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Nationales Selbstverständnis - Definition
Das nationale Selbstverständnis definiert, wie sich eine Nation selbst versteht. Also wie sich ein Staat, vor allem seine Bevölkerung als eine Gemeinschaft selbst, wahrnimmt, aber auch wie er sich selbst präsentiert.
Nationales Selbstverständnis - Bedeutung
Das nationale Selbstverständnis des Kaiserreichs bestimmte sich vor allem durch eine Politik der Ein- und Ausgrenzung. Da durch die Reichsgründung nun ein gesamtdeutscher Staat entstand, entwickelte sich eine verstärkte Vorstellung des Deutschseins. Das Selbstverständnis zeichnete sich dadurch aus, wer als “deutsch” anerkannt wurde und wer nicht. Es war also auch eine Frage der nationalen Identität. Einerseits formte sich die Identität durch das eigene Bekenntnis zum Kaisertum und Nationalismus. Andererseits wurde die Identität auch vom Staat festgelegt, da durch den Staat auch die Staatsbürgerschaft definiert wurde.
Weitere hilfreiche Infos zum Thema Nationenbildung findest Du unter “Nationalstaatsgedanken in Deutschland”.
Nationales Selbstverständnis - Staatsbürgerschaft
Zum nationalen Selbstverständnis gehört die Frage der Staatsbürgerschaft. Wer wurde als Bürger*in des Kaiserreichs angesehen? Die Staatsbürgerschaft war nicht nur von Bedeutung für die nationale Identität, sondern auch um zu bestimmen, wer wahlberechtigt war. Doch zunächst hatte das Kaiserreich keine Regelung für die Staatsbürgerschaft. Ab 1913 wurde das preußische Prinzip zur Abstammung in einem Staatsbürgerschaftsgesetz für das gesamte Kaiserreich übernommen. Das preußische Gesetz besagte, dass jede*r Bürger*in mit einem preußischen Vater auch preußischer Staatsbürger war.
Zusätzlich regelte das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, dass jede*r Deutsche*r war, der/die Staatsbürger*in eines deutschen Bundesstaates war.
Im Kaiserreich galt das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht. Das bedeutete, dass jeder Mann seine Stimme für die Reichstagswahl abgeben durfte. Auch wenn nur die Männer wählen durften, war das Wahlrecht insofern demokratisch, da jeder Mann berechtigt war.
Nationalismus im Kaiserreich - Zusammenfassung
Die Reichsgründung veränderte auch den Nationalismus im Kaiserreich. Schließlich gab es durch das Kaiserreich erstmals eine einheitliche Nation der Deutschen. Um das zu verstehen, ist hier noch einmal eine Erinnerung, was Nationalismus ist:
Nationalismus - Definition
Nationalismus beschreibt die Wahrnehmung für die Bedeutung der Nation. Dabei wird die eigene Nation oft idealisiert und im Gegensatz zu anderen Ländern hervorgehoben, bzw. andere Länder werden herabgestuft.
Nationalismus im Kaiserreich - Wandel
Vor der Gründung des Kaiserreichs war der deutsche Nationalismus vor allem eine liberale Bewegung, die einen einheitlichen Staat ersehnte. Doch mit der Reichsgründung hatten die Nationalisten ihr Ziel erreicht. Jetzt lag es ihnen daran, den deutschen Staat nach außen zu beweisen. Die Nationalisten entwickelten rechtsorientierte und ideologische Motive und stellten das “Reich” in den Vordergrund. Dabei erwies sich der Kaiser als Leitfigur, mit der der Nationalismus repräsentiert wurde.
Kaiser Wilhelm I. wurde zum Beispiel im Zuge des Kyffhäuser Mythos als Wiedergänger von Friedrich I. (Barbarossa) als Weißbart (Barbablanca) stilisiert.
Mehr zum Kyffhäuser Mythos findest Du im Artikel zu Barbarossa.
Im Zuge des ausgeprägten Nationalismus rückten aber auch immer mehr völkische und rassistische Vorstellungen in den Fokus. Das deutsche Volk nahm sich selbst als überlegen gegenüber anderen Nationen wahr und die Forderungen, Kolonialpolitik zu betreiben, wurden immer lauter. Der Nationalismus fand somit eine pangermanische-völkische Auslegung, glorifizierte also das “germanische Volk”.
Pangermanismus bezeichnet die Bestrebung, alle deutsch-sprechenden Völker zu vereinen.
Die Germanen-Zeit wurde besonders im Kaiserreich stilisiert. Aus Hermann dem Cherusker wurde eine Art Volksheld.
