Die Verhaltensgenetik gibt es als Forschungsgebiet noch nicht lange, daher sind noch nicht alle Fakten ganz eindeutig geklärt. In der Verhaltensgenetik überschneiden sich die Bereiche der Entwicklungsgenetik, Ethologie und Psychologie.
Molekulare Verhaltensgenetik
Man unterscheidet in der Verhaltensgenetik zwischen der quantitativen und der molekularen Verhaltensgenetik. Die quantitative Verhaltensgenetik befasst sich mit genetischen Einflüssen und Umwelteinflüssen auf die Verhaltensunterschiede, die sogenannte phänotypische Varianz.
Hier ist ein Beispiel zu den quantitativen Studien:
Zu den klassischen Zugängen der quantitativen Verhaltensgenetik gehören die Zwillings- und Adoptionsstudien, zu denen du weiter unten noch mehr erfährst.
Die molekulare Verhaltensgenetik bemüht sich dagegen um die Bestimmung spezifischer Gene, die den genetischen Einflüssen zugrunde liegen. Sie beschäftigt sich also auf einer tieferen Ebene mit Verhaltensunterschieden.
Hier ist ein Beispiel für die Untersuchungen in der molekularen Verhaltensgenetik:
Die molekulare Verhaltensgenetik verwendet sogenannte Linkage- oder Assoziationsstudien. Dabei werden genetische Variationen im Genom (= Gesamtheit aller Erbinformationen einer Zelle) mit Persönlichkeitsunterschieden in Verbindung gebracht. Somit lässt sich die Erblichkeit von Eigenschaften auf ihren Ursprung zurückverfolgen. Meist spielen Hunderte bis Tausende Gene eine Rolle.
Verhaltensgenetik Psychologie
Die Verhaltensgenetik hat eine lange Geschichte in der Psychologie, die bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht. Besonders wichtig für die Anfänge der Verhaltensgenetik sind der Begriff der Heritabilität (Erblichkeit) und die Erkenntnisse von Francis Galton. Galton gilt als einer der wichtigsten Naturforscher und Begründer der Verhaltensgenetik.
Heritabilität
Der Begriff der Heritabilität lässt sich folgendermaßen definieren:
Die Heritabilität ist ein Maß für die Erblichkeit bestimmter Eigenschaften, für die sowohl die Gene als auch die Umwelteinflüsse von Bedeutung sind.
Die Heritabilität ist grundsätzlich auf sämtliche genetischen Eigenschaften anwendbar, zum Beispiel auf körperliche Eigenschaften wie die Haarfarbe oder die Körpergröße.
Additive Effekte Genetik – Genetische Faktoren Beispiele
Die frühen Forschenden der Verhaltensgenetik untersuchten die Heritabilität von verschiedenen Verhaltensmerkmalen. Die Heritabilität gilt als Maß für den Anteil der Genetik, der zur Ausprägung eines Merkmals beiträgt. Diese Merkmale werden auch als additive Effekte bezeichnet. Es wird dabei gemessen, wie viel innerhalb einer Population auf genetische Faktoren zurückgeführt werden kann.
Das folgende Beispiel veranschaulicht dir das Prinzip der Heritabilität:
Entspricht beispielsweise die Heritabilität der Körpergröße ungefähr 0.69, kann daraus geschlussfolgert werden, dass 69 % der Unterschiede bezüglich der Körpergröße zwischen den Menschen innerhalb einer bestimmten Population auf genetische Faktoren zurückführbar sind.
Francis Galton
Der britische Naturforscher Francis Galton (1822—1911) veröffentlichte im Jahr 1869 die erste empirische Studie der menschlichen Verhaltensgenetik, die sich "Erbliches Genie" (Hereditary Genius) nannte. Galton wollte beweisen, dass die natürlichen Fähigkeiten des Menschen wie zum Beispiel Intelligenz vererbt werden.
Abb. 1: Francis Galton
Seine Untersuchungen bezogen sich dabei auf Verwandtschaftsstrukturen über Vererbung von Begabung und Talent. Er vermutete richtigerweise, dass die Ähnlichkeit unter Verwandten nicht ausschließlich durch die gemeinsamen Gene, sondern auch durch das gemeinsame Umfeld bedingt sein kann.
Verhaltensgenetik heute
Heutzutage besteht in der kognitiven Neurowissenschaft überwiegende Einigkeit darüber, dass nur wenige Gene im Einzelnen für eine bestimmte Funktion oder Eigenschaft verantwortlich sind und dass auch die Umwelt nicht allein die Entwicklung eines Individuums beeinflusst.
