Das kunstseidene Mädchen

Wusstest Du, dass die Nationalsozialisten eine Art "Blacklist" für Bücher hatten? Auf dieser Schwarzen Liste standen Werke, die die Legitimation Hitlers oder das Denken der deutschen Gesellschaft infrage stellten und deshalb im Dritten Reich verboten waren. "Das kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun ist eines davon.

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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis

Springe zu einem wichtigen Kapitel

    Eine kurze Übersicht über den Inhalt des Romans "Das kunstseidene Mädchen" bieten Dir die folgenden Stichpunkte

    • Es handelt sich um einen Großstadtroman, der 1932 erschien.
    • Darin erzählt die 18-jährige Doris von ihrem Leben in Berlin und ihrem Ziel, reich, berühmt und beliebt zu werden.
    • Dabei stellt sie jedoch schnell fest, dass ein gesellschaftlicher Aufstieg nicht ganz so einfach ist.
    • Eine Charakterisierung der Figur Doris zeigt auf, dass sich das Werk mit dem Lebensweg der Protagonistin befasst.
    • Eine Analyse von "Das kunstseidene Mädchen" zeigt, dass das Werk tagebuchähnliche Einträge statt klassische Kapitel aufweist.

    Der Großstadtroman fängt das Leben und den Charakter einer bestimmten Großstadt ein. Häufig sind das bekannte und beliebte Metropolen wie New York, London oder eben Berlin. Die Handlung spielt fast nur dort und vermittelt Lesenden das Gefühl, selbst vor Ort zu sein.

    "Das kunstseidene Mädchen" – Zusammenfassung

    Die Zusammenfassung von "Das kunstseidene Mädchen" bezieht sich auf die drei Teile des Werks, die nahtlos und chronologisch aneinander anknüpfen, also in der Reihenfolge erzählt werden, in der sie auch geschehen.

    • "Das kunstseidene Mädchen" umfasst circa 140 Seiten und besteht aus drei Teilen.

    "Das kunstseidene Mädchen" – Inhaltsangabe Teil 1

    Zu Beginn lebt Doris in sehr ärmlichen Verhältnissen bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater. Sie ist auf eine Volksschule gegangen, hat aber keinen Abschluss und auch keine weiterführende Ausbildung. Weil sie ihren Eltern Miete für ihr Zimmer zahlen muss, ist sie gezwungen, als Stenotypistin zu arbeiten, obwohl sie die Regeln der Kommasetzung nur unzureichend beherrscht.

    Die Aufgabe einer Stenotypistin ist es, gesprochenen Text als Brief oder Formular zu Papier zu bringen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dies einer der ersten Berufe, die von Frauen ausgeübt werden durften, weswegen die meisten Stenotypisten weiblich waren. Zum Schreiben nutzten sie Schreibmaschinen, die bereits mit zehn Fingern bedient werden konnten.

    • Ihre Freizeit verbringt sie mit verschiedenen Männern, die ihr immer wieder kostbare Geschenke machen, mit denen Doris ihre soziale Herkunft versteckt.
    • Sie ist in keinen von ihnen verliebt.
    • Nur Hubert hat es ihr angetan, doch der promovierte in der Physik und verließ sie, um "eine aus seinen Kreisen"1 zu heiraten.
    • Doris denkt, dass es ihm gar nicht um die Bildung geht, sondern er sie in Wahrheit nicht anständig genug fand.

    Als sie ihren Job verliert, weil sie sich vehement gegen die sexuelle Belästigung seitens ihres Chefs wehrt, bekommt sie eine Statistenrolle in dem Theater, in dem auch ihre Mutter als Garderobiere arbeitet, angeboten. Doch die Schauspielerinnen und Schauspieler schauen auf sie herab, weswegen sie vorgibt, eine Affäre mit dem Direktor zu haben. Auf diese Weise hofft sie, sich Anerkennung und Akzeptanz zu verschaffen.

