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Definition und Bedeutung des Homo Sociologicus
Homo Sociologicus bedeutet übersetzt soziologischer Mensch. Das Modell stammt von Ralf Dahrendorf. Nach dem Modell ist der Mensch von der Gesellschaft geprägt und muss bestimmte Werte und Erwartungen erfüllen. Das bedeutet, der Mensch hat verschiedene soziale Rollen in seinem alltäglichen Leben, mit denen wiederum verschiedene Werte und gesellschaftliche Erwartungen verbunden sind.
Die soziale Rolle beschreibt die Gesamtheit dieser Erwartungen an den Menschen und seine soziale Position.
Es beschreibt demnach nicht die Verhaltensweisen eines Individuums, sondern wie ein bestimmtes Verhalten zustande kommt. Die Erwartungen beziehen sich auf die Rolle, nicht auf einen bestimmten Menschen. Eine Person kann viele verschiedenen Rollen besetzen. Das heißt auch, er kann entscheiden, nach welcher Rolle er sein Verhalten richtet.
Du bist Schüler*in und bist nebenbei in einem Verein tätig. Das sind schon einmal zwei Rollen, an die gewisse Erwartungen geknüpft sind. Als Schüler*in sollst du den Anweisungen deiner Lehrer folgen und deine Hausaufgaben gewissenhaft erfüllen. In deinem Verein wird erwartet, dass du regelmäßig am Training und den Turnieren teilnimmst und dich in die Mannschaft einfügst. Zusätzlich hast du einen Vater und eine Mutter, die deine Unterstützung in Familienangelegenheiten möchten. Vielleicht hast du nebenbei auch einen Nebenjob, in dem du deine Aufgaben pünktlich und gewissenhaft erfüllen musst. Dann sind wir schon bei vier verschiedenen Rollen.
Weiter unten gibt es noch ein weiteres Beispiel dazu.
Diese Verhaltenserwartungen üben einen gewissen Zwang auf den Menschen aus. Weicht das Verhalten davon ab, wird das als etwas Negatives gesehen. Wer dagegen die Erwartungen erfüllt, wird in seinem Handeln bestärkt.
Der Mensch kann sich diesen Erwartungen schwer entziehen, da diese von der Gesellschaft ausgehen und nicht von Einzelnen bestimmt sind. Folglich hat ein Einzelner keinen Einfluss darauf. Das kann sogar so weit gehen, dass der Mensch anfängt, sich selbst dafür zu schämen, wenn er sich nicht an die Normen und Erwartungen hält. Laut Dahrendorf ist der Mensch den Erwartungen und Normen unterworfen, weshalb das Modell auch oft kritisiert wird.
Als Beispiel nehmen wir einen Vater der als Verkäufer arbeitet. Nebenbei ist er auch noch in einem Sportverein tätig und Ehemann. Daraus ergeben sich vier soziale Rollen, welche die Person einnimmt. Jede Rolle hat hierbei bestimmte Erwartungen und Werte, welche von der jeweiligen Bezugsgruppe gestellt werden und an die er sich halten muss.
Als Verkäufer wird von ihm erwartet, dass er pünktlich zur Arbeit erscheint und bei Kundenfragen immer hilfsbereit und freundlich ist. Als guter Vater soll er sich Zeit für die Kinder nehmen. Als Ehemann hat er ebenso Erwartungen gegenüber seiner Ehefrau zu erfüllen (Mithilfe im Haushalt, gemeinsame Paarzeit). Bei dem Sportverein, in dem er tätig ist, wird immer erwartet, dass er pünktlich kommt und jeden Sonntag bei einem Spiel seine Bestleistung gibt.
Hält er sich nicht an diese Erwartungen, könnte das zur Folge haben, dass die Kinder sich ständig beschweren und die Ehefrau enttäuscht ist. Die Kunden in dem Geschäft, in dem er arbeitet, beschweren sich über ihn und er wird irgendwann gekündigt. Wenn er im Verein nicht sein Bestes gibt, setzt ihn der Trainer ständig auf die Bank.
Dahrendorf spricht hier von der "ärgerlichen Tatsache der Gesellschaft". Damit ist der Zwang gemeint, den die Gesellschaft ausübt, und die Tatsache, dass man diesen Erwartungen nicht entfliehen kann.