Hermann der Cherusker war ein Germane, dem der Sieg gegen die Römer in der Varusschlacht nachgesagt wird. Dieser Sieg gegen die Römer wurde in der Kaiserzeit als erster Widerstand gegen fremde Bedrohung gedeutet. Schließlich wurde die Stärke der deutschen Nation, die sie von den Germanen geerbt hätten, mit der Eröffnung des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig im Jahr 1913 gefeiert.
Reichsnationalismus - Funktion
Der Reichsnationalismus zielte darauf ab, die Nation von innen zu stärken und gegen Feinde abzuschirmen. Diese Feinde waren hauptsächlich Gruppen, die sich von der Mehrheit der Deutschen unterschieden, die Minderheiten – sie wurden als nicht deutsch-genug wahrgenommen.
Die äußeren Feinde fand das Kaiserreich in den konkurrierenden Nationen. Gegen Frankreich bestand eine “Erbfeindschaft” durch die historischen Konflikte der beiden Länder. Schon der Start des Kaiserreichs ließ diese “Erbfeindschaft” wieder aufleben, da Kaiser Wilhelm I. im Spiegelsaal von Versailles zum Kaiser gekrönt wurde. Mit dem Ort der Krönung wurde Frankreich gedemütigt, da Versailles einst das französische Machtzentrum war.
Auch Großbritannien wurde zum Feind deklariert. Großbritannien habe lange genug die Weltherrschaft innegehabt. Durch die Beteiligung am Kolonialismus bot sich eine Möglichkeit für das Kaiserreich, sich gegen die anderen Weltmächte zu beweisen. Allerdings hatte das deutsche Kaiserreich vergleichsweise wenige Kolonien. Und auch sonst gelang es dem Kaiserreich nicht wirklich, sich gegen Großbritannien durchzusetzen.
Die Bemühungen des Kaiserreichs sich gegen Großbritannien zu beweisen, gingen so weit, dass die beiden Nationen in einen Rüstungswettkampf traten. Obwohl Großbritannien unangefochten die größte Flotte besaß, ließ Kaiser Wilhelm II. ab Ende der 1890-er die deutsche Marine aufrüsten. Letztlich kam der deutsche Flottenausbau aber nicht gegen die britische Übermacht an.
Integraler Nationalismus – einfach erklärt!
Unter integralem Nationalismus versteht man eine besonders ausgeprägte Form des Nationalismus, der die Nation über alles andere stellt. Nach der Vorstellung soll die Nation im Vordergrund aller politischen und kulturellen Entscheidungen stehen.
Der integrale Nationalismus verfestigte sich durch die Gründung des Alldeutschen Verbands im Jahr 1891. Der Verband vertrat sämtliche nationalistischen Ideen: Expansions- und Kolonialpolitik, Verbreitung des Deutschtums, indem Minderheiten geschwächt wurden und allgemeines Stärken des Kaiserreichs. Doch der Alldeutsche Verband radikalisierte sich zunehmend und warf dem Kaiser und seiner Regierung Versagen vor.
Minderheiten
Ein nationales Selbstverständnis definiert sich auch durch die Ausgrenzung bestimmter Gruppen, um so die nationale Gemeinschaft zu stärken. Im Kaiserreich wurden diese Gruppen, die Minderheiten, vor allem aufgrund von Religion oder Sprache ausgeschlossen.
Eine Minderheit, oder Minorität, ist ein zahlenmäßig unterlegener Teil eines Ganzen. Dabei unterscheidet sich die Minderheit durch bestimmte Merkmale wie Sprache, Religion, Ethnie, oder sexuelle Orientierung von der Mehrheit.
Sozialdemokraten
Unter den politischen Feinden des Kaiserreichs waren vor allem die Sozialdemokraten. Die Sozialdemokraten wurden auf der einen Seite als eine Gefahr für das Kaiserreich wahrgenommen, da sie für mehr Gleichheit plädierten. Auf der anderen Seite entwickelte sich im 19. Jahrhundert eine internationale sozialistische Bewegung. Dieser Internationalismus widersprach der nationalistisch geprägten Mehrheit des Kaiserreichs. Der Kampf gegen die Sozialdemokraten ging so weit, dass der Reichskanzler Otto von Bismarck die Sozialistengesetze errichtete, die jegliche sozialistische Arbeit verboten.
Mehr zu den Sozialdemokraten und den Sozialistengesetzen findest Du in separaten Artikeln!
