Wissenschaftliche Grundlagen der Rechtspsychologie - Exam
Aufgabe 1)
Im Rahmen der Vorlesung 'Wissenschaftliche Grundlagen der Rechtspsychologie' wurde die Erklärung kriminellen Verhaltens durch verschiedene theoretische Ansätze untersucht.
- Biologische Theorien: genetische und neurophysiologische Faktoren
- Psychologische Theorien: Persönlichkeitsmerkmale und kognitive Prozesse
- Soziologische Theorien: gesellschaftliche Einflüsse und soziale Strukturen
- Theorie des sozialen Lernens: Kriminalität als erlerntes Verhalten
- Rational-Choice-Theorie: Kosten-Nutzen-Abwägungen
Basierend auf diesen Informationen, beantworte die folgenden Fragen:
a)
1. Die biologischen Theorien betonen genetische und neurophysiologische Faktoren bei der Entstehung kriminellen Verhaltens.
Diskutiere ausführlich, welche Rolle genetische Prädispositionen und neurophysiologische Anomalien in der Erklärung kriminellen Verhaltens spielen können. Gehe dabei auf mindestens zwei zentrale Studien oder Theorien ein, die einen Zusammenhang zwischen genetischen Faktoren und kriminellem Verhalten untersucht haben. Wie könnte die Identifikation solcher Faktoren in praktischen juristischen Kontexten verwendet werden?
Lösung:
Diskussion der Rolle genetischer Prädispositionen und neurophysiologischer Anomalien bei der Erklärung kriminellen Verhaltens:
Die biologischen Theorien fokussieren sich auf die Rolle, die genetische Prädispositionen und neurophysiologische Anomalien bei der Entstehung von kriminellem Verhalten spielen. Dies bedeutet, dass bestimmte genetische Merkmale und Gehirnstrukturen bzw. -funktionen eine Person anfälliger für kriminelles Verhalten machen können. Zwei zentrale Studien oder Theorien, die diese Zusammenhänge untersucht haben, sind:
- Lange (1929) - Zwillingsstudie: In einer der ersten systematischen Studien zu genetischen Einflüssen auf kriminelles Verhalten untersuchte Lange eine Zwillingspopulation und fand heraus, dass identische Zwillinge (monozygote Zwillinge) eine höhere Konkordanzrate für kriminelles Verhalten aufweisen als zweieiige Zwillinge (dizygote Zwillinge). Dies deutet darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen könnten.
- XYY-Syndrom: Diese Theorie stützt sich auf die Entdeckung, dass Männer mit einem zusätzlichen Y-Chromosom (XYY) häufiger in kriminellen Statistiken vertreten sind. Diese genetische Anomalie kann zu überschießendem Verhalten und einer Neigung zu krimineller Aktivität beitragen.
Die Identifikation solcher genetischen und neurophysiologischen Faktoren kann in praktischen juristischen Kontexten eine Vielzahl von Anwendungen finden:
- Früherkennung und Prävention: Menschen, bei denen genetische Prädispositionen für kriminelles Verhalten festgestellt werden, könnten frühzeitig psychologische und soziale Unterstützung erhalten, um risikobehaftetes Verhalten zu mindern.
- Mildernde Umstände: In Strafverfahren könnten solche genetischen und neurophysiologischen Faktoren als mildernde Umstände anerkannt werden, was zu einer differenzierteren Rechtsprechung führen könnte.
- Behandlung und Rehabilitation: Individuen mit nachgewiesenen neurophysiologischen Anomalien könnten gezielt behandelt werden, um Ursachen ihrer kriminellen Handlung zu adressieren, anstatt lediglich bestraft zu werden.
Zusammenfassend zeigen Untersuchungen und Theorien, dass genetische Prädispositionen und neurophysiologische Anomalien eine signifikante Rolle bei der Entstehung von kriminellem Verhalten spielen können. Die praktische Anwendung dieser Erkenntnisse kann zur informierten Entscheidungsfindung und verbesserten Rehabilitation im juristischen System beitragen.
b)
2. Die Rational-Choice-Theorie besagt, dass Menschen kriminelles Verhalten aufgrund einer Kosten-Nutzen-Abwägung an den Tag legen.
Stelle ein theoretisches Modell auf, das die Entscheidung zum Begehen von Kriminalität anhand der Rational-Choice-Theorie beschreibt. Verwende dabei eine mathematische Formel oder Gleichung, um diesen Entscheidungsprozess zu quantifizieren. Wie könnte dieses Modell verwendet werden, um präventive Maßnahmen zu entwickeln oder bestehende Gesetzgebungen zu überarbeiten?
Hinweis: Berücksichtige Variablen wie mögliche Gewinne (G), mögliche Kosten (C), die Wahrscheinlichkeit des Erwischtwerdens (P), und die zu erwartende Strafe (S).
Lösung:
Theoretisches Modell der Rational-Choice-Theorie zur Erklärung kriminellen Verhaltens:
Die Rational-Choice-Theorie besagt, dass Individuen kriminelles Verhalten an den Tag legen, wenn der erwartete Nutzen die erwarteten Kosten übersteigt. Um diesen Entscheidungsprozess zu quantifizieren, verwenden wir die folgende Gleichung:
Formel für die Kosten-Nutzen-Abwägung:
Formel: \[ E(U) = G - (P \times (C + S)) \]
Hierbei stehen die Variablen für:
- G: Gewinn oder Vorteil aus der kriminellen Handlung
- C: Kosten der Durchführung (z.B. Zeit, Aufwand, benötigte Ressourcen)
- P: Wahrscheinlichkeit des Erwischtwerdens
- S: Erwartete Strafe bei Erwischtwerden
Erklärung der Formel:
- G: Repräsentiert den möglichen Gewinn oder Vorteil, den eine Person durch die kriminelle Handlung erzielen kann.
