Spiegelneuronen

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir benötigen ab der Geburt eine Bindung zu anderen Menschen. Ohne diese Bezugspersonen könnten wir nicht überleben. Damit das Zusammenleben reibungslos funktionieren kann, sind Faktoren wie Empathie essenziell. Ein Konstrukt, das uns dabei hilft, Mitgefühl zu empfinden, sind die Spiegelneuronen.

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    Spiegelneuronen – Definition

    Spiegelneuronen sind bestimmte Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn, die aktiviert werden, wenn man eine Handlung durchführt, sie beobachtet oder auch nur über sie nachdenkt.

    Spiegelneuronen haben verschiedene Aufgaben, die für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft notwendig sind. Sie sind dafür zuständig, dass der Mensch die Gefühle und Stimmungen von anderen Menschen erkennt. Ohne die Spiegelneuronen wäre es uns Menschen also nicht möglich, Empathie zu empfinden. Auch beim Lernen nehmen sie eine tragende Rolle ein, da Spiegelneuronen es uns Menschen ermöglichen, durch Beobachtung von anderen Menschen zu lernen.

    Die Spiegelneuronen liegen im prämotorischen Cortex. Diese Region der Hirnrinde befindet sich im Frontallappen des menschlichen Gehirns und hat die Aufgaben, willkürliche Bewegungen zu planen und auch durchzuführen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass alle sozialen Wesen Spiegelneuronen besitzen. Allerdings konnten sie erst bei Affen, Menschen und Vögeln nachgewiesen werden. Momentan wird daran geforscht, ob auch andere soziale Wesen, z. B. Hunde, diese Neuronen besitzen.

    Eine Bewegung ist nur dann willkürlich, wenn sie vom Gehirn aus gesteuert wird. Unwillkürliche Bewegungen, wie z. B. das Atmen oder der Herzschlag, werden vom vegetativen Nervensystem und dem Rückenmark gelenkt.

    Entdeckung der Spiegelneuronen

    Die Entdeckung der Spiegelneuronen ist einem Zufall geschuldet. Die Neurophysiologen Giacomo Rizzolatti, Vittorio Gallese und Leonardo Fogassi wollten eigentlich herausfinden, wie Säugetiere verschiedene Handlungen planen. Dafür führte sie Experimente an einem Affen durch, dem bei einer Operation Elektroden in das Gehirn, genauer gesagt in den prämotorischen Cortex, eingesetzt wurden.

    Das Einsetzen der Elektroden in das Gehirn ist für den Affen schmerzfrei und hinterlässt keine Schäden oder Einschränkungen.

    Bei dem Experiment wurde dem Affen eine Erdnuss vorgelegt. Wenn der Affe nach der Erdnuss griff, konnte man sehen, dass die Bereiche im prämotorischen Cortex, die den Spiegelneuronen zugeordnet werden, aktiv waren. Als dann der Affe einen Menschen dabei beobachtete, wie dieser nach der Erdnuss griff, fiel auf, dass die Bereiche ebenfalls aktiviert wurden.

    Als das erkannt wurde, wurde das Experiment unter verschiedenen Bedingungen wiederholt. Die Ergebnisse kannst Du in Abbildung 1 sehen. Je höher die Aktivierung der Neuronen, desto mehr Striche siehst Du rechts neben den Affen in der Abbildung. Die Neuronen sind gleich aktiv, wenn der Affe selbst oder ein anderer Affe nach der Nuss greift. Wenn ein Mensch nach der Nuss greift, ist die Aktivität zwar geringer, aber immer noch deutlich erkennbar. Am schwächsten ist die Aktivität, wenn der Mensch mit einer Pinzette nach der Erdnuss greift.

    Spiegelneuronen Experiment zur Entdeckung von Spiegelneuronen StudySmarterAbbildung 1: Experiment zur Entdeckung der Spiegelneuronen

    Spiegelneuronen beim Menschen

    Wenn Dich eine Person anlächelt, dann lächelst Du zurück oder wenn jemand vor Dir gähnt, dann musst Du das auch. Für all diese Phänomene sind die Spiegelneuronen im Gehirn verantwortlich. Das liegt daran, dass die Spiegelneuronen die Handlungen, die Körpersprache und die Mimik und Gestik von anderen Menschen sehr genau wahrnehmen. Sie sorgen somit dafür, dass Menschen mitfühlend sein können.

