Kognitivistisch beschreibt hier alles, was das Wahrnehmen, Denken und Erkennen betrifft. Wenn Du auch über die anderen kognitivistischen Bewertungstheorien etwas lernen willst, klick die Erklärungen der "Bewertungstheorien" und der "Emotionstheorie von Lazarus" an!
Zwei Faktoren Theorie von Schachter – einfach erklärt
Die Zwei-Faktoren-Theorie wurde von dem US-amerikanischen Sozialpsychologen Stanley Schachter im Jahr 1964 aufgestellt und nimmt gemäß der kognitiven Bewertungstheorien an, dass Emotionen und kognitive Bewertung zur Bildung von Emotionen zusammenspielen. Außerdem geht die Theorie davon aus, dass die Emotionsbildung von einem zweiten Faktor abhängig ist, der sogenannten physiologischen Erregung.
Emotionen beruhen laut Schachters Theorie also auf folgenden zwei Faktoren:
- der physiologischen Erregung und
- der kognitiven Bewertung
Nach Schachter ist das Empfinden körperlicher Veränderungen, also der physiologischen Erregung, wie Herzklopfen oder Zittern, zwar notwendig für das Erleben von Emotionen, allerdings ist die körperliche Reaktion nicht ausreichend für das Bilden von Emotionen. Seiner Auffassung nach, macht die physiologische Erregung erst in Kombination mit dem zweiten Faktor, der kognitiven Bewertung der Situation, die Emotion aus. Dazu ein Beispiel:
Du bist am Flughafen auf dem Weg in einen lang geplanten Urlaub. Auf dem Weg ins Flugzeug merkst Du, dass Dein Herz schneller schlägt und Deine Hände schwitzig werden. Diese Situation kannst Du auf zwei unterschiedliche Arten bewerten. Entweder Du bewertest die körperlichen Symptome als Angst, weil Du vielleicht unter Flugangst leidest, oder Du bewertest die Symptome als Aufregung, weil Du Dich freust, dass es endlich losgeht.
Wie Du siehst, können sich aus den gleichen physiologischen Erregungen (Herzrasen und schwitzige Hände) unterschiedliche Emotionen ausbilden, je nachdem wie die Situation kognitiv bewertet wird.
Schachter entwickelte auf Basis dieser Erkenntnis drei Grundannahmen in Bezug auf die physiologische Erregung und die kognitive Bewertung. Die Annahmen der Zwei-Faktoren-Theorie lauten:
- Ein Zustand physiologischer Erregung ohne unmittelbare Erklärung führt dazu, dass eine Person ihre Gefühle mithilfe der ihr zur Verfügung stehenden kognitiven Mittel beurteilt.
- Eine bekannte physiologische Erregung, für die es eine passende Erklärung gibt, benötigt keine weiteren kognitiven Anstrengungen mehr.
- Eine emotionale Reaktion bzw. Emotion entwickelt sich nur, wenn physiologische Erregung und kognitive Bewertung zusammentreffen.
Laut Schachter kann nicht von Emotionen gesprochen werden, wenn in einer Situation nur die kognitive Bewertung, wie der bloße Glaube in Gefahr zu sein, gegeben ist, aber keine körperliche Erregung vorliegt. Wie zum Beispiel in folgender Situation:
Du denkst an eine Situation, in der Du von einem Bären bedroht wirst, bist aber nicht tatsächlich in der Situation, dass Du vor einem Bären stehst. Du warst auch noch nie in der Situation. Deshalb hast Du keinerlei körperliche Symptome von Angst. Hier bildet sich laut Schachter also keine Emotion aus, da keine körperliche oder physiologische Erregung vorliegt.
Der umgekehrte Fall, dass nur eine physiologische Erregung ohne kognitive Bewertung stattfindet, ist nicht möglich, da laut der ersten Grundannahme von Schachter jede physiologische Erregung, zu der es noch keine unmittelbare Erklärung gibt, automatisch kognitiv bewertet wird.
Experiment zur Zwei Faktoren Theorie nach Schachter und Singer
Das Experiment zur Zwei-Faktoren-Theorie der Emotionen wurde von Stanley Schachter und Jerome Singer an der Columbia University durchgeführt. An dem Test nahmen 185 Proband*innen teil. Im Rahmen dieses Experiments wurden die Teilnehmer darum gebeten, an einer (angeblichen) Studie mitzuwirken, dass die Injektion eines Vitaminpräparats auf die Sehfähigkeit überprüfen sollte. Ihnen wurde vorsätzlich ein falsches Ziel des Experiments genannt und sie somit getäuscht.
Das Vorgeben von falschen Forschungszielen ist in der Psychologie weitverbreitet. So versuchen Forscher*innen das Verhalten der Proband*innen möglich unverfälscht zu erfassen. Anders könnten die Teilnehmer*innen ihr Verhalten in eine gewünschte Richtung verändern und die Testergebnisse wären unbrauchbar.
