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Erlernte Hilflosigkeit – Definition
Der Effekt der erlernten Hilflosigkeit wurde von dem amerikanischen Psychologen Martin Seligman durch Zufall während der Arbeit an einem anderen Experiment entdeckt und so definiert:
Erlernte Hilflosigkeit ist eine durch negative Erfahrung entwickelte Überzeugung, die Kontrolle der eigenen Lebenssituation verloren zu haben und für diesen negativen Zustand allein verantwortlich zu sein.
Wenn Menschen also die Überzeugung entwickelt haben, dass sie Ereignisse und Ergebnisse ihrer Bemühungen in Leistungssituationen nicht mehr kontrollieren können, befinden sie sich in dem Zustand der erlernten Hilflosigkeit.
Stell Dir vor, ein Mitschüler oder eine Mitschülerin hält sich selbst für unfähig im Fach Mathematik. Wenn er/sie dann doch eine gute Note schreibt, wird das auf reines Glück geschoben. Bei Misserfolgen hingegen bezieht er/sie das sehr stark auf die eigene Person und auf mangelnde Fähigkeit.
Dieses Denken kann dazu führen, dass eine Person zum Beispiel im Unterricht nicht mehr aufpasst und das Fach eher meidet. Dadurch kann es zu einem Kreislauf von Vermeidung kommen und zu tatsächlichem Misserfolg führen. Dieser Kreislauf kann wiederum dazu führen, dass die geforderten Leistungen im Mathematikunterricht tatsächlich nicht erbracht werden können. Dann ist der Zustand erreicht, der als die erlernte Hilflosigkeit bezeichnet wird.
Modell der erlernten Hilflosigkeit – Experiment
Seligman hat die erlernte Hilflosigkeit eher zufällig entdeckt. Er und seine Kolleg*innen forschten ursprünglich zur klassischen Konditionierung und wollten das Modell von Pawlows Hund nachstellen. Dabei machten sie in ihrem Versuchsaufbau ihre Entdeckung zur erlernten Hilflosigkeit – zunächst einmal auf Hunde bezogen.
Die klassische Konditionierung ist eine behavioristische Lerntheorie. Sie beschreibt das Zusammenspiel von Reizen und Reaktionen beim Lernen neuer Verhaltensweisen. Die wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass Reaktionen, die gelernt wurden, durch einen Lernprozess auf verschiedene Situationen übertragen werden können.
Das Experiment von Pawlow
Den Hunden wurde im ersten Schritt beigebracht, dass auf das Erklingen einer Glocke etwas zu Essen folgt. Dadurch wurde die Speichelproduktion angeregt.
Im zweiten Schritt wurde den Hunden das Klingen der Glocke vorgespielt, ohne die Darbietung von Fressen. Auch ohne das Fressen haben die Hunde mehr Speichel produziert.
Der Glockenschlag war anfänglich ein neutraler Reiz, wurde durch das Futter aber zum konditionierten Reiz, auf den die Reaktion des Speichelflusses folgte, auch, wenn kein Futter angeboten wurde.
Wenn Du das Experiment von Pawlow noch nicht kennst, klicke Dich rein in die Erklärung zur "klassischen Konditionierung"!
Versuchsaufbau mit Hunden
Das Experiment von Seligman ist in zwei Phasen eingeteilt. In der ersten Phase wurden Hunde in drei Gruppen eingeteilt, die jeweils unterschiedlich auf den Versuch in Phase 2 vorbereitet wurden.
- Die erste Gruppe wurde nach den Regeln der klassischen Konditionierung trainiert: Sie bekamen Elektroschocks, die sie jedoch durch Betätigung eines Hebels abstellen konnten (Fluchtgruppe).
- Die zweite Gruppe konnte mit ihrem Verhalten nichts gegen die Elektroschocks machen (Yorkgruppe).
- Die dritte Gruppe war die Kontrollgruppe; hier blieben die Elektroschocks komplett aus.
