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Kulturpsychologie – Definition
Kulturpsychologie bezeichnet laut Definition ein fächerübergreifendes Wissenschaftsgebiet der Psychologie, das den Einfluss von Kultur und Psyche untersucht und erläutert, wie aus dieser wechselseitigen Beziehung Erfahrungen entstehen, die den Menschen beeinflussen. Die Kulturpsychologie beschäftigt sich mit den kulturellen Ursachen menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns. Wissenschaftler*innen dieses Gebiets vertreten die Position, dass sowohl die Kultur als auch deren Entwicklung einen wesentlichen Einfluss auf die Psyche des Menschen besitzen.
Die Kultur wird als ein entscheidendes Orientierungssystem für den Menschen und fester Bestandteil der menschlichen Psyche betrachtet, da Kultur und Psyche für die Kulturpsychologie untrennbar miteinander verbunden sind.
Was versteht man eigentlich unter Kultur? Je nach Forschungsbereich gibt es für diesen Begriff unterschiedliche Erklärungen. Da die Kulturpsychologie zwar, wie der Name schon sagt, zur Psychologie gehört, aber dennoch auch Überschneidungen mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen hat, werden Dir hier zusammengefasst die drei wichtigsten Erklärungen für diesen Begriff vorgestellt:
Psychologie: In der Psychologie versteht man unter dem Kulturbegriff die Gesamtheit der Verhaltensweisen, Einstellungen, Vorstellungen und Traditionen einer Bevölkerungsgruppe. Diese werden von einer Generation an die nächste überliefert.
Soziologie: In der Soziologie wird die Kultur als eine Art latenter und unbewusster Taktgeber des Tuns in der gesellschaftlichen Praxis verstanden. Jeder aus diesem Kulturkreis folgt diesen unsichtbaren kulturellen Mustern, ohne, dass man sich darüber verständigen muss. Erst wenn man sich anders verhält oder Kulturen miteinander vergleicht, werden diese latenten Muster sichtbar.
Philosophie: Das Wort Kultur stammt von dem lateinischen Wort cultura ab, abgeleitet von colere, was so viel bedeutet, wie bebauen, pflegen. In diesem Sinne sieht die Philosophie die Kultur als alles an, was der Mensch selbst gestaltet und hervorbringt und im Unterschied zu der von ihm nicht selbst geschaffenen und nicht veränderten Natur steht.
Eine Kulturleistung, also alles, was im Umfeld der Kultur zu deren Förderung und Entwicklung beiträgt, kann in der Architektur liegen, genauso in der Technik, Kunst, aber auch in den ideellen Werten wie Religion, Moral, Recht und Wissenschaft. Zur Kultur gehört alles, was für die Gemeinschaft sinnvoll ist und diese organisiert.
Kulturpsychologie – Themen und Forschungsbereiche
In der Kulturpsychologie konzentriert man sich darauf, herauszufinden, wie die Kultur die Menschen beeinflusst, die in ihr aufwachsen. Interessante Themen für die Forschungsbereiche sind vor allem Gewohnheiten und Bräuche von Kulturkreisen. Das bedeutet, die Kulturpsychologie versucht, mithilfe der Kultur zu erklären, warum sich eine Gruppe von Individuen auf eine bestimmte Art und Weise verhält.
Entstehungsgeschichte der Kulturpsychologie
Historisch betrachtet ist die Kulturpsychologie aus den Geistes- und Sozialwissenschaften entstanden. Erste Ansätze kulturpsychologischen Denkens in der westlichen Welt gab es allerdings schon zu Zeiten Isaac Newtons, dessen Auffassung des Menschen als einheitliches Wesen jedoch eher aus rein (natur-)wissenschaftlicher Sicht zu erklären war.
Diese Ansätze ebneten den Weg für eine Völkerpsychologie im 19. Jahrhundert, zu deren Vertretern z. B. unter anderem Wilhelm Wundt gehörte, der als Mitbegründer der Kulturpsychologie gilt. Neben einzelnen Versuchen, die Völkerpsychologie Wundts weiterzuführen, trugen insbesondere die Vertreter der kulturhistorischen Schule der sowjetischen Psychologie, darunter unter anderem Lew Wygotski, zu einer Entwicklung der Kulturpsychologie bei.