    Aber neben dem sozialen Aspekt sind die Spiegelneuronen auch wichtig für das Lernen. Wie das Lernen durch die Spiegelneuronen abläuft, hat die Autorin Vera Birkenbihl 2009 in der FAZ folgendermaßen beschrieben:

    Ein Kind sieht den Eltern jahrelang zu, wenn sie Spaghetti essen. Eines Tages beherrscht es die Gabel und bald lernt es auch Spaghetti zu essen, und zwar genauso wie seine Eltern das tun. Beim Zuschauen wurden nämlich bestimmte Gruppen von "Spaghetti-Neuronen" aktiviert.”

    Durch die Aktivierung der Spiegelneuronen fangen Kinder an, das Verhalten von anderen zunächst gedanklich und später dann auch körperlich zu imitieren. Die Spiegelneuronen geben dem Gehirn das Gefühl, die Handlung gerade durchzuführen. So können Menschen durch reine Beobachtung lernen. Ab ungefähr einem Jahr, wenn das Kind in der Lage ist, seine Muskeln besser zu kontrollieren, beginnt es damit, Bewegungsabläufe nachzumachen. Diese Form des Lernens wird auch Imitationslernen genannt. Auf diese Art und Weise können Kinder dann auch Empathie und Mitgefühl erlernen.

    Wenn Du Dich dafür interessierst, wie Menschen lernen, dann kannst Du gerne die Erklärung "Lerntheorien" lesen!

    Spiegelneuronen – Empathie

    Bisher klingt es so, als wären die Spiegelneuronen das, was einen Menschen menschlich und sozial macht. Ganz so einfach ist das aber nicht. Denn die reine Tatsache, dass die Spiegelneuronen existieren, reicht noch nicht aus, um mitfühlend zu sein. Es gibt etwa Menschen, die mehr Mitgefühl haben als andere. Das Mitgefühl muss also gelernt werden. In der Regel lernen Kinder Mitgefühl von ihren Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen.

    Erfährt ein Baby Gewalt oder Vernachlässigung, kann das dazu führen, dass er oder sie auch im Erwachsenenalter noch Probleme hat, einfühlsam zu sein und Vertrauen aufzubauen. Somit braucht es für die Entwicklung von Empathie – neben den Spiegelneuronen – auch Vorbilder, die gespiegelt werden können. Das folgende Beispiel verdeutlicht, wie genau die Spiegelneuronen bei der Entwicklung von Empathie funktionieren.

    Mia ist zwei Jahre alt und heute kommt ihre Tante Lena zu Besuch. Tante Lena ist heute sehr traurig und weint, weil sie ihren Job verloren hat. Dass ihre Tante weint, macht Mia auch traurig, wodurch sie kurz anfängt zu weinen. Außerdem sieht Mia später, wie ihre Eltern versuchen, Tante Lena zu trösten, indem sie sie in den Arm nehmen und streicheln. Mia sieht dieses Verhalten und spiegelt es. Darum geht dann sie auch zu ihrer Tante und versucht sie zu umarmen und zu streicheln.

    Durch solche Situationen lernt Mia also, wie man einen Menschen tröstet, die traurig sind. Ebenso ist wichtig, dass Mia weint, als sie ihre Tante weinen sieht. Ihre Spiegelneuronen haben dafür gesorgt, dass Mia im gewissen Maße mit ihrer Tante mitfühlen konnte.

    Eine bekannte Krankheit, die mit den Spiegelneuronen in engem Zusammenhang steht, ist der Autismus. Es ist nachgewiesen, dass die Spiegelneuronen bei Menschen mit Autismus nicht richtig funktionieren. Die Spiegelneuronen bei Autisten sind nur dann aktiv, wenn sie selbst eine Handlung durchführen. Somit reagieren die Spiegelneuronen nicht, wenn andere Menschen eine Handlung durchführen. Das ist ein Grund, weswegen Autisten das Verhalten von anderen Menschen nicht nachvollziehen können und daher Schwierigkeiten haben, Empathie zu empfinden. Zwar können die Autisten lernen, in welchen Situationen man sich beispielsweise umarmt oder wie Personen aussehen, die traurig sind. Dennoch können sie sich nie wirklich in die andere Person hinein fühlen.

    Wenn Du Dich für Autismus interessierst, dann schau Dir die Erklärung "Autismus" an.