- (P \times S): Multipliziert die Wahrscheinlichkeit des Erwischtwerdens mit der erwarteten Strafe, um das erwartete Risiko abzubilden.
- (P \times C): Multipliziert die Wahrscheinlichkeit des Erwischtwerdens mit den Kosten der Durchführung.
- E(U): Der erwartete Nutzen der Handlung (wenn E(U) positiv ist, könnte sich die Person dazu entscheiden, die Straftat zu begehen).
Anwendung des Modells für präventive Maßnahmen und Gesetzgebung:
- Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Erwischtwerdens (P): Verbesserte Überwachung, stärkere Polizeipräsenz und Einsatz moderner Technologien können dazu beitragen, das Risiko für Kriminelle zu erhöhen. Wenn P größer wird, reduziert sich der erwartete Nutzen E(U).
- Erhöhung der Schwere der Strafe (S): Strengere Gesetze und härtere Strafen können den erwarteten Nutzen minimieren. Eine höhere S bedeutet, dass der erwartete Nutzen E(U) ebenfalls geringer ausfällt.
- Reduktion der potenziellen Gewinne (G): Maßnahmen zur Verringerung der Attraktivität bestimmter krimineller Handlungen, wie z.B. durch die Beseitigung von Anreizen (G), können ebenfalls die Entscheidung zur Kriminalität beeinflussen.
- Erhöhung der Durchführungskosten (C): Indem man das Risiko der Durchführung einer Straftat erhöht (zum Beispiel durch bessere Sicherungsmaßnahmen), können auch die direkten Kosten C steigen, was E(U) ebenfalls reduziert.
Zusammengefasst ermöglicht das modellhafte Verständnis der Rational-Choice-Theorie eine zielgerichtete Entwicklung von präventiven Maßnahmen und die Überarbeitung von Gesetzgebungen, um die erwarteten Kosten für potenzielle Straftäter zu erhöhen und somit kriminelles Verhalten zu reduzieren.
Aufgabe 2)
Aussagepsychologie: Methoden der Wahrheitsfindung Du bist beauftragt, eine Aussageanalyse in einem strafrechtlichen Kontext durchzuführen. Die zu analysierende Aussage stammt von einem Zeugen, der angibt, einen Raubüberfall beobachtet zu haben. Um die Glaubwürdigkeit der Aussage zu beurteilen, wende die Methoden der Aussagepsychologie an, die du im Kurs 'Wissenschaftliche Grundlagen der Rechtspsychologie' an der Universität Erlangen-Nürnberg gelernt hast. Beachte dabei die folgenden Aspekte:
- Aussageanalyse: Detailreichtum, Konsistenz, logische Struktur
- Kriterienorientierte Inhaltsanalyse (CBCA): Standards zur Bewertung
- Kontextuelle Einbettung: Situationsbezogene Beurteilung
- Realitäts-Überprüfung: Plausibilität und Übereinstimmung mit Tatsachen
- Verhaltensbeobachtung: Körpersprache, Veränderungen
a)
Analyse des Detailreichtums und der Konsistenz: Beschreibe, welche Merkmale auf Detailreichtum und Konsistenz in der Aussage hinweisen könnten. Erläutere an Beispielen, wie diese Merkmale bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit einer Aussage helfen.
Lösung:
Analyse des Detailreichtums und der Konsistenz:Im Rahmen der Aussagepsychologie spielen Detailreichtum und Konsistenz eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage. Hier sind einige Merkmale, die auf Detailreichtum und Konsistenz hinweisen, sowie Beispiele, wie diese Merkmale bei der Bewertung helfen können:
- Detailreichtum:Eine wahrheitsgemäße Aussage enthält in der Regel viele spezifische und detaillierte Informationen. Diese Details sind oft schwer zu erfinden und können auf folgende Arten ausgedrückt werden:
- Konkrete Beschreibungen: Der Zeuge beschreibt beispielsweise spezifische Eigenschaften des Täters, wie Kleidungsstücke, Frisur oder markante Merkmale wie ein Tattoo. Zum Beispiel: „Der Täter trug eine rote Jacke mit einer weißen Kapuze und hatte ein auffälliges Tattoo am rechten Arm.”
- Spezifische Abläufe: Die Beschreibung des Hergangs des Raubüberfalls mit genauen Abläufen und zeitlichen Sequenzen. Zum Beispiel: „Zuerst öffnete der Täter die Kasse, dann griff er nach dem Geld und steckte es in seine Tasche, bevor er weglief.”
- Sensorische Details: Details, die sich auf Sinneseindrücke beziehen, wie Gerüche, Geräusche oder Lichtverhältnisse. Zum Beispiel: „Ich hörte ein lautes Geräusch, als der Täter die Kasse aufbrach, und es roch nach Rauch, weil er eine Zigarette rauchte.”