Versuchsaufbau des Experiments
Der Versuchsaufbau war nicht ganz einfach, denn in diesem Experiment unterlag die Situation innerhalb eines Durchlaufs drei verschiedenen Manipulationen.
- Manipulation: Bildung einer Versuchsgruppe und einer Kontrollgruppe
- Die Versuchsgruppe bestand aus 75 % aller Proband*innen. Die Versuchsgruppe bekam Adrenalin gespritzt, das körperliche Symptome wie Herzrasen, Zittern, erhöhte Durchblutung und beschleunigte Atmung hervorrufen kann.
- Der Kontrollgruppe hingegen wurde eine einfache Kochsalzlösung injiziert, die keine körperlichen Symptome auslöst.
- Manipulation: fand nur innerhalb der Versuchsgruppe statt
- Jeweils 1/4 der Versuchspersonen wurde entweder richtig über die Nebenwirkungen des Adrenalins (Herzrasen, Zittern, etc.), falsch über die Nebenwirkungen des Adrenalins (Juckreiz, Kopfschmerzen und Taubheitsgefühl) oder gar nicht über Nebenwirkungen informiert.
- Manipulation: fand erneut mit Versuchs- und Kontrollgruppe statt
- alle Proband*innen wurden mit einer eingeweihten Person konfrontiert, die entweder
- sehr euphorisch war und sich dementsprechend verhalten hat, indem sie unter anderem Papierflugzeuge gebastelt hat
- oder sie wurden mit einer Person konfrontiert, die verärgert war und die ihren Ärger offen aussprach
- Auch hier gab es wieder eine Abspaltung in zwei Gruppen, die Euphoriegruppe und die Ärgergruppe.
Versuchsablauf des Experiments
Der Versuchsablauf beginnt mit einem Vorgespräch, in dem den Proband*innen das angebliche Ziel des Experiments erläutert wurde und sie die Möglichkeit bekamen, aus dem Versuch auszusteigen. Im Anschluss wurde das Adrenalin und die Kochsalzlösung den jeweiligen Proband*innen injiziert. Nach der Injektion des angeblichen Vitaminpräparats wurden die Proband*innen einzeln in einen Warteraum gebracht, in dem sie 20 Minuten warten sollten, bis sie zum Sehtest aufgerufen werden. Hier wurde die zweite Manipulation der Situation durchgeführt, indem ein Teil der Versuchsgruppe richtig informiert, falsch informiert oder gar nicht über Nebenwirkungen informiert wurde. Auch die dritte Manipulation fand im Warteraum statt.
Zu den wartenden Proband*innen kam eine vom Versuchsleiter eingeweihte Person, die den Auftrag hatte, entweder euphorisch oder ärgerlich zu agieren. Dafür bekamen die Proband*innen und die eingeweihte Person Fragebögen gereicht. In diesem Fragebogen waren unter anderem die Fragen „Wie gut oder glücklich fühlen Sie sich augenblicklich?“ und „Wie gereizt, ärgerlich oder verletzt fühlen Sie sich?“ enthalten. Außerdem standen entweder sehr harmlose Fragen bei der Euphoriegruppe oder sehr sensible Fragen (wie unter anderem die Frage nach den Sexualkontakten der Mutter) in der Ärgergruppe in dem Fragebogen.
In der Euphoriegruppe verhielt sich die eingeweihte Person sehr ausgelassen, baute aus dem Fragebogen Papierflieger oder Türmchen, die sie mit Papierkugeln abwarf. In der Ärgergruppe äußerte die eingeweihte Person ihren Ärger über die unverschämten Fragen des Fragebogens durch wütendes Schnauben oder verärgerte Kommentare.
Die Situation im Wartezimmer konnte von den Versuchsleitern mithilfe eines Einwegspiegels beobachtet und so das Verhalten der Proband*innen dokumentiert werden.
Den Einwegspiegel kennst Du bestimmt aus diversen Polizeifilmen oder TV-Serien. Diese Spiegel sehen auf der einen Seite aus wie ganz normale Spiegel, von der anderen Seite kann man jedoch durch sie, wie durch ein Fenster, in den anderen Raum sehen.
Ergebnisse des Experiments
Nach der Theorie von Schachter müssten die Proband*innen, die entweder falsch oder gar nicht über Nebenwirkungen informiert wurden, eine Erklärung auf die physiologische Erregung durch das Adrenalin (Herzrasen etc.) suchen. Die Erklärung müsste in Abhängigkeit des Verhaltens der eingeweihten Person ebenfalls euphorisch oder ärgerlich sein.