    Spiegelneuronen – Liebe

    Wichtig ist jedoch, dass die Spiegelneuronen nur das Verhalten spiegeln, das sie schon kennen. Da Paare, die schon länger zusammen sind, das Verhalten des anderen bereits sehr gut kennen, sind sie sich meist ähnlicher als Paare, die noch nicht so lange zusammen sind.

    Somit kann man bei verliebten Menschen genau beobachten, wie die Spiegelneuronen funktionieren. Wenn man ein Paar beobachtet, dann fällt auf, dass sich die Partner mit der Zeit immer ähnlicher werden. Durch die Spiegelneuronen sind wir nämlich in der Lage, bestimmte Verhaltensweisen und Reaktionen vorher zu sagen. Wie das funktioniert, kannst Du im Beispiel sehen.

    Lisa trifft sich mit ihrem Freund Justin. Als sie sich sehen, merkt Lisa schon durch Justins Körperhaltung, dass er sie zur Begrüßung küssen will. Dank ihrer Spiegelneuronen kann Lisa Justins Verhalten vorhersagen und kopieren, weswegen sie den Kuss erwidern kann und nicht überrascht zurückzuckt.

    Spiegelneuronen – Trauma

    In manchen Situationen können Spiegelneuronen auch zu Problemen führen. Viele Forscher*innen sind überzeugt, dass Spiegelneuronen auch dafür verantwortlich sind, dass manchmal Traumata von einer Generation an die nächste weitergegeben werden.

    Im Allgemeinen beschreibt der Begriff Trauma (vom altgriechischen τραῦμα) eine Wunde oder eine Verletzung. Ein psychisches Trauma entsteht durch mindestens ein psychisch sehr belastendes Ereignis, wobei die Psyche eines Menschen stark erschüttert werden kann.

    Menschen, die an einem Psychotrauma leiden, haben oft sehr viele Jahre, wenn nicht sogar ihr ganzes Leben, mit den Folgen zu kämpfen. Darum kann es auch passieren, dass die Kinder der Betroffenen das psychische Leid und die psychischen Schmerzen mitbekommen. Durch die Spiegelneuronen können die Kinder dann teilweise erleben, was ihre Eltern fühlen.

    Natürlich bekommen Kinder nicht alles mit und sie werden sich auch nicht so fühlen, als hätten sie das Gleiche erlebt wie ihre Eltern. Dennoch kann es dazu kommen, dass Kinder durch die Spiegelung der Emotionen bestimmte Verhaltensweisen wie Ängste oder Vertrauensprobleme entwickeln. So wird das Trauma von einer Generation mitunter an die nächste weitergegeben. In manchen Texten wird dieses Phänomen auch als Resonanzerfahrung bezeichnet.

    Das folgende Beispiel verdeutlicht, inwieweit ein Trauma das Verhalten der nächsten Generation beeinflussen kann.

    Stefanie wurde von einem unbekannten Mann überfallen. Durch eine Therapie konnte sie das Trauma größtenteils überwinden und ihr Leben wieder halbwegs normal weiterleben. Dennoch fällt es ihr immer noch sehr schwer, Männern zu vertrauen, und wenn ein Fremder sie auf der Straße anspricht, zuckt sie zusammen.

    Ihre Tochter Melanie hat solche Situationen auf der Straße schon ein paarmal mitbekommen. Durch die Spiegelneuronen und die Resonanz kann Melanie spüren, dass ihre Mutter in solchen Momenten Angst empfindet. Dadurch verknüpft Melanie mit fremden Männern ein gewisses Unbehagen und Angst. Daher fällt es ihr auch im Erwachsenenalter noch schwer, zu Männern ein Vertrauen aufzubauen.

    Spiegelneuronen – Manipulation

    Menschen mögen Symmetrie und das in allen Bereichen, auch im Verhalten. Es wurde in verschiedenen Untersuchungen entdeckt, dass Menschen Personen sehr sympathisch finden, die ihnen ähnlich sind. Es ist also so, dass wir Personen mögen, die uns imitieren. Andersherum ist es aber auch so, dass wir Personen imitieren, die wir mögen.

    Zunächst klingt das nicht weiter problematisch, allerdings lassen Menschen sich dadurch auch relativ einfach manipulieren. Wenn man beginnt, die Körpersprache, Mimik und Gestik vom Gegenüber nachzuahmen, macht das einen gleich viel sympathischer. In diesem Beispiel siehst Du, wie eine solche Manipulation ablaufen kann.