Mechanismen der Anlage-Umwelt-Wechselwirkung
Es gibt verschiedene Mechanismen, durch die sich genetische Veranlagung und die Umwelt gegenseitig beeinflussen können. Aktuell werden vier verschiedene Mechanismen der sogenannten Anlage-Umwelt-Wechselwirkung unterschieden:
- Epigenetische Mechanismen: Darunter wird der Einfluss von Umweltfaktoren darauf verstanden, ob bzw. wann es zur Genexpression kommt.
- Entwicklungskontext: Mit Entwicklungskontext ist das soziale Umfeld gemeint. In Umgebungen, die viele verschiedene Formen der Evolution zulassen, ist die Heritabilität hoch, weil sie jedem die gleiche Chance geben. In Entwicklungsumgebungen mit strengeren Normen und Regeln für akzeptiertes Verhalten ist die Heritabilität geringer.
- Anlage-Umwelt-Interaktion: Sie beschreibt, wie durch das Vorhandensein eines bestimmten Allels in Kombination mit einem Umwelteinfluss die Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Merkmal zu entwickeln, verringert oder erhöht wird.
Mit dem Begriff Allele sind unterschiedliche Varianten eines Gens gemeint. Menschen haben unterschiedliche Augenfarben, jedoch nur ein Gen, das die Augenfarbe bestimmt. Die verschiedenen Varianten des Gens, die verschiedene Menschen haben, sind die Allele.
- Anlage-Umwelt-Korrelation: Diese beschreibt den Einfluss des Genotyps eines Individuums darauf, mit welchen Umwelten es in Berührung kommt. Die Genotypen sind dabei nicht normal verteilt in Umwelten aufzufinden.
Mit dem Begriff Genotyp wird die Kombination von Erbanlagen bezeichnet, die hinter einem Merkmal eines Menschen stehen.
Die Epigenetik ist ein Teilgebiet der Biologie, das sich damit beschäftigt, welche Faktoren temporär die Aktivität von Genen und damit die Entwicklung von Zellen bestimmen. Die Epigenetik untersucht Veränderungen der Genfunktion, die nicht auf Veränderungen der DNA-Sequenz beruhen, aber dennoch an Tochterzellen weitergegeben werden.
Für die Anlage-Umwelt-Korrelation gibt es wiederum drei verschiedene Unterarten, die zeigen, wie sich Individuen auf Umwelten verteilen:
- Die passive Anlage-Umwelt-Korrelation, die sich auf den Effekt der elterlichen Umwelt bezieht und die sich das Individuum noch nicht selbst aussucht.
- Die reaktive Anlage-Umwelt-Korrelation, die sich auf die Aufnahme der Merkmale des Menschen durch andere Menschen in dessen Umfeld bezieht.
- Die aktive Anlage-Umwelt-Korrelation, die das eigenständige Aufsuchen oder Schaffen bestimmter Umwelten durch das Individuum betrifft.
Das folgende Szenario zeigt dir, wie genau diese Anlage-Umwelt-Korrelationen funktionieren:
Ein musikalisches Kind wird zum Beispiel entweder zuhause von den Eltern gefördert, mit denen es sich auch die Gene teilt (passive Anlage-Umwelt-Korrelation), oder aber von einer anderen Person im Umfeld, zum Beispiel von dem Musiklehrer (reaktive Anlage-Umwelt-Korrelation). Es kann sich aber auch selbst aktiv Freunde mit den gleichen Fähigkeiten bzw. den gleichen Hobbys suchen (aktive Anlage-Umwelt-Korrelation).
Epigenetik
Viele unserer Eigenschaften sind bereits in unseren Genen festgehalten. Sehr vieles nehmen wir allerdings durch unsere Umwelt und unser Umfeld auf.
Unser genetischer Bauplan legt bereits im Kindesalter einige Dinge fest, zum Beispiel unsere Augenfarbe, den Körperbau und die Neigung zu bestimmten Erkrankungen, Musikalität sowie Sportlichkeit. In gewisser Weise prägen genetische Faktoren auch unsere Intelligenz und Persönlichkeit. Es gibt beispielsweise junge Kinder, die sehr neugierig und offen auf alles Mögliche zugehen, während andere eher vorsichtig und zurückhaltend sind. Diese frühen Prägungen lassen sich allerdings formen.
Die Gene sind die Basis. Es kommt ganz darauf an, was wir daraus machen.
— Prof. Dr. Birgit Elsner, Leiterin der Abteilung Entwicklungspsychologie der Universität Potsdam
Methoden der Verhaltensgenetik
Die wichtigsten Methoden in der aktuellen Forschung zur Verhaltensgenetik sind die sogenannten Zwillingsstudien und die Adoptionsstudien. Diese leisten einen wichtigen Beitrag zur Klärung von genetisch bedingtem Verhalten.