Isaac Newton (1643 - 1727) war ein englischer Physiker, er schrieb unter anderem die Lehre der Schwerkraft (Gravitationslehre) und wies die Zusammensetzung von Licht nach. Wilhelm Wundt (1832 - 1920) gilt als Begründer der Psychologie als eigenständige Wissenschaft und Mitbegründer der Kulturpsychologie.
Lew Wygotski (1896 - 1934) war ein russischer Psychologe und gilt als Mitbegründer, der in der sowjetischen Psychologie bekannt gewordenen Strömung der kulturhistorischen Schule.
Wirklich durchsetzen konnte sich die Kulturpsychologie erst in den späten 1980er-Jahren, nachdem die nordamerikanische cross–cultural psychology (Kulturvergleichende Psychologie) seit Ende der 1940er-Jahre bereits fester Bestandteil in der Forschung war. Heute wird zwischen der interpretativen Kulturpsychologie (cultural psychology) und der kulturvergleichenden Psychologie (cross–cultural psychology) unterschieden.
Weitere Forschungsrichtungen innerhalb der Psychologie, die sich mit dem Kulturthema befassen, sind die indigene Psychologie und die interkulturelle Psychologie. Die indigene Psychologie befasst und untersucht psychologische Konzepte, Theorien und Prinzipien aus dem Blickwinkel der jeweiligen Kultur und bezieht dabei soziale, ökologische und kulturelle Aspekte mit ein.
Die interkulturelle Psychologie beschäftigt sich mit der Analyse von psychischen Prozessen, ihren Bedingungen und Resultaten beim Aufeinandertreffen von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen.
Wenn Du Dich für die unterschiedlichen Ströme der Psychologie, wie z. B. "Psychoanalyse & Tiefenpsychologie", "Behaviorismus" oder die "Psychobiologie", interessierst, dann schau Dir die Erklärungen dazu an!
Kulturpsychologie – Grundannahmen
Der Begriff Kulturpsychologie steht für eine Vielfalt von theoretischen Ansätzen und methodischen Forschungsprogrammen. Es lassen sich jedoch drei Prinzipien nennen, die die Grundannahmen der theoretischen Basis bilden:
- Kulturpsychologie ist keine Subdisziplin der Psychologie, sondern eine allgemeine Perspektive auf alle Themen der psychologischen Forschung. Das heißt, alle psychischen Phänomene (Strukturen, Funktionen, Prozesse) werden abhängig von kulturellen Lebensformen und Praktiken betrachtet.
- Kulturpsycholog*innen gehen davon aus, dass die Kultur eine Art praktische Orientierungsfunktion für das Verhalten, Wissen, Denken und Verstehen darstellt, mithilfe dessen die Menschen ihrer Welt und ihrem Selbst Sinn und Bedeutung verleihen können.Jeder Mensch handelt, fühlt und denkt zeit seines Lebens in solch einem Netz an kulturellen Bedeutungen. Der Mensch kann dieses Netz zwar verändern oder teilweise wechseln, ist aber niemals in der Lage es vollständig zu verlassen. Vielfache Zugehörigkeiten zu Kulturen sind möglich und in komplexen Gesellschaften sogar zu erwarten, auch die damit entstehenden Konfliktpotenziale.
- Die Kulturpsychologie ist eine interpretative Wissenschaft. Die Forschungsmethoden bestehen also hauptsächlich aus qualitativen, interpretativen oder rekonstruktiven Methoden.
Die interpretativen und qualitativen Forschungsmethoden stehen im Gegensatz zu den quantitativen Forschungsmethoden. Darunter versteht man nicht statistische Methoden, wie z. B. Interviews oder teilnehmende Beobachtungen. Wenn Du mehr darüber erfahren möchtest, sieh Dir doch die Erklärung "Methoden zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse" an.
Die theoretischen und methodischen Instrumente werden in der Kulturpsychologie immer dem interessierenden Forschungsgegenstand angepasst. Das heißt, je nach Forschungsinteresse muss entschieden werden, welche qualitativen Methoden genutzt werden.