- Konsistenz:Eine konsistente Aussage zeichnet sich durch innere (in sich schlüssige) und äußere (im Einklang mit bekannten Tatsachen und anderen Aussagen stehende) Konsistenz aus:
- Innere Konsistenz: Die Aussage des Zeugen bleibt bei mehrmaligem Erzählen und bei Nachfragen in wichtigen Punkten gleich und es treten keine Widersprüche auf. Zum Beispiel: Wenn der Zeuge zunächst sagt, dass der Täter eine rote Jacke trug, und diese Angabe auch nach weiteren Befragungen beibehält, spricht dies für eine konsistente Aussage.
- Äußere Konsistenz: Die Aussage des Zeugen ist mit anderen verfügbaren Beweisen und Zeugenberichten vereinbar. Zum Beispiel: Wenn Überwachungsvideos ebenfalls einen Täter mit einer roten Jacke zeigen oder andere Zeugen unabhängig voneinander dasselbe beschreiben, unterstützt dies die Konsistenz der Aussage.
Zusammenfassung:Eine detaillierte und konsistente Aussage trägt erheblich zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit bei. Detailreichtum weist auf Erinnerungsgenauigkeit hin, während Konsistenz Widersprüche und Unstimmigkeiten minimiert. Beide Faktoren sind entscheidend, um die Wahrheit einer Zeugenaussage zu bewerten.
b)
Kriterienorientierte Inhaltsanalyse: Wende die CBCA-Standards zur Bewertung der Aussage an. Identifiziere mindestens fünf spezifische Kriterien und erläutere, wie diese auf die vorliegende Aussage angewendet werden können.
Lösung:
Kriterienorientierte Inhaltsanalyse (CBCA):Die Kriterienorientierte Inhaltsanalyse (CBCA) ist eine Methode zur Bewertung der Glaubwürdigkeit von Aussagen, insbesondere im strafrechtlichen Kontext. Hier werden spezifische Kriterien herangezogen, die bei der Analyse der Aussage helfen. Im Folgenden werden fünf spezifische CBCA-Kriterien erläutert und auf die vorliegende Zeugenaussage angewendet:
- 1. Logische Struktur:Eine glaubhafte Aussage sollte logisch aufgebaut sein und einen nachvollziehbaren Ablauf der Ereignisse darstellen. Beispielsweise könnte der Zeuge detailliert beschreiben, wie der Raubüberfall begann, welche Schritte der Täter unternahm und wie die Situation endete. Eine logisch strukturierte Aussage ohne sprunghafte Komponenten spricht für die Glaubwürdigkeit.
- 2. Unvorhergesehene Komplikationen:Eine glaubhafte Aussage enthält oft unerwartete Wendungen oder Zwischenfälle, die schwer zu erfinden sind. Der Zeuge könnte z.B. erwähnen, dass der Täter gestolpert ist oder dass ein unerwartetes Geräusch ihn erschreckt hat. Solche Details tragen zur Glaubhaftigkeit bei, weil sie realistische Aspekte der beobachteten Situation darstellen.
- 3. Unklares Motiv zum Lügen:Ein weiteres Kriterium ist die Überprüfung, ob der Zeuge ein klares Motiv zum Lügen hat. In der vorliegenden Aussage könnte untersucht werden, ob der Zeuge persönliche Vorteile davon hätte, die Wahrheit zu verdrehen. Fehlt ein solches Motiv, spricht das für die Glaubwürdigkeit der Aussage.
- 4. Interne Konsistenz:Innerhalb der Aussage sollte es keine wesentlichen Widersprüche geben. Wenn der Zeuge beispielsweise zunächst sagt, der Täter habe eine rote Jacke getragen, und diese Angabe auch bei wiederholten Befragungen beibehält, zeigt dies interne Konsistenz. Widersprüche oder inkonsistente Details würden dagegen die Glaubwürdigkeit mindern.
- 5. Kontextuelle Einbettung:Eine glaubhafte Aussage sollte in einen nachvollziehbaren Kontext eingebettet sein. Der Zeuge könnte etwa beschreiben, warum er zur fraglichen Zeit am Tatort war und welche anderen Umstände dazu führten, dass er den Raubüberfall beobachten konnte. Beispielsweise könnte er sagen: „Ich war gerade auf dem Weg zur Arbeit und bin deshalb früher als sonst durch diese Straße gegangen.”
Zusammenfassung:Die Anwendung der CBCA-Standards hilft dabei, die Glaubwürdigkeit einer Aussage systematisch und objektiv zu bewerten. Indem die Aussage anhand der Kriterien „Logische Struktur”, „Unvorhergesehene Komplikationen”, „Unklares Motiv zum Lügen”, „Interne Konsistenz” und „Kontextuelle Einbettung” analysiert wird, lässt sich besser einschätzen, ob die Schilderungen des Zeugen glaubhaft und wahrheitsgetreu sind.
c)
Kontextuelle Einbettung und Realitäts-Überprüfung: Untersuche die Aussage des Zeugen im Kontext der vorliegenden Beweislage und überprüfe deren Plausibilität und Übereinstimmung mit den bekannten Fakten. Gehe dabei auch auf mögliche externe Einflüsse (z.B. Medienberichte, Polizeibefragungen) ein, die die Aussage beeinflusst haben könnten.
Lösung:
Kontextuelle Einbettung und Realitäts-Überprüfung:Bei der Untersuchung der Aussage eines Zeugen ist es wichtig, diese in den Kontext der gesamten Beweislage einzubetten und ihre Plausibilität und Übereinstimmung mit den bekannten Tatsachen zu überprüfen. Hierbei sollten auch mögliche externe Einflüsse berücksichtigt werden, die die Aussage beeinflusst haben könnten.
