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Diese Besonderheit der menschlichen Denkfähigkeit und die Intelligenz im Allgemeinen haben bereits viele Theorien und Modelle hervorgerufen. Ein Beispiel dieser Erklärungsansätze stellt das Primärfaktoren-Modell nach Thurstone dar.
Intelligenzmodell von Thurstone
Der US-amerikanische Psychologe und Ingenieur Louis Leon Thurstone, der Entwickler des Primärfaktoren-Modells, lehnte den Gedanken eines einzigen übergeordneten Intelligenzfaktors ab. Dieser übergeordnete Intelligenzfaktor wurde von seinen Kollegen Charles Spearman und Raymond Bernard Cattell als der g-Faktor in die Intelligenzforschung eingeführt.
Du möchtest mehr zum g-Faktor erfahren? Dann klick Dich in die Zusammenfassung zur "Zwei-Faktoren-Theorie".
Anders als Spearman und Cattell betrachtete Thurstone Intelligenz allerdings, wie in der Abbildung 1 zusehen ist, als eine Sammlung unterschiedlicher, voneinander unabhängiger Faktoren von Intelligenz. Diese Faktoren der Intelligenz zielen auf verschiedene Ausprägungen oder auch Fähigkeiten ab, mit denen die menschliche Intelligenz gemessen und zusammengefasst werden sollte. So kommt es vor, dass Aufgaben in Intelligenztests mehrere Faktoren des Primärfaktoren-Modells der Intelligenz ansprechen. Wie in der Abbildung 1 zu sehen ist, können die Faktoren 1 und 3 zum Beispiel mit Test 2 getestet werden.
Um Dir das Konstrukt des Intelligenzmodells von Thurstone klarer zu veranschaulichen, findest Du hier ein Beispiel:
Stell Dir vor, Du machst einen Intelligenztest. Im zweiten Abschnitt des Testes geht es darum, einen Text zu lesen, zu verstehen und anschließend Rechtschreibfehler oder Grammatikfehler zu verbessern. So kann dieser eine Test zwei voneinander unabhängige Faktoren des Primärfaktoren-Modells abfragen. Ein Test, in dem man einen Lückentext vervollständigen soll, kann so den Primärfaktor Wortflüssigkeit und den Primärfaktor Sprachverständnis gleichzeitig testen.
Thurstones Primärfaktoren-Modell
Das Primärfaktoren-Modell setzt sich aus insgesamt sieben Faktoren zusammen, die Thurstone mithilfe der multiplen Faktorenanalyse definiert hat. Die multiple Faktorenanalyse ist ein Verfahren, das ebenfalls von Thurstone entwickelt wurde.
Multiple Faktorenanalyse
Eine Faktorenanalyse ist ein Verfahren, das in der multivariaten Statistik angewendet wird, um auf eigentlich nicht beobachtbare Ursachen von Verhalten schließen zu können. Im Gegensatz zu uni- und bivariaten Verfahren untersucht die multivariate Statistik die Zusammenhänge zwischen mehr als zwei Variablen, also zwischen drei und mehr Variablen.
Konstrukte wie Intelligenz oder Ehrgeiz sind nicht direkt beobachtbar, werden aber als Ursache für bestimmte Verhaltensweisen gesehen. Dabei können sich Faktorenanalysen auf ein bis zwei Variablen konzentrieren oder aber, wie in der multiplen Faktorenanalyse, mehr als zwei Faktoren umfassen.
Dadurch, dass die Intelligenz eines Menschen in dem Primärfaktoren-Modell in verschiedene Faktoren unterteilt wird, gibt es auch speziell für dieses Modell zugeschnittene Intelligenztests. Bei diesen Intelligenztests kommen mehrere Intelligenzquotienten (IQ) heraus, anders als beim klassischen Intelligenztest. Bei den Intelligenztests, die auf das Primärfaktoren-Modell ausgelegt sind, bekommt man also für jeden Faktor einen eigenen Intelligenzquotienten. Die Ausprägungen des Intelligenzquotienten in den einzelnen Faktoren können laut Thurstone unterschiedlich sein, das heißt, dass ein Faktor nur schwach ausgeprägt sein kann, dafür ist ein anderer Faktor stärker ausgeprägt. Hier ein Beispiel:
Du weißt, dass deine Klassenkameradin Anna wirklich gut in Mathematik ist, sie aber dafür nicht ganz so gut in Deutsch oder Englisch abschneidet. Dein Mitschüler Alexej ist dafür super in Sprachen und Mathematik kann er auch relativ gut. Dafür weißt du, dass er nicht gut auswendig lernen kann und Dinge schnell vergisst. Trotzdem sind sie beide gut in der Schule und schreiben gute Noten.
Die beiden haben nach dem Modell von Thurstone eine unterschiedliche Ausprägung der einzelnen Primärfaktoren: Anna hat eine hohe Ausprägung der Rechenfähigkeit, dafür ist ihr sprachliches Verständnis nicht so stark. Bei Alexej ist es genau umgekehrt, er hat eine hohe Ausprägung im Sprachverständnis, dafür ist seine Rechenfähigkeit nicht so stark.
