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Der Speicherzerfall ist das graduelle (= in kleinen Schritten/langsam) und passive Verblassen einer physischen Erinnerungsspur aus dem Gedächtnis.
Das Vergessen in der Psychologie
Unter dem Begriff "Vergessen" wird zum einen der Verlust von Erinnerungen und Informationen aus dem Gedächtnis verstanden. Also, wenn zuvor Wahrgenommenes und Gelerntes nicht länger im Gedächtnis verfügbar ist. Zum anderen fällt unter diesen Begriff auch das Unvermögen, sich an etwas (richtig) zu erinnern.
Ein typisches Beispiel für letzteres ist:
Du glaubst, etwas vergessen zu haben, es fällt Dir aber am nächsten Tag wieder ein. Dann ist die Erinnerung zwar in Deinem Gedächtnis vorhanden, aber der Abruf war vorübergehend gestört.
Daher lässt sich Vergessen einerseits danach unterscheiden, ob die Erinnerung zwar noch im Gedächtnis vorhanden ist, aktuell aber nicht abgerufen werden kann (Zugänglichkeit). Andererseits, ob sie überhaupt nicht mehr im Gedächtnis existiert (Verfügbarkeit).
Eine Übersicht über die Unterschiede bietet Dir die nachfolgende Grafik. Sie zeigt, dass Du Dich nur noch an Gedächtnisinhalte erinnern kannst, die sowohl zugänglich als auch verfügbar sind. In allen anderen Fällen schlägt der Zugriff fehl.
Wenn Du gerne noch mehr über das Thema "Vergessen" im Allgemeinen wissen willst, klicke Dich gerne in die passenden Erklärungen!
Vergessenskurve nach Ebbinghaus
Einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis des menschlichen Vergessens hat der deutsche Psychologe Hermann Ebbinghaus geleistet. Mit seinem Selbstexperiment wollte er aufzeigen, wie lange der Mensch in der Lage ist, neu Gelerntes zu behalten und wann er wie viel davon wieder vergessen hat.
Die Vergessenskurve illustriert den Grad des Vergessens innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls.
Für sein Experiment hat Ebbinghaus inhaltslose Sätze auswendig gelernt. Dabei hat er diese so lange wiederholt und sich eingeprägt, bis er sie sich fehlerfrei merken und wiedergeben konnte. Ab diesem Zeitpunkt hat er in regelmäßigen Abständen kontrolliert, wie viel er von dem Gelernten noch korrekt wiedergeben konnte.
Wie die nachfolgende Abbildung mit der Ebbinghaus'schen Vergessenskurve zeigt, hat der Mensch bereits 20 Minuten nach Erlernen, das Gelernte schon wieder zu 40 % vergessen. Nach einem Tag wird sich bereits nur noch an ca. 34 % erinnert. Demnach findet Vergessen vor allem in den ersten Minuten und Stunden statt, also bevor eine Information überhaupt ins Langzeitgedächtnis gelangt ist.
Ebbinghaus zeigte zudem, dass nicht alle Informationen gleichermaßen vergessen werden. So wurden etwa Informationen, die am Anfang und am Ende der Lerneinheit gelernt wurden, besser beibehalten als die in der Mitte. Dieses Phänomen wird auch als Primacy-(Anfang) bzw. Recency (Ende)-Effekt bezeichnet.
Wenn Du häufiger während einer Lernphase das Thema wechselst, hast Du mehrere "Anfänge" und "Enden" und weniger "Mitte" in Lernthemen, wodurch Du Informationen effektiver lernen und merken kannst.
Bedeutung des Speicherzerfalls
Beim Speicherzerfall handelt es sich um einen Erklärungsansatz für Vergessen, der durch die Untersuchungen von Ebbinghaus gestützt wird. In diesem Ansatz wird Vergessen als passiver Prozess betrachtet, der vor allem stattfindet, während die Information sich im sensorischen Gedächtnis und Kurzzeitgedächtnis befindet.
Somit dient der Speicherzerfall in erster Linie der Erklärung des Vergessens kurz nach der Aufnahme sowie während der Verarbeitung der Information und weniger dem Vergessen aus dem Langzeitgedächtnis.
Der nachfolgenden Abbildung kannst Du entnehmen, dass jedes Gedächtnis, also das sensorische Gedächtnis, das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis, eine bestimmte Art und Weise des Vergessens aufweist. Jedoch bedeutet das nicht gleich, dass etwa ein Spurenzerfall nicht auch im Langzeitgedächtnis stattfinden kann.
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Erklärung der Spurenzerfallstheorie
Die Spurenzerfallstheorie (trace-decay-theory) besagt, dass Erlerntes und Angeeignetes mit der Zeit einfach verschwindet. Je länger wir etwas Gelerntes nicht gebrauchen und uns in Erinnerung rufen, desto größer ist der Zerfall. Die Menge des Vergessenen ist somit Maß für den Spurenzerfall im Gedächtnis.