    Du bist auf einer Firmenfeier und Dein Chef macht einen Witz. Ist dieser Witz wirklich witzig, dann lachst Du ehrlicherweise mit ihm zusammen. Ist er jedoch nicht witzig, dann kannst Du auch mit ihm zusammen lachen, um Dich sympathischer zu machen und um die Gunst Deines Chefs zu gewinnen. So hast Du vielleicht einen kleinen Vorteil bei der nächsten Beförderung.

    Spiegelneuronen – Übung

    Durch die Spiegelneuronen sind die Eltern und näheren Bezugspersonen für das frühe Lernen und die Entwicklung der Kinder von Bedeutung. Die Eltern dienen den Kindern in vielen Lernsituationen als Vorbild und können die Entwicklung ihrer Kinder dadurch noch bis ins Erwachsenenalter beeinflussen.

    Durch konsequentes Training ist es allerdings möglich, früh erlernte Verhaltensweisen wieder zu verändern. Das kann hilfreich sein, wenn manche Kinder z. B. große Probleme in der Schule haben, weil sie nur schlecht mit Autoritäten umgehen können.

    Ein Training, das darauf abzielt, früh erlerntes Verhalten zu verändern, ist allerdings sehr schwierig und langwierig. Dabei werden Übungen eingesetzt, die das Ziel haben, neue Erfahrungen zu machen, die mit der Zeit die frühkindlichen Erfahrungen überlagern. Bei neuen Erfahrungen spiegeln die Spiegelneuronen das Verhalten und somit können neue Reaktionen und Handlungsoptionen wahrgenommen und gelernt werden. Allerdings müssen neue Erfahrungen öfters gemacht werden, da die alten Verhaltensmuster schon sehr gefestigt sind.

    Im schulischen Kontext und für die Lernforschung ist es auch wichtig, sich nicht nur auf die vorhandenen Spiegelneuronen oder die durch Imitationslernen entstandenen Verbindungen zu konzentrieren, sondern auch auf die, die nicht vorhanden sind. Bei manchen Familien kann es vorkommen, dass Kinder zu Hause wenig oder gar nicht gefördert werden und auch, dass Eltern bestimmte Verhaltensweisen wie Ordnung, Organisation oder das Lesen eines Buchs nicht vorleben. Dementsprechend können Kinder keine Spiegelneuronen für solch ein Verhalten entwickeln. Dadurch kann es zu Problemen in der Schule und beim Lernen kommen. In diesem Fall ist es die Aufgabe der Lehrperson, die Kinder besonders zu fördern und ihnen das Lernen zu erleichtern.

    Spiegelneuronen - Das Wichtigste

    • Spiegelneuronen sind Nervenzellen im Gehirn, die aktiviert werden, wenn man eine Handlung durchführt, sie beobachtet oder über sie nachdenkt.
    • Die Spiegelneuronen liegen im prämotorischen Cortex des Gehirns, der für die Planung von Handlungen zuständig ist.
    • Spiegelneuronen machen Menschen zu sozialen Wesen, da es ohne sie schwer wäre, sich in andere hineinzuversetzen.
    • Empathie muss dennoch erlernt werden, denn nur die Spiegelneuronen allein reichen nicht aus, um empathisch zu sein.
    • Spiegelneuronen sind außerdem wichtig für das Lernen durch Imitation, was das Veralten von Menschen bis ins Erwachsenenalter beeinflussen kann.
    • Das durch Imitation erlernte Verhalten kann durch verschiedene Übungen auch im Erwachsenenalter noch verändert werden.
    Häufig gestellte Fragen zum Thema Spiegelneuronen

    Was sind Spiegelneuronen?

    Spiegelneuronen sind bestimmte Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn, die aktiviert werden, wenn man eine Handlung durchführt, beobachtet oder darüber nachdenkt sie durchzuführen.

    Wie funktionieren Spiegelneuronen?

    Spiegelneuronen funktionieren, indem sie dem Gehirn das Gefühl geben, gerade eine bestimmte Handlung auszuführen

    Wie erkennt man Spiegelneuronen?

    Von Außen sind Spiegelneuronen nicht erkennbar. Mit der Hilfe von Elektroden im Gehirn, kann man jedoch die Wirkung  der Spiegelneuronen sichtbar machen.

    Wo befinden sich Spiegelneuronen?

    Die Spiegelneuronen befinden sich im prämotorischen Cortex (im Frontallappen) des Gehirns. 

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