    Doris' Plan geht auf, sie wird an der Schauspielschule angenommen und für einen kurzen Moment erlebt sie, wie es ist, erfolgreich und beliebt zu sein. "Ich bin jetzt fast schon ein Glanz", schreibt sie in ihr Tagebuch.1

    Und alle Jungs waren auf der Galerie gewesen, und nach meinem Satz haben sie Bravo geschrien, und Herrmann Zimmer hat getrampelt, und Käsemann hat vom ersten Rang runter geklatscht, und Gustav Mooskopf ist in seiner Loge anerkennend mit dem Stuhl gerutscht – es war eine Sensation.1

    • Doch ihr Glück ist nicht von Dauer.
    • Die Lüge wird aufgedeckt und Doris flüchtet aus dem Theater, wobei sie einen Pelzmantel stiehlt.
    • Hubert ist wieder in der Stadt und Doris trägt nur einen "widerlichen" Regenmantel1, der kaum Eindruck macht.
    • Als sie herausfindet, dass es Hubert weniger um sie selbst, sondern vielmehr um Geld geht, verlässt sie ihn enttäuscht.
    • Mit ihrem Pelzmantel reist sie nach Berlin, um echte Liebe zu finden und ein wahrer "Glanz" zu werden.

    "Das kunstseidene Mädchen" – Inhaltsangabe Teil 2

    In Berlin angekommen, besucht Doris Margrete Weißbach, die Freundin einer ehemaligen Arbeitskollegin.

    • Margrete ist hochschwanger und kurz davor, ihre Tochter auf die Welt zu bringen.
    • Doris bezahlt eine Hebamme, um sie zu unterstützen.
    • Das Kind kommt gesund und munter zur Welt und wird daraufhin nach Doris benannt.
    • Von Margrete wird Doris zu Tilli Scherer geschickt, mit der sie sich von nun an eine Unterkunft teilt.
    • Wegen ihres Pelzmanteldiebstahls fürchtet sich Doris vor der Polizei und traut sich nicht, einer offiziell registrierten Arbeit nachzugehen.

    Sie lebt nun ganz von den Einladungen und Geschenken der Männer, taucht mit ihnen in den glitzernden Trubel Berlins ein, besucht Partys, Bars und Nachtclubs – aber in Wahrheit sehnt Doris sich nach Liebe, echter, beständiger Liebe.

    [...] – etwas weint in mir – ich habe eine Lust, mein Gesicht in die Hände zu tauchen, damit es nicht so traurig ist. Es muß sich so viel Mühe geben, weil ich ein Glanz werden will. Es strengt sich ungeheuer an – und überall sitzen Frauen, von denen die Gesichter sich anstrengen. Aber es ist gut, daß ich unglücklich bin, denn wenn man glücklich ist, kommt man nicht weiter.1

    • Mit Tilli schläft sie oft bis tief in den Tag hinein, da beide Frauen kein Geld haben und deshalb Hunger leiden.
    • Sie kümmert sich um ihren Nachbarn, der im Krieg sein Augenlicht verloren hat.
    • Mit viel Worten und Begeisterung beschreibt sie ihm, was sie sieht und erlebt.
    • Als die Frau des Nachbarn ihn schließlich in ein Heim bringt, verliert Doris einen engen Freund.
    • Ein weiterer Augenblick an Luxus und Ruhm ist ihr vergönnt, als sie die Freundin des reichen Alexanders wird.
    • Doch auch dieses Glück hält nur so lange an, bis Alexander verhaftet wird.
    • Tilli sieht in Doris mittlerweile eine Gefahr, denn ihr Mann Albert beginnt, Doris in unbeobachteten Momenten zu belästigen.
    • So beschließt Doris, ihrer Freundin einen Gefallen zu tun und freiwillig zu gehen.
    • Sie flüchtet zu dem Journalisten Lippi Wiesel, der sie allerdings nicht besonders zu schätzen scheint.
    • Letztendlich trennt sich Doris von ihm und lebt nun heimat- und mittellos auf der Straße.

    "Das kunstseidene Mädchen" – Inhaltsangabe Teil 3

    Auf der Straße lernt sie Karl kennen, der ihr eine Unterkunft und ein gemeinsames Leben anbietet.