- Kontextuelle Einbettung:Die kontextuelle Einbettung beinhaltet die Frage, wie gut die Aussage des Zeugen mit dem Gesamtbild der ermittelten Beweise und Fakten übereinstimmt. Dies umfasst:
- Übereinstimmung mit anderen Zeugen: Vergleiche die Aussage mit den Aussagen anderer Zeugen. Wenn mehrere Zeugen unabhängig voneinander ähnliche Details berichten, stärkt dies die Glaubwürdigkeit der einzelnen Aussagen.
- Übereinstimmung mit physischen Beweisen: Überprüfe, ob die Aussage des Zeugen mit physischen Beweisen wie Überwachungsvideos, Tatortspuren oder forensischen Gutachten übereinstimmt. Zum Beispiel, wenn der Zeuge sagt, der Täter habe eine rote Jacke getragen, und dies durch Überwachungskameras bestätigt wird, unterstützt dies die Glaubhaftigkeit.
- Chronologie der Ereignisse: Analysiere, ob die zeitliche Abfolge der beschriebenen Ereignisse logisch und schlüssig ist. Unstimmigkeiten in der zeitlichen Darstellung könnten Hinweise auf Ungenauigkeiten oder Falschaussagen sein.
- Realitäts-Überprüfung:Die Realitäts-Überprüfung beinhaltet die Bewertung der Plausibilität der Aussagen und deren Übereinstimmung mit den bekannten Fakten. Dies kann durch folgende Schritte erfolgen:
- Plausibilität: Prüfe, ob die beschriebenen Ereignisse realistisch und im Rahmen der bekannten Umstände möglich sind. Zum Beispiel: Ist es plausibel, dass der Zeuge zur fraglichen Zeit und am fraglichen Ort war? Sind die beschriebenen Handlungen des Täters nachvollziehbar?
- Verifikation durch externe Quellen: Nutze verfügbare externe Quellen wie Polizeiberichte, Medienberichte oder forensische Analysen, um die Richtigkeit der Aussage zu überprüfen. Überprüfe auch, ob der Zeuge möglicherweise durch Medienberichte oder Polizeibefragungen beeinflusst wurde. Wenn wesentliche Teile der Aussage in den Medien berichtet wurden, könnte dies die Aussage beeinflusst haben.
- Kohärenz: Eine kohärente Aussage sollte nicht nur in sich stimmig sein, sondern auch mit den etablierten Fakten des Falls übereinstimmen. Dazu gehört zum Beispiel, dass keine technischen oder logischen Widersprüche vorhanden sind.
Zusammenfassung:Die kontextuelle Einbettung und Realitäts-Überprüfung sind wesentliche Methoden, um die Plausibilität und Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage zu bewerten. Durch den Vergleich der Aussage mit anderen Zeugenberichten, physischen Beweisen und etablierten Fakten können Unstimmigkeiten aufgedeckt und die Wahrheitstreue der Aussage besser eingeschätzt werden. Dabei sollten auch potenzielle externe Einflüsse berücksichtigt werden, die die Aussage beeinflusst haben könnten.
d)
Verhaltensbeobachtung und Körpersprache: Erläutere, welche Aspekte der Körpersprache und non-verbalen Kommunikation eine Rolle bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage spielen können. Welche spezifischen Verhaltensweisen könnten darauf hinweisen, dass eine Aussage möglicherweise unwahr ist?
Lösung:
Verhaltensbeobachtung und Körpersprache:Die Körpersprache und non-verbale Kommunikation spielen eine bedeutende Rolle bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage. Diese Aspekte können auf eine mögliche Unehrlichkeit hinweisen oder die Ehrlichkeit einer Aussage unterstützen. Hier sind einige Aspekte und spezifische Verhaltensweisen, die bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit relevant sind:
- Blickkontakt:Personen, die ehrlich sind, neigen dazu, einen natürlichen und relativ stabilen Blickkontakt zu halten. Ein häufiges Vermeiden von Blickkontakt oder intensives Starren könnte auf Nervosität und Unwohlsein hinweisen, was oft mit Unwahrheit verbunden wird.
- Körperhaltung:Eine entspannte und offene Körperhaltung deutet oft auf Ehrlichkeit hin, während eine steife, verschlossene oder unruhige Körperhaltung darauf hindeuten kann, dass die Person etwas verbergen möchte. Beispiel: Wenn der Zeuge ständig die Arme verschränkt oder sich zurücklehnt, könnte dies ein Zeichen für Defensivität sein.
- Gestik:Natürliche und synchronisierte Gesten unterstützen eine glaubwürdige Aussage. Übermäßig viele oder gar keine Gesten können jedoch auf Unehrlichkeit hindeuten. Beispiel: Eine Person, die zögerlich spricht und dabei wenig bis keine Gesten verwendet, könnte unsicher sein.
- Mikro-Ausdrücke:Mikro-Ausdrücke sind kurze, unbewusste Gesichtsausdrücke, die echte Emotionen verraten. Wenn beispielsweise der Zeuge kurzzeitig Anzeichen von Angst oder Schuld zeigt, könnte dies ein Indiz für Unwahrheit sein.