Modell des Homo Sociologicus nach Dahrendorf
Wie bereits erwähnt geht das Modell des Homo Sociologicus auf den Soziologen Ralf Dahrendorf zurück. Er untersuchte die Beziehung zwischen Individuen und der Gesellschaft. Dabei stellte er sich die Frage, warum sich die Menschen in sozialen Situationen auf bestimmte Weise verhalten und welchen Einfluss dabei die Gesellschaft auf jeden einzelnen hat. So entstand das Modell des Homo Sociologicus.
Jeder Mensch gehört zur Gesellschaft und wird von dieser geprägt. Nach diesem Modell macht der Mensch das, was er machen soll. Das, was er machen soll, wird durch seine soziale Rolle vorgegeben. Hierbei wird der Mensch als Träger einer von der Gesellschaft vorgegebenen Rolle dargestellt.
Ein Lehrer nimmt einen bestimmten Platz in der Gesellschaft ein. Dem Lehrer werden bestimmte gesellschaftliche Wertvorstellungen und Verhaltensweisen vorgeschrieben. Er soll eine offene Einstellung gegenüber Schülern*innen haben und sich im Unterricht engagieren. Außerdem soll er angemessen gekleidet sein.
Hier spricht man auch von Rollenerwartungen.
Die Person des Ralf Dahrendorf
Bevor Du mehr über die Rollenerwartungen in Dahrendorfs Modell des Homo Sociologicus erfährst, sollst Du noch ein paar Informationen zur Person des Ralf Dahrendorf erhalten.
Sein voller Name lautet Ralf Gustav Dahrendorf. Er wurde 1929 in Hamburg geboren und starb 2009 in Köln. Der deutsch-britische Soziologe und Politiker war Mitglied des Deutschen Bundestages, der Europäischen Kommission und des britischen House of Lords. Dahrendorf war außerdem Direktor der London School of Economics and Political Science und Mitbegründer der Universität Konstanz.
Sein Vater war der SPD-Reichstagsabgeordnete Gustav Dahrendorf, welcher inhaftiert wurde, nachdem er gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte. Ralf Dahrendorf besuchte ein Gymnasium in Berlin und positionierte sich schon in jungen Jahren gegen den Nationalsozialismus. Als sein Vater im Zuge des Stauffenberg-Attentats 1944 festgenommen wurde, flog auch Ralf Dahrendorfs Engagement gegen das Nazi-Regime auf. Daraufhin sollte der damals 14-jährige Schüler in Gefängnis Frankfurt/Oder gebracht werden. Dies wurde aber aufgrund seines Alters abgelehnt. Stattdessen kam er in das Arbeitserziehungslager Schwetig. Dort blieb er bis zur Befreiung durch die Rote Armee 1945.
Ralf Dahrendorf studierte Philosophie und Philologie in Hamburg und betätigte sich später in der Politik. Er gehörte zunächst der SPD an, wo er bereits als Vordenker des Liberalismus galt. Später wechselte er zur FDP.
In seinen letzten Lebensjahren war er Forschungsprofessor am Wissenschaftszentrum Berlin und Vorsitzender der Jury zur Vergabe des Gerda-Henkel-Preises. Er erhielt viele Auszeichnungen und Preise im Laufe seines Lebens, wie beispielsweise den Prinz-von-Asturien-Preis oder den Schader-Preis.
Die drei Arten von Erwartungen
Nachdem Du nun einiges über Ralf Dahrendorf gelernt hast, erfährst Du hier, welche drei Arten von Rollenerwartungen er beim Modell des Homo Sociologicus unterscheidet. Diese sind:
- Kann-Erwartungen
- Soll-Erwartungen
- Muss-Erwartungen
Dabei sind jedoch nicht alle Erwartungen gleich wichtig. Je wichtiger einer Bezugsgruppe die Einhaltung der Erwartungen ist, desto härter wird die Nichteinhaltung sanktioniert.
Muss-Erwartungen
Muss-Erwartungen sind Erwartungen, welche zwingend erfüllt werden müssen. Oft sind diese gesetzlich geregelt und eine Nichteinhaltung mit einer gesetzlichen Strafe versehen.