Auch quantitative Methoden werden oft als unterstützende Methoden einbezogen, machen aber nur einen kleineren Teil aus. Darin unterscheidet sich die Kulturpsychologie unter anderem von der kulturvergleichenden Psychologie.
Zusammengefasst lässt sich das Ziel der Kulturpsychologie folgendermaßen beschreiben: Die Untersuchung der Art und Weise, wie sich soziale Praktiken und kulturelle Traditionen im Verhalten und Erleben abzeichnen.
Kulturpsychologie – Beispiel
Es gibt viele Themen und Fragen, die im Bereich der Kulturpsychologie erforscht werden. Folgendes Beispiel soll Dir einen kurzen Einblick geben, welche Erkenntnisse aus der Kulturpsychologie bereits gewonnen werden konnten:
In der psychologischen Forschung wurden in den letzten Jahren hauptsächlich Erkenntnisse aus den sogenannten WEIRD-Populationen verwendet und als universelle Theorien auch auf andere Kulturen angewandt. Das Akronym WEIRD steht für western, educated, industrial, rich and democratic (westlich, gebildet, industrialisierte, reiche und demokratische) Bevölkerungsgruppen. Diese Bevölkerungsgruppen waren bisher in der Forschung stark überrepräsentiert.
Neuere Forschungen haben gezeigt, dass sich Kulturen beispielsweise in sozialen Werten und logischen Denken stark unterscheiden. Z. B. konnte aufgezeigt werden, dass Amerikaner, Kanadier und Westeuropäer, um Verhalten zu erklären und vorherzusagen, auf analytische Argumentationsstrategien zurückgreifen, die die Objekte und den Kontext voneinander trennen.
Diesen "fundamentalen Zuschreibungsfehler" oder die Tendenz, das Verhalten eines Menschen durch interne Persönlichkeitsmerkmale zu erklären, anstatt durch externe, situative Überlegungen, tritt laut Meinung der Forscher eher in WEIRD-Kulturen auf. Nicht WEIRD-Populationen schenken hingegen dem Kontext, in dem das Verhalten auftritt, tendenziell mehr Aufmerksamkeit.
Asiat*innen neigen etwa dazu, ganzheitlich zu argumentieren, indem sie das Verhalten einer Person in Bezug auf ihre Situation betrachten. Dabei kann jemandes Wut einfach das Ergebnis eines irritierenden Tages verstanden werden.
Kulturpsychologie – Vertreter
Einer der wichtigsten Vorreiter und Vertreter der Kulturpsychologie war Ernst E. Boesch (1916-2014). Besonders im Bereich der ökologischen Psychologie und Themen mit Hintergrund der geistes- und kulturgeschichtliche, brachte Boesch wichtige Impulse, auch wenn diese nicht zum Mainstream der Psychologie seiner Zeit gehörten.
Neben der Entwicklung einer eigenen symbolischen Handlungstheorie, gehörten Themen wie Sozialpsychologie, Mythen und Rituale sowie Entwicklungsplanung zu seinen Forschungsbereichen. Sein Fokus lag auf alltagspsychologischen Fragen und Phänomenen.
Boesch verstarb im Alter von 98 Jahren. Seit 2015 vergibt die Gesellschaft für Kulturpsychologie den Ernst-Eduard-Boesch-Preis für Verdienste um die Förderung und Verbreitung der wissenschaftlichen Kulturpsychologie.
Kulturpsychologie – Gesellschaft
Seit 2015 vergibt die Gesellschaft für Kulturpsychologie alle zwei Jahre den Ernst E. Boesch-Preis für Kulturpsychologie. Sie sind ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Förderung in Forschung und Lehre der kulturvergleichenden Psychologie und der wissenschaftlichen Kulturpsychologie einsetzt. 1986 gründeten Hans Wervik, Wilhelm Selber und Wilhelm Joseph Revers die Gesellschaft in Salzburg, wo sie bis heute noch ihren Sitz hat.
Die Gesellschaft bemüht sich um die Förderung der empirischen, theoretischen und angewandten Kulturpsychologie und Kulturvergleichenden Psychologie sowie die Verbreitung ihrer Erkenntnisse.