    • Karl baut Gemüse in einer Gartenlaube an und verkauft selbst gebastelte Puppen.
    • Obwohl er ein guter Mensch zu sein scheint, lehnt Doris seinen Lebensstil ab und klammert sich weiter an ihre Hoffnung, eines Tages reich, berühmt und ein "Glanz" zu sein.
    • Krank und hungrig wird sie schließlich von dem 37-jährigen Ernst aufgefunden, der sie aus Mitleid zu sich nach Hause nimmt.
    • Ernst lebt in einer großen Wohnung und hat genügend Geld.
    • Er fühlt sich jedoch einsam, weil seine Frau, Hanne, ihn verlassen hat.
    • Doris ist sich sicher, er möchte sie ausnutzen, doch Ernst sehnt sich nur nach Gesellschaft, nicht nach sexuellem Kontakt.
    • Bei Ernst gelingt es Doris, sich etwas zu erholen.
    • Während Ernst arbeitet, hält sie die Wohnung sauber, wäscht und kocht für ihn.
    • Sie erledigt all das freiwillig, weil sie beginnt, Ernst zu mögen und ihm etwas für seine Hilfe zurückgeben möchte.
    • Mit der Zeit entwickelt Doris tiefere Gefühle und versucht, Ernst nun doch noch zu verführen.
    • Als ein Brief von Hanne ankommt, indem sie sich bei Ernst entschuldigt und ihr plötzliches Verschwinden erklärt, versteckt Doris das Schreiben aus Angst, Ernst verlieren zu können.
    • Doch als dieser sie versehentlich mit dem Namen seiner Frau anspricht, wird ihr klar, dass er seinen Kummer nicht überwinden kann.
    • Doris verlässt Ernst und erzählt Hanne, sie solle sich mit ihrem Mann treffen und aussprechen.
    • Nunmehr planlos wandert sie durch die Straßen von Berlin.
    • Dabei beschließt sie, zurück zu Karl zu gehen und ihr Glück mit Gemüseziehen und Puppenbasteln zu versuchen.
    • "Auf den Glanz kommt es nämlich vielleicht gar nicht so furchtbar an".1

    "Das kunstseidene Mädchen" – Charakterisierung: Doris

    "Das kunstseidene Mädchen" beinhaltet Figuren, die sich in ihrem Charakter, ihrer Herkunft und nicht selten in ihrer sozialen Stellung stark voneinander unterscheiden. All diese Figuren sind jedoch nur temporäre Begleiter auf Doris' eigenem Lebensweg und dem Verlauf der Handlung, durch die Lesende die Protagonistin immer besser kennenlernen.

    • Doris ist achtzehn Jahre alt, außerhalb von Berlin aufgewachsen und fest entschlossen, ein "Glanz" zu werden, also eine bekannte Person der oberen Gesellschaftsschicht.
    • Sie bezeichnet sich als "ungewöhnliche[en] Mensch[en]" und nennt ihr Leben "wie [im] Film".1
    • Trotz leichter Überheblichkeit wirkt Doris sehr sympathisch.
    • Sie ist jung und naiv, außerdem schön anzusehen, nur ihr "linkes Bein ist dicker als [ihr] rechtes."1
    • Aufgrund von fehlender Schulbildung mangelt es ihr an Intellekt, Sprach- und Allgemeinwissen.
      • Doch ihre soziale Kompetenz im Umgang mit und Durchschauen von Menschen gleicht dieses Defizit wieder aus.
    • Nach zahlreichen männlichen Bekanntschaften hat Doris gelernt, das männliche Geschlecht zu lesen.
      • Diese Fähigkeit nutzt sie, um an Geld, Kleidung und Lebensmittel zu kommen.

    Und der Kerl drückt der Schildkröte unterm Tisch die Hand, und mich guckt er an mit Stielaugen – so sind die Männer. Und sie haben gar keine Ahnung, wie man sie mehr durchschaut als sie sich selber.1

    Ihre Kommentare wirken teilweise geradezu abwertend. Die Tatsache, dass Doris sich trotzdem immer wieder mit dem ihr scheinbar geistig unterlegenen Geschlecht abgibt, zeugt von ihrer aussichtslosen finanziellen Lage.

    Gott sei Dank sind ja Männer viel zu eingebildet, um auf die Dauer zu glauben, man könnte sie auslachen. [...] Es ist eine Krankheit von jedem, daß sie jedem Mädchen erzählen, sie wären Generaldirektor vom Film oder hätten wenigstens unerhörte Beziehungen. Ich frage mich nur, ob es noch Mädchen gibt, die darauf reinfallen?