Eine Muss-Erwartung ist die Achtung fremden Eigentums. Wer einem anderen eine Sache wegnimmt, um sie selbst zu behalten, wird wegen Diebstahls bestraft.
Soll-Erwartungen
Soll-Erwartungen sind ebenso streng einzuhalten wie Muss-Erwartungen, werden aber nicht gesetzlich bestraft. Eine Nichteinhaltung kann aber mit sozialen Sanktionen belegt werden.
Besucher*innen einer Bibliothek müssen sich ruhig verhalten. Wer sich an diesem Ort laut unterhält, muss damit rechnen, von anderen Besucher*innen darauf angesprochen oder gemaßregelt zu werden. Auch ein Verweis aus der Bibliothek ist denkbar.
Kann-Erwartungen
Kann-Erwartungen haben bei Nichterfüllung keine gesetzlichen und auch keine sozialen Folgen. Da diese Erwartungen keine Pflicht sind beziehungsweise nicht erwartet werden, wird nicht bemerkt, dass diese nicht eingehalten werden. Bemerkt werden sie eher, wenn sie eingehalten werden, was dann positive Reaktionen oder Anerkennung hervorruft.
Eine Frau möchte gerade mit einigen Büchern unter dem Arm ein Gebäude betreten. Der Mann, der in diesem Moment im Innenbereich an der Eingangstür vorbeikommt, hält der Dame die Tür auf. Wäre der Mann einfach weiter gegangen, hätte dies für ihn keinerlei Konsequenzen gehabt. Dadurch, dass er der Frau geholfen hat, wurde er jedoch als besonders höflich und hilfsbereit wahr genommen.
Intra- und Interrollenkonflikte
Beim Modell des Homo Sociologicus treffen immer wieder verschiedene Erwartungen von unterschiedlichen Seiten auf. Diese gesellschaftlichen Seiten werden auch Bezugsgruppen genannt. Wenn die Erwartungen der Bezugsgruppen gegensätzlich sind, kann es zu einem Rollenkonflikt kommen. Hier wird zwischen dem Intra- und dem Interrollenkonflikt unterschieden.
Ein Intrarollenkonflikt liegt vor, wenn es innerhalb einer bestimmten Rolle gegensätzliche Erwartungen gibt.
Von einem Lehrer erwarten die Schüler*innen (Bezugsgruppe 1) Verständnis für ihre Situation. Auf der anderen Seite verlangt die Schulleitung (Bezugsgruppe 2), dass der Lehrer streng im Unterricht ist. Der Lehrer befindet sich damit in einem Intrarollenkonflikt.
Egal, wie er sich dabei entscheidet, ist es wichtig, dass er den widerstreitenden Bezugsgruppen Feedback gibt, inwiefern er die eine Erwartung mehr annehmen möchte als die andere. Nur so können Konflikte langfristig aufgelöst werden.
Der zweite Rollenkonflikt, der auftreten kann, ist der Interrollenkonflikt.
Bei einem Interrollenkonflikt widersprechen sich die Erwartungen, die die Person in verschiedenen Rollen zu erfüllen hat.
Der Lehrer muss wegen der anstehenden Notenkonferenzen viele Überstunden machen (= Erwartungen an die Rolle als Lehrer). Gleichzeitig möchte sein Sohn gerne mit ihm zu einem Fußballspiel ins Stadion gehen (= Erwartungen an die Rolle als Vater).
Der Lehrer kann nicht beiden Rollen gerecht werden und gerät in einen Interrollenkonflikt.
Auch hier muss die vom Rollenkonflikt betroffene Person die eigenen Erwartungen mit in die Überlegungen einbeziehen und versuchen, einen Kompromiss zwischen den widerstreitenden Rollen zu finden.
Kritik am Homo Sociologicus
Wie bereits erwähnt wird das Modell oft kritisiert, da Dahrendorf der Meinung ist, dass der Mensch den Erwartungen und Normen unterworfen ist und sich diesen nicht wirklich widersetzen kann. Durch die Rollen, die ein Mensch laut dem Modell hat, werden persönliche Freiheit und Individualität aufgegeben. Dahrendorf spricht hier auch von "Entpersönlichung". Andere sind der Meinung, dass die Rollen nichts Fremdes sind, da sie erlernt werden und daher zum Menschen dazugehören. Das bedeutet, der Mensch kann sich mit den Rollen identifizieren.