Kulturkampf
Im Zuge Bismarcks Kulturkampfes wurden die Katholiken im Kaiserreich um 1870 zu Minderheiten. Der Kulturkampf beschreibt den Konflikt zwischen den Katholiken und Liberalen des Kaiserreichs. Vereinfacht gesagt, wollten die Liberalen den Einfluss des Papstes und der katholischen Kirche auf das Kaiserreich mindern. Die Loyalität der Katholiken gegenüber dem Kaiserreich wurde angezweifelt.
Ultramontanismus beschreibt diesen Vorwurf der Liberalen gegenüber den Katholiken. Der Begriff leitet sich vom Lateinischen ultra montes ab, was so viel wie “jenseits der Berge” bedeutet. Damit war gemeint, dass die Loyalität der Katholiken jenseits der Alpen beim Papst lag und nicht beim Kaiserreich.
Schließlich wurden die Katholiken als Antinationalisten bezeichnet und schikaniert, indem Gottesdienste und katholische Vereinsarbeit behindert wurden. Doch bereits um 1900 waren die Katholiken wieder in die Gesellschaft integriert.
Antisemitismus
Auch die Anhänger des Judentums wurden mit der Gründung des Kaiserreichs immer mehr aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Der Antisemitismus wurde zunehmend durch rassistische anstatt nur religiöse Motive geleitet. Die Juden hingegen betrachteten sich als eine deutsche Volksgruppe, also als Teil des Kaiserreichs.
Der Begriff Antisemitismus beschreibt Judenhass und Judenfeindlichkeit.
Nationale Minderheiten
Eine nationale Minderheit ist eine Gruppe innerhalb einer nationalen Bevölkerung, die sich durch eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte kennzeichnet. Eine nationale Minderheit hat somit eine eigene Identität und ist traditionell im deutschen Staatsgebiet heimisch.
Im Kaiserreich gab es verschiedene Minderheiten, die sich durch ihre Sprache unterschieden. Dazu gehörten hauptsächlich die Sprachgruppen, die sich am Rande des Staatsgebiets ansiedelten, also Polen und Franzosen.
Polen lebten vor allem im preußischen Teil des Kaiserreichs und stellten die größte Minderheit im Kaiserreich dar. Preußen ging hart gegen die polnische Minderheit vor. Die Polen standen mehr oder weniger vor der Wahl: Entweder sie gaben ihre polnische Identität auf und passten sich vollständig der deutschen Gesellschaft an, oder sie wurden vertrieben. Dabei unternahm Preußen eine Germanisierungspolitik, mit der die Polen “eingedeutscht” werden sollten. Dazu wurde die polnische Sprache in der Öffentlichkeit verboten.
In den Jahren 1772, 1793 und 1795 wurde jeweils ein Teil Polens von Russland, Österreich und Preußen eingenommen – die Großmächte teilten Polen unter sich auf. Danach existierte kein souveräner polnischer Staat mehr.
Die französische Minderheit hingegen lebte in Elsass und Lothringen. Diese beiden Gebiete gingen mit der Reichsgründung 1871 ins Kaiserreich über. Dabei stellte diese Minderheit eine besondere Situation dar. Einerseits erklärte Bismarck Frankreich zum Erzfeind. Andererseits trugen Frankreich und Deutschland einen historischen Konflikt über diese Gebiete aus und Frankreich wurde durch die Annexion gedemütigt. Somit wurden die Franzosen in Elsass und Lothringen doppelt geachtet.
Annexion bezeichnet die erzwungene Aneignung eines fremden Gebietes.
Im Norden des Kaiserreichs gab es die sprachliche Minderheit der Dänen, nachdem Schleswig im Deutsch-Dänischen Krieg annektiert wurde. Doch die dänische Volksgruppe passte sich der deutschen Politik und Gesellschaft an.
Die Sorben waren ebenfalls eine Minderheit der slawischen Sprache im Kaiserreich. Ihr Siedlungsgebiet befand und befindet sich heute immer noch südlich von Berlin. Aber auch Litauer und weitere slawische Sprachgruppen bildeten Minderheiten.
Die französischen und polnischen Minderheiten stellten den größten “Dorn im Auge” des Kaiserreichs dar. Diese beiden Gruppen ließen sich nicht so leicht in das Kaiserreich assimilieren (anpassen), beziehungsweise sträubten sich vor der Anpassung.
Gesellschaft im Kaiserreich – Nationalismus
Obwohl das deutsche Volk durch die Ausgrenzung von Minderheiten nach Ansicht der Nationalisten näher zusammenfinden sollte, gab es auch gesellschaftliche Unterschiede, die die Nation spalteten.
Zunächst einmal war die Gesellschaft hierarchisch aufgebaut:
- An oberster Stelle stand der Kaiser.