Als Kontrollgruppe werden Gruppen bezeichnet, die nicht gesondert auf das Experiment vorbereitet werden. Sie dienen zur Kontrolle, ob sich die Veränderungen durch die Vorbereitung auch wirklich auf die Vorbereitung beziehen und nicht durch Zufall entstehen. Der Fluchtgruppe wurde beigebracht, dass sie vor dem Reiz "flüchten" können, indem sie den Hebel betätigen.
In der zweiten Phase wurden die Hunde in eine Shuttle-Box gebracht. Diese Box war mit zwei Kammern ausgestattet, die durch ein Hindernis voneinander getrennt waren. Der Boden dieser Box konnte abwechselnd elektrisch aufgeladen werden. Somit herrschte einmal auf der einen Seite elektrische Spannung und ein andermal auf der anderen Seite. Der Aufbau einer solchen Shuttle-Box ist in der nachfolgenden Abbildung dargestellt:
Die Reaktionen der Hunde fielen je nach Vorbereitung unterschiedlich aus. Die Hunde der ersten Gruppe (Fluchtgruppe) und der Kontrollgruppe verstanden den Mechanismus und sprangen einfach über die Hürde auf die andere Seite der Box (siehe Abbildung 1), um den Stromschlägen zu entgehen. Viele der Hunde aus der zweiten Gruppe (Yorkgruppe) bewegten sich hingegen nicht. Sie versuchten nicht einmal auf die andere Seite der Box zu kommen. Einige legten sich sogar hin, um abzuwarten, bis die Behandlung zu Ende ist.
Die Tiere, die in der Vorbereitung also schon gelernt haben, dass sie mit ihrem Verhalten die Situation nicht ändern können (Yorkgruppe), haben keine Motivation über die Hürde zu springen und sich so aus der unangenehmen Situation zu befreien. Sie bleiben also bis zum Ende des Experiments auf der Seite der Shuttle-Box, auf der sie regelmäßig Elektroschocks abbekommen.
Erlernte Hilflosigkeit bei Menschen
Die Ergebnisse des Shuttle-Box-Experiments lassen sich auch auf den Menschen übertragen, denn: Macht ein Mensch die Erfahrung, dass er eine unangenehme Situation nicht durch sein Verhalten beeinflussen und kontrollieren kann, kann das in erlernter Hilflosigkeit enden. Er sieht zwischen seinem Verhalten und den Ergebnissen also keinerlei Zusammenhang.
Erlernte Hilflosigkeit – Beispiele beim Menschen
Ein Experiment zur erlernten Hilflosigkeit wurde auch bei Menschen durchgeführt. Wie beim Tierversuch wurden die Proband*innen, in diesem Fall Student*innen, in drei Gruppen eingeteilt. Dieser Versuchsaufbau bestand ebenfalls aus zwei Phasen. In der ersten wurde der ersten Gruppe ein unangenehmes, lautes Geräusch vorgespielt, welches sie durch einen Knopfdruck abschalten konnten (Fluchtgruppe). Die zweite Gruppe bekam ebenfalls das Geräusch, konnte es aber nicht verstummen lassen (Yorkgruppe), und der dritten Gruppe wurde nichts vorgespielt (Kontrollgruppe).
Auch hier wurde eine Art Shuttle-Box zum Einsatz gebracht, bei der die Proband*innen allerdings nur die Hand über eine Hürde auf die andere Seite bringen mussten. Wie schon im Tierversuch zeigten Gruppe eins und drei dieses Verhalten rasch nach dem Einsetzen des Geräusches. Die Teilnehmer*innen der Gruppe zwei waren weniger motiviert und änderten ihr Verhalten langsamer. Auch hier bemühten sich manche Proband*innen nicht, aus der unangenehmen Situation zu kommen.