Tatsächlich ergaben die Auswertungen der Fragebögen unterschiedliche Ergebnisse. Die Proband*innen der "nicht informierten"- Gruppe und der "falsch informieren"-Gruppe fühlten sich während der Wartezeit ärgerlich, wenn die verärgerte Person mit im Raum war oder albern, wenn die euphorische Person im Raum war. Die Proband*innen der "richtig informierten"-Gruppe hingegen haben ihre Emotionen nicht durch die eingeweihte Person beeinflussen lassen. Das liegt daran, dass sie die körperlichen Symptome der richtigen Ursache, also der Injektion, zuordnen konnten.
In der Kontrollgruppe zeigten sich allerdings zum Teil leichte Emotionsveränderungen, die aber nicht so ausgeprägt waren, wie die Veränderungen in den Versuchsgruppen. Diese Ergebnisse wurden als nicht signifikant eingestuft.
Wenn Ergebnisse als nicht signifikant eingestuft werden, bedeutet das, dass diese Ergebnisse nicht bedeutungsvoll genug sind, um eine Theorie als falsch zu bezeichnen. In der Zusammenfassung zu "Statistisches Testen" wird die Signifikanz von Testergebnissen genau erklärt.
Wie zu Beginn des Versuchsaufbaus bereits gesagt wurde, ist das Experiment zur Zwei-Faktoren-Theorie von Schachter ein wirklich kompliziertes Experiment. Zur Übersicht gibt es hier den Aufbau und die Ergebnisse des Experiments in Tabellenform.
Gruppen | Auswirkungen auf die Emotionen der Proband*innen |
Richtig informierte Gruppe |
euphorisch | eingeweihte Person hat keinerlei Einfluss auf die Emotionen der Proband*innen |
ärgerlich | eingeweihte Person hat keinerlei Einfluss auf die Emotionen der Proband*innen |
Falsch informierte Gruppe |
euphorisch | Proband*innen berichten, dass sie sich albern fühlten |
ärgerlich | Proband*innen berichten, dass sie sich ärgerlich fühlten |
Nicht informierte Gruppe |
euphorisch | Proband*innen berichten, dass sie sich albern fühlten |
ärgerlich | Proband*innen berichten, dass sie sich ärgerlich fühlten |
Kontrollgruppe |
euphorisch | Es kam zu leichten nicht signifikanten Emotionsveränderungen |
ärgerlich | Es kam zu leichten nicht signifikanten Emotionsveränderungen |
Kritik an der Zwei Faktoren Theorie
Im Laufe der Jahre wurde das Experiment von Schachter und Singer zur Zwei-Faktoren-Theorie immer wieder methodisch kritisiert, da bei Folgeexperimenten und Wiederholungsversuchen von anderen Wissenschaftler*innen nie dieselben Ergebnisse erzielt wurden, wie im ursprünglichen Experiment. In diesen Wiederholungen des Experiments berichteten die Proband*innen fast durchgehend negative Emotionen, egal, wie die Emotionen der eingeweihten Person aussahen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass physiologische Erregung nicht beliebig auf eine Emotion übertragen lassen kann.
Trotzdem trägt die zwei Faktoren Theorie ihren Teil zur Emotionsforschung bei. Denn dadurch, dass nur Teile der Grundannahmen von Schachter angenommen werden können, wurden andere Wissenschaftler angeregt, weiter auf dem Gebiet der kognitiven Emotionspsychologie zu forschen und neue Theorien zu schaffen.
Zwei Faktoren Theorie Schachter – Das Wichtigste
- Die Zwei-Faktoren-Theorie gehört zu den kognitivistischen Theorien der Emotionspsychologie
- Sie besteht auf zwei Faktoren
- physiologische Erregung (wie z. B. Herzrasen)
- kognitiver Bewertung ("Ich habe Herzrasen, weil ich Angst habe.")
- Körperliche Veränderungen sind in dieser Theorie notwendig zum Empfinden von Emotionen, aber erst die kognitive Bewertung und die Ursachenzuschreibung bilden die Emotion.
- Schachter formulierte drei Grundannahmen in seiner Zwei-Faktoren-Theorie:
- körperliche Erregung wird kognitiv bewertet
- körperliche Erregung, die schon kognitiv beurteilt wurde, muss nicht wieder bewertet werden
- Emotionen bilden sich nur, wenn physiologische Erregung und kognitive Bewertung zusammen auftreten
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Gabriel Freitas ist AI Engineer mit solider Erfahrung in Softwareentwicklung, maschinellen Lernalgorithmen und generativer KI, einschließlich Anwendungen großer Sprachmodelle (LLMs). Er hat Elektrotechnik an der Universität von São Paulo studiert und macht aktuell seinen MSc in Computertechnik an der Universität von Campinas mit Schwerpunkt auf maschinellem Lernen. Gabriel hat einen starken Hintergrund in Software-Engineering und hat an Projekten zu Computer Vision, Embedded AI und LLM-Anwendungen gearbeitet.
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