- Änderungen in der Atmung oder Stimme können ebenfalls auf Unehrlichkeit hindeuten. Eine plötzlich schnellere oder unregelmäßige Atmung, sowie eine zitternde oder stockende Stimme können Anzeichen für Nervosität oder Stress sein, die oft mit Lügen einhergehen. Beispiel: Wenn der Zeuge beginnt, tiefer zu atmen oder sich zu räuspern, sobald er kritische Informationen teilt.
- Unstimmigkeiten zwischen verbaler und non-verbaler Kommunikation:Wenn die non-verbale Kommunikation nicht mit dem Gesagten übereinstimmt, kann dies ebenfalls auf Unehrlichkeit hinweisen. Beispiel: Ein Zeuge sagt „Ich bin mir sicher“, während er den Kopf schüttelt oder herunterblickt.
Zusammenfassung:Aspekte der Körpersprache und non-verbalen Kommunikation sind wichtige Indikatoren für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage. Häufiges Vermeiden von Blickkontakt, unruhige Körperhaltung, übermäßige oder fehlende Gestik, Mikro-Ausdrücke, Änderungen in der Atmung oder Stimme sowie Unstimmigkeiten zwischen verbaler und non-verbaler Kommunikation können darauf hinweisen, dass eine Aussage möglicherweise unwahr ist. Detaillierte Beobachtungen und die Berücksichtigung dieser Faktoren können helfen, die Wahrhaftigkeit einer Aussage besser einzuschätzen und entsprechend zu bewerten.
Aufgabe 3)
Eine 35-jährige Person wurde wegen eines schweren Diebstahls verhaftet. Es gibt Hinweise darauf, dass sie zu dieser Zeit unter den Symptomen einer schweren Depression litt. Du bist als Teil eines interdisziplinären Teams (bestehend aus Psychologen, Psychiatern und Juristen) damit beauftragt, ein Gutachten zur Schuldfähigkeit der Person zu erstellen. Berücksichtige dabei die gesetzlichen Bestimmungen des §20 und §21 StGB sowie die diagnostischen Methoden.
a)
Diskutiere die Relevanz von §20 und §21 StGB in Bezug auf die Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähigkeit. Wie könnten diese Paragraphen in diesem Fall angewendet werden?
Lösung:
- § 20 StGB - Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen: Nach § 20 des Strafgesetzbuches (StGB) ist eine Person schuldunfähig, wenn sie aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, einer Schwachsinnigkeit oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
- Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass geprüft werden muss, ob die schwere Depression der verhafteten Person eine der genannten seelischen Störungen darstellt und ob diese in einem solchen Ausmaß vorlag, dass die Person zum Zeitpunkt der Tat entweder nicht in der Lage war, das Unrecht ihrer Handlung zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
- § 21 StGB - Verminderte Schuldfähigkeit: § 21 StGB besagt, dass wenn die Fähigkeit einer Person, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aufgrund derselben Gründe wie in § 20 StGB erheblich vermindert ist, ihre Schuld gemildert werden kann.
- In Bezug auf diesen Fall könnte § 21 StGB zur Anwendung kommen, wenn die Person zwar in der Lage war, das Unrecht der Tat zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln, jedoch diese Fähigkeit erheblich vermindert war. Das würde bedeuten, dass sie nicht völlig schuldunfähig ist, aber ihre Schuldfähigkeit wird als reduziert angesehen, was strafmildernd wirken könnte.
- Anwendung auf den Fall: Um festzustellen, ob § 20 oder § 21 StGB zutrifft, müsste das interdisziplinäre Team die Schwere der Depression der Person bewerten und ob diese zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit führte. Dies würde eine umfassende diagnostische Bewertung durch Psychologen und Psychiater erfordern. Ein juristischer Experte würde dann bewerten, wie diese medizinischen Einschätzungen rechtlich einzuordnen sind.
b)
Beschreibe anhand des Falls, welche diagnostischen Tools (psychologische Tests, klinische Interviews, Verhaltensbeobachtungen) Du anwenden würdest, um eine fundierte Einschätzung der geistigen und kognitiven Leistungsfähigkeit der Person zu erhalten.
Lösung:
- Diagnostische Tools zur Einschätzung der geistigen und kognitiven Leistungsfähigkeit:
- Psychologische Tests: Hierzu könnten standardisierte Fragebögen und Tests verwendet werden, um die depressive Symptomatik und kognitiven Fähigkeiten der Person objektiv zu bewerten:
- Beck Depressions-Inventar (BDI-II): Ein häufig eingesetzter Fragebogen zur Selbstbeurteilung der Schwere von Depressionen.
- Hamilton Rating Scale for Depression (HRSD): Ein klinisch geführter Fragebogen, der die Schwere der Depression durch einen Therapeuten beurteilen lässt.
- Mini-Mental-Status-Test (MMST): Ein kurzes Screening-Instrument zur Bewertung kognitiver Beeinträchtigungen.
- Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS-IV): Hiermit könnte die allgemeine Intelligenz und bestimmte kognitive Fähigkeiten wie Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit gemessen werden.
- Klinische Interviews: Diese sind eine der wichtigsten Methoden, um ein umfassendes Bild des psychischen Zustands der Person zu gewinnen:
- Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-5 (SKID): Ein immens detailliertes Interview zur Diagnose von psychischen Störungen gemäß dem DSM-5-Kriterienkatalog.