- Danach folgten der Adel und das Militär.
- Das Bürgertum stieg in der Gesellschaft auf. Mit der Industrialisierung entstanden immer mehr Großbetriebe, die dem Bürgertum zu Reichtum verhalfen.
- Die Unterschicht wurde von den Arbeitern gebildet. Durch die Industrialisierung bildete sich eine immer größere Arbeiterklasse.
Da das Kaiserreich durch die drei Einigungskriege gegründet wurde, genoss das Militär einen sehr hohen Stellenwert. Militarismus wurde auf der offenen Straße ausgelebt. Uniformen wurden hoch angesehen und das Militär wurde gefeiert.
Mit der Gründung des Kaiserreichs erreichte die Industrialisierung ihre Hochphase. Dadurch gewann die Wirtschaft immer mehr an Bedeutung. Die Träger der Wirtschaft waren vor allem die Bürger, deren Unternehmen durch die Industrialisierung wuchsen. Das Bürgertum entwickelte sich zu einer wichtigen Kaufkraft und Konsum wurde für breitere Gesellschaftsschichten zugänglich. Denn auch das Gehalt der Arbeiterklasse stieg durch die Industrialisierung an.
Obwohl sich das Leben der Arbeiter grundsätzlich durch die Industrialisierung verbesserte, wurden die Arbeiter auch immer mehr ausgenutzt. Da die Arbeiter auch in anderen Ländern ausgebeutet wurden, bildete sich eine internationale Gemeinschaft unter den Arbeitern. Diese Gemeinschaft wurde durch den Sozialismus getragen.
Mehr zur Arbeiterklasse findest Du in unseren Artikeln zur Industrialisierung.
Die gesellschaftliche Struktur des Kaiserreichs war somit zwiegespalten. Die Bürger, sowohl die wohlhabenden als auch die ärmeren, gewannen immer mehr an Bedeutung. Obwohl im Kaiserreich ein allgemeines Wahlrecht bestand, gab es dennoch keine Gleichheit zwischen Adel und Bürgern. Die liberalen und sozialistischen Vorstellungen der Bürger standen den konservativen und monarchischen Ansichten der Oberschicht gegenüber. So war es zum Beispiel immer noch dem Adel vorbehalten, hochrangige Ämter zu bekleiden.
Nationalismus im Kaiserreich - Das Wichtigste
- Das Kaiserreich war durch einen ausgeprägten Nationalismus, der die pangermanisch-völkische Nation glorifizierte, gekennzeichnet.
- Die nationalen Minderheiten im Kaiserreich waren: Franzosen, Dänen, Sorben, Polen und Litauer.
- Andere ausgeschlossene Gruppen waren Juden, Katholiken und Sozialdemokraten.
- Dem Kaiserreich lag daran, sich gegen die anderen europäischen Mächte zu beweisen, vor allem gegenüber Frankreich und Großbritannien.
Nachweise
- Abb. 1 - Völkerschlachtdenkmal, An der Tabaksmühle in Leipzig (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Leipzig_-_An_der_Tabaksm%C3%BChle_-_V%C3%B6lkerschlachtdenkmal_06_ies.jpg) von Frank Vincentz unter der Lizenz CC BY-SA 3.0.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Nationalismus im Kaiserreich
Welche Aufgabe hatte der Nationalismus im Kaiserreich?
Der Nationalismus im Kaiserreich hatte die Aufgabe die Nation zu stärken und nach außen hin als starke Einheit zu repräsentieren.
Was ist ein integraler Nationalismus?
Ein integraler Nationalismus ist eine besonders ausgeprägte Form des Nationalismus bei der die Nation über alles gestellt wird. Dabei soll die Nation im Vordergrund aller politischen und kulturellen Entscheidungen stehen.
Wie kam es zum Nationalismus in Deutschland?
Bereits vor der Gründung des Kaiserreichs gab es die Idee des Nationalismus im deutschsprachigen Gebiet. Dabei war es das Ziel der Nationalisten einen einheitlichen deutschen Staat zu schaffen. Mit der Gründung des Kaiserreich entstand diese Einheit und nun verbreitete sich der Nationalismus als eine Bewegung die die deutsche Nation glorifizierte und nach außen hin beweisen wollte.
Wie zeigte sich der Nationalismus im Deutschen Reich?
Der Nationalismus zeigte sich im Deutschen Kaiserreich durch eine Aus- und Eingrenzung. Minderheiten wurden aus der Gesellschaft ausgegrenzt oder gezwungen sich anzupassen um so die Gesellschaft von innen zu stärken.
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