Der Abend Joseph von Eichendorff

"Der Abend" von Joseph von Eichendorff ist ein 1817 entstandenes Gedicht, das in seiner Kürze die Würze der romantischen Epoche widerspiegelt. Denn in gerade einmal sieben Versen behandelt der Autor in "Der Abend" typische Themen dieser Periode – darunter die Verbindung von Mensch und Natur und die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten. Dafür verwendet Eichendorff viele formelle und sprachliche Mittel, die die Aussagen seines Gedichts übertragen.

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    Das Gedicht "Der Abend" von Joseph von Eichendorff

    Schweigt der Menschen laute Lust:

    Rauscht die Erde wie in Träumen

    Wunderbar mit allen Bäumen,

    Was dem Herzen kaum bewusst,

    Alte Zeiten, linde Trauer,

    Und es schweifen leise Schauer

    Wetterleuchtend durch die Brust.1

    Lind (V. 5) ist ein veraltetes Wort für sanft bzw. zart.

    Bereits am Titel des Gedichts kannst Du erkennen, dass es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Abend handelt. Der bestimmte Artikel ("Der Abend") markiert einen besonderen Moment. Dabei lässt Eichendorff offen, für wen genau diese Zeit bemerkenswert ist, da es kein bestimmbares lyrisches Ich gibt, das spricht.

    Das lyrische Ich ist die sprechende Person eines Gedichts. Mehr dazu findest Du in der Erklärung "Lyrisches Ich".

    Stattdessen beschreibt "Der Abend" in den knappen sieben Versen einen leisen Sommerabend, begleitet vom "Rauschen [der] Erde" (V. 2), "leisen Schauern" (V. 6) und "Wetterleuchten" (V. 7).

    Das Wetterleuchten ist ein Naturphänomen, bei dem Du aus weiter Entfernung zwar Blitze bzw. ihr Licht am Himmel sehen, aber den dabei entstehenden Donner nicht hören kannst. Das Leuchten ist vor allem im Sommer gut zu beobachten.

    Sobald der Alltagslärm der Menschen am Ende des Tages verstummt ("Schweigt der Menschen laute Lust:" V. 1), beginnt die Natur, sich bemerkbar zu machen ("Rauscht die Erde", V. 2). Der Inhalt der weiteren Verse beschreibt verschwommene Eindrücke und Geräusche aus der Natur ("Bäumen" V. 3; "Schauer" V. 6; "Wetterleuchten" V. 7). Dazwischen befinden sich unbestimmte, gefühlsbetonte Ausschnitte, die sich eher auf menschliches Empfinden beziehen: so etwa "wie in Träumen" (V. 2), "Herzen" (V. 4), "linde Trauer" (V. 5).

    Dadurch bleibt unklar, ob eine Person hier tatsächlich abends spazieren geht und die Natur verstärkt wahrnimmt, oder ob diese Eindrücke aus ihrem Inneren kommen. In dem Gedicht "Der Abend" geht es also um einen kurzen Moment, in dem dem lyrischen Ich bewusst wird, wie nah sich menschliche Gefühle und die Natur sind.

    "Der Abend" von Joseph von Eichendorff – Epoche

    Am Thema "Natur und Mensch" kannst Du erkennen, in welcher Epoche das Gedicht entstand: Joseph von Eichendorff verfasste "Der Abend" nämlich 1817 – und damit in der Blütezeit der literarischen Romantik.

    Die Romantik

    Diese literarische Periode umfasst im deutschsprachigen Raum den Zeitraum zwischen 1795 und 1830. Ihre Kunstschaffenden arbeiteten darauf hin, die Menschen von den Idealen der Weimarer Klassik (moralische, aufgeklärte Vernunft) hin zu mehr Empfindsamkeit, Fantasie und dem Übernatürlichem zu leiten.

    Im Zuge dessen stellten die romantischen Kunstschaffenden den Menschen als Teil der Natur in den Vordergrund. So betonten sie in ihren Werken dessen ursprüngliche, naturnahe Empfindungen.

    Zentrale Themen dieser Epoche sind u.a.:

    • Weltflucht in Melancholie und fantastische Welten
    • Verklärung des Mittelalters
    • Innenleben einzelner Personen
    • Hinwendung und Sehnsucht zur Natur

    Mehr Informationen findest Du in der Erklärung zur "Romantik" und zur "Weimarer Klassik".