In dieser Tabelle sind die Phasen und Reaktionen übersichtlich aufgelistet:
Treatment Gruppe | Vorbereitung (Phase 1) | Reaktion (Phase 2) |
Gruppe 1 Fluchtgruppe |
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Gruppe 2 Yorkgruppe |
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Gruppe 3 Kontrollgruppe |
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Erlernte Hilflosigkeit – Symptome
Erlernte Hilflosigkeit beim Menschen zeigt sich im Laufe der Zeit durch sowohl psychische als auch körperliche Symptome. Die Anzeichen einer erlernten Hilflosigkeit sind unter anderem:
- fehlende oder verminderte Motivation
- anhaltende Antriebslosigkeit
- apathisches Verhalten
- Schlafstörungen
- geschwächte Immunabwehr
Die erlernte Hilflosigkeit wird meist durch drei Defizite definiert:
- Motivationale Defizite: Fehlende oder verminderte Motivation, die Situation überhaupt zu beeinflussen.
- Kognitive Defizite: Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten, das heißt, die kognitive Verarbeitung dauert länger und Lernerfolge setzen später ein
- Emotionale Defizite: Passivität, Lustlosigkeit, Angst, Apathie und Stress, die bei anhaltender Überzeugung, die Situation nicht beeinflussen zu können, in eine Depression übergehen kann
Apathie ist ein Zustand der Teilnahmslosigkeit und der Gleichgültigkeit für sich und seine Umwelt.
Erlernte Hilflosigkeit – Depressionen
Sieht man sich die Symptome der erlernten Hilflosigkeit an, könnte man daraus schließen, dass Menschen depressiv werden, wenn sie das Gefühl haben, keine Kontrolle mehr über die Ereignisse in ihrem Leben zu haben. Geschieht also im Leben einer Person etwas Negatives, das sie nicht kontrollieren kann, so lernt die Person, dass ihr Verhalten nicht die Ergebnisse der Ereignisse beeinflussen kann – die Person fühlt sich hilflos. Doch nicht alle, die in negative Situationen geraten, werden depressiv.
Ausschlaggebend für den Zusammenhang der erlernten Hilflosigkeit und Depressionen ist, dass sich die betroffenen Personen für den Kontrollverlust in der Situationen selbst verantwortlich machen. So geht man also davon aus, dass die Depression nicht allein durch die erlernte Hilflosigkeit selbst hervorgerufen wird, sondern vom Attributionsstil einer Person abhängt.
Die Attribution wird auch Ursachenzuschreibung genannt und ist die individuelle Vorgehensweise, Ursachen für Ereignisse zu erklären. In der Theorie der erlernten Hilflosigkeit geht man also davon aus, dass jeder Mensch eine individuelle Art zu attribuieren hat. Jeder Mensch sieht individuell andere Ursachen für bestimmte Dinge, die um ihn herum passieren. Diese Art zu attribuieren wird in der Psychologie der Attributionsstil genannt.
Veranschaulicht an dem Beispiel aus dem Matheunterricht vom Anfang der Erklärung, kannst Du Dir die Attribution und Attributionsstil folgendermaßen vorstellen:
Stell Dir vor, Deine Klasse schreibt eine Mathearbeit. Du und Dein Sitznachbar haben beide eine schlechte Note geschrieben. Du denkst Dir: "Das war einfach eine schwere Prüfung, die nächste wird wieder besser." In diesem Fall weist Du einen positiven und optimistischen Attributionsstil auf.
Dein Sitznachbar hingegen denkt: "Schon wieder eine schlechte Note, ich werde das niemals schaffen, ich kann einfach kein Mathe!" In seinem Fall zeigt er eine eher negative Attribution. Er überträgt die schlechte Note allein auf sich selbst.
Wir haben also zweimal die gleiche Situation, aber zwei unterschiedliche Ursachenzuschreibungen und Attributionsstile.
Die Attribution von depressiven Personen ist eher pessimistisch. Das heißt, sie machen sich selbst und ihre (scheinbar) mangelnden Fähigkeiten für den schlechten Ausgang der Situation verantwortlich.
Damit es zu einer Depression kommt, muss die Attribution laut der Theorie der erlernten Hilflosigkeit drei Merkmale erfüllen:
- Ort der Ursache: Intern – Betroffene sehen sich selbst als das Hauptproblem, die äußeren Umstände tragen hierzu nicht bei
- Globalität: Global – Betroffene sehen das Problem als allgegenwärtig und nicht auf bestimmte Situationen begrenzt
- Stabilität: Permanent – Betroffene sehen das Problem als unveränderlich und nicht als vorübergehend
Die erlernte Hilflosigkeit überwinden
Viele Betroffenen benötigen Unterstützung von außen, von vertrauten Personen oder Mediziner*innen, um ihre erlernte Hilflosigkeit überwinden zu können.