Du solltest stets beachten, dass der Mensch nicht nur ein Homo Sociologicus ist beziehungsweise sein soll. Das Modell ist nur ein bestimmter Ausschnitt des Menschen, welcher analysiert und erfasst wurde.
Vielleicht hast Du auch schon einmal vom Homo Oeconomicus gehört. Auch das ist ein Modell, welches nur einen bestimmten Ausschnitt des Menschen erfasst und darstellt.
Der Homo Oeconomicus beschreibt dabei einen Menschen, welcher stets wirtschaftliche Ziele verfolgt und dabei immer rational handelt und denkt. Er handelt also immer zum eigenen Vorteil und will den eigenen Nutzen maximieren. Die wichtigsten Eigenschaften des Modells sind: die Rationalität, die Nutzenmaximierung, vollständige Markinformationen und die festgelegten Präferenzen.
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Homo Sociologicus - Das Wichtigste
- Homo Sociologicus = sozialer Mensch: jeder ist von der Gesellschaft geprägt und muss bestimmte gesellschaftliche Erwartungen erfüllen
- welche Erwartungen erfüllt werden sollen, hängt von der sozialen Rolle ab
- soziale Rolle = Gesamtheit aller Erwartungen, die an eine bestimmte gesellschaftliche Position geknüpft sind
- jeder Mensch spielt verschiedene Rollen (zum Beispiel Tochter/Sohn, Schüler*in, Bruder/Schwester)
- Modell stammt von Ralf Dahrendorf
- an die soziale Rolle werden unterschiedliche Erwartungen geknüpft
- Muss-Erwartung: Erfüllung zwingend, gesetzliche Sanktionierung bei Nichterfüllung
- Soll-Erwartung: Erfüllung sehr stark erwartet, aber keine gesetzliche Bestrafung sondern lediglich gesellschaftliche Sanktionierung bei Nichterfüllung
- Kann-Erwartung: Nichterfüllung fällt nicht weiter auf, Erfüllung der Erwartung fällt positiv auf
- die Erwartungen werden unterschiedlich gewichtet (Muss-Erwartung ist wichtiger als Kann-Erwartung)
- an die soziale Rolle werden unterschiedliche Erwartungen geknüpft
- durch die vielen verschiedenen Rollen kann es zu Intra- oder Interrollenkonflikte kommen
- Intrarollenkonflikt: gegensätzliche Erwartungen werden an ein und dieselbe Rolle gestellt
- Interrollenkonflikt: Erwartungen an eine Rollen widersprechen den Erwartungen an eine andere Rolle
- bei beiden Rollenkonflikten spielen auch die eigenen Erwartungen an die gesellschaftliche Position eine Rolle
- Kritische Auseinandersetzung mit dem Homo Sociologicus:
- Entpersönlichung: individuelle Freiheit wird durch die Unterwerfung unter eine Rolle aufgehoben
- Rollen werden aber in gewisser Weise erlernt und der Mensch identifiziert sich mit seiner vorgesehenen Rolle
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Homo Sociologicus
Was ist der Homo Sociologicus?
Der Homo Sociologicus ist ein Modell, dass das Verhalten des Menschen als gesellschaftliches Wesen analysiert. Das Modell wurde vom Soziologen Ralf Dahrendorf entwickelt.
Was sagt Ralf Dahrendorf über den Homo Sociologicus?
Ralf Dahrendorf untersuchte die Beziehung zwischen Individuen und der Gesellschaft. Er war der Meinung, dass jeder Mensch von der Gesellschaft geprägt wird und das macht, was ihm durch seine "soziale Rolle" vorgegeben wird.
Was versteht man unter sozialer Rolle?
Kurz gesagt umfasst die soziale Rolle die Gesamtheit aller Erwartungen an den Menschen und seine soziale Position. Die Erwartungen und Normen beziehen sich auf die Rolle. Ein Mensch kann viele Rollen haben.
Warum gibt es den Homo Sociologicus?
Der Homo Sociologicus ist ein Modell, welches einen Ausschnitt des Menschen erfasst und darstellt. Dabei geht es um die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft. Das Modell hilft, die sozialen Rollen eines Menschen zu verstehen.
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