Dem Spurenzerfall kann durch Wiederholung und Übung entgegengewirkt werden, indem das Gelernte in regelmäßigen Abständen wieder in Erinnerung gerufen wird. Dadurch wird die Gedächtnisspur gestärkt. Den Effekt von Wiederholung auf das Vergessen bzw. den Spurenzerfall zeigt die obige Abbildung sehr anschaulich:
Die Menge erinnerter Informationen bleibt, wie die gelbe Linie zeigt, bei regelmäßiger Wiederholung (Rehearsal) auf einem relativ stabilen Niveau. Ohne die Wiederholungen nimmt die Menge an gemerkter Informationen hingegen über die Zeit hinweg immer weiter ab, wie die schwarze Linie verdeutlicht.
Eine Gedächtnisspur ist eine dauerhafte Veränderung im Gehirn, ausgelöst von einer Reizeinwirkung. Sie entsteht zwischen Lernen und Wiederholen eines Gedächtnisinhaltes.
Weitere Theorien zum Zerfall von Gedächtnisinhalten
Neben dem passiven Verblassen von Gedächtnisinhalten über die Zeit, können Erinnerungen und Informationen auch aufgrund anderer Faktoren aus dem Gedächtnis verschwinden, bzw. nicht mehr zugänglich sein. So können Inhalte beispielsweise einander aktiv beeinflussen, oder sie werden aus dem Bewusstsein ins Unterbewusstsein gedrängt.
Interferenztheorie
Die Interferenztheorie besagt, dass Vergessen dadurch zustande kommt, dass sich bereits im Langzeitgedächtnis gespeicherte und neue Inhalte gegenseitig stören.
Diese Störungen werden im Allgemeinen als Interferenzen bezeichnet und können sich vorangehend (proaktiv) oder nachfolgend (retroaktiv) auf Erinnerungen auswirken.
- Proaktive Hemmung bzw. Interferenz: Gedächtnisbeeinträchtigung durch vorheriges Lernen bzw. vorherige Informationen.
- Retroaktive Hemmung bzw. Interferenz: Gedächtnisbeeinträchtigung durch nachfolgendes Lernen bzw. nachfolgende Informationen.
Die folgende Situation, die Dir den Unterschied zwischen proaktiven und retroaktiven Interferenzen verdeutlichen soll, hast Du bestimmt schon einmal in ähnlicher Art und Weise erlebt oder mitbekommen:
Ein Lehrer muss sich bekanntlich jedes Jahr unzählige neue Namen von Schülern merken und oftmals auch von Geschwistern, die die Schule in unterschiedlichen Jahrgängen besuchen.
Dabei kann es passieren, dass er sich den Namen einer Schülerin (1) vom Vorjahr eingeprägt hat und dieser mit dem Namen der Schwester (2), die er dieses Schuljahr unterrichtet, interferiert. Es kann also sein, dass er sich den Namen der Schwester (2) einprägt und ihm dabei der Name von Schwester (1) komplett entfällt (retroaktive Interferenz).
Andersherum ist es möglich, dass der Name von Schwester (1) das Erlernen des Namens von Schwester (2) überlagert und erschwert (proaktive Interferenz).
Spurentransformationstheorie
Die Spurentransformationstheorie fasst alle Gedächtnisprozesse als aktive Prozesse auf, bei denen die im Gedächtnis gespeicherte Information transformiert oder verzerrt wird. Konkret bedeutet das, dass sich Gedächtnisspuren im Gehirn mit der Zeit reorganisieren und verändern. Dadurch soll die Gedächtnisspur stabiler gemacht und an andere Gedächtnisstrukturen angeglichen werden.
Es entstehen sogenannte Schemata. Alles, was nicht in oder zu einer anderen Gedächtnisstruktur (Schemata) passt, geht verloren. Wie eine solche Verzerrung oder Transformation von gespeicherten Informationen aussehen kann, veranschaulicht dieses Beispiel:
Wenn Du auf der Suche nach Pilzen oder Beeren bist, kannst Du Dich entweder an die Orte erinnern, in denen Du bereits in der Vergangenheit welche gefunden hast, oder Du leitest Dir aus bereits vorhandenen Gedächtnisinhalten (Schemata) eine Regel ab, wo das Wachsen von Pilzen und Beeren zu erwarten ist (z. B. an schattigen Stellen, an feuchten Stellen, usw.).
Zum einen kann nun durch die Reorganisation die Erinnerung an die Stelle des Vorjahres falsch oder verzerrt sein. Zum anderen kann auch die gezogene Schlussfolgerung falsch sein, wenn die tatsächliche Erinnerung mit der Regel interferiert.