Zwillingsstudien und Adoptionsstudien
Verhaltensgenetiker*innen haben zwei verschiedene Methoden zur Hand, die man auch kombinieren kann. Die heutige Forschung der Verhaltensgenetik untersucht Bevölkerungsgruppen in der Zwillingsforschung und in der Adoptionsforschung.
Durch die Zwillings- und Adoptionsforschung soll ermöglicht werden, Nature und Nurture, also "Anlage" und "Umwelt", voneinander zu trennen. Man erforscht, welche Unterschiede zwischen Zwillingen und adoptierten Geschwisterkindern genetisch bedingt oder aber auf Umweltbedingungen zurückzuführen sind.
Zwillingsstudien Verhaltensgenetik
In den Zwillingsstudien werden unterschiedliche Merkmale bei eineiigen Zwillingen untersucht, die getrennt aufgewachsen sind und somit in verschiedenen Umweltbedingungen leben. Eine andere Möglichkeit bietet der Vergleich bezüglich des untersuchten Merkmals zwischen miteinander aufgewachsenen eineiigen und zweieiigen Zwillingen. Sind sich die eineiigen Zwillinge im Vergleich zu den zweieiigen Zwillingen ähnlicher im Verhalten, kann dies für eine genetische Beeinflussung sprechen.
Auch dazu gibt es unten ein Beispiel zur Veranschaulichung:
Man erhebt bei den Zwillingen zum Beispiel, wie emotional labil sie sind. Sind sich die eineiigen Zwillinge in ihrer emotionalen Labilität ähnlicher als die zweieiigen, kann das für einen Einfluss der Genetik auf emotionale Labilität sprechen.
Wissenschaftler*innen können dann berechnen, welcher Anteil der Labilität man auf den genetischen Einfluss zurückführen kann. Bei emotionaler Labilität beträgt der genetische Anteil ca. 50 Prozent. Die Unterschiede, die Menschen in Bezug auf emotionale Labilität haben, gehen folglich zur Hälfte auf genetische Unterschiede zurück.
Abb. 2: Zwillinge
In den Adoptionsstudien soll dagegen betrachtet werden, ob das Adoptivkind den biologischen Eltern oder aber den Adoptiveltern im Verhalten ähnlicher ist. Mit den biologischen Eltern teilt sich das Kind die Gene, aber nicht die Umwelt. Mit den Adoptiveltern teilt sich das Kind auf der anderen Seite die Umwelt, aber nicht die Gene.
Verhaltensgenetik – Das Wichtigste
- Verhaltensgenetik Psychologie: Unter dem Begriff Verhaltensgenetik versteht man denjenigen Teilbereich der Genetik, der den Einfluss von Genen auf das Verhalten von Tieren und Menschen untersucht.
- Molekulare Verhaltensgenetik: Man unterscheidet in der Verhaltensgenetik zwischen der quantitativen und der molekularen Verhaltensgenetik.
- Heritabilität: Die frühen Forschenden der Verhaltensgenetik untersuchten die sogenannte Heritabilität von verschiedenen Verhaltensmerkmalen. Die Heritabilität gilt als Maß für den Anteil der Genetik, der zur Ausprägung eines Merkmals beiträgt.
- Additive Effekte Genetik: Nur wenige Gene im Einzelnen sind für eine bestimmte Funktion oder Eigenschaft verantwortlich und auch die Umwelt beeinflusst nicht alleinig die Entwicklung eines Individuums.
- Methoden der Verhaltensgenetik: Durch die Zwillings- und Adoptionsforschung soll ermöglicht werden, "Nature" und "Nurture", also "Anlage" und "Umwelt", voneinander zu trennen.
Nachweise
- Abb. 1 - Francis Galton - NPG (npg.org.uk) licensed under Public Domain
- Abb. 2 - Zwillinge by Luis Arias on Unsplash licensed under CC0 1.0 (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)
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Gabriel Freitas ist AI Engineer mit solider Erfahrung in Softwareentwicklung, maschinellen Lernalgorithmen und generativer KI, einschließlich Anwendungen großer Sprachmodelle (LLMs). Er hat Elektrotechnik an der Universität von São Paulo studiert und macht aktuell seinen MSc in Computertechnik an der Universität von Campinas mit Schwerpunkt auf maschinellem Lernen. Gabriel hat einen starken Hintergrund in Software-Engineering und hat an Projekten zu Computer Vision, Embedded AI und LLM-Anwendungen gearbeitet.
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