- Psychiatrisches Diagnose-Interview: Ein weniger strukturiertes interviewbasiertes Verfahren, um die medizinische und psychiatrische Vorgeschichte sowie aktuelle Symptome zu erfassen.
- Anamnestische Gespräche: Diese Interviews helfen, die Lebensgeschichte und relevante Hintergrundinformationen zu verstehen, die zur aktuellen Situation beigetragen haben könnten.
- Verhaltensbeobachtungen: Diese ermöglichen es, das Verhalten und die emotionalen Reaktionen der Person in unterschiedlichen Situationen zu beobachten:
- Beobachtungen im klinischen Setting: Diese könnten während der Diagnosesitzungen gemacht werden, um non-verbale Hinweise auf emotionale und kognitive Zustände zu bewerten.
- Alltagsbeobachtungen: Falls möglich, könnten Beobachtungen im Alltag der Person durchgeführt oder mit Berichten von nahestehenden Personen ergänzt werden, um ein vollständigeres Bild zu erhalten.
- Zielsetzung: Das Ziel der Anwendung dieser diagnostischen Tools ist die fundierte Einschätzung der Schwere der Depression und deren Einfluss auf die geistigen und kognitiven Fähigkeiten der Person. Dies ist essentiell, um zu beurteilen, ob die Kriterien des §20 oder §21 StGB erfüllt sind und wie diese auf den vorliegenden Fall angewendet werden können.
c)
Welche spezifischen Symptome einer schweren Depression sind relevant für die Beurteilung der Schuldfähigkeit? Begründe, wie diese Symptome die Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit der Person beeinflussen könnten.
Lösung:
- Spezifische Symptome einer schweren Depression:
- Depressive Stimmung: Anhaltende Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und ein Gefühl von Leere können die geistige Verfassung einer Person erheblich beeinträchtigen. Diese Symptome können die Fähigkeit der Person beeinträchtigen, Situationen rational zu beurteilen und das Unrecht ihrer Handlungen zu erkennen.
- Interessensverlust und Anhedonie: Verlust von Interesse und Genuss an zuvor erfreulichen Aktivitäten. Dies kann zu einer generellen Passivität und einem Mangel an Motivation führen, was darauf hindeuten kann, dass die Person in einer depressiven Episode nicht in der Lage war, ihre Handlungen zu hinterfragen oder ihre Konsequenzen zu bedenken.
- Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Entscheidungsunfähigkeit und Gedankenverlangsamung könnten die rationalen Denk- und Entscheidungsprozesse der Person beeinträchtigen. Diese Symptome können die Einsichtsfähigkeit deutlich reduzieren.
- Gefühl der Wertlosigkeit und/oder übermäßige Schuldgefühle: Extreme Selbstkritik und Schuld können die Realitätswahrnehmung der Person negativ beeinflussen, wodurch sie möglicherweise das Unrecht ihrer Tat nicht erkennt oder sich zu selbstschädigendem Verhalten gezwungen fühlt.
- Suizidgedanken oder-suizidversuche: Suizidale Gedanken oder Handlungen können auf eine extrem verzweifelte psychische Verfassung hinweisen, die die Person dazu bringen könnte, irrationale und impulsive Entscheidungen zu treffen, die gegen das Gesetz verstoßen.
- Energieverlust und Müdigkeit: Eine überwältigende Müdigkeit und ein Mangel an Energie könnten die Fähigkeit der Person reduzieren, sich klar und zielgerichtet zu verhalten, was eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit bedeutet.
- Psychomotorische Veränderungen: Dies kann sowohl Verlangsamung als auch Rastlosigkeit einschließen und beeinflusst das allgemeine Verhalten und Reaktionsmuster der Person negativ.
- Begründung der Relevanz:
- Einfluss auf die Einsichtsfähigkeit: Symptome wie depressive Stimmung, kognitive Beeinträchtigungen und übermäßige Schuldgefühle könnten die objektive Wahrnehmung und rationale Bewertungsprozess der Person erheblich beeinträchtigen. Eine solche Beeinträchtigung würde die Fähigkeit der Person vermindern, das Unrecht ihrer Handlungen adäquat zu erkennen.
- Einfluss auf die Steuerungsfähigkeit: Symptome wie Energielosigkeit, psychomotorische Veränderungen und Suizidgedanken könnten zu einer erheblichen Minderung der Fähigkeit führen, die eigenen Handlungen zu steuern und nach dem erkannten Unrecht zu handeln. Dies würde eine deutliche Beeinträchtigung der Handlungssteuerung darstellen.
- Insgesamt müssen die Auswirkungen dieser Symptome gründlich untersucht und dokumentiert werden, um festzustellen, ob die Kriterien des §20 oder §21 StGB in Bezug auf die Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit erfüllt sind.
d)
Diskutiere die Bedeutung eines interdisziplinären Ansatzes in diesem Kontext. Wie können Psychologen, Psychiater und Juristen effektiv zusammenarbeiten, um ein umfassendes Gutachten zur Schuldfähigkeit zu erstellen?
Lösung:
- Bedeutung eines interdisziplinären Ansatzes: Ein interdisziplinärer Ansatz ist in diesem Kontext von entscheidender Bedeutung, da die Bewertung der Schuldfähigkeit einer Person, die möglicherweise an einer schweren Depression leidet, eine umfassende Untersuchung aus verschiedenen Perspektiven erfordert. Psychologische, psychiatrische und juristische Expertise müssen kombiniert werden, um zu einem umfassenden und fundierten Gutachten zu gelangen.