Außerdem ist es wichtig, das Gedankenkarussell zu überwinden. Mit folgenden Maßnahmen kann es gelingen, sich aus der Situation der erlernten Hilflosigkeit zu ziehen:
- Selbstreflexion: Genaue Beobachtung, denn erlernte Hilflosigkeit ist nicht gleichzusetzen mit tatsächlicher Hilflosigkeit
- Positives Denken und sich an positive Beispiele aus der Vergangenheit erinnern
Das Wichtigste zum Überwinden der erlernten Hilflosigkeit ist die Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartungen. Die Selbstwirksamkeit beschreibt, dass eine Person eine Sache so gut kann, dass sie durch ihr eigenes Können und ihr Verhalten den Ausgang einer Situation beeinflussen kann. Zum Überwinden der erlernten Hilflosigkeit ist die Steigerung der Erwartung an die eigene Selbstwirksamkeit das Ziel. Wie das klappen kann, wird am Beispiel des Matheproblems des Mitschülers gezeigt.
Er reflektiert, ab wann das behandelte Thema in Mathematik nicht verstanden wurde. Er war eine Woche krank und hat deswegen einige Mathestunden verpasst und im Anschluss keine Möglichkeit, um eine genaue Erklärung zu bitten. Diese Erklärung ist also das Erste, das nachgeholt werden muss.
Danach muss geübt werden – mit positivem Denken, selbst Mut machen und dem Aufzeigen, dass es in den anderen Fächern nach der Fehlzeit auch funktioniert hat. So wird der Lernstoff allein oder in Gruppen nachgeholt und es werden die kleinen Erfolge gefeiert.
Durch dieses Verhalten lernt er, dass die eigene Selbstwirksamkeit viel höher ist, als zum Anfang dieses Problems erwartet wurde. Durch diese Steigerung kommt er nicht wieder so schnell in den Zustand der erlernten Hilflosigkeit.
Erlernte Hilflosigkeit – Das Wichtigste
- Die erlernte Hilflosigkeit entwickelt sich, wenn Menschen davon überzeugt sind, dass sie Ereignisse und Ergebnisse ihrer Bemühungen in Leistungssituationen nicht mehr kontrollieren und sie sich nicht selbstständig aus einer Situation befreien können.
- Symptome der erlernten Hilflosigkeit sind:
- motivationale Defizite
- kognitive Defizite
- emotionale Defizite.
- Erlernte Hilflosigkeit ist nicht das Ergebnis des tatsächlichen Kontrollverlusts, sondern der verzerrten Selbstwahrnehmung.
- Erlernte Hilflosigkeit überwindet man am besten durch Selbstreflexion und das Erhöhen der Selbstwirksamkeitserwartungen.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Erlernte Hilflosigkeit
Was bedeutet erlernte Hilflosigkeit?
Erlernte Hilflosigkeit bedeutet, dass Menschen die Überzeugung entwickelt haben, dass sie Ereignisse und Ergebnisse ihrer Bemühungen in Leistungssituationen nicht mehr kontrollieren können.
Welchen Effekt hat erlernte Hilflosigkeit?
Erlernte Hilflosigkeit zeigt folgende Effekte:
- fehlende oder geminderte Motivation
- Antrieblosigkeit
- Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten
- Lernerfolge setzen später ein
- emotionale Defizite wie Passivität, Lustlosigkeit, Ängste, Apathie
Wie überwindet man erlernte Hilflosigkeit?
Erlernte Hilflosigkeit überwindet man durch Selbstreflexion und das Erhöhen der Selbstwirksamkeitserwartungen.
Woher kommt erlernte Hilflosigkeit?
Die erlernte Hilflosigkeit kommt nicht von einem tatsächlichen Kontrollverlust sondern ist das Ergebnis der verzerrten Selbstwahrnehmung.
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