    • Um ihre Ziele zu erreichen, ist sich Doris auch für die ein oder andere Lüge nicht zu schade.
    • Sie stiehlt nicht nur den Pelzmantel, der sie daraufhin monatelang begleitet.
    • Sie flunkert auch bezüglich ihres Verhältnisses mit dem Schauspieldirektor.
    • Dennoch hat sie ein gutes, ehrliches Herz.
    • Sie spendiert der nahezu fremden Margrete eine Hebamme, obwohl sie selbst kaum Geld hat.
    • Außerdem weint sie mit der Prostituierten Hulla um einen toten Goldfisch.
    • Ernst verlässt sie freiwillig, um Platz für seine echte und einzige Liebe Hanne zu machen.

    Während Doris in Bezug auf ihre soziale Stellung immer weiter abfällt und schließlich auf der Straße lebt, macht sie eine bemerkenswerte innere Entwicklung hindurch. Sie begreift, dass es weder Ruhm noch Geld braucht, dass das Glück nicht durch Glanz kommt und dass der richtige Mensch an der eigenen Seite manchmal vollkommen ausreichend ist.

    "Das kunstseidene Mädchen" – Analyse

    Eine Analyse von "Das kunstseidene Mädchen" zeigt, dass sich das Werk durch tagebuchähnliche Einträge auszeichnet, die lediglich durch Absätze, nicht jedoch durch Kapitel voneinander getrennt sind.

    • Die Protagonistin Doris erzählt aus der personalen Ich-Perspektive.
    • Außerdem integriert sie häufig eingestreute, teils wirre Gedankengänge.
    • In der Epik werden diese inneren Wahrnehmungen auch Bewusstseinsströme oder stream of consciousness genannt.

    Häufig wird "Das kunstseidene Mädchen" auch als Zeitroman bezeichnet, da er die Ereignisse, Trends und menschlichen Gewohnheiten einer bestimmten Zeit – den 1930er-Jahren – einfängt. Beide Formen gehören zur Gattung der Epik, also zur narrativen, auch erzählenden Literatur.

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    "Das kunstseidene Mädchen" fällt durch einen Schreibstil auf, der mehr der gesprochenen Alltags- als der Schriftsprache ähnelt. Fehler im Satzbau zeugen dabei von Doris' mangelhafter Schulbildung:

    Da habe ich ihnen schließlich den Schlager gesungen von Elisabeth ihre schönen Beine und habe dazu getanzt, so von einer Seite zur andern.1

    Auch Sätze, vollständig im berlinerischen Dialekt gesprochen, lassen sich in "Das kunstseidene Mädchen" finden. Besonders während Doris' Zeit auf der Straße und in den Gesprächen mit Karl fallen diese Passagen ins Auge:

    Meinste, ich hätt nochen Ehrjeiz? Essen, trinken, schlafen, nettes Mädchen, jute Laune - det is mein Ehrjeiz. Wenn ick det mit meine Arbeit krieg, und wenn ich det mit die ehrlichste Anstrengung krieg, denn is gut.1

    Doris' Erzählstil wirkt sehr frei und ungezügelt. So spricht sie häufig auch schwierige Themen an oder hinterfragt stereotypische Rollenbilder, etwa die Moral hinter dem Verhalten der Männer. Ihre Schilderungen sind lebensnah und keinesfalls neutral, so kommentiert sie häufig auf ironische oder auch emotionale Weise:

    Tilli sagt: Männer sind nichts als sinnlich und wollen nur das. Aber ich sage: Tilli, Frauen sind auch manchmal sinnlich und wollen auch manchmal nur das. Und das kommt dann auf eins raus. Denn ich will manchmal einen, daß ich am Morgen ganz zerkracht und zerküßt und tot aufwache und keine Kraft mehr habe zu Gedanken und nur auf wunderbare Art müde bin und ausgeruht in einem. Und sonst geht er einen ja nichts an. Und es ist auch keine Schweinerei, weil man ja gleiche Gefühle hatte, und jeder will dasselbe vom andern.1

    Die Kritik lobt Irmgard Keuns Werk "Das kunstseidene Mädchen" besonders wegen der sprachlichen Kreativität. So zeichnet sich Doris trotz fehlerhafter Grammatik durch eine oftmals sehr lebendige Sprache aus, darunter viele originelle Ausdrücke ("Ich sammle Sehen für ihn"1) und einfallsreiche Vergleiche ("Es gibt auch Omnibusse – sehr hoch – wie Aussichtstürme, die rennen"1).