Wenn Du mehr zu Intelligenztests und den Intelligenzquotienten erfahren willst, guck Dir die Zusammenfassung zur "Intelligenzmessung" an.
Die sieben Primärfaktoren der Intelligenz
In der nachfolgenden Tabelle sind die sieben Primärfaktoren nach Thurstone übersichtlich zusammengestellt. Neben den Namen der Primärfaktoren bekommst Du gleichzeitig eine Übersicht darüber, was genau in diesem Primärfaktor getestet wird, also worauf sich der Faktor eigentlich bezieht und wie die Faktoren getestet werden.
Primärfaktor | Was wird getestet? | Wie wird es getestet? |
space | räumliches Vorstellungsvermögen |
|
perceptual speed | Auffassungsgeschwindigkeit |
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numerical ability | Rechenfähigkeit |
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memory | Gedächtnisleistung |
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reasoning | logisches Schlussfolgern |
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word fluency | Wortflüssigkeit |
|
verbal relations | Sprachverständnis |
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Kritik zum Primärfaktoren-Modell nach Thurstone
Ein Modell wie das von Thurstone, das so gegenteilig zu den zuvor aufgestellten Modellen von Spearman und Cattell ist, musste sich auf Kritik gefasst machen. Ursprünglich ging Thurstone davon aus, dass die oben erklärten Primärfaktoren voneinander unabhängig sind. Diese Annahme wurde jedoch von einigen Forscher*innen mit verschiedenen Intelligenztests widerlegt.
Zwischen den Faktoren besteht ein schwacher Zusammenhang, der auf das methodische Vorgehen in der multiplen Faktorenanalyse zurückzuführen ist. Einen Grund für den schwachen Zusammenhang der Faktoren sehen Forscher*innen in einem übergeordneten Intelligenzfaktor. Einen solchen Faktor beschreiben Spearman und Cattell in ihren Modellen als g-Faktor.
Nach dieser Kritik wurde das Intelligenzmodell von Thurstone selbst angepasst und die Zusammenhänge der Faktoren mit einem übergeordneten Intelligenzfaktor erklärt. Wie das Modell nach der Anpassung aussieht, kannst Du in Abbildung 2 sehen. Dabei ist der übergeordnete Intelligenzfaktor durch die Verbindungen der einzelnen Faktoren eingezeichnet.
Die neuen Verbindungen zwischen den einzelnen Faktoren, die in Abbildung 2 dazugekommen sind, sollen zeigen, dass die Faktoren nicht, wie von Thurstone ursprünglich angenommen, komplett voneinander unabhängig sind. Über allem steht der allgemeine Intelligenzfaktor, der alle anderen Faktoren beeinflusst.
Thurstone Primärfaktoren – Das Wichtigste
- Im Primärfaktoren-Modell nach Thurstone gibt es keinen übergeordneten Intelligenzfaktor
- kein g-Faktor wie bei Spearman und Cattell
- Thurstone unterscheidet in seinem Modell sieben voneinander unabhängige Faktoren
- space: räumliche Vorstellung
- perceptual speed: Auffassungsgeschwindigkeit
- numerical ability: Rechenfertigkeit
- memory: Gedächtnisleistung
- reasoning: logisches schlussfolgern
- word fluency: Wortflüssigkeit
- verbal relations: Sprachverständnis
- Jeder der Faktoren zielt auf einen anderen intellektuellen Leistungsbereich ab.
- Kritik: Faktoren haben einen schwachen Zusammenhang, der jedoch mit einem übergeordneten Intelligenzfaktor erklärt werden kann.
- Auf Basis der Kritik überarbeitete Thurstone sein ursprüngliches Modell.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Thurstone Primärfaktoren
Was sind die Primärfaktoren nach Thurstone?
Die sieben Primärfaktoren nach Thurstone sind:
- Räumliches Vorstellungsvermögen (space)
- Auffassungsgeschwindigkeit (perceptual speed)
- Rechenfähigkeit (numerical ability)
- Gedächtnisleistung (memory)
- Logisches Schlussfolgern (reasoning)
- Wortflüssigkeit (word fluency)
- Sprachverständnis (verbal relations)
Was ist das Primärfaktoren Modell?
Das Primärfaktoren Modell ist ein Modell zur Erklärung von Intelligenz. Es besagt, dass Intelligenz in sieben voneinander unabhängigen Primärfaktoren gemessen werden kann.
Wer war Louis Thurstone?
Louis Leon Thurstone war ein US-amerikanischer Ingenieur und Psychologe.
Er lebte von 1887 bis 1955 und ist in der Psychologie heute noch bekannt für seine multiple Faktorenanalyse und dem Primärfaktoren Modell der Intelligenz.
Was ist das Intelligenzmodell nach Thurstone?
Das Intelligenzmodell von Thurstone ist das Primärfaktorenmodell. Das Modell basiert auf seiner multiplen Faktorenanalyse und definiert sieben Primärfaktoren, mit denen Intelligenz gemessen werden kann.
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