- Zusammenarbeit der Psychologen, Psychiater und Juristen:
- Rolle der Psychologen: Psychologen können psychologische Tests und klinische Interviews durchführen, um die aufgetretenen Symptome, deren Schweregrad und die kognitiven Beeinträchtigungen der Person objektiv zu bewerten. Ihre fundierte Analyse kann wertvolle Einblicke in den geistigen Zustand und die Funktionsfähigkeit der Person geben.
- Rolle der Psychiater: Psychiater können diagnostische Interviews und medizinische Untersuchungen vornehmen, um eine medizinische Diagnose der Depression zu stellen und deren Schweregrad zu bewerten. Sie können auch die medikamentöse Behandlung und deren Auswirkungen auf das Verhalten und die kognitiven Fähigkeiten der Person berücksichtigen.
- Rolle der Juristen: Juristen können die medizinischen und psychologischen Befunde prüfen und gemäß den gesetzlichen Bestimmungen des §20 und §21 StGB bewerten. Sie stellen sicher, dass die diagnostischen Ergebnisse rechtlich korrekt interpretiert und angewendet werden, um die Schuldfähigkeit der Person im rechtlichen Kontext zu beurteilen.
- Effektive Zusammenarbeit:
- Regelmäßige interdisziplinäre Treffen: Regelmäßige Besprechungen zwischen den Psychologen, Psychiatern und Juristen ermöglichen den Austausch von Informationen und die gemeinsame Entwicklung einer kohärenten Einschätzung.
- Gemeinsame Fallkonferenzen: Fallkonferenzen können genutzt werden, um die individuellen Beiträge der verschiedenen Disziplinen zu integrieren und mögliche Diskrepanzen zu klären.
- Dokumentationsstandards: Die Festlegung von einheitlichen Dokumentationsstandards hilft sicherzustellen, dass alle relevanten Informationen klar und präzise festgehalten werden.
- Erstellung eines gemeinsamen Gutachtens: Durch die Zusammenarbeit können die Experten ein gemeinsames Gutachten erstellen, das die medizinischen, psychologischen und rechtlichen Aspekte integriert und eine fundierte Entscheidung über die Schuldfähigkeit ermöglicht.
- Ein interdisziplinärer Ansatz gewährleistet, dass alle relevanten Aspekte umfassend berücksichtigt werden und das Gutachten sowohl wissenschaftlich fundiert als auch rechtlich gültig ist.
Aufgabe 4)
Prognostische Verfahren zur GefährlichkeitsbeurteilungPrognostische Verfahren zur Gefährlichkeitsbeurteilung werden verwendet, um das zukünftige Risiko von Straftätern einzuschätzen und entsprechende Maßnahmen zu planen.
- Klinische vs. statistische Verfahren
- Hauptmethoden: Aktuarische Risikoinstrumente, strukturierte klinische Beurteilung
- Wichtige Werkzeuge: HCR-20, PCL-R, VRAG
- Wichtige Kennzahlen: Sensitivität, Spezifität, Positiver Vorhersagewert
- Formeln:
- Risikoformel: \(R = \frac{f_r}{t_r}\)
- Vorhersagegenauigkeit: \[AUC = \frac{\text{Anzahl korrekter Vorhersagen}}{\text{Gesamtanzahl der Fälle}}\]
a)
Erläutere den Unterschied zwischen klinischen und statistischen Verfahren bei der Gefährlichkeitsbeurteilung. Welche Vor- und Nachteile haben beide Methoden?
Lösung:
Unterschied zwischen klinischen und statistischen Verfahren bei der GefährlichkeitsbeurteilungDer Unterschied zwischen klinischen und statistischen Verfahren bei der Gefährlichkeitsbeurteilung liegt in der Herangehensweise und der Methode, die zur Vorhersage des zukünftigen Risikos verwendet wird.
- Klinische Verfahren Klinische Verfahren basieren auf der Beurteilung durch Experten, die ihre Fachkenntnisse und Erfahrungen einsetzen, um das zukünftige Risiko eines Straftäters einzuschätzen. Diese Einschätzungen können durch strukturierte, aber auch durch unstrukturierte Interviews und Beobachtungen erfolgen.
- Vorteile:
- Flexibilität: Klinische Verfahren erlauben eine individuelle Bewertung jedes Falls.
- Erfahrung des Experten: Die Einschätzung kann verschiedene Faktoren berücksichtigen, die eventuell nicht in statistischen Modellen enthalten sind.
- Nachteile:
- Subjektivität: Die Beurteilungen können stark variieren und durch die persönlichen Vorurteile des Experten beeinflusst werden.
- Geringe Reliabilität: Wiederholte Beurteilungen desselben Falls durch verschiedene Experten können unterschiedliche Ergebnisse liefern.
- Statistische Verfahren Statistische Verfahren (aktuarische Risikoinstrumente) basieren auf empirischen Daten und mathematischen Modellen, um das Risiko vorherzusagen. Diese Methoden verwenden vorher festgelegte Risikofaktoren und -werte, die aus großen Stichproben erhoben wurden.
- Vorteile:
- Objektivität: Die Vorhersagen sind auf empirischen Daten und statistischen Modellen basiert, was persönliche Verzerrungen minimiert.
- Hohe Reliabilität: Die Vorhersagen sind konsistent und wiederholbar, unabhängig davon, wer die Bewertung durchführt.