    "Das kunstseidene Mädchen" – Interpretation

    Eine Interpretation von "Das kunstseidene Mädchen" umfasst das provokante Gedankengut, das von den Nationalsozialisten als schädlich betrachtet wurde – besonders für die weibliche Leserschaft.

    Der "Glanz"

    Der "Glanz" in "Das kunstseidene Mädchen" ist nicht nur ein abstrakter Gedanke, er ist vielmehr eine Metapher für das Leben, das sich Doris von Kindheit an erträumt. Dieses Leben mag in der prekären sozialen Situation der Protagonistin sehr weit weg erscheinen, ist aber dennoch für Lesende jeden Alters greifbar und auch heute noch nachvollziehbar.

    Die Metapher ersetzt einen Begriff oder eine Wortgruppe durch eine andere Bezeichnung, transportiert und erhält dabei aber dennoch die eigentliche Bedeutung. Wenn Du mehr über dieses rhetorische Stilmittel erfahren möchtest, sieh Dir die Erklärung "Metapher" auf StudySmarter an!

    Als "Glanz" bezeichnet Doris eine Person, die ein glückliches, erfolgreiches Leben in Ruhm und Reichtum führt, von allen gekannt und gleichsam geliebt wird. Die Bedeutung ist somit vergleichbar mit dem englischen Begriff star, mit dem auch im deutschen Sprachraum Menschen von großem Bekanntheitsgrad und Einfluss bezeichnet werden.

    • Doris möchte also wie ein Stern erstrahlen, sie möchte leuchten, sie möchte glänzen.
    • Auch heute noch erträumen sich viele Menschen, ob jung oder alt, männlich, weiblich oder divers, von der großen Karriere und einem Leben im Luxus.
    • Insofern ist die Thematik, die Irmgard Keun aufgreift, fast hundert Jahre später noch aktuell.
      • Deshalb ist Doris für Lesende auch heute besonders nahbar und authentisch.

    Die Beziehung zur Mutter

    Doris pflegt entgegen den Erwartungen ein recht gutes Verhältnis zu ihrer Mutter. So bleibt sie auch nach ihrer Flucht nach Berlin mit ihr in regelmäßigem Briefkontakt, schickt ihr Geld und lässt sie an ihrem kurzen "Glanzmoment" mit Alexander teilhaben.

    Einmal wollte meine Mutter einen Wellensittich. Ich ließ ihr somit neun ganze Wellensittiche überweisen und Kristallflakons und Wäsche und alles.1

    Durch ihren Aufenthalt in Berlin scheint sie die Motive der Mutter besser nachzuvollziehen. Doris versteht, dass ihre Mutter einsam ist und deswegen bei Doris' alkoholabhängigen Stiefvater bleibt. Im Laufe der Zeit werden Doris' eigene Ansprüche niedriger und sie scheint die Rolle der Mutter zu übernehmen, indem sie sich mit fremden Männern einlässt, die sie nicht mag, damit sie nicht auf der Straße schlafen muss.

    Die Moral der Männer und die Rolle der Frau

    Hauptgrund für die Nationalsozialisten, "Das kunstseidene Mädchen" vor deutschen Leserinnen zu verbergen, war die dort dargestellte sexuelle Freizügigkeit. Doris entspricht in keiner Weise dem propagierten Rollenbild der reinen Dame, die bis zur Hochzeit in Enthaltsamkeit lebt und sich danach als Hausfrau und Mutter um die Kinder der Familie kümmert.