Unter empirisch versteht man so viel wie "aus der Erfahrung" oder "Beobachtung". Die Empirie ist die Sammlung von Daten mit methodisch–systematischen Methoden.
(Vergleichende) Kulturpsychologie vs. Kulturvergleichende Psychologie
Im Gegensatz zur (vergleichenden) Kulturpsychologie geht die klassische Kulturvergleichende Psychologie davon aus, dass die Kultur als eine externe, unabhängige Variable anzusehen ist. Dieser Forschungsbereich nimmt an, dass die Kultur und ihr Einfluss auf die Psyche über die Kulturgrenzen hinweg nachzuweisen ist und auf vorherbestimmte, naturwissenschaftliche Grundsätze zurückzuführen ist.
Die Kultur wird also als verhaltensbeeinflussende Variable verstanden. Das bedeutet, die Kulturvergleichende Psychologie untersucht, wie sich bestimmte Erlebnisse, Verhaltensweisen, Wertehaltungen und Einstellungen, sowie soziale Beziehungen z. B. unter verschiedenen kulturellen Rahmenbedingungen auftreten.
Die einfachste Herangehensweise dabei ist es, Menschen, die sich in Alter, Geschlecht, Bildung oder anderen relevanten Variablen ähnlich sind, aber unterschiedlichen ethnischen Gruppen angehören und/ oder an verschiedenen Orten der Welt leben, zu vergleichen. Der Vergleich erfolgt Hinblick auf das Verhalten, für das man sich interessiert. Folgendes Beispiel macht das Ganze etwas deutlicher:
Du möchtest zum Beispiel das Ausmaß an jugendlicher Aggression in Abhängigkeit vom kulturell geprägten Erziehungsstil untersuchen. Dabei ist die jugendliche Aggression die psychologische Variable und der kulturell geprägte Erziehungsstil die kulturelle Variable. Diese Einteilung ist wichtig für die statistische Erhebung.
Dafür nimmst du z. B. jeweils 100 Teilnehmer aus fünf unterschiedlichen Kulturkreisen. Je 100 Jugendliche aus Deutschland, Russland, Brasilien, China und Italien.
Wichtig ist es dabei, dass sich die Teilnehmer in Alter, Geschlecht und Bildung ähnlich sind. Mithilfe z. B. eines Fragebogens können die Ergebnisse schlussendlich miteinander verglichen werden.
Kulturpsychologie - Das Wichtigste
- Kulturpsychologie – Definition: Die Kulturpsychologie versucht mithilfe der Kultur zu erklären, warum sich eine Gruppe von Individuen auf eine bestimmte Art und Weise verhält. In der Kulturpsychologie wird die Kultur als fester Bestandteil der menschlichen Psyche verstanden.
- (Vergleichende) Kulturpsychologie vs. Kulturvergleichende Psychologie: Die (vergleichende) Kulturpsychologie und die Kulturvergleichende Psychologie sind zwei unterschiedliche Forschungsrichtungen der Psychologie.
- Kulturpsychologie – Grundannahmen: Die Kulturpsychologie ist eine interpretative Wissenschaft und nutzt hauptsächlich qualitative Forschungsmethoden.
- Kulturpsychologie – Vertreter: Einer der wichtigsten Vertreter war Ernst E. Boesch. Nach ihm ist auch der Ernst-Eduard-Boesch-Preis benannt.
Nachweise
- Mey; Mruck. (2010). Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- lexikon.stangl.eu: Kulturpsychologie. (27.05.2022)
- dorsch.hogrefe.com: Kulturpsychologie. (28.05.2022)
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Kulturpsychologie
Was ist Kulturpsychologie?
Kulturpsychologie ist ein fächerübergreifendes Wissenschaftsgebiet der Psychologie, das den Einfluss von Kultur und Psyche untersucht. Es erläutert, wie aus dieser wechselseitigen Beziehung Erfahrungen entstehen, die den Menschen beeinflussen. Die Kulturpsychologie beschäftigt sich mit den kulturellen Ursachen menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns.
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