Unter einem Schema versteht man eine organisierte Wissensstruktur des Gedächtnisses. Schemata bilden den Grundbaustein des menschlichen Wissens.
- Durch Schemata werden Begriffe und Wissen miteinander verknüpft.
- Beispielsweise für eine bestimmte Handlung sind Schemata eine Art "Geistesvorlage".
- Jeder Mensch besitzt individuelle Schemata, in denen nach bestimmten Regeln Objekte und Ereignisse eingeordnet werden können.
Verdrängungstheorie
Während der Spurenzerfall, die Interferenztheorie und die Spurentransformationstheorie automatische Prozesse des Vergessens von Gedächtnisinhalten darstellen, auf die der Mensch keinen Einfluss hat, handelt es sich bei der Verdrängung um einen bewussten Prozess.
Dieser dient dem Schutz vor unangenehme Erinnerungen, indem wir sie aus unserem Bewusstsein verbannen. Somit ist die Verdrängung ein Abwehrmechanismus, der uns vor schmerzhaften und belastenden Erinnerungen bewahrt.
Es muss sich jedoch nicht immer um ein dramatisches Ereignis handeln, damit es verdrängt werden kann. Vielmehr kommt es auf die persönliche Relevanz an. So kann zum Beispiel auch ein sehr peinliches Erlebnis dazu führen, dass es ins Unterbewusstsein geschoben wird. Oder etwas, dass von der Gesellschaft tabuisiert ist, wie zum Beispiel:
Du bist in den Partner Deines besten Freundes verliebt. Da Dir Deine Freundschaft jedoch sehr wichtig ist und Du weißt, dass es moralisch verwerflich wäre, Deinem Schwarm Deine Gefühle zu gestehen, verdrängt Dein Unterbewusstsein diese, sodass Du sie eventuell nicht mehr wahrnimmst.
Wenn Du mehr über den Prozess der Verdrängung erfahren möchtest, schaue Dir die Erklärung "Verdrängung Psychologie" an!
Vergessen als Verlust des Zugangs
Die Theorie des Verlustes des Zugangs geht davon aus, dass zwar Informationen, die einmal gespeichert wurden, immer im Gedächtnis bleiben, jedoch passende Abrufhinweisreize fehlen können. Infolgedessen kann die Information nicht mehr abgerufen werden.
Das heißt, wir haben etwas nicht vergessen, sondern können schlichtweg nicht mehr auf die Erinnerung zugreifen. Dadurch haben wir den Eindruck, die Information bzw. Erinnerung vergessen zu haben.
Typische Abrufhinweisreize sind zum Beispiel:
- Gerüche (z. B. Meeresbrise, die einen an den letzten Urlaub erinnert)
- Stimmen
- Orte
- Zeichnungen/Fotos
- Gegenstände
Falls Du mehr über Fehler bei der Speicherung erfahren möchtest, schaue Dir die entsprechende Erklärung zu "Enkodierungsfehler" an.
Spurenzerfallstheorie - Das Wichtigste
- Der Speicherzerfall bzw. Spurenzerfall ist das graduelle (= in kleinen Schritten/ langsam) und passive Verblassen einer physischen Erinnerungsspur aus dem Gedächtnis.
- Durch Übung und Wiederholung kann dem Spurenzerfall entgegengewirkt werden.
- Die Ebbinghaus'sche Vergessenskurve zeigt, dass Vergessen vor allem in den ersten Minuten und Stunden stattfindet.
- Neben dem Spurenzerfall können Informationen und Erinnerungen gemäß anderer Theorien aber auch verdrängt, in ihrem Abruf gestört oder voneinander beeinflusst werden.
Lerne schneller mit den 4 Karteikarten zu Spurenzerfallstheorie
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Spurenzerfallstheorie
Was ist Speicherzerfall?
Der Speicherzerfall ist das graduelle (= in kleinen Schritten/langsam) und passive Verblassen einer physischen Erinnerungsspur aus dem Gedächtnis.
Was besagt die Spurenzerfallstheorie?
Die Spurenzerfallstheorie (trace-decay-theorie) besagt, dass Erlerntes und Angeeignetes mit der Zeit einfach verschwindet. Je länger wir etwas Gelerntes nicht gebrauchen und uns in Erinnerung rufen, desto größer ist der Zerfall. Die Menge des Vergessenen ist somit Maß für den Spurenzerfall im Gedächtnis.
Wie kann dem Spurenzerfall entgegengewirkt werden?
Dem Spurenzerfall kann durch Wiederholung und Übung entgegengewirkt werden, indem das Gelernte in regelmäßigen Abständen wieder in Erinnerung gerufen wird. Dadurch wird die Gedächtnisspur gestärkt.
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