- Nachteile:
- Unflexibilität: Statistische Modelle können nicht immer die spezifischen Umstände und Nuancen individueller Fälle berücksichtigen.
- Begrenzte Datenbasis: Die Genauigkeit der Vorhersagen hängt stark von der Qualität und Umfang der verfügbaren Daten ab.
b)
Du bist in der Lage und bekommst die Aufgabe, ein Risikoinstrument auszuwählen und anzuwenden. Entscheide Dich für eines der genannten Werkzeuge (HCR-20, PCL-R, VRAG) und erkläre, wie Du es in der Praxis anwenden würdest. Gehe dabei detailliert auf die vier Phasen der Durchführung ein.
Lösung:
Auswahl und Anwendung des Risikoinstruments HCR-20Ich entscheide mich für das HCR-20 (Historical, Clinical, Risk Management-20), ein weit verbreitetes Instrument zur Beurteilung des Gewaltrisikos. Es kombiniert historische, klinische und risikobezogene Faktoren und ist besonders nützlich für die Vorhersage zukünftiger Gewaltverhalten.Vier Phasen der Durchführung:
- Informationssammlung: Diese Phase umfasst die Erhebung und Sammlung relevanter Daten zur Person.
- Historische Angaben: Dazu gehören frühere Verhaltensauffälligkeiten, Gewaltdelikte, soziales Umfeld und familiäre Hintergründe.
- Klinische Angaben: Aktuelle mentale und emotionale Zustände, diagnostische Interviews und psychologische Tests bilden die Grundlage.
- Risiko-Management: Zukünftige Umgebung, geplante Behandlungsmaßnahmen und Überwachungsmechanismen werden berücksichtigt.
- Bewertung der Risikofaktoren: Diese Phase beinhaltet die Anwendung der 20 standardisierten Risikofaktoren des HCR-20. Diese Faktoren sind in drei Kategorien unterteilt: historisch (H), klinisch (C) und risikomanagementbezogen (R).
- Jeder Faktor wird bewertet und erhält eine Punktzahl auf einer vorgegebenen Skala (z.B. 0 = nicht vorhanden, 1 = teilweise vorhanden, 2 = stark vorhanden).
- Zusammenführung der Ergebnisse: Die Punktwerte werden zusammengerechnet, und eine Gesamtbewertung des Risikos wird erstellt.
- Die Bewertung kann in Form einer numerischen Skala oder einer qualitativen Einstufung (geringes, mittleres oder hohes Risiko) erfolgen.
- Entwicklung eines Risikomanagementplans: Auf Basis der Risikoeinschätzung wird ein detaillierter Plan entwickelt, um das identifizierte Risiko zu minimieren.
- Die Planung umfasst spezifische Maßnahmen und Interventionen, wie therapeutische Programme, Überwachungsstrategien und sozio-ökonomische Unterstützung.
- Regelmäßige Bewertungen und Anpassungen des Risikomanagementplans basierend auf neuen Informationen und Entwicklungen werden durchgeführt.
Zusammengefasst ist das HCR-20 ein strukturiertes Verfahren, das auf einer umfassenden Datensammlung, systematischer Bewertung und gezielten Interventionsplanung basiert, um das Risiko zukünftiger Gewalttaten zu minimieren.
c)
Ein Tatverdächtiger zeigt in einem Test folgende Ergebnisse: Sensitivität = 0.85, Spezifität = 0.80 und Positiver Vorhersagewert = 0.75. Berechne die AUC (Area Under Curve) für diesen Test und erkläre, was dieser Wert über die Genauigkeit des Tests aussagt.
Lösung:
Berechnung und Interpretation der AUC (Area Under Curve)
- Gegebene Werte:
- Sensitivität: 0.85
- Spezifität: 0.80
- Positiver Vorhersagewert: 0.75
AUC (Area Under Curve):Die AUC (Area Under Curve) ist ein Maß zur Bewertung der Güte eines binären Klassifikationsmodells. Sie variiert zwischen 0 und 1, wobei 1 eine perfekte Unterscheidung und 0,5 eine reine Zufallseinstufung bedeutet.Die AUC kann basierend auf der Sensitivität und Spezifität geschätzt werden. Eine gängige vereinfachende Annahme ist, die AUC als den Durchschnitt der Sensitivität und Spezifität zu betrachten. Die Formel lautet:
AUC = \frac{(\text{Sensitivität} + \text{Spezifität})}{2}
Setzt man die gegebenen Werte in die Formel ein:
AUC = \frac{(0.85 + 0.80)}{2}
= 0.825
Die berechnete AUC beträgt 0.825 und zeigt daher eine hohe Genauigkeit des Tests.
Interpretation der AUC:- Eine AUC von 0.825 bedeutet, dass der Test in 82,5% der Fälle korrekt zwischen positiven und negativen Fällen unterscheiden kann.
- Je näher die AUC an 1 liegt, desto besser ist die Fähigkeit des Tests, Unterscheidungen zu treffen.
- Eine AUC über 0.8 wird im Allgemeinen als sehr gut angesehen und zeigt, dass der Test eine hohe Sensitivität und Spezifität besitzt.
- Dieser Wert zeigt, dass der Test eine zuverlässige Vorhersageleistung und Genauigkeit aufweist und daher nützlich ist, um das zukünftige Risiko eines Straftäters zu beurteilen.