    Wenn eine junge Frau mit Geld einen alten Mann heiratet wegen Geld und nichts sonst und schläft mit ihm stundenlang und guckt fromm, dann ist sie eine deutsche Mutter von Kindern und eine anständige Frau. Wenn eine junge Frau ohne Geld mit einem schläft ohne Geld, weil er glatte Haut hat und ihr gefällt, dann ist sie eine Hure und ein Schwein.1

    Nicht nur erlaubt sich Doris das "Spaß haben", sie hinterfragt auch die Doppelmoral der Männer, die ihre sexuellen Bedürfnisse ausleben können, wie es ihnen beliebt, von den Frauen aber dennoch Zurückhaltung und Anstand erwarten.

    Er war nur aus Zufall im Jockey, weil er unmodern ist und die neue Zeit ihn ekelt wegen der Unmoral und der Politik. Er will die Kaisers wieder und schreibt Romane und ist bekannt von früher her. Er hätte auch Geist. Und Grundsätze: Männer dürfen und Frauen dürfen nicht. Nun frage ich mich nur, wie Männer ihr Dürfen ausüben können ohne Frauen? Idiot.1

    Doris' Ziel ist die Selbstbestimmung über ihr Leben und ihren Körper, deswegen ist es geradezu paradox, dass sie sich dabei immer wieder von der Lust der Männer abhängig macht. Sie möchte frei sein – und um Freiheit zu erlangen, setzt sie ihren eigenen Körper als Zahlung ein.

    Wie Doris litten viele Menschen in den 30er-Jahren unter Armut und wie Doris werden auch viele ihrer Bekannten als erwerbslos beschrieben, darunter auch Männer. Dennoch zeigt das von ihr gezeichnete Bild der Berliner Gesellschaft, dass Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich massiver unter geschlechtlicher Benachteiligung litten, als es heutzutage noch immer der Fall ist.

    Es ist nicht verwunderlich, dass "Das kunstseidene Mädchen" Ende der 70er-Jahre auf helle Begeisterung bei der weiblichen Leserschaft stieß. Die dort geschilderten Erlebnisse und Gedanken der jungen Doris entsprachen dem Zeitgeist der Emanzipationsbewegung und waren ihrer eigentlichen Entstehungszeit damit ein halbes Jahrhundert voraus.

    Der Begriff "Emanzipation" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie "Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt". Grundsätzlich bezeichnet Emanzipation das Loslösen von gesellschaftlichen, sozialen und politischen Mustern. Angestrebt wird also ein Gewinn an Freiheit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Dies gilt nicht nur in Bezug auf Geschlechterrollen, sondern beispielsweise auch auf ethnische Minderheiten. Dennoch wird die Bezeichnung heutzutage meist im feministischen Sinne verwendet.

    "Das kunstseidene Mädchen" – Epoche

    "Das kunstseidene Mädchen" ist der Epoche der Neuen Sachlichkeit zuzuordnen. Das Werk entstand 1932, in einer Zeit, als das Ende der Weimarer Republik bereits spürbar nahe war und die Machtergreifung Hitlers mit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) kurz bevorstand.

    Die Weimarer Republik war die erste deutsche Demokratie. Sie wurde am 9. November 1918 gleich zweimal ausgerufen, nur wenige Tage nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. In dem besiegten Deutschen Reich standen sich nun zwei Seiten gegenüber: die liberale Mehrheitssozialdemokratie (MSDP) und der linksradikale Ursprung der zukünftigen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

    Das Ziel beider Fronten war prinzipiell das gleiche, doch der Weg dorthin fiel sehr unterschiedlich aus. So war die deutsche Bevölkerung bereits zu Beginn der Demokratie in verschiedene Lager gespalten, was nicht der einzige, sicherlich aber ein wichtiger Grund ist, weswegen die Weimarer Republik scheitern musste.

    • Das vorangegangene Jahrzehnt wird heute noch als eine Blüte der Kultur bezeichnet.
    • Luxus und Glamour, ein Aufleben der Film- und Theaterproduktion Vergnügen bestimmte die sogenannten "Goldenen Zwanzigerjahre".
    • In dieser Zeit, von 1918 beginnend, etablierte sich die Literaturperiode der Neuen Sachlichkeit.
    • Neben den Werken von Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und Erich Kästner zählt auch "Das kunstseidene Mädchen" zu dieser Epoche.

    Mit der Neuen Sachlichkeit wandten sich Autorinnen und Autoren jener Zeit von subjektiven Darstellungen ab. Auf die Beschreibung von Emotionen wurde verzichtet und in diesem Sinne auch auf die gehäufte Verwendung rhetorischer Stilmittel. Wenn Du mehr über die Merkmale dieser Epoche erfahren möchtest, sieh Dir die Erklärung "Neue Sachlichkeit" auf StudySmarter an!

    • 1927 kündigte sich mit dem New Yorker Börsencrash bereits das Ende dieser Ära an, nur zwei Jahre später folgte die Weltwirtschaftskrise.
    • Armut, Erwerbslosigkeit, steigende Kriminalität, Prostitution und Suizid waren die Folgen.
    • Allein in der Weimarer Republik hatten etwa 6 Millionen Menschen keine Arbeitsstelle.

    Am 30. Mai 1932 zwang der Unmut der Bevölkerung den deutschen Reichskanzler Heinrich Brüning zur Abdankung. Er ebnete den Weg für den Aufstieg der Nationalsozialisten, dem nicht nur der Zweite Weltkrieg folgte, sondern zugleich auch einer der größten Völkermorde, die die Geschichte je gesehen hat.

    Während die NSDAP das Dritte Reich beherrschte, stand "Das kunstseidene Mädchen" auf der Liste verbotener Literatur. Den konservativen Nationalsozialisten zufolge beschrieb es eine unmoralische Frauenrolle, die für das weibliche Publikum nicht zumutbar wäre.

    "Das kunstseidene Mädchen" – Irmgard Keun

    Irmgard Keun, die Autorin von "Das kunstseidene Mädchen", wurde am 6. Februar 1905 in Berlin geboren.

    • Mit acht Jahren zog ihre Familie nach Köln, wo sie 1921 ihren Schulabschluss an einer evangelischen Privatschule machte.
    • Sie erlernte Stenografie, also das Schreibmaschinenschreiben, und arbeitete nach ihrem Abschluss als Sekretärin, woraus sich bereits erste Parallelen zu ihrer Protagonistin Doris ergeben.
    • 1925 begann sie eine Ausbildung zur Schauspielerin, beendete ihre Karriere jedoch nach wenigen Jahren, da der erhoffte Erfolg ausblieb.
    • Auch dies erinnert an den Handlungsverlauf ihres Werks "Das kunstseidene Mädchen".
    • Ihr Debüt als Autorin feierte sie mit ihrem Roman "Gilgi, eine von uns" im Alter von sechsundzwanzig Jahren, wobei sie sich allerdings um fünf Jahre jünger darstellte.
    • So wurde sie in der Literaturszene als eine Art "Wunderkind" bezeichnet und unter anderem von Alfred Döblin und Kurt Tucholsky gefördert.

    1932, im selben Jahr, in dem ihr zweiter Erfolgsroman "Das kunstseidene Mädchen" erschien, ging sie eine Ehe mit Johannes Tralow ein. Fünf Jahre später ließ sie sich scheiden und floh vor den Nationalsozialisten ins Exil, wo sie zwei Jahre mit dem österreichischen Schriftsteller Joseph Roth zusammenlebte. Erst 1940 kehrte sie anonym nach Deutschland zurück.

    Während der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlichten viele Autorinnen und Autoren im Ausland. Die dort entstandenen Werke bilden gemeinsam die sogenannte Exilliteratur. Wenn Du mehr darüber erfahren möchtest, sieh Dir die Erklärung "Exilliteratur" auf StudySmarter an!

    • In ihrem Kölner Elternhaus arbeitete sie von nun an unter ärmlichen Verhältnissen als Journalistin und entwickelte ein Alkoholproblem.
    • 1951 kam ihre Tochter Martina zur Welt, über deren Vater bis heute nichts bekannt ist.
    • Von 1966 bis 1972 hielt sich Irmgard Keun in einer psychiatrischen Anstalt auf.

    Ihr großer Erfolg "Das kunstseidene Mädchen" wurde erst 1979 im Zuge der feministischen Frauenbewegung wiederentdeckt. Weitere Werke der Schriftstellerin sind z. B. "Gilgi, eine von uns" (1931), "Nach Mitternacht" (1937), "D-Zug dritter Klasse" (1934) und "Kind aller Länder" (1938). Am 5. Mai 1982 verstarb Irmgard Keun in Köln an Lungenkrebs.

    Das kunstseidene Mädchen – Das Wichtigste

    • "Das kunstseidene Mädchen" ist ein Großstadtroman von Irmgard Keun, der 1932 erstmals erschien.
      • Bereits ein Jahr später wurde er von den Nationalsozialisten verboten und Keun floh ins Exil, um von dort weitere Bücher zu veröffentlichen.
      • 1979 wurde "Das kunstseidene Mädchen" von der Frauenemanzipationsbewegung wiederentdeckt.
    • "Das kunstseidene Mädchen" – Zusammenfassung: "Das kunstseidene Mädchen" erzählt von der 18-jährigen Doris, die nach Berlin zieht, um ein "Glanz" zu werden.
      • Sie ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, verfügt über nur unzureichende Schulbildung und hat kaum Möglichkeiten.
      • Der Roman porträtiert ihre innere Entwicklung und zeichnet gleichzeitig ein Bild von dem Leben im Berlin der 30er-Jahre.
    • "Das kunstseidene Mädchen" – Charakterisierung:
      • Doris:
        • 18 Jahre alt
        • überheblich und naiv
        • schön
        • fehlende Schulbildung
        • sozial kompetent
    • "Das kunstseidene Mädchen" – Analyse:
      • Das Werk besteht aus einzelnen Tagebucheinträgen, die in drei Teile untergliedert und in der personalen Ich-Perspektive von Doris verfasst sind.
      • Dabei fallen besonders Doris' kreative Vergleiche ins Auge, aber auch ihr fehlerhafter Satzbau, der mehr an Umgangs- als an Schriftsprache erinnert.
    • "Das kunstseidene Mädchen" – Epoche:
      • Epochal lässt er sich in die Zeit der Neuen Sachlichkeit einordnen.
      • Irmgard Keuns Roman entstand vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, die ab 1929 nicht nur Erwerbslosigkeit und Armut unter der deutschen Bevölkerung bedingte, sondern auch das Ende der Weimarer Republik und damit Hitlers Machtergreifung einleitete.
    • Irmgard Keun – "Das kunstseidene Mädchen":
      • Keun wurde am 6. Februar 1905 in Berlin geboren, verbrachte einen großen Teil ihres Lebens jedoch in Köln.
      • Keun verfasst weitere Werke, darunter z. B. "Gilgi, eine von uns" (1931), "Nach Mitternacht" (1937), "D-Zug dritter Klasse" (1934) und "Kind aller Länder" (1938).

    Nachweise

    1. Steinbach, ed. (1981): Das kunstseidene Mädchen. Klett Verlag.
    Häufig gestellte Fragen zum Thema Das kunstseidene Mädchen

    Was bedeutet der Glanz für das kunstseidene Mädchen?

    "Glanz" bedeutet für das kunstseidene Mädchen Doris, eine Person, die ein glückliches, erfolgreiches Leben in Ruhm und Reichtum führt, von allen gekannt und gleichsam geliebt wird. Die Bedeutung ist vergleichbar mit dem englischen Begriff "star", mit dem auch im deutschen Sprachraum Menschen von großem Bekanntheitsgrad und Einfluss bezeichnet werden.

    Wo spielt das kunstseidene Mädchen?

    "Das kunstseidene Mädchen" spielt überwiegend in Berlin.

    Was bedeutet Glanz für Doris?

    Als "Glanz" bezeichnet Doris eine Person, die ein glückliches, erfolgreiches Leben in Ruhm und Reichtum führt, von allen gekannt und gleichsam geliebt wird. Die Bedeutung ist vergleichbar mit dem englischen Begriff "star", mit dem auch im deutschen Sprachraum Menschen von großem Bekanntheitsgrad und Einfluss bezeichnet werden.

    Wer ist Doris in Das kunstseidene Mädchen?

    Doris aus "Das kunstseidene Mädchen" ist eine 18-jährige junge Frau, die nach Berlin zieht, um ein "Glanz" zu werden. Sie ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und träumt von einer großen Karriere und einem Leben in Reichtum und Luxus.

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