    Um herauszufinden, wie in "Der Abend" bestimmte Themen der romantischen Epoche verbaut sind, kannst Du das Gedicht zunächst einmal hinsichtlich Reimschema, Versmaß, Sprache, Stilmittel und Form analysieren, bevor Du es interpretierst.

    "Der Abend" von Joseph von Eichendorff – Analyse

    "Der Abend" besteht aus einem einzigen langen Satz, der in sieben Verszeilen aufgeteilt ist. In dem Gedicht spricht ein unbestimmtes lyrisches Ich. Diese Person bleibt ebenso unklar wie der Ort, an dem sie sich befindet. Allein der Zeitpunkt ist im Titel grob definiert ("Der Abend"). Das Gedicht ist außerdem im Präsens, also der Gegenwart, verfasst.

    Der lange Satz ist zwar durch die verschiedenen Verse und Satzzeichen (Doppelpunkt, Kommata) grob unterteilt, seine einzelnen Satzteile lassen jedoch mehrere Bezüge zu anderen Stellen im Gedicht zu. Das folgende Beispiel verdeutlicht Dir diese Mehrdeutigkeit:

    Du kannst grammatikalisch nicht genau bestimmen, auf welchen anderen Satzteil sich "was dem Herzen kaum bewusst" in Vers 4 bezieht – und damit auch nicht, was dem Herzen nun konkret bewusst wird:

    • Es könnte zum einen das "Rauschen" (V. 2) der Natur sein, das das Herz im lauten Alltag ("laute Lust", V. 1) sonst nicht hören kann.
    • Es könnte sich aber auch an "Alte Zeiten" (V. 5) erinnern und dabei "linde Trauer" (V. 5) empfinden.

    Beide Bezüge sind durch den Satzbau möglich.

    Reimschema

    Das Reimschema der sieben Verse in "Der Abend" bildet einen umarmenden Reim.

    Ein umarmender Reim besteht in der Regel aus zwei Reimpaaren. Sein Schema lautet deshalb abba. Dabei reimt sich der erste auf den letzten Vers einer Strophe und umschließt somit ein anderes Reimpaar.

    Häufig wird ein umarmender Reim eingesetzt, um unterschiedliche Themen voneinander abzugrenzen und dadurch in sich geschlossene Sinnabschnitte zu betonen.

    Als Strophe wird eine in sich geschlossene Einheit von Verszeilen innerhalb eines Gedichts bzw. Lieds bezeichnet. Mehr dazu findest Du in den Erklärungen "Umarmender Reim" und "Strophe".

    Das Reimschema von "Der Abend" schreibt sich so:

    "Schweigt der Menschen laute Lust: a

    Rauscht die Erde wie in Träumen b

    Wunderbar mit allen Bäumen, b

    Was dem Herzen kaum bewusst, a

    Alte Zeiten, linde Trauer, c

    Und es schweifen leise Schauer c

    Wetterleuchtend durch die Brust."1 a

    Der Reim a beinhaltet in diesem Gedicht drei Versenden, die zwei weitere Reimpaare umschließen, nämlich b und c. Dadurch handelt es sich um einen umarmenden Reim, obwohl das Reimschema hier ungewöhnlicherweise mit insgesamt drei statt zwei Reimpaaren angelegt ist.

    Dadurch verbindet sich das komplette Gedicht zu einem einzigen Sinnabschnitt – was nahe legt, die Verse deshalb auch inhaltlich nicht voneinander zu trennen.

    Der umarmende Reim bewirkt zudem, dass alle Verse rhythmisch miteinander verbunden sind. Die folgende Analyse des Versmaßes zeigt Dir, wie sich der Takt hier genau verhält.

    Versmaß

    Das Versmaß (auch Metrum genannt) gibt Dir Auskunft über die Struktur und den Rhythmus.

    Das Versmaß bzw. Metrum beschreibt den klanglichen Aufbau eines Gedichts. Bei diesem Aufbau geht es um die betonten und unbetonten Folgen innerhalb eines Verses. Betonte Silben werden als Hebungen, unbetonte Silben als Senkungen bezeichnet.

    Für die Bestimmung des Versmaßes muss die Abfolge von Hebungen und Senkungen in einem Gedicht betrachtet werden. Diese bestimmt nicht nur den Takt, sondern strukturiert auch häufig den lyrischen Inhalt.

    Unter einem Trochäus versteht man einen Versfuß, der aus einer betonten und einer unbetonten Silbe besteht.

    Welche weitere Metren es gibt und wie Du das Versmaß genau bestimmst, erfährst Du in der Erklärung "Metrum". Mehr zum Trochäus lernst Du im gleichnamigen Artikel.

    Wenn Du "Der Abend" laut vorliest, kannst Du den folgenden Rhythmus heraushören:

    "Schweigt - der - Men - schen - lau - te - Lust:

    X x X x X x X

    Rauscht - die - Er - de - wie - in - Träu - men"1

    X x X x X x X x

    Hebung: X

    Senkung: x

    Das Versmaß in "Der Abend" ist also trochäisch und besitzt vier Hebungen.

    Der vierhebige Trochäus war besonders bei den Lyrikerinnen und Lyrikern der Romantik beliebt.

    Indem die Verse mit einer betonten Silbe beginnen, steigst Du direkt in den Inhalt ein und befindest dich sofort im beschriebenen Augenblick. Gleichzeitig verleiht der streng regelmäßige Takt dem Text einen fließenden Rhythmus.

    Der Einsatz der Kadenzen unterstützt die Harmonie, die das Gedicht ausstrahlt.

    Eine Kadenz in einem Gedicht bezeichnet die Betonung des Versendes. Am häufigsten kommen stumpfe bzw. männliche (betonte Silbe am Versende) und klingende bzw. weibliche (unbetonte Silbe am Versende) Kadenzen vor. Es gibt aber auch reiche (mehrere unbetonte Silben am Versende) Kadenzen.

    Du kannst eine Kadenz direkt ablesen, wenn Du vorher bereits das Versmaß bestimmt und im Gedicht markiert hast.

    In "Der Abend" entsprechen die Kadenzen dem Reimschema:

    "Schweigt der Menschen laute Lust:

    Rauscht die Erde wie in Träumen

    Wunderbar mit allen Bäumen,

    Was dem Herzen kaum bewusst,

    Alte Zeiten, linde Trauer,

    Und es schweifen leise Schauer

    Wetterleuchtend durch die Brust."1

    • "Lust", "-wusst", "Brust" sind betont und deshalb stumpfe Kadenzen. (männliche Kadenz)
    • Beide "-men"- und "-er"-Endungen sind unbetont und deshalb klingende Kadenzen. (weibliche Kadenz)

    Der vierhebige Trochäus und der abwechselnde Einsatz klingender und stumpfer Kadenzen in "Der Abend" sorgen also dafür, dass das Gedicht zwar ruhig und harmonisch klingt, aber nicht eintönig wirkt.

    Sprache

    Diese Art von Zwiespalt findest Du auch in Joseph von Eichendorffs Sprachgebrauch wieder. Denn indem er bestimmten, zentralen Wörtern mehrere Interpretationsmöglichkeiten zuweist, entlockt er der lesenden Person mehrdeutige Empfindungen – und stellt damit die Vernunftsebene infrage.

    Der Autor Klaus Köhnke betitelte Eichendorffs besondere Ausdrucksweise als "Hieroglyphenschrift."

    Ein Beispiel für diese Art der Sprachverdichtung liefert Dir der Ausdruck "wetterleuchtend" (V. 7).

    "Wetterleuchtend" reiht sich einerseits in die allgemeine Beschreibung der Natur ein, die in dem Gedicht auftritt. Das Wort beschreibt damit die "leisen Schauer" (V. 6) genauer.

    Andererseits bezieht sich "wetterleuchtend" auch auf die Art und Weise, wie diese Schauer "durch die Brust" (V. 7) fahren. Hier tut sich der lesenden Person eine tiefere Bedeutung des Wortes auf: Es drückt nun auch aus, wie tiefe Empfindungen in diesem beschriebenen Moment unvorhergesehen aufblitzen.

    Du siehst also: Mit der Beschreibung "wetterleuchtend" begegnet Eichendorff der Vernunftsebene (als Wetterphänomen) mit der Gefühlsebene (als Empfindungsart).

    Weitere Ausdrücke, die die beiden Ebenen gleichzeitig eröffnen, sind etwa "laute Lust" (V. 1), "wie in Träumen" (V. 2) und "leise Schauer" (V. 6).

    "Der Abend" – Rhetorische Stilmittel

    Im Folgenden findest Du die verschiedenen Stilmittel, ihre Textbelege und ihre Funktionen innerhalb des Gedichts "Der Abend". Ihre Interpretation kannst Du im gleichnamigen Abschnitt nachlesen.

    Mehr Details zu den jeweiligen Stilmitteln findest Du in der Erklärung "Rhetorische Stilmittel / Figuren".

    Alliteration

    Als Alliteration wird die Wiederholung von Anfangslauten bezeichnet. Dadurch betont sie die Zusammengehörigkeit der Wörter und macht die lesende Person besonders aufmerksam darauf.

    Du findest Alliterationen etwa hier:

    • Vers 1: "laute Lust"
    • Vers 6: "schweifen leise Schauer"

    Antithese

    Dabei handelt es sich um einen unmittelbar gegenübergestellten Gegensatz. Beide Seiten werden durch dieses Stilmittel stärker wahrgenommen, wodurch sich deren Widerspruch verdeutlicht und die Spannung erhöht wird.

    Du findest Antithesen etwa hier:

    • Vers 1: "Schweigt" vs. "laute Lust"
    • Vers 5: "linde" vs. "Trauer"
    • Vers 6: "leise" vs. "Schauer"

    Assonanz

    Assonanzen sind Wiederholungen gleichklingender Vokale. Sie bewirken einen Sprachrhythmus des Gedichts, der besonders singbar ist. Gleichzeitig betonen sie gleichklingende Worte.

    Du findest Assonanzen etwa in diesen Wörtern:

    • "laute", "Rauscht", "Träumen", "Bäumen", "kaum", "Trauer", "Schauer"
    • "Schweigt", "Zeiten", "schweifen", "leise"

    Enjambements

    Enjambements sind Zeilensprünge. Hierbei wird ein Satzteil am Versende abgebrochen, um ihn zu Beginn des nächsten Verses zu beenden. Dadurch erhält das Gedicht einen rhythmischen, singbaren Fluss. Gleichzeitig eröffnen sich mehrere Interpretationsmöglichkeiten durch die undefinierte Verbindung von Vers und Satzteilen.

    Du findest Enjambements hier:

    • Vers 2 auf 3: "Rauscht die Erde wie in Träumen / Wunderbar mit allen Bäumen,"
    • Vers 6 auf 7: "Und es schweifen leise Schauer / Wetterleuchtend durch die Brust."

    Metapher

    Eine Metapher ist ein sprachliches Bild, das einen eigentlich gemeinten Begriff durch einen anderen Ausdruck ersetzt und dadurch dessen Bedeutung überträgt. Außerdem veranschaulicht ein metaphorischer Ausdruck das Motiv bzw. das Thema.

    Du findest Metaphern etwa hier:

    • "Herz" (V. 4) und "Brust" (V. 7) stehen für das innerste Gefühl des Menschen.

    Auch Personifikationen sind Metaphern. Ein abstrakter Begriff wird hierbei vermenschlicht, wodurch sich die lesende Person mehr mit dem Thema auseinandersetzen kann.

    Du findest Personifikationen etwa hier:

    • Vers 1: "laute Lust"
    • Vers 2: "Rauscht die Erde"
    • Vers 4: "Was dem Herzen kaum bewusst"

    "Der Abend" – Form

    Durch das rhythmische Reimschema, das taktvolle Versmaß, die klangvollen Assonanzen und die Enjambements des Gedichts, kannst Du seine Form als Lied erkennen.

    Ein Lied ist in eine Gedichtsform, die besonders singbar ist. Es ist häufig in Strophen gegliedert und reimt sich meist.

    Die sieben Verszeilen bilden zusammen eine Strophe, die durch den umarmenden Reim ihren Rahmen erhält.

    "Der Abend" von Joseph von Eichendorff –Deutungshypothesen

    Nachdem Du das Gedicht "Der Abend" nun sorgfältig analysiert hast, steht der Interpretation des Inhaltes nichts mehr im Wege. Dafür kannst Du zunächst die Stimmung genau untersuchen, die "Der Abend" vermittelt, denn dadurch eröffnen sich verschiedene Interpretationsansätze. Zwei davon findest Du hier erklärt.

    Stimmung

    "Der Abend" von Joseph von Eichendorff vermittelt eine ruhige Stimmung, indem der Autor sanfte Worte wählte, um die Situation zu beschreiben. Auch die Regelmäßigkeit des Rhythmus in Verbindung mit dem umarmenden Reimschema, den Assonanzen und den Enjambements erwecken eine gefühlsbetonte Ruhe und Harmonie des Gedichts.

    Ausdrücke wie "rauschen", "Träumen" (beide V. 2) und "wunderbar" (V. 3) versetzen die Lesenden in einen harmonischen Zustand, der auf sanften Empfindungen beruht.

    Doch nicht nur Ruhe, sondern auch Spannung findet sich zwischen den Zeilen wieder.

    So eröffnet die Antithese gleich zu Beginn des Gedichts mit dem Gegensatz "Schweigt" und "laute Lust" (V. 1) direkt eine Voraussetzung, um die Klänge der Natur, die daraufhin beschrieben werden, überhaupt hören zu können. Das erzeugt Spannung bei der lesenden Person.

    Außerdem weckt das Gedicht melancholische, nostalgische Stimmungen, indem negativ behaftete Gefühlsausdrücke durch mildernde Adjektive und Verben an Härte verlieren.

    Melancholie bezeichnet eine Stimmung des Gemüts, in der eine Person unterbewusst traurig und schwermütig ist, diese Gefühle sie jedoch nicht beherrschen. Nostalgie ist ein Begriff, der eine unbestimmte Sehnsucht ausdrückt, die sich oftmals auf die Vergangenheit bezieht.

    Da etwa das Adjektiv "linde" dem Substantiv "Trauer" (V. 5) vorangestellt ist, mildert es den negativen Gefühlszustand ab und erweckt somit ein eher melancholisches denn trauriges Empfinden in der lesenden Person.

    Gedichtinterpretation – "Der Abend"

    Die wechselhafte Stimmung ist ein Ausdruck der Themen, um die es in "Der Abend" geht: nämlich einerseits um die leise Verschmelzung von Mensch und Natur. Andererseits kannst Du auch die melancholische Sehnsucht danach herauslesen, diese ursprüngliche Beziehung wieder aufleben zu lassen. Beides sind zentrale Themen der romantischen Epoche.

    Beziehung zwischen Mensch und Natur

    Die Antithesen und stimmungsvollen Gegensätze in dem Gedicht stehen für die Eigenschaften, die die Menschen und die Natur besitzen. Direkt im ersten Vers wird die "laute Lust" der Menschen beschrieben. Damit ist gemeint, dass Personen von ihrem – vermeintlich – niederem Instinkt, der Lust, eingenommen sind. Diese Lust übertönt dadurch alle anderen Geräusche bzw. Empfindungen, auch die ruhige Stimme der Natur ("Rauscht die Erde", V. 2).

    In kurzen, flüchtigen Momenten ist die Natur aber zu hören bzw. im Innersten wahrzunehmen – nämlich dann, wenn der Lärm der menschlichen Vernunft verstummt ("Schweigt", V. 1). So geschieht es auch an diesem Abend, der dem Gedicht seinen Namen gibt.

    Zu Beginn des Gedichts stehen sich der Mensch und die Natur also gegenüber. Mit Vers 4 verschmelzen beide jedoch miteinander und gegensätzliches wird vereint. Hier dringt dann hervor, "was dem Herzen kaum bewusst" (V. 4). Das Herz steht sinnbildlich für die tiefsten Empfindungen des Menschen, die bislang unter der "Lust" (V. 1) versteckt waren. Mit der eintretenden Stille der Natur am Abend kehren nun auch die ursprünglichen Gefühle wieder. Diese "schweifen" als "leise Schauer / wetterleuchtend durch die Brust" (V. 6 und 7). Diese sanften Ausdrücke, die eigentlich die Natur beschreiben, spiegeln hier die Ruhe der Erde im Innersten des Menschen wider und vereinen damit beide auch sprachlich miteinander.

    Sehnsucht nach vergangenen Zeiten

    Indem "Der Abend" unbestimmte Naturbilder besingt (Träume, Bäume, Schauer) und sie mit den menschlichen Empfindungen in Verbindung bringt, weckt das Gedicht besonders naturverbundene Gefühle und Erinnerungen in den Lesenden. Damit will der Romantiker Eichendorff Urgefühle wecken, die in "alten Zeiten" vorherrschten, als Mensch und Natur noch vereint waren. Diese "alte Zeiten" sind im romantischen Umfeld gleichzusetzen mit besseren Zeiten.

    Vor allem das Mittelalter diente den Romantikerinnen und Romantikern in verklärtem Sinne als Vorbild. Mehr dazu findest Du in der Erklärung "Romantik".

    Durch die "linde Trauer", die mit der Erinnerung an die Vergangenheit aufkommt, entsteht das melancholische Gefühl, diese besseren Zeiten und die damit einhergehenden Urgefühle des Menschen nicht mehr wiedererlangen zu können. Nur in seltenen Momenten, wie an jenem speziellen Abend, erhascht der Mensch durch die unmittelbare Nähe zur Natur einen Blick darauf, was er durch seine "laute Lust" verloren glaubt.

    In seiner Bedeutung ist dieses Bild zwar vage, doch unterstreicht es die Sehnsucht der romantischen Epoche nach einer Zeit, die einfacher bzw. gefühlsbetonter war, als sie es in der aufgeklärten Welt des frühen 19. Jahrhunderts ist.

    "Der Abend" – Der Autor Joseph von Eichendorff

    Eichendorff ist kein Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs, nicht des erfüllten Augenblicks, sondern der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der Abfahrt.3

    Mit diesem Zitat beschreibt Rüdiger Safranski die Themen, die den bedeutsamen Vertreter der deutschsprachigen Literaturepoche der Romantik zeitlebens umtrieben: das Gefühl des unbestimmten Heimwehs, die Sehnsucht nach besseren Zeiten sowie der Aufbruch in eine gefühlsbetontere Gesellschaft.

    Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff wurde 1788 bei Ratibor in Oberschlesien geboren. Bis zu seinem Tode im Jahr 1857, ebenfalls in Oberschlesien, verfasste der Lyriker und Schriftsteller zahlreiche epochendefinierende Gedichte und Erzählungen.

    Besonders bekannt sind bis heute noch sein Gedicht "Mondnacht" (1837) und seine Novelle "Aus dem Leben eines Taugenichts" (1826).

    Zu beiden Werken findest Du hier auch die gleichnamigen Erklärungen.

    "Der Abend" Joseph von Eichendorff - Das Wichtigste

    • "Der Abend" (1817) ist ein Gedicht des Lyrikers und Schriftstellers Joseph von Eichendorff.
    • Es ist der literarischen Epoche der Romantik zuzuorden.
    • Im Gedicht erlebt das unbestimmte lyrische Ich einen Abend, an dem die Geräusche der Natur diejenigen der Menschen übertönen und gleichzeitig menschliche Empfindungen die menschliche Vernunft übertrumpft.
    • Der Inhalt besteht aus einem einzigen Satz, der auf sieben Verse aufgeteilt wurde.
    • Das Gedicht wurde im umarmenden Reimschema verfasst (abbacca).
    • Das Versmaß ist ein vierhebiger Trochäus.
    • Die Sprache des Gedichts ist verdichtet und dadurch mehrdeutig. Außerdem beinhaltet es mehrere rhetorische Stilmittel (etwa Alliteration, Metapher, Assonanz).
    • Es liegt in Lied-Form mit einer Strophe vor.
    • Die Stimmung des Gedichts ist gleichzeitig ruhig, spannungsreich und melancholisch.
    • Behandelte Themen sind die ursprüngliche Beziehung zwischen Mensch und Natur sowie die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten.

    Nachweise

    1. Joseph von Eichendorff (1986): Gedichte. Reclam Universal-Bibliothek
    2. Karl Heinz Weiers: Joseph von Eichendorff: Der Abend. niess.info (13.06.2022)
    3. Rüdiger Safranski (2007): Romantik. Eine deutsche Affäre. Fischer
    4. Deutsche-Biographie.de: Eichendorff, Joseph Carl Benedikt Freiherr von. (13.06.2022)
    Häufig gestellte Fragen zum Thema Der Abend Joseph von Eichendorff

    Wer verfasste das Gedicht "Der Abend"?

    Das Gedicht "Der Abend" wurde von Joseph von Eichendorff verfasst.

    Aus welcher Epoche stammt das Gedicht "Der Abend"?

    "Der Abend" ist ein Gedicht aus der literarischen Epoche der Romantik (1795-1830). Es wurde 1817 verfasst.

    Worum geht es in dem Gedicht "Der Abend" von Joseph von Eichendorff?

    In "Der Abend" geht es um die Verbindung von Mensch und Natur sowie die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten. Beides sind zentrale Themen der Literaturepoche Romantik.

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