der kognitiven Entwicklung von Jean Piaget
Was sind Entwicklungstheorien?
Entwicklungstheorien sind Konzepte zur Beschreibung der Entwicklung des Menschen in Bezug auf Eigenschaften, Denken, Verhalten und Erleben, über den Lebensverlauf hinweg. Die Entwicklungspsychologie hat das Ziel herauszufinden, warum sich Menschen unterschiedlich entwickeln.
Wie lautet die Entwicklungstheorie nach Piaget?
Die Entwicklungstheorie nach Piaget lautet, dass die kognitive Entwicklung auf vier Stufen basiert, in denen ein Kind Lebenserfahrungen sammelt und es dadurch schafft, innere Repräsentationen der Welt zu interpretieren. Dafür wird der Mensch immer wieder mit neuen Erfahrungen konfrontiert, die nicht in sein vorhandenes Schema passen und dazu führen, dass er sein Denken anpassen muss.
Wer formulierte die Entwicklungstheorie?
Es gibt keine einheitlich formulierte Entwicklungstheorie. Viel mehr existieren eine Reihe verschiedener Ansätze, die das Ziel verfolgen, die Entwicklung des Menschen zu beschreiben und zu erklären. Zu den bekanntesten Entwicklungspsychologen zählen Sigmund Freud, Jean Piaget und Erik Erikson.
Über StudySmarter
StudySmarter ist ein weltweit anerkanntes Bildungstechnologie-Unternehmen, das eine ganzheitliche Lernplattform für Schüler und Studenten aller Altersstufen und Bildungsniveaus bietet. Unsere Plattform unterstützt das Lernen in einer breiten Palette von Fächern, einschließlich MINT, Sozialwissenschaften und Sprachen, und hilft den Schülern auch, weltweit verschiedene Tests und Prüfungen wie GCSE, A Level, SAT, ACT, Abitur und mehr erfolgreich zu meistern. Wir bieten eine umfangreiche Bibliothek von Lernmaterialien, einschließlich interaktiver Karteikarten, umfassender Lehrbuchlösungen und detaillierter Erklärungen. Die fortschrittliche Technologie und Werkzeuge, die wir zur Verfügung stellen, helfen Schülern, ihre eigenen Lernmaterialien zu erstellen. Die Inhalte von StudySmarter sind nicht nur von Experten geprüft, sondern werden auch regelmäßig aktualisiert, um Genauigkeit und Relevanz zu gewährleisten